Ich schlafe nicht in der Dusche

In der Gründungsurkunde des Kollegs, das heute mein Wohnort in der Provinz ist, wurde klar gesagt, was es werden sollte: Ein Palast zu Ehren der - angeblichen - Jungfrau Maria. 397 Jahre später war fast die Hälfte von diesem Palast wieder verschwunden, abgerissen, zugunsten eine Wohnheims zerstört, aber der Rest, der im Besitz meines Clans ist, war aus Sicht des Denkmalschutzes vorzüglich erhalten. Aus Sicht eines normalen Betrachters heisst das, dass immer nur das Nötigste getan wurde - so hat man die Wandfresken nicht runtergeschlagen, sondern bei Nichtgefallen einfach Tapete draufgeklatscht. 397 Jahre nach der Errichtung war es dennoch an der Zeit, dieses Haus, in dem ich die ersten 5 Jahre meines Lebens verbracht hatte, gründlich und behutsam zu renovieren.

Also machte der gesamte Clan eine Begehung und überlegte, was man denn aus diesem Monstrum mit seinen 40 Räumen machen könnte, ob man die Räume verändern könnte und dergleichen mehr. Ganz oben angekommen, sahen meine Eltern die ehemaligen Dienstbotenkammerl, die in den 60er Jahren als geheimer Treffpunkt der provinziellen Schwulenszene zwischengenutzt worden waren und seit den späten 70er Jahren in Erinnerung früherer Abenteuer vor sich hin rotteten. Schräge Wände, krummer Boden, niedrige Decken, das kann man kaum vermieten, sagten sie, das lohne sich nicht. Prima, sagte ich, dann nehme ich das.

Das Leben meiner Eltern ist arm an Niederlagen, aber dieser Sommermorgen vor 8 Jahren markierte ihr komplettes erzieherisches Versagen. Ihr Koloss in der Vorstadt hatte nur deshalb so gigantische Dimensionen angenommen, um später auch mal ein eigenes Kind mit Familie unterbringen zu können. Ausserdem hatten sie uns nie etwas anderes als Verachtung für Altbauten gelehrt; wer es sich leisten kann, baut selbst und hat es nicht nötig, abgelebte Häuser von anderen zu beziehen. Ein "Architektenhaus", das musste es sein, nach den eigenen Wünschen entworfen und gestaltet, kein Reihenhaus oder eine Doppelhaushälfte, die im Viertel meiner Eltern als "Hundehütten" bezeichnet werden. Der Stadtpalast war in ihren Augen noch schlimmer: Ein einziger, bis zur Strahlenkranzmadonna 18 Meter hoher geldschluckender Alptraum, und nachdem sie alles für mich getan hatten, mir eine wunderbare Einliegerwohnung im besten Teil der Stadt geboten hatten - wollte ich hoch in die alten Dienstbotenkammer der "oidn Kalupn", wie meine Frau Mama dieses Paradebeispiel jesuitischer Baukunst der Spätrenaissance bezeichnete.

Unterstützt wurde mein Anliegen von meiner Grossmutter und meiner Grosstante, die noch aus einer Zeit stammten, als der Stadthausbesitz das einzige sozial bedeutsame Kriterium war. Der Blick, die Lage, das Licht, die Atmosphäre, die gealterten Dielen - das alles haben meine Eltern nicht gesehen, für die war es nur ein runtergekommenes Loch. Plötzlich dachten sie, sie könnten es ja doch anderweitig vermieten, sie zierten sich, und erst, als die Handwerker bestätigten, dass alle nötigen Einbauten wie Heizung und Dusche kein Problem sind, gaben sie den Widerstand auf. Ich begann, den Dachboden und die Holzschuppen nach brauchbarem Inventar zu durchsuchen, baute einen 50er-Jahre-Herd zum Küchenschrank um, legte die alten Dachbalken frei, und sah, dass meine Grosstante recht hatte, als sie sagte: In so einem alten Haus wird Dir nie langweilig.

Wie recht sie hat, sah ich dann gestern Nacht, als ich etwas erschöpft von der Arbeit und den Fettucini mit Pfifferlingen auf dem Bett lag: Plötzlich machte es Peng, etwas klirrte zu Boden, und verlor sich scheppernd im Raum. Ohne ersichtlichen Grund, ohne dass ich hingestossen wäre oder auch nur das Licht gebrannt hätte, war eine der Kristallschalen des Kronleuchters zerbrochen.



Der Kronleuchter - der erste meines Lebens übrigens - ist alt, diese Schalen sind nicht mehr zu bekommen, und obwohl ich aus Berlin ein Dutzend Kronleuchter mitgebracht habe, ist das genau der richtige für den Raum. Die richtige Grösse, der richtige Glasbehang, die richtige Kerzenzahl. Und nach 8 Jahren des treuen Dienstes nun so was. Es steigert die Spannung beträchtlich, wenn man nach einer Viertel Stunde Kriechen und Suchen damit beginnen kann, die Scherben wieder zusammen zu kleben und dabei feststellt, dass noch zwei Trümmer irgendwo liegen müssen - wie auf einem Minenfeld tappst man sich auf dem Teppich voran, immer mit der Angst, dass sich gleich scharfes Kristall in das Knie bohrt.

Während neue Häuser im Laufe von 60 Jahren einfach so kaputt gehen, weil das Holz im Dachstuhl nichts taugt und das Plastik in der Küche ausreisst, weil das Parkett nichts aushält und sich die Mauern senken, haben die Häuser vor 1900 ganz andere Probleme. Wenn die Donau steigt, fürchten meine Eltern Wasser im Keller und Schimmel. Hier bei mir werden die Wände feucht, der Putz wird weich und wenn er abfällt, kommt dahinter die Seccomalerei des Kernbaus aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein, die schon die Gesellschaft Jesu einfach überpinselt hat, Pfuscher, elende. Nach 20 Jahren sind auch die teuersten Stahlfedern kaputter, als es die Sackleinengurte von Biedermeiermöbeln je sein werden - und falls die in der Spannung doch mal nachlassen, kann man sie wieder festnageln. Bei meiner Mutter bricht eine Küchenschublade heraus, bei mir bricht ein Stück des Kronleuchters ab. Beide Häuser haben Risse - bei ihnen sind sie ein Zeichen des Verfalls, bei mir ein Zeichen des Alters. Bei ihnen bröselt der Putz, bei mir die Stuckdecke. Ich muss mir keine Sorgen deshalb machen, die Mauern sind hier oben noch 40 Zentimeter dick, aus massiven Ziegeln und Jurabruchsteinen, bei meinen Eltern sind es gerade mal 25 Zentimeter, da ist das Gebrösel so etwas wie ein Menetekelupharsin.

Mit einem alten Haus hat man die schöneren Probleme und die besseren Geschichten. Ein altes Haus ist bei weitem nicht so berechenbar wie ein neues Gebäude, es ist zickig, es hat seine Allüren und grossen Dramen, es ist eine grand Dame im Vergleich zu einer billigen, kaugummikauenden Vorstadtschlampe, und es sorgt schon dafür, dass es einem nie langweilig wird. Weil man das aber früher wusste, sind alte Häuser so angelegt, dass man das meiste selbst machen kann. Und so klebe ich gerade die Kristallschale meines Kronleuchters, während Frau Mama durch die Möbelgeschäfte irrt und verzweifelt nach einem kleinen, fatalen Ersatzteil aus Plastik für eine Küche sucht, das es nicht gibt.

Es geschehen Dinge in diesem Haus, die man sich nicht erklären kann. Aber es ist nicht böse, es will manchmal nur spielen, und es gibt hier keinen Grund, in der Dusche zu schlafen.

Dienstag, 26. Juli 2005, 16:17, von donalphons | |comment

 
Das mit den "Architektenhäusern" ist ja heute nicht mehr so ganz nachzuvollziehen. Mein Aha-Erlebnis hatt ich beim Deutchblättern von Einrichtungs-/Bauzeitschriften aus Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre (auch so eine SchwiegervaterErbschaft). Alle dort vorgestellten Häuser und Inneneinrichtungen waren im Eigentum von Architekten oder wenigstens Bauunternehmern. "Architekt" war noch ein respektierter Beruf. Besonders in Zeiten, da die Masse mit Sozialbauten und Neue-Heimat-Plattenbungalows glücklich sein musste.

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Die Dinger gibt es heute immer noch, auch wenn die Blocks besser geworden sind. Der Wunsch nach einem allein stehenden Haus, mit Garten an allen vier Seiten, und besonders die Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf Sinnhaftigkeit, das alles waren Triebfedern. Mit der Folge, dass hier die Starsse runter viele Häuser zur Hälfte leer stehen, weil an andere vermieten ist nicht, das würde das Sozialgefüge erschüttern.

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Und wenn all diese Argumente nichts zählen: Ein altes großes Haus ist bei weitem billiger als ein Plastik und Dämmpappe-Neubau.

Ich liebe meine alte nicht-so-ganz Burg im Outback von .at. Auch wenn ich sicher noch 10 Jahre in einer Baustelle lebe, und danach immer weiter irgendwo Kalkputz mischen darf und Biberschwänze auswechseln.

Egal. Charakter kann man zwar auch neu bauen, aber das könnte ich mir dann beim allerbesten Willen nicht mehr leisten.

Gebt mir ein schönes altes Haus und Maurerkellen und Kalk und Sand.

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Neubaucharakter - klar, auch das ist ein Charakter.

Lustigerweise ist das Dauergesprächsthema im Viertel meiner Eltern die dauernden Schäden an den Häusern, da reisst der Kachelofen, da dichtet ein Fenster nicht mehr, die Gartentür schloss noch nie richtig, und wenn die Donau steigt, haben sie alle Angst.

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Was ein Neubau nie hat: 70-jährige Eichen, fingerdicke Weinstöcke an der Fassade, mannshohe Flieder, Jasmin und Rosenbüsche, grosse Obstbäume, grosszügige Grundstücke usw.

Für mehr die Umgebung, die die Wohnqualität und -zufriedenheit vermittelt. Das kann ein Neubau nie haben.

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Man muss es auch mal so sehen: Die besten Wohnorte sind ganz sicher nicht dort, wo jetzt erst gebaut wird, sondern da, wo schon alles dicht ist. Um 1600 konnte man noch gut wählen, aber heute bleibt - zumindest in den bayerischen Boom Towns - nur das ganz weit draussen.

Allerdings, wenn man durch den Osten fährt: Da gibt es genug reizende Innenstadthäuser, teilweise mit Garten, die zerfallen, und draussen ist dann die Legotoskana. In 20 Jahren, wenn drinnen alles kaputt und zur Hälfte abgerissen ist, werden sie es auch begreifen.

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Wohnen ohne Garten? Kann nicht schön sein.
Legotoskana ist wieder ein schönes Wort. Was meinst du damit, die Plattenbauten (wohl eher nicht) oder die Neubausiedlungen? Letztere bevorzugt ab einem Kilometer von der Stadtgrenze, in kleinen Dörfern, die inzwischen eingemeindet sind, mindestens 500 m von jedem öffentlichen Nahverkehr entfernt und natürlich mit 5x15 m Garten.

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lego toskana ?
don, da hättest du die innenstädte im osten mal vor ´89 sehen müssen. du wärst aus dem weinen gar nicht mehr rausgekommen.
da stand ja fast schon kein stein mehr auf dem anderen (die häuser begannen nacheinander einzustürzen) - was vom dem 40 jahren nix tun durch die KVW (Kommunale Wohnungs Verwaltung) noch übrig war (okay bei mieten für 40 ostmärker im monat), war zu teuer zum abreißen - zum glück der jetzt wiedererstandenen innenstädte.

klar gibts da noch genügend restbestände, aber ich weiß schon warum ich wieder nach Dresden zurück will.

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Legotoskana sind die kleinen Trabantendörfer mit den typischen quadratischen Toskanabauten inmitten eines quadratischen Grundstücks.

Ansonsten habe ich die Innenstädte vor 89 gesehen und ich weiss auch, dass viele deshalb bis heute eine Aversion gegen Altbauten haben. Nur sollte man sich auch keine Illusion darüber machen, wie noch früher mit Häusern umgegangen wurde: Wenn ich nachher wieder in der Stadt bin, muss ich mich mit Pfusch des Jahres 1860 auseinandersetzen, da hat jemand aus meinem Clan ein Kaminrohr so falsch eingebaut, dass die Wand feucht wird, wenn es regnet. Der Zustand der DDR-Innenstädte ist auch kaum anders als der Zustand, in dem die meisten Innenstädte um 1900 jenseits der Prachtstrassen waren.

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Sie kennen ja jetzt "Pöllwitz" Auch dort überall Lego Toskana (was für eine geile Wortschöpfung).
Es gibt noch ein paar wirklich geile alte Häuser, aber im Osten ist es wirklich noch so. In diese alten Häuser setzt man die Obdachlosen und Sintis.
Auch die Schwiegermutter fragt mich immer, wie so wir in so einer alten Burg leben. Sie hat keine Ahnung.
Meine Frau erzählt mir manchmal traurig, aus dem alten Schrank von 1680, da hat der Opa damals einen Hasenstall draus gemacht, aus dem alten Gelump.

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Es geschehen Dinge in diesem Haus, die man sich nicht erklären kann.
erinnere mich noch gut an die komplett renovierung des fachwerkhauses meiner mutter. wir schliefen eine zeitlang im hinterhaus und dort war diese alte steile holztreppe, natürlich blieb die drin... seltsam war nur das diese jede nacht seltsam knackte. kein scherz, es ging immer von unten nach oben., als wenn sie jemand gerade hochstieg.
dazu noch die geschichte des vorbewohners: ein alter mann welcher mit ende 70 noch ein kind in die welt setzte...

erzähl mir einer solche geschichten aus einem neubau, da gibts doch maximal pfuschdramen wie im fernsehen...

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Unser Hof ist zwar erst 50 Jahre alt, mit einer Scheune, die erheblich älter ist, aber Geschichten gibt es auch genug. Das Haus soll ganz klassisch mit dem Geld des reichen Onkels aus Amerika gebaut worden sein - wie in den deutschen Spielfilm-Komödien aus dieser Zeit. Für ein niedersächsisches Dorf nach dem Krieg ist es ein unglaublich grosses Haus, 15qm Balkon (den hatte damals hier bei uns keiner, Keller(!) und glasierte Dachziegel aus dem Rheinland. Später war es dann Sektenhauptquartier. Da gibt es Geschichten ohne Ende. Man kauft nicht nur ein Haus, man wird Teil der Geschichte des Hauses.

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3 Sachen, die ich unbedingt loswerden bzw. fragen muss:

Kronleuchter - nach dem Putzen die Kerzen zu fest angezogen und das Glas "unter Spannung" gesetzt? Vielleicht kann ein Glasbläser /-handwerker eine Schale nachbilden?

Architektur - bis Du in Wittenberg bzw. Piesteritz eigentlich ein Stück weiter gekommen als bis zu unserem schönen Bürogebäude? z. B. hierher: http://www.piesteritzer-hof.de/geschichtliches.html , ich meine die komplette Siedlung

Architektenhaus - so einen Anblick muss ich leider jeden Tag über mich ergehen lassen, gleiche Farbe, nicht ganz so hoch, 3 Schiessscharten (das Home-Office mit interessanten Einblicken), die Küche als hölzerner/gläserner Übergang zum Wohnzimmer, das als Schuppen (ist der Begriff eigentlich multikulturell?) im "Garten steht"

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