Real Life 24.04.06 - Die Amsel

Eigentlich musst du fünf Löcher bohren, in ein Brett, um die Regale seitlich abzustützen. Aber dann wartest du noch etwas, setzt dich auf den Liegestuhl und schaust zu, wie der Abendflug aus Nordwesten seine weisse Linie zieht und das Firmament langsam tief blau wird, und hörst auf das Gewirr der Vogelstimmen.



Das mit dem Regen morgen kannst du nicht glauben, die Schwalben fliegen viel zu hoch, 20 Meter über dem Stadtpalast. Auf dem Kamin singt eine männliche Amsel nach einem Weibchen, und lässt sich vom Rauschen des Staubsaugers nicht stören. Der verrichtet, von einer Elitesse geschoben, einen zweifelhaften Kampf gegen den Schmutz im zweiten Stock des Wohnheims. Ein Student kommt dazu und spricht sie an. Er trägt einen blauroten Trainingsanzug mit den drei Streifen, sie einen weissen Rock, ein rosa T-Shirt und Stränchen in den schulterlangen, blonden Haaren. Sie reden eine Weile miteinander, er draussen auf dem Gang, sie drinnen in ihrer Wohnung, und als sie nochmal rauskommt und vor ihm ihren Fussabstreifer ausschüttelt, ist klar, dass das heute nichts mehr wird mit den beiden.

Dann gehen sie in ihre Wohnungen, und überlassen der Amsel das Feld. Nach einer Weile fliegt sie auf das Hausdach neben der Dachterasse, und wenige Momente später landet die Angebetete ein paar Meter weiter. Er sagt jetzt fast gar nichts mehr, schaut sie an, und sie ignoriert ihn. Dann stürzt sie sich in steilem Flug hinunter in die Schlucht zwischen den Palästen, und er jagt sofort hinterher. Du störst jetzt niemanden mehr, also holst du das Brett und bohrst im letzten Licht des Tages fünf Löcher.

Dienstag, 25. April 2006, 01:58, von donalphons | |comment

 
Hach...
...hätte ich den Text mal gestern Abend gelesen. Dann wäre ich mit einem schönen "Betthupferl" in die Federn gekommen. Leider war das letzte, was ich las, ein Forum über ein ganz seltenes Windowsproblem, mit dem letzten Absatz, der nicht so schön wie o.g. klang, sondern eher das Fazit: "Installieren Sie halt den Krams nochmal neu" beinhaltete.

Mal wieder ein "ruhiger", fast schon romantischer Text, gefällt mir gut. Das Bild ebenfalls, es passt halt.

Gruß Manuel:
P.S.: Oh, ja stimmt. Es gibt doch diese Regel im "Punkschuppen", dass man sich als Neuling vorstellen soll ;-) Gut, also - der Name stimmt, der Anhang (weil ohne schon vergeben) hat mit dem Aufenthaltsort zu tun. Im besten "Blogalter" (aber deutlich über Katzencontent / Schuldepressionen hinaus). Gefunden dieses Blog ich habe vergangenes Jahr über irgendeine Suche bezüglich Renovierungsdingens. Seitdem eigentlich immer wieder still mitgelesen.
So. Und damit mich der Barkeeper nicht gleich mit "Das ist hier eine Bar nur für Trucker!" rauswirft, nehm ich mir nen Drink und bin schon wieder ganz ruhig *g*

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Das hür üst oin Clüb nur für Rolls Rois Bösützer. ;-)

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Doppelmist...
...ich wusste es ;-)

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Hilfreich
ist mein Kommentar sicher nicht, aber ich wollte dir sagen, dass ich diesen Eintrag ganz wunderbar lyrisch fand und sofort passende Bilder in meinem Kopf und das passende Gefühl im Bauch fand :-)

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Doch. Ist hilfreich. Ganz sicher. Danke :-)

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Ich war erst
einmal in echt in Bayern, ich darf das fragen: Ist das Grauschlößchen oben bei dir im Bild dasjenige welche, von dem du schreibst - oder ein Münchner Vermächtnis, was allgemeingebildete Menschen zweifelsohne erkennten?

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Das ist das Oratorium, das früher zum Stadtpalast gehört hat. Aber durch die Säkularisation wurde es abgetrennt und, als wir den Palast gekauft haben, als Pferdestall fürs Militär genutzt. Insofern ist da nichts zu machen - ausserdem, was sollte ich mit einer Kirche?

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Katholische Elitessen verführen - im Beichtstuhl.

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genau das ist ja das Problem am Oratorium: Es ist keine Full Program Church, sondern eine anwenderorientierte Lösung. Sprich, die jesuitischen Bauherren wollten nur, dass ihre Leute nicht jeden Morgen in die Messe zu den verfeindeten Franiskanern, oder noch schlimmer, zu den nebenan einen grösseren und neueren Palast bauenden Kapuzinern gingen. Also bauten sie eine etwas gross gewordene Kapelle für Messen. Die wurde halt sehr gross. Und hatte berühmte Bauleute. Am Ende war es eine grosse Rokoko-Kirche ohne grossen Glockenturm. Dem mariannischen Kolleg war´s egal, die hatten ihre Förderer. Aber ein Beichtstuhl war nicht drinnen. Beichten war eine Art Medizin für die, die man zum Spenden bringen wollte. Aber weniger was für General und Gefolgschaft, und schon gar nicht im exklusiven Oratorium. War ja eigentlich nur ein schlichter, kleiner Betsaal.

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Hat das keinen Altar, auf dem man es treiben könnte? In heißen Sommernächten soll Marmor auf nackter Haut nicht ohne reiz sein.

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Alles nur bepinselter Stuck und staubig. Nein, in meinem Alter bevorzugt man klassische, weiche Lotterbetten.

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je m´excuse
Grins. Ich meinte das Bild ganz oben, im Header oder wie man das nennt ...

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Ach, das ist nur Dons Sommerhäuschen.

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Ach so. Das ist Blenheim auf einem Stich Mitte des 19. Jahrhunderts.

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