Real Life 15.01.06 - Sieben um Eins
Es muss an den Jahresgratifikationen liegen, die 05 wieder reichlicher geflossen sind. Parkplätze in der Nähe sind jedenfalls nicht mehr zu bekommen. Das Pacha hat sich radikal verkleinert, an das Kosmetikstartup gegenüber - Vitago, für die, die ein Leben vor Web2.0 hatten - erinnert nichts mehr, die Agentur die Strasse runter, wo einst 40 Leute auf 140 Quadratmetern arbeiteten, hat längst wieder einer Kunsthandlung Platz gemacht. Aber unverändert mit fast schon schützenswertem Prunk der späten 90er steht das Lenbach, das Sieben, oder, um den Anglizismus zu verwenden, das Seven Sins immer noch, unverändert, und hinter den beschlagenen, graugrünen Fensterscheiben biegen sich Shilouetten wie in einer Flashwerbung von 2001.
Wir hätten, sagt sie und fummelt am Verschluss ihrer Handtasche herum, oberhalb der Stelle, wo D und G baumeln wie abgeschnittene Gringohoden am Bastrock des Amazonasbewohners, doch ein Taxi nehmen sollen. Ausserdem schneit es. Tatsächlich wirbeln winzige Flocken wie überdimensionierter Puderzucker durch das Licht der Scheinwerfer, und auf dem Trottoir klammert sich ein dürres Ding rutschend an ihrem Begleiter fest, dessen unvorteilhafter, längsovaler Gesichtsschnitt durch aufrecht stehende Blondstoppel auf dem Schädel stark betont wird.
Wir hätten, erwiderst du, im Puck bleiben sollen. Die schlechten Erinnerungen sind überall die gleichen, aber es macht einen grossen Unterschied, ob einem die schwarzen Gedanken bei einer guten Tasse Tee hochkommen, oder im Stau vor einem Laden, dessen kaltschnäutzige Ausstrahlung so gar nicht zu den drin angeblich abgefeierten sieben heissen Todsünden passen will. Bei der Gelegenheit fällt dir auch gleich noch die Invention der hiesigen Cuisine ein, drei Gänge zusammengepfercht in der Bentobox am Stehtisch, kalorien- und geschmacksbefreit für die dynamische Magenverstimmung von heute, eine Esshölle, ohne dafür Sünden genossen zu haben, und du beginnst zu ahnen, dass da drin etwas überlebt hat, was du vielleicht kennst aus alten Tagen, irgendjemand, dem du erklären musst, was du heute tust und der nicht begreift, wieso du eigentlich nicht mehr dabei bist, und warum du auch gar nicht da drin sein willst.
Der Taxistau löst sich auf, du zockelst los und drehst die nächste Runde um den Block, aber es ist sinnlos um diese Zeit, nur am Landgericht wären sicher noch Plätze frei, aber das ist ihr defnitiv zu weit, mit diesen Schuhen auf diesem Strassenbelag. Du bietest ihr nochmal an, sie vor der Tür im Strom der Taxis abzusetzen, und diesmal willigt sie ein, alles ist besser, als sich weiter im Auto zu langweilen. Mit erstaunlicher Eleganz entwindet sie sich des Sitzes, gleitet hinaus in die kalte Luft und tänzelt, so schnell es der enge Mantel erlaubt, zum fackelgesäumten Eingang, ohne sich umzusehen. Du hast noch nicht überlegt, wie es wohl wäre, wenn du jetzt einfach heimfahren, sie hinter dir lassen würdest, ohne Begründung und Entschuldigung, um am nächsten Tag am Telefon ihren Hass spüren, verbittert und glühend, wie du ihr zuhören würdest, wenn sie dich anschreit und du weisst, dass etwas vorbei ist, ohne dass es je geschehen wäre, alle eigentlich unwichtigen und verzichtbaren Optionen und Möglichkeiten, dass es die letzten Worte sind, bevor sich die durch eine Laune des gelangweilten Schicksals überschneidenden Lebenslinien auf immer voneinander entfernen, das alles ahnst du mehr, denn dass du es planst, aber der Wunsch wühlt schon in den tieferen Eingeweiden, da fährt ein Porschloch weg, und automatisch stellst du den Wagen ab und folgst dem kalten Geruch halb erfrorener Businessfrauendarstellerinnen hinein in einen Laden, der so viele aufregende Sünden enthält wie die Beichte einer 98jährigen, die seit drei Jahren mit Gicht im Bett ihres katholischen Altersheimes vor sich hin fault.
Wir hätten, sagt sie und fummelt am Verschluss ihrer Handtasche herum, oberhalb der Stelle, wo D und G baumeln wie abgeschnittene Gringohoden am Bastrock des Amazonasbewohners, doch ein Taxi nehmen sollen. Ausserdem schneit es. Tatsächlich wirbeln winzige Flocken wie überdimensionierter Puderzucker durch das Licht der Scheinwerfer, und auf dem Trottoir klammert sich ein dürres Ding rutschend an ihrem Begleiter fest, dessen unvorteilhafter, längsovaler Gesichtsschnitt durch aufrecht stehende Blondstoppel auf dem Schädel stark betont wird.
Wir hätten, erwiderst du, im Puck bleiben sollen. Die schlechten Erinnerungen sind überall die gleichen, aber es macht einen grossen Unterschied, ob einem die schwarzen Gedanken bei einer guten Tasse Tee hochkommen, oder im Stau vor einem Laden, dessen kaltschnäutzige Ausstrahlung so gar nicht zu den drin angeblich abgefeierten sieben heissen Todsünden passen will. Bei der Gelegenheit fällt dir auch gleich noch die Invention der hiesigen Cuisine ein, drei Gänge zusammengepfercht in der Bentobox am Stehtisch, kalorien- und geschmacksbefreit für die dynamische Magenverstimmung von heute, eine Esshölle, ohne dafür Sünden genossen zu haben, und du beginnst zu ahnen, dass da drin etwas überlebt hat, was du vielleicht kennst aus alten Tagen, irgendjemand, dem du erklären musst, was du heute tust und der nicht begreift, wieso du eigentlich nicht mehr dabei bist, und warum du auch gar nicht da drin sein willst.
Der Taxistau löst sich auf, du zockelst los und drehst die nächste Runde um den Block, aber es ist sinnlos um diese Zeit, nur am Landgericht wären sicher noch Plätze frei, aber das ist ihr defnitiv zu weit, mit diesen Schuhen auf diesem Strassenbelag. Du bietest ihr nochmal an, sie vor der Tür im Strom der Taxis abzusetzen, und diesmal willigt sie ein, alles ist besser, als sich weiter im Auto zu langweilen. Mit erstaunlicher Eleganz entwindet sie sich des Sitzes, gleitet hinaus in die kalte Luft und tänzelt, so schnell es der enge Mantel erlaubt, zum fackelgesäumten Eingang, ohne sich umzusehen. Du hast noch nicht überlegt, wie es wohl wäre, wenn du jetzt einfach heimfahren, sie hinter dir lassen würdest, ohne Begründung und Entschuldigung, um am nächsten Tag am Telefon ihren Hass spüren, verbittert und glühend, wie du ihr zuhören würdest, wenn sie dich anschreit und du weisst, dass etwas vorbei ist, ohne dass es je geschehen wäre, alle eigentlich unwichtigen und verzichtbaren Optionen und Möglichkeiten, dass es die letzten Worte sind, bevor sich die durch eine Laune des gelangweilten Schicksals überschneidenden Lebenslinien auf immer voneinander entfernen, das alles ahnst du mehr, denn dass du es planst, aber der Wunsch wühlt schon in den tieferen Eingeweiden, da fährt ein Porschloch weg, und automatisch stellst du den Wagen ab und folgst dem kalten Geruch halb erfrorener Businessfrauendarstellerinnen hinein in einen Laden, der so viele aufregende Sünden enthält wie die Beichte einer 98jährigen, die seit drei Jahren mit Gicht im Bett ihres katholischen Altersheimes vor sich hin fault.
donalphons, 13:14h
Sonntag, 15. Januar 2006, 13:14, von donalphons |
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andersanders,
Sonntag, 15. Januar 2006, 13:34
das ist grandios gesprochen
so famos, ich hab sie beim lesen gerochen
so famos, ich hab sie beim lesen gerochen
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donalphons,
Sonntag, 15. Januar 2006, 15:14
Ach, das ist doch eigentlich alles Vergnügen - da stand nur einen Moment der Abend auf der Kippe, und sie ist zumeist ein ganz liebes Kind mit leider etwas schlechter Erziehung; eine von der Sorte, mit der ich im Normalfall stundenlang Wäsche Kaufen gehen kann.
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donalphons,
Sonntag, 15. Januar 2006, 17:27
Und wenn sie nicht manchmal wirklich bezaubernd wäre, würde ich mir diese dunklen Momente auch nicht antun. Es war viel weniger böse gemeint, als es sich da oben vielleicht liest.
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