Systemvergleich

Ich bin durchaus tolerant und aufgeklärt, was alte Formensprachen angeht, und ich blicke darauf mit dem Auge der Vergebung durch die Zeitumstände. In vielem könnte ich wohnen, in vielem würde ich sogar wohnen wollen, und ich finde es legitim, wenn das Lebensumfeld wie ein Museum wirkt. Aber es gibt Grenzen. Ich weiss, manche sind angetan von Potsdam, aber ich finde an vielen Orten etwas auszusetzen. Das frderizianische Rokoko trieb Blüten, gegen die ich allergisch bin:



Mit so etwas kann man vielleicht Werbung für Berliner Bier machen (man kennt das, die Überhöhung von Plörre zu Kulturgut), aber der angeblich so bescheidene Auftraggeber dieser wirklich scheusslich-humorlosen Fehlleistung wollte nicht nur TV-Zuschauern imponieren, sondern auch Personen, die durchaus eine gewisse Ausbildung in künstlerischen Dingen genossen hatten. Leider hat sich das peinlich betretene Geflüster aus diesen Zeiten nicht erhalten, und so schwelgt man jetzt wieder in diesem grotesken Meer der Scheusslichkeiten und denkt an den Massenmörder, der das alles schuf, wenn er nicht gerade mal wieder dem Bataillieren nachging - was ihm als Laster übrigens auch von engsten Beratern vorgeworfen wurde. Nur hat die bundesrepublikanische Führungsebene vermutlich zu wenig Bildung und Geschmack, hinter die peinlichen Kulissen zu schauen, und dort den Abschaum zu sehen. So einer wie der wäre heute ein Fall für Den Haag, und schon damals galt er vielen als höchst fragwürdig.



Das hier ist Bayreuth. Dort würde ich sofort einziehen, das sind die hübschesten Rokokoräume, die ich kenne, und weil sie von der Schwester dieser Unperson entworfen wurden, die bei gleich schlimmer Erziehung so anders, freundlich und friedliebend wurde, habe ich es mir bei der FAZ erlaubt zu fragen, ob denn all das Elend dieser Epoche jenseits von Bayreuth wirklich unvermeidlich war, ob man den Typen entschuldigen kann und ob es irgendeine Möglichkeit gibt, einen Staatsakt für diesen Massenmörder nicht für eine hirnverbrannte Angelegenheit zu halten.

Und die Antwort ist: Nein.

Mittwoch, 11. Januar 2012, 00:37, von donalphons | |comment

 
sehr harte, sehr mutige Aussagen
die wohl nicht mal Ihre Leser ganz unterstützen. Von den polloi, die den Namen Friedrich nie gehört haben, ganz zu schweigen. Ich weiß zu wenig, um den Großen Fritz ex post zu verteidigen oder Ihnen zuzustimmen. Doch ich begrüße es, wenn die Geschichte und die heutigen Staatsakte diskutiert werden.
Eine Bitte: Lassen Sie mir Karl Martell (der im bay. Geschichtsunterricht nicht mal mehr behandelt wird) und Otto den Großen und Prinz Eugen. Lassen Sie mir auch Leonidas und David. Und Quintus Fabius Maximus Cunctator. Und (generall/Imperator) Lucullus, schon der Kirschen wegen.

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Letzthin erzählte man mir, die jungen Leute wüssten nicht mal mehr mit dem Namen Dönhoff etwas anzufangen....

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Den Bonhof kennt man ja nur noch in Gladbach ;-P

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die jungen Leute...
Ich hatte mal mit den beiden für JAZZ Zuständigen bei der französischen VIRGIN Records zu tun. Beim gemeinsamen Essen am wunderbaren Place des Vosges erzählte ich, dass ich grosser Jazzliebhaber bin und erwähnte en passant zwei berühmte Namen aus der Jazzgeschichte: Bix Beiderbecke und Lester Young.
Die Franzosenr fragten nach: who? (wir sprachen Englisch). Ich wiederholte die berühmten Namen deutlich. Rien. Nothing. Kannten sie nicht. Sie hatten die beiden Namen noch nie gehört. Und managen die Jazzabteilung eines Labels.
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Tja, so geht's. Man wird älter und die "jungen Leute" wollen partout wenig "von früher" wissen(*) Zumindest für Anekdoten kann man solch' Ignoranz verwerten.
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(*) oder sie sind schlicht doof.

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nicht so verwunderlich. Die Zeit lese ich seit zwanzig Jahren nicht mehr und die Bücher der Gräfin kenne ich nicht. Die Ahnen der Gräfin müssen etwas geleistet haben, zumindest für den Lehnsherrn, der ihnen die Flächen zur Urbarmachung zugeteilt hat.
Schwierig ist hier die Verführung durch Wikipedia oder DoNoEvil; "altes" Wissen ist wie "altes Geld" und fühlt sich dem rasch mal "schlau gemachten" Wissen überlegen. Aber lassen Sie uns teilhaben an Ihren immer wieder anregenden Kenntnissen. Auch über Dönhoff

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Dönhoff...? Da stoßen mir immer die Zwiebeln und die Joghurt-Sauce so auf. Heute gabs Königsberger Klopse.

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@don 14 Uhr 03:
Vermag darin (auch als langjähriger Zeit-Leser und zeitweiliger Zulieferer für den Wirtschaftsteil) keine große Bildungslücke zu erkennen.

@Jeeves: Das sagt vielleicht auch was aus über die strategische Bedeutung des Genres Jazz im Hause Virgin. Bin je kein Musikexperte, aber Virgin wäre mir jetzt auch nicht unbedingt als renommierte Jazz-Adresse bekannt.

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mark793, stimmt, Virgin würde mir bei Jazz auch nicht auf Anhieb einfallen. Zu Zeiten von Lester Young hat der Branson noch bei seinem Papi in der Kniekehle oder so gesteckt.

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Dear mark793,

angesichts der Rolle der Gräfin bei der "Rettung" der Zeit vor dem verfrühten Niedergang im altbraunen Sumpf und ihrer eigenen, immer wieder spannenden Person und Geschichte (und trotz der ganzen Preußenverklärung) würde ich dies zwar wohl auch nicht als Bildungslücke, aber doch als verpasste Chance ansehen. Die Gräfin lohnt sich immer.

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Die Gräfin hat sich vor allem durch Geschichtsklitterung hervorgetan. Ihr Meisterwerk war die nachträgliche Borussifizierung des Widerstands gegen Hitler und die damit einhergehende Exkulpierung des preußischen Adels.

Kleiner Lektürehinweis: Stephan Malinowski. Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Frankfurt 2004.
In dem Buch kommt übrigens der bairische Adel vergleichsweise sehr gut weg. Womit wir wieder beim Systemvergleich des Hausherrn wären :-)

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Angesichts der "murky waters", die in diesem ganzen Stauffer-Dönhoff-Burckhardt-Tohubawohu herrschen, möchte ich kein endgültiges Urteil treffen müssen. Ich denke, es ist weniger Geschichtsklitterung als eine ihrer Lebensgeschichte geschuldete Sichtbeschränkung. Es bleibt aber ihr Verdienst, als eine der ersten überhaupt den Widerstand in die Öffentlichkeit gebracht zu haben - dass sich dies dann zwangsgegeben auf den von ihr miterlebten (und wohl sicher auch manchmal aufgehübschten) Teil fixieren musste, ist bedauerlich, mindert aber nicht die ursprüngliche Leistung. Auch hat die Dönhoff anderweitig einige unbequeme Wahrheiten angesprochen (Oradour etc.).
Danke aber für den Lektürehinweis, wird gerne angenommen.

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Die ersten Worte aus einer Rede von Frau Dönhoff, die ich vor langer Zeit anhörte, haben mir schwer imponiert: "Meine Herren und Damen". So spricht eine Dame, die über Stilfragen nachdenkt.

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Die Idee ist aber ein klein wenig älter: http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Juchacz#Abgeordnete

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Zugestanden,
das ist um Klassen besser als die Anrede, die BuPrä Lübke zugeschrieben wurde (die mit dem N-Wort).

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"All das Elend dieser Epoche jenseits von Bayreuth"
Und Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, zum Beispiel?

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DDR-Bürger nehmen nicht an der Ausschreibung teil. (Die sollen sich erst mal waschen!) ;-)

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Der war aber meines Wissens nicht seine Schwester. Oder doch?

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Sie haben den Finger drauf.

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Vermutlich nicht. Nur jenseits von Bayreuth (vom Tegernsee aus gesehen).

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Der FAZ-Beitrag sprach mir aus der Seele.
Die Friedrich-Lobhudeleien haben ja erst begonnen.

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