: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 27. April 2006

BR und Zündfunk steigen ins Haifischbecken

oder werden hineingeworfen, je nach Sichtweise. Oh, ist das ein Spass: Als erste deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wagt sich der Bayerische Rundfunk mit einem kombinierten Vollprogramm ins Internet. Kinder, als ich die Pressemitteilung las, dachte ich erst an einenWitz, aber nein, die meinen das wohl ernst. Ich erlaube mir hier, die Pressemitteilung aus dem BR-Dialekt zu übertragen und mit Randglossen zu versehen - während ein gewisser H. Röde auf gute Laune macht und kein Wort über das Anstehende verliert. Dabei sind das - gebe selbst ich zu - Horrorpläne, die wohl kaum jemanden erreichen werden.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zündfunk, von Bayern 3, aus der Multimedia-Redaktion und des Bayerischen Fernsehens haben in vier Arbeitsgruppen für Musik, Wort, Multimedia und Marketing Ideen gesammelt, Visionen entworfen und zu einem stimmigen Vorschlag zusammengeführt.

Oh Gott. Bayern Brei plus ein die Macher einer wirklich grottigen Site plus dem linientreuen Staatsfernsehen plus Zündfunk oder was dabei herauskommt, wenn man eine schleimige Tiefseequalle, einen Regenwurm, einen Lemming und eine brennende Motte kreuzt. Und das soll stimmig sein? Na dann.

Ihre Aufgabe dabei: Eine junge Zielgruppe an den Bayerischen Rundfunk zu binden, die sich bislang nur zum Teil von den bestehenden Angeboten angesprochen fühlt und in ihrer aktuellen Mediennutzung auf Radio in der traditionellen Form immer mehr verzichtet.

Warum nicht zu Beginn mal was Leichteres, wie, sagen wir mal, die kalte Kernfusion oder die Weltrevolution? Ist ja schön, wenn sie begreifen, dass sich viele aus dem Radio ausklinken, aber das sind doch genau die Leute, die bislang die Zielgruppe vergrault haben, mit dröger Glotze, dummen Festplattenschleim, kranke Navi und leeres Geschwafel.

Im Blick haben die Macher ein aufgeschlossenes aktives Publikum bis 30 Jahre, das sich durch ein breites Musikinteresse auch außerhalb des Mainstream auszeichnet und an der bayerischen Kulturszene interessiert ist.

Aufgeschlossen passt nicht zu Vernagelt a la BR. Wer aufgeschlossen ist, braucht keine Radiokrücke mehr.

Aktuelle Popmusik mit Einflüssen aus Rock, Black und Elektronik bilden das musikalische Grundgerüst. Wesentlicher Bestandteil ist die breite Förderung junger, unbekannter Musiker vor allem aus Bayern und Deutschland, die gleichberechtigt neben bekannten Stars zu hören sein sollen.

Doitsch und Hinterwaldqoute neben Robiiiieeee und Madonah-ah-ah, prima, da fahren alle Zielgruppen voll drauf ab. Die Mainstreamzielgruppe hat doch schon Bayern Brei, und ähnlich positionierte Jugendwellen haben gerade das Problem, das der neue Laden bekämpfen soll.

Dabei ist geplant, bereits bestehende Elemente des Bayerischen Rundfunks – beispielsweise die Veranstaltungsreihe „Bavarian Open“ und ihre Download-Plattform „Bavarian Open Source“ – auszubauen.

Super! Kozerte, die es schon gibt, und Musik als Download, die man auch bei Kazaa Lite bekommt, und Beiträge als MP3, bei denen die Leute schon im Radio wegschalten! Brandneu und irre!

Auch bei den Wortinhalten setzt die Junge Welle auf die verlässliche Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinem weltweiten Korrespondenten-Netz und den zahlreichen Fachredakteuren und Spezialisten. Der journalistische Anspruch des Zündfunks wird auch in der Jungen Welle eine Heimat haben. Regionalität spielt dabei die Hauptrolle.

In meinem früheren Leben sagte man über geschasste Units wie den Zündfunk: Die neue Division wird ihre bewährte Arbeit fortsetzen. Blabla wird unserem Unternehmen auch weiterhin im lokalen Support beratend zur Seite stehen.

Das Team arbeitet mit zeitgemäßen und in der jungen Zielgruppe verbreiteten Elementen aus der Online-Welt wie Videoblogs und Podcasts.

Heisst: Wir haben keine Ahnung, aber wenn es die PR-Agenturen vorplappern, sagen wir das auch.

Das Angebot von jungen Menschen für junge Menschen soll beispielsweise auch über Beteiligungsformen wie „akustische Hörer-Tagebücher“ aus der Region zum Runterladen auf ein mp3-Gerät realisiert werden.

Oh, man wird also Podcastingblog-Plattform. Spannend. Wie 189.442.837 andere Anbieter. Aber wir in Bayern, wir packen das, gell?

Die Grundhaltung der Jungen Welle ist dabei immer: „Bayerisch, selbstbewusst, lebensfroh und nah“ – vier Attribute, die den Umgang mit den Themen und den Hörern on-air, off-air und online bestimmen.

Eigentlich könnte man jetzt aufhören zu lesen. Aber trinken wir es aus bis zur Neige.

Der lineare Programmablauf wird bei der Jungen Welle des Bayerischen Rundfunks bewusst aufgebrochen: Das Publikum ist teilweise selbst Sender und kann zum Beispiel einen Blick in den Audio-Speicher der Programmmacher werfen und online Inhalte vorhören, noch bevor sie von den Moderatoren im Radio ausgestrahlt werden.

Aha, teilweise selbst (!) Sender - also nicht jeder, sondern nur der, der den Machern genehm ist. Beiträge vorhören ist sowieso ein ganz grosses Thema und wird sich bei manchen Zündfunkern allergrösster Beliebtheit erfreuen - besonders der Spezies, die ihre Beiträge prinzipiell erst während der laufenden Sendung - ooops.

Die Junge Welle reagiert damit auf neue Nutzungsgewohnheiten junger Menschen.

Ich kenne mich ja ein bisschen aus in dem Thema, aber ehrlich gesagt kenne ich keinen, der unbedingt Beiträge vor der Ausstrahlung hören will. Vielleicht kenne ich auch nur die falschen "jungen Menschen". Oder man schliesst beim BR von der kleinen Schwester auf die Allgemeinheit.

Interaktivität, Nachhaltigkeit und die Realisation des Community-Gedankens bilden den multimedialen Kern der Jungen Welle.

Manche Zündfunker haben ein intensives Vorleben in der New Economy - man merkt es hier.

Über die klassischen programmbegleitenden Datendienste hinaus können die Hörer und Macher der neuen Welle auch auf Angebote anderer Fernseh- und Radiosendungen des BR zugreifen.

Irre. Jetzt muss man sie nur noch dazu bekommen, zuzugreifen. Ist ganz einfach, echt jetzt. Hauptsache, man hat die technische Lösung, der Nutzer kommt von selbst. War schon immer so bei allen Pleitefirmen des Nemax.

Mit diesem Angebot realisieren wir systematisch eine enge, programmübergreifende Vernetzung“, sagt Hörfunkdirektor Johannes Grotzky. „Professioneller Journalismus auf Augenhöhe mit jungen Hörern, Authentizität in der Präsentation und Vielfalt in der Musikauswahl sind die Wege, mit denen wir junge Menschen für ein anspruchsvolles Programm begeistern können und wollen.“

Das mit dem "können" "wollen" wir sehen. Dazu gehört mehr als das aktuelle IT-New-Media Buzzword Bullshit Bingo.

Die Hörer von Bayern2Radio werden auch nach einem Start der Jungen Welle nicht auf ein breites Angebot aus dem Bereich der „Popkultur“ verzichten müssen. Der Teil der journalistischen und musikalischen Kompetenz des Zündfunks, der ein Publikum jenseits der „30“ erreicht, soll wie bisher ein Bestandteil des Programms Bayern2Radio bleiben.

Übersetzt: Zündfunk ist tot, die Mitarbeiter dürfen sich in einem neuen Umfeld abstrampeln, gegen das Bayern2Radio inclusive Kirchenfunk und bayerische Chöre eine prima Sache war, und auf echtem UKW-Radio bleiben ein paar von den Zündfunkern, die mutmasslich für die Jugendwelle zu alt sind. Das ganze, ohne dass es expressis Verbis gedagt wird, nicht auf UKW, sondern DAB.

Liebe Zündfunker, Unterstützer, Freund und Feind: Ich hätte vielleicht auch Mitleid. Schliesslich ist das seit heute bekannt, und wenn die wirklich so cool und kritisch wären, hätten sie heute das Programm gekippt und sich selbst thematisiert. Rebelliert. Angegriffen, sich gewehrt. Ich weiss, dass viele das so richtig scheisse finden, wenn sie nicht total gebrainwashed wurden. Aber sie sind erwartungsgemäss nicht aufgestanden, die haben es einfach nicht getan, obwohl das Mikro offen war. Kinderstress, Informationsfreiheit, Musik, denen geht´s prima. Klingt zumindest so. Und nachdem alle weiterarbeiten wollen, halten sie offiziell die Klappe.

He Zündfunker, Ihr seid keine Rebellen, und Ihr habt keinen Markt. Nächstes Jahr treffen wir uns wieder - hier im Netz. Ohne Radiomonopol, ohne Netzwerke, ohne Hilfestellungen. It´s a brand new world - aber mit der Denke des neuen Senders ist es ein verdammt lebensfeindliches Umfeld.

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Popetown, die Kirche, ihre CSU und deren Strategie

Viel Spott haben derzeit einige Autoren für das Geschrei der CSU und der katholischen Kirche im Fall "Popetown" übrig. Thomas Knüwers Meinung steht hier für viele andere, die glauben, die CSU würde damit erst die Serie gross machen. Das mag von Nichtbayern aus betrachtet stimmen. Aus bayerischer Sicht und mit etwas Kenntnis der "innenpolitischen" Lage muss man aber der CSU ein ausgesprochen intelligentes Vorgehen zugestehen.

Denn die CSU spielt mit der Kirche perfekte Doppelpässe. Der Popetownskandal ist mit dem leicht zeitversetzten Aufschrei von Kirche und Staatspartei hervorragend abgestimmt, und MTV kommt ausgesprochen schlecht weg. Die Kirche, hier das mit der CSU eng verzahnte Erzbistum München/Freising, legt mit Erklärungen und einer Unterlassungsverpflichtungserklärung gegen MTV inhaltlich vor, und jede folgende Abwehr wird von der CSU mit rechtlichen Konsequenzen angegangen. Dass MTV seine Werbung zurückzieht und jetzt nur eine Folge der Serie zeigt, ist das Ergebnis einer skrupellos eingesetzten Angriffsmaschinerie, deren Motto ist: Unterwirf Dich der Kirche, oder der Staat kommt mit den Folterwerkzeugen.

Neu ist das nicht, die Inquisition und ihre staatlichen Büttel verfuhren genauso. Während also ein Haufen von engagierten Christen über Weikersheimer Rechtsradikalen bis Neonazis (siehe die bei Myblog.de gehosteten und von deren Webmaster auch bei klaren Rechtsverstössen unbehelligten braunen Blogs) gegen die Ausstrahlung mobil machen, gegen die nach Gesetzeslage nichts einzuwenden ist, schraubt die CSU im Hintergrund an Reformen, die solche öffentlichen Meinungen später gesetzlich oder sonstwie mit Mitteln der Obrigkeit ausschliessen sollen. Bayern hat über die BLM mit der Lizenz für 9live zwar das Tor zur Spielhölle aufgeschlossen, aber Kritik am Papst und Institutionen der katholischen Kirche soll mit dem Entzug der Lizenz bestraft werden - fordern nicht nue Hinterbänkler.

Dabei ist es hochspannend zu sehen, wer sich da an die Front wirft. Neben Ede dem Geknickten, der endlich mal wieder Schlagzeilen machen darf, sind es die konservativen Granden der CSU, die Stimmung machen: Söder und Hermann stehen mit Verbalgewalt und Anzeigen an vorderster Front, dazu läuft auch noch Vertriebenenchefin Steinbach auf. Und wie schon 1998 wird der Versuch gemacht, den §166 StGB Gotteslästerung auch auf irdische Einrichtungen der Religionen auszuweiten.

Das zeigt vor allem zwei Dinge: Einerseits weiss die CSU, dass Popetown nur einzelne weltliche Aspekte der Kirche - sanft - angreift. Popetown ist nichts gegen Panizzas Liebeskonzil, um auf einen 112 jahre alten Fall zu verweisen. Dass manche Päpste sozialauffälliges Verhalten an den Tag legten, gegen die die Kindereien in Popetown banal sind, weiss man auch ohne Blick in Marx´Kirchengeschichte. Und über die Darstellung korrupter Kardinäle braucht man sich nicht wundern, wenn man weiss, dass der Vatikanstaat einen italienischen Haftbefehl wegen Mafiaverbindungen gegen den Leiter der Vatikanbank Kardinal Marcinkus ignoriert hat. Gottes- oder Anschauungslästerung wird man in der Serie kaum finden, im Gegenteil, auch die positiven Helden sind Kirchenvertreter. Das ist dann auch der grosse Unterschied zum Konflikt um die Mohammed-Karikaturen, die nicht einzelne Vertreter, sondern den Islam allgemein aufs Korn nahmen. Die CSU weiss also, was sie tut: Es geht nicht um den Glauben, es geht um die knallharte Unterstützung des hiesigen Bodenpersonals.

Zum anderen schweigen auch manche Leute. Erwin Huber etwa, der MTV nach München geholt hatte. Der kann jetzt schlecht lospoltern, sonst sieht es nicht gut aus bei weiteren Gesprächen für Medienansiedlungen in München. Solche Einflussnahmen sind Gift für Medien, die mitunter solche Krawalle brauchen, ohne dass dauernd ein keifender Anstandswauwau angezockelt kommt. Auch von Seehofer hört man nichts. Das ist insofern von Bedeutung, als in Bayern längst über die Ablösung von Stoiber nachgedacht wird. Das Rennen dürfte zwischen dem christlistischen Fraktionschef Hermann, der für die alte CSU steht, und dem beim Wahlvolk beliebten Reformer Seehofer laufen. Hermann hat mit seiner - sinnlosen - Anzeige gegen MTV und Popetown schon mal ein paar Nägel bei der Stammwählerschaft eingeschlagen. Dass man Hermann deshalb in Köln, Berlin und Hamburg für einen knierutschenden Vatikanzögling hält, spielt keine Rolle, denn Hermann muss nur in Bayern gewinnen. Und da hilft das Geschrei aus dem Norden mehr, als es schadet.

Und MTV? Zieht tatsächlich den Schwanz vor der schwarzen Kampagne ein. Nur eine Folge dieser harmlosen Serie wird laufen. So macht man das. Die CSU. Die kann das. Zusammen mit der Kirche. Man hat die Schulkreuze verteidigt, man wird auch mit so ein paar renitenten Amis in Berlin fertig. Tun sie auch. Weil auf der anderen Seite feige Medien sitzen, die in solchen Fällen kuschen. MTV ist halt auch nur eine Geldmaschine, und hat mit Aufklärung so viel zu tun wie jeder andere Renegat, der des Geldes wegen zu Kreuze kriecht.

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