Zum Wildbach und darüber hinaus

Eine der schönen Sachen am Radeln ist die Zeit, die man zum Nachdenken hat. Das kann natürlich auch zum Fluch werden, wenn die Gedanken um die weniger schönen Momente des Daseins kreisen, als da etwa die Vergänglichkeit ist.



Man macht ja gern Witze über ältere Männer un Lycrawursthaut, aber was mir nahe, wirklich nahe geht, sind eher die anderen, die sich gar nicht mehr rühren. Keines meiner Trikots ist so schlimm wie das letzte Hemd. Ich bin nicht so oft daheim, und da kann es dann schon etwas dauern, bis die Neuigkeiten zu mir kommen, wie etwa die von jemandem in meinem Alter, der sich mit seinem wenig gesunden Lebenswandel vor einem halben Jahr vollumfänglich ins Grab gebracht hat. Und das, ohne dass er dabei wirklich Spass gehabt hätte, nur eine ungute Kombination aus zu viel Bildschirmzeit, falschem Essen, 30 Zigaretten am Tag, die übliche Betäubung am Abend mit drei Bier und Glotze, und dann innerhalb der letzten beiden Jahre enorm viel beruflicher Stress und, wie man sieht, berechtigter Existenzangst, die sich aber anders als erwartet erfüllte.



Nicht mal für eine ordentliche Midlife-Crisis ist ihm Zeit geblieben.

Man sagt ja gemeinhin als Kompliment, dass sich die anderen kaum geändet haben, aber die Frau, die mir davon erzählte, war eine Schulschönheit in meiner Jahrgangsstufe. Und als ich sie zufällig traf, musste ich wirklich lang überlegen, wer zum... die Augen. Bei den Augen wusste ich plötzlich wieder, wer vor mir stand. Es ist nicht so, dass ich sie 25 Jahre nicht gesehen hätte; sie hat nicht studiert, sondern eine Ausbildung gemacht, bei der sie mir bis vor 10 Jahren immer wieder beruflich begegnete. Gemeinhin scherzt man ja auch über die Zeit zwischen 30 und 40, aber bei ihr war das nicht wirklich spassig. Die Scheidung? Der Ärger beim Aufbau der Firma, die sie führt?



Wir hätten vermutlich noch lange reden können, über andere wenig erbauliche Fälle. Der Unterschied zwischen ihrem integrierten Leben und meinem unsteten Dasein ist, dass sie die Entwicklungen begleitet und miterlebt, während ich nur ab und zu etwas höre, aber dann gleich die ganze Packung zumeist eher schlechter Nachrichten. Mitunter erinnert das alles an das Geschwätz alter Tanten, die Krankheiten vergleichen und sich überlegen, welcher Tod denn schicklich wäre. Und es ist so normal, dass es ihnen gar nicht mehr auffällt, wie sehr sich ihre Gespräche um den Niedergang drehen.



Am Wildbach, beim Durchbruch hat sich die Weissach tief in die Kalkfelsen gegraben. In der Mitte strömt das Wasser rauschend hindurch, aber nur ein Meter weiter ist ein klarer Tümpel, in dem das Wasser spiegelglatt steht. Da ist keine Verbinmg, Bach und Tümpel leben in verschiedenen Geschwindigkeiten, und vielleicht ist das in gewisser Weise auch eine Lösung - sich nicht zu sehr einbinden lassen, anders sein, mitunter vielleicht auch allein, aber fern der Menschen, die ins Nichts tosen, und sich dabei den Zerfall gegenseitig einreden. Keiner von denen sagt: Das Leben ist so schön.



Ich schinde mich auf die Passhöhe, kehre um und rausche hinunter ins Tal, und doch, das Leben ist schön, egal ob man sich nun gut gehalten hat, oder nicht, im Flug über den Aspahlt bleiben all die Dämonen zurück, es wäre zu gefährlich, jetzt an sie zu denken. Hinunter, immer nur hinunter, und dann bei Kreuth plötzlich ein Schatten vor dem Rad und ein goldenes Schimmern auf der Felge, die Sonne, bislang ein heller Fleck hinter Wolken, bricht mit aller Kraft durch, brennt das Grau aus den Wäldern und die Brillianten in das Wasser.



Das Leben ist schön.

Mittwoch, 15. September 2010, 01:32, von donalphons | |comment

 
Immer mal wieder, in unscheinbaren, aber von mir hoch geschätzten Dosen, schwingen Sie sich zu nachgerade literarischer Qualität auf. Dafür Danke.

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Oh, gern geschehen, bitte.

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Was für ein schöner Text!
Vor allem gefällt mir, wie Sie das Wort "Existenzangst" wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Existent ist, wer lebt. Und "die übliche Betäubung am Abend mit drei Bier und Glotze", das ist schon der Anfang vom Ende (ich hab das auch ein paar Jahre praktiziert, ich weiß, wovon ich rede).
Wie aber lebendig bleiben? Allein bleiben, fern der Menschen, wie Sie es vorschlagen, ist sicher eine sinnvolle Option. (Manchmal beneide ich Sie darum.) Aber vielleicht geht es auch, wenn man in der Banalität des sozialen Lebens verweilt. Man darf sich nur nicht von dieser falschen Existenzangst einkriegen lassen, die einem überall eingeredet wird. Lieber der richtigen Existenzangst Raum geben: Memento mori! Das macht wach.
Danke für diese Anregung.

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Wunderbarer, wirklich fein geschriebener Text! In gewisser Weise teile ich auch das Lebensgefühl: Auch mein Leben ist schön, und es ist weder geplant noch planbar, ich weiß noch nicht mal, was ich in zwei Monaten mache.

BTW: Drei Bier am Abend erscheint mir arg wenig.

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End of Technicolor?
Das dritte Bild ist interessant, da hat sich ein rotes Fahrrad in eine schwarzweiße Welt verirrt. Und auch die beiden Laugenbrötchen sehen fast so aus, als hätten sie ein Monopol auf farbige Photonen.

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"...das Leben ist schön, egal ob man sich nun gut gehalten hat, oder nicht, ..."

Am schönsten sind dabei diese vielen kleinen Momente, so wie grade eben, als die Beifahrerin an den Schreibtisch schwebte und mir einen vor 2 Stunden frisch gebackenen Zwetschenkuchen mit geschlagener Sahne auf den Tisch stellte... apropo Zwetschen... gabs dieses Jahr keine in Bayern?

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Wie liess Manuel Vázques Montalbán seinen Pepe Carvalho sagen: Ab 40 ist jeder für sein Gesicht selbst verantwortlich.

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Momentan ist Diät, wegen Gaiola. ich nehme das sehr ernst. Danach wird gefressen! (Nein, im Ernst, die Zwetschgen waren bislang noch nicht richtig gut in Bayern, die ersten beiden Versuche konnte man nicht den Mietern anbieten).

Die Brezensemmeln kamen so aus der Kamera, und das andere ist ein wenig Spielerei.

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Zwetschgen waren bisher echt kaum zu gebrauchen. Aber mit den Plaumen konnte man dieses Jahr ganz gut auch Datschi backen.

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Herr Alphons,
in Kauf nehmend, daß ich mich als Besserwisser disqualifiziere, aber der Ort heißt Gaiole!

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Richtig (der Ort, nicht das Besserwissen), pardon.

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Lieber Don, wenn Sie Ihre erfrischenden Gedanken und Fotos in Radelgeschichten kleiden, mag ich das schon deshalb sehr, weil sie mir als Fernseher- und Weinkellerbesitzer immer auch ganz praktische Motivation sind.
Aaaber: Sie waren vor einiger Zeit auch mal auf englischen Straßen unterwegs und haben über Monate einen Spannungsbogen gezogen, der kurz vor seinem Höhepunkt abbrach. Oder habe ich nicht aufgepasst?

Kurz gefragt: wie geht es der alten Lady?

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"Kurz gefragt: wie geht es der alten Lady?"

Autsch... das war aber jetzt ein Schlag auf das angeknackste Ripperl :-)

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Ich habe vorhin eine sehr teure Mail an einen britischen Schrotthändler geschickt.

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Meine Mutter jammerte kürzlich, dass sie alt und verbraucht und mit ihr nichts mehr los sei. Ihre Stimmung verbesserte sich schlagartig, als ich fragte "Sollen wir dann Montag statt beim Arzt nicht lieber gleich beim Abdecker anrufen?".

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Das sollte ich mit dem Sunbeam auch mal machen.

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Wäre ich etwas feinfühliger, hätte ich mir denken können, daß Ihr Schweigen zu diesem Thema nicht gutes bedeuten kann.
Gleichwohl drücke ich Ihnen und der tapferen Copilotin weiterhin die Daumen. Und "teuer" ist relativ angesichts der Freude, die Sie dereinst mit der grünen Dame haben werden...

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Wieso eigentlich sind alte Reifen nicht nur so teuer, sondern stets auch noch nur dann halbwegs fahrbar, wenn sie sehr teuer sind?

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mein beileid.
aber schönen text hier ausgeworfen. wunderschön.

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Gern geschehen.

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Ich wollte mal wieder so nebenbei an den (halb-) angekündigten Roman und meine Vormerkung auf den Büchertisch erinnern....

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Ich wurschtle mich Richtung Seite 45. Aber bald ist Buchmesse, da bin ich eh in FFM.

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Ah, der Don in Frankfurt. Dann wird es wohl eine neue Folge von Kulturschock aktuell geben.

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Testbild im Schritt?

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