: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 14. Januar 2012

Grand Hotel Europa

Sicher, es ist nicht mehr ganz die AAA-Lage, und es hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen. Bei manchen Räumen fehlen die Fenster, es regnet hinein, die Böden sind morsch und die Tapeten rissig: Trotzdem wird im Ballsaal grosszügig über die Scherben und Splitter hinweg getanzt. Gerade aus den verkommensten Winkeln geht man gern hinunter in den grossen Saal Deutschland, so, wie man früher vielleicht in den Saal Irland gegangen ist. Oder zur erbitterten Konkurrenz des Grand Britannia, das man inzwischen besser meidet. Da geben die Bankprolls oder auch die Plünderer den Ton an.



Immerhin, trotz des ungepflegten Rasens und der braunen Ratten, die hin und wieder durch die Gemächer huschen, ist dies immer nicht das erste Haus am Platze, und man hat nicht zu wenige Gäste, sondern immer noch zu viele. So viele, dass man die Tore schliessen muss, was drinnen durchaus auch auf Zustimmung stösst. Man schätzt zwar die Renovierungen in den Pensionen Tunis, Tripolis und zur Pyramide, aber wenn die jetzt schon einen neuen Anstrich haben, sollen sie bitte auch bleiben. Es ist hübsch dort, und sehr viel wärmer.



Sicher, die Aussicht auf den nicht gerade gepflegten Park ist allenfalls wildromantisch, und nicht mehr wirklich zauberhaft-Idyllisch, aber das macht auch ein wenig das Wunder dieses Hotels aus: Trotz aller Misswirtschaft ist es immer noch schön und ansprechend. Unten müssen die Säulen zwar mit Stahl gestützt werden, aber oben ist die Heiterkeit des sonnigen Lebens unverbrüchlich. Das liegt vor allem an der langen, traditionsreichen Geschichte des Hotels, die nicht immer schön war, aber wenigstens vorhanden ist: Gute Erinnerungen schwingen dort, wo die Kronleuchter längst gefallen und auf dem Parkett zerschellt sind.



Davor weitet sich der See, und auf der anderen Seite, davon hat man gehört, liegt das Disney Grand Royal Rockefellaz American Bigottery Plaza Seven Star Plus Luxury Ressort mit all seinen südamerikansichen Kellnern, die nichts kosten und nichts verlangen. Das war mal der letzte Schrei am See, besonders, als die braunen Ratten im Hotel Europa fast das Dach zum Einsturz gebracht hätten. Lange Zeit starrte man dort hinüber und überlegte, wie man das alte Hotel Europa auch mit diesem Luxus ausstatten könnte. Man liess sich Kurse im Wirtschaften erteilen, und das schien auch prima zu werden, bis drüben betrügerischer Bankrott angemeldet werden musste. Jetzt gehört das den Chinesen. Und im Hotel Europa kratzt man sich am Kopf.



Sicher, man könnte besser dastehen, und das Verputzen der Risse ist auch keine Lösung, wenn die schlechter gebauten Flügel italienischer, irischer, griechischer und spanischer Pfuscher wegbröckeln. Eventuell wird man da die Preise drastisch senken müssen, und ausserdem bekommen die keinen Zutritt mehr zum Frühstückssaal, sondern nur noch ein kleines Buffet. Die Deutschen wollen das Frühstück ohnehin nur auf dem Zimmer einnehmen, dann hören sie nicht, wie die Franzosen die zwei Wochen mehr Freizeit dazu nutzen, um über sie herzlich zu lachen. Man kann es schon gut aushalten, um Hotel Europa, trotz der Enge und der ständigen Angst, dass das alles auf Dauer nicht gut gehen kann.



Aber der Winter ist milde, da fällt es nicht auf, dass die Heizung und der Strom nicht gut funktionieren. Das Casino ist voll, das Management lässt sich für den besonderen Luxus auch gerne mal was zustecen, und korrupt geht es auch in anderen Hotels zu. An der Bar sind fadenscheinige Anwälte, Politiker und Ideologen, die für kleines Geld alles, wirklich alles machen, kein Tabu, ohne Gummi, ein Präsident kostet nur ein Upgrade beim Besuch eines Festzeltes, und die TV-Geräte sind natürlich, zumindest in den deutschen Zimmern, immer die allerneuesten. Die Zimmer in den Flügeln Frankreich und Österreich - bei denen fällt gerade die Aussenmauern weg - haben einen Stern weniger, das passiert schon mal, da kann man nichts tun, und der Topf, in dem das Geld für die Renovierung nicht ist, muss eventuell irgendwie also sagen wir mal, da werden wir reden müssen, aber jetzt erst mal in den Ballsaal. Denn wir sind zum feiern hier, und nicht zum darben, im Hotel Europa am See mit Blick für die Bessergestellten.

(Bilder: Hotel Grand Bretagne in Bellagio am Comer See)

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