Noch einmal nach Mantua
Es war von Anfang an klar: Diesmal würde ich keine Wochen und Monate dort verbringen. Diesmal war ich offiziell dort, mit Reiseantrag und Unterschrift und Lieferbedingungen, es war beruflich. Es ist ein seltsames Gefühl, die Region, die in den letzten Jahren meine dritte Heimat wurde, mit allem, was dazu gehört, Rituale, eine Wohnung, Räder in der Garage und Bekannten, plötzlich wieder als Reporter zu bereisen. Aber das löst sich dann auch irgendwie, denn Mantua ist zu schön.
Genau genommen: Alles zusammen in meinen Augen die schönste Stadt, die ich kenne. Natürlich gibt es auch hier Nachteile, und ich bin nicht blind für die Probleme, aber den perfekten Ort gibt es nicht. Mantua gibt mir aber rundum ein gutes Gefühl, in den Monaten, da ich dort lebe.
Und sie tun alles, um das Elend des Terremoto zu überdecken, zu kaschieren, es abzuwaschen und zu vergessen. Mantua ist eine sehr lebensfrohe Stadt. Also machen sie weiter.
Sie machen die Stadt sauber und wischen den Staub weg, der aus den Gebäuden gerieselt ist.
Und plötzlich, nach Jahrzehnten, passiert auch auf der Rückseite des Rathauses etwas. Sofort. Wer hätte das nach all der Zeit gedacht?
So gross ist das Vertrauen, dass sie nun wieder vor dem gebrochenen Turm an der Piazza Mantegna stehen, als wären die Gitter bedeutungslos.
Die Mauer dort gilt als baufällig, aber die Gitter stehen nah dran, was soll da schon passieren. Der Schock, als man hier alles zur Zona Rossa erklärte, ist weg.
Und bald darauf das Gitter auch. Jemand hat es weggebracht. Die Risse des Erdbebens sehen auch so aus, als wären sie schon seit jeher in der Wand.
Auch der Kreis der reichen, alten Damen ist wieder in der Bar Venezia, als wären sie niemals weggeblieben. Es geht wieder um die wirklich wichtigen Dinge des Daseins, um Ehen, Kinder, Todesfälle.
Mein Lieblingsstrassenmusikant ist unüberhörbar wieder da, und schrammelt, wie immer bestens gelaunt, Lieder der Sehnsucht über die Plätze.
Und unausrottbar wie das Unkraut und bewehrt mit Ponadersandalen aus jenem Gummi, aus denen er ansonsten Panzerketten macht, der bildungshungrige deutsche Tourist, unbeirrt wie ein Panzer IV in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte.
Nur manchmal trifft es einen wieder, dieses Entsetzen. Der Wochenmarkt am Donnerstag fällt aus, und wo früher Frauen diese pervers hohen Schuhe kauften, ist immer noch alles gesperrt, und wird es lange bleiben.
Aber es gibt ja auch Alternativen, wohlbekannte, beste und oft beschriebene Häuser, wo sie inzwischen wieder die CD mit den Italohits der 60er Jahre laufen lassen, und mitsummen.
Also setze auch ich mich hin, denke nicht mehr an die Zona Rossa, nütze den Augenblick und bestelle, was ich immer bestelle. Das hier ist die Kantine, die ich in meinem Berufsleben haben will.
Auf dem Weg zum Schuherwerb - was wäre Italien ohne neue Schuhe - komme ich noch an jenem barocken Palazzo vorbei, schaue mir den Stuck an und sage mir: So ist das. Unten rumoren die Drachen in der Erde und drohen alles zu zerstören, aber darüber werden Füllhörner des Lebens ausgeschüttet. Das ist es. So ist dieses Land. Schon immer gewesen. Man muss es nehmen, wie es ist.
Dann radle ich heim, räume meine Wohnung auf, verstaue das Rad in der Garage, packe nicht allzu viel ein, wozu, ich bin ohnehin bald wieder hier, und mache mich auf den Weg, entlang der üblichen Route, und überwältigt von der Schönheit des Landes.
Spät komme ich heim, öffne ein Paket, koche noch, setze mich an den Rechner und lese Liebensgrüsse von den Drachen:
#terremoto Ml:4.3 2012-06-12 01:48:36 UTC Lat=44.88 Lon=10.89 Prof=10.8Km Prov=MANTOVA,REGGIO EMILIA,MODENA
von Novi di Modena, Modena
Ich möchte gerne zurück. Aber niemals mehr aus so einem Grund.
Genau genommen: Alles zusammen in meinen Augen die schönste Stadt, die ich kenne. Natürlich gibt es auch hier Nachteile, und ich bin nicht blind für die Probleme, aber den perfekten Ort gibt es nicht. Mantua gibt mir aber rundum ein gutes Gefühl, in den Monaten, da ich dort lebe.
Und sie tun alles, um das Elend des Terremoto zu überdecken, zu kaschieren, es abzuwaschen und zu vergessen. Mantua ist eine sehr lebensfrohe Stadt. Also machen sie weiter.
Sie machen die Stadt sauber und wischen den Staub weg, der aus den Gebäuden gerieselt ist.
Und plötzlich, nach Jahrzehnten, passiert auch auf der Rückseite des Rathauses etwas. Sofort. Wer hätte das nach all der Zeit gedacht?
So gross ist das Vertrauen, dass sie nun wieder vor dem gebrochenen Turm an der Piazza Mantegna stehen, als wären die Gitter bedeutungslos.
Die Mauer dort gilt als baufällig, aber die Gitter stehen nah dran, was soll da schon passieren. Der Schock, als man hier alles zur Zona Rossa erklärte, ist weg.
Und bald darauf das Gitter auch. Jemand hat es weggebracht. Die Risse des Erdbebens sehen auch so aus, als wären sie schon seit jeher in der Wand.
Auch der Kreis der reichen, alten Damen ist wieder in der Bar Venezia, als wären sie niemals weggeblieben. Es geht wieder um die wirklich wichtigen Dinge des Daseins, um Ehen, Kinder, Todesfälle.
Mein Lieblingsstrassenmusikant ist unüberhörbar wieder da, und schrammelt, wie immer bestens gelaunt, Lieder der Sehnsucht über die Plätze.
Und unausrottbar wie das Unkraut und bewehrt mit Ponadersandalen aus jenem Gummi, aus denen er ansonsten Panzerketten macht, der bildungshungrige deutsche Tourist, unbeirrt wie ein Panzer IV in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte.
Nur manchmal trifft es einen wieder, dieses Entsetzen. Der Wochenmarkt am Donnerstag fällt aus, und wo früher Frauen diese pervers hohen Schuhe kauften, ist immer noch alles gesperrt, und wird es lange bleiben.
Aber es gibt ja auch Alternativen, wohlbekannte, beste und oft beschriebene Häuser, wo sie inzwischen wieder die CD mit den Italohits der 60er Jahre laufen lassen, und mitsummen.
Also setze auch ich mich hin, denke nicht mehr an die Zona Rossa, nütze den Augenblick und bestelle, was ich immer bestelle. Das hier ist die Kantine, die ich in meinem Berufsleben haben will.
Auf dem Weg zum Schuherwerb - was wäre Italien ohne neue Schuhe - komme ich noch an jenem barocken Palazzo vorbei, schaue mir den Stuck an und sage mir: So ist das. Unten rumoren die Drachen in der Erde und drohen alles zu zerstören, aber darüber werden Füllhörner des Lebens ausgeschüttet. Das ist es. So ist dieses Land. Schon immer gewesen. Man muss es nehmen, wie es ist.
Dann radle ich heim, räume meine Wohnung auf, verstaue das Rad in der Garage, packe nicht allzu viel ein, wozu, ich bin ohnehin bald wieder hier, und mache mich auf den Weg, entlang der üblichen Route, und überwältigt von der Schönheit des Landes.
Spät komme ich heim, öffne ein Paket, koche noch, setze mich an den Rechner und lese Liebensgrüsse von den Drachen:
#terremoto Ml:4.3 2012-06-12 01:48:36 UTC Lat=44.88 Lon=10.89 Prof=10.8Km Prov=MANTOVA,REGGIO EMILIA,MODENA
von Novi di Modena, Modena
Ich möchte gerne zurück. Aber niemals mehr aus so einem Grund.
donalphons, 13:19h
Dienstag, 12. Juni 2012, 13:19, von donalphons |
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usedomer,
Dienstag, 12. Juni 2012, 13:49
Man hofft für die Menschen dort, dass die Erde jetzt ruhig bleibt.
"... in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte." Und der Spruch hat meinen Tag gerettet.
"... in Schönheit nach jenem Stil suchend, für den er erst mal Schuhe kaufen gehen sollte." Und der Spruch hat meinen Tag gerettet.
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bestpilot,
Mittwoch, 13. Juni 2012, 00:00
ja, schöner Spruch. Nur zusammen mit dem vorletzten Bild gibt das eine Dissonanz.
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sterngucker,
Dienstag, 12. Juni 2012, 18:04
"...Und sie tun alles, um das Elend des Terremoto zu überdecken, zu kaschieren, es abzuwaschen und zu vergessen..."
Was sollen die Menschen auch anderes tun? Es ist so wie immer. Nachdem die Politiker ihr schnelles Pflichtprogramm vor Ort absolviert haben und sich jetzt wieder ganz dem Duktus der auch in Bella Italia daniederliegenden Banken beugend, dem Ausräubern der Sparkonten der teutonischen Nachbarn widmen können, wird ein bewundernswert gleichmütiges Völkchen, so wie immer, sich selbst am besten zu helfen wissen.
Sehr stimmungsvolle Fotos.
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Was sollen die Menschen auch anderes tun? Es ist so wie immer. Nachdem die Politiker ihr schnelles Pflichtprogramm vor Ort absolviert haben und sich jetzt wieder ganz dem Duktus der auch in Bella Italia daniederliegenden Banken beugend, dem Ausräubern der Sparkonten der teutonischen Nachbarn widmen können, wird ein bewundernswert gleichmütiges Völkchen, so wie immer, sich selbst am besten zu helfen wissen.
Sehr stimmungsvolle Fotos.
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pade,
Dienstag, 12. Juni 2012, 20:51
Blaue Schuhe, braune Strümpfe
gehen gar nicht!
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donna laura,
Mittwoch, 13. Juni 2012, 14:13
es ist schon beinahe sträflich banal, doch was soll man sonst zu einer braunen hose tragen?
(die farbe des beinkleid ist. m.e. für den anlass ganz gut gewählt: mir fällt da ein unsäglicher witz ein, der mir kürzlich zugetragen wurde (da ich so etwas nicht selbst anführe, bitte selbst schauen, stichwort "gebt mir meine braune hose").)
(die farbe des beinkleid ist. m.e. für den anlass ganz gut gewählt: mir fällt da ein unsäglicher witz ein, der mir kürzlich zugetragen wurde (da ich so etwas nicht selbst anführe, bitte selbst schauen, stichwort "gebt mir meine braune hose").)
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donalphons,
Mittwoch, 13. Juni 2012, 14:26
Man fährt nicht nach Italien, um sich Zwängen zu unterwerfen. Zumindest nicht als Taugenichts.
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donna laura,
Mittwoch, 13. Juni 2012, 14:44
nun, höchstens dem zwang, zu essen, was auf den tisch kommt. ohne zu meckern. was zumeist nicht sonderlich schwer fällt.
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