Real Life 11.06.06 - 30 Hektar

Am Ende des perfekten Tages meint Iris, dass sie jetzt eigentlich nicht in ein stickiges Gasthaus will. Vielleicht, sagt sie, schafft ihr es ja noch hinauf auf eine Hügelkuppe, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Kommt ihr mit, fragt sie die D.-Schwestern, die eine in Ascot-Apricot und die andere ganz in Schwarz, weil sie im Chor gesungen hat, und sie glüht gerade noch vom Auftritt und will eigentlich dringend was Süsses, das braucht sie jetzt. Etwas Süsses, sagst du, hast du im Wagen, beim Gartenfest deiner Mutter ist heute viel übrig geblieben, man könnte also beides haben, Torte und Sonnenuntergang. Gero und Sylvia sagen spontan zu, weil es einfach zu schön ist, um jetzt irgendwo rein zu gehen. Ihr geht zu den Autos, trefft euch unten am Dorfplatz, die Strecke zieht sich kurvenreich durch das schon dunkle Tal und zwei verschlafene Dörfer, bis sie in zwei scharfen Serpentinen auf die Jurahöhe führt.

Hinter der Kuppe fährst du auf einen Feldweg, die anderen halten hinter dir. Du steigst aus, öffnest den Kofferraum, holst die Decke und den Kuchen, der eigentlich für 12 reichen könnte. Die D.-Schwestern, Gero und Sylvia stehen etwas unschlüssig vor der Auswahl, und um die Befangenheit zu nehmen, erzählst Du von dieser grossartigen nacht in Berlin, 3 Uhr war es und schneidend kalt, als ihr zu viert am Heck dieses Wagens gestanden seid und die Kuchenreste verteilt habt, und weil es zu viel war, um das alles aufgetürmt zu schleppen - drei Stücke übereinander gehen noch, vier sind zu viel - habt ihr sie gleich dort gegessen, die Strasse lag wie ausgestorben da, und erst langsam stellte sich bei den Marzipanrollen heraus, wer mit wem diese Nacht wo verbringen würde. So war das, in kalten, finsteren Berlin, also greift zu, Freunde, es geht auch ohne Teller und Gabeln.



Sylvia hat auch noch eine Decke im Auto, und Viola, die jüngere der D.-Schwestern, erweist sich als echte Chorsängerin, als sie aus den Untiefen des Wagens eine Flasche Sekt zaubert. Da sitzt ihr dann, am Rande des Feldwegs und der gesellschaftlichen Verpflichtungen, eine Hand hält den Kuchen und die andere ist drunter, damit es keine allzu grosse Sauerei gibt, Champagnercreme ist da übrigens besser, da kompakter als gedeckte Apfeltorte. Hanna, die ältere der D.-Schwestern, überlegt sich, ob sie nicht vielleicht eine Bar aufmachen soll, in der Altstadt, und eigentlich fehlt da wirklich was, ein Ort, der nicht so pseudomodernistisch gemütlich ist, sondern einfach einen gewissen Anspruch hat.

Dann knirschen Reifen auf dem Feldweg, ein schwerer Geländewagen hält an, es ist der Onkels der D.´s, der ihren Wagen erkannt hat. Er steigt aus, ist ein wenig unschlüssig, ob er sich zu uns setzen soll, so steif, grau und mit roter Krawatte, wie er ist, aber als du ihn bittest, nimmt er auch ein Stück Torte, setzt sich, und beginnt zu erzählen.

Von dem Wald da unten, der ihm gehört. Vier Quadratkilometer. Das war übrigens damals die Jagd von deinem Grosswater, erzählt er, da hinten, Richtung Stadt, da haben sie in seiner Jugend oft zusammen geschossen im Morgengrauen, das war ein feiner Mann und ein guter Schütze. Die D.-Schwestern, leicht anämische Blondinen und durch das Blut hineingeheirateter Franken verseucht, essen kein Fleisch und schauen etwas betreten, als ihr Onkel die Abstinenz der heutigen Jugend von solchen Vergnügungen bedauert, es sei so schön im Hochstand, wenn der Dunst noch auf den Wiesen liegt, allein mit ein paar Freunden und den Hunden, er versteht nicht, wieso wir das heute nicht mehr machen, und gerade du, der du so deinem Opa nachkommst, ein echter Porcamadonna, das wäre doch was für dich, dein Opa liebte die Waffen und das Wildfleisch.

Du sagst wenig, und er redet wieder über den Wald, und dass viele gar nicht wissen, was das bedeutet. Die Rendite ist niedrig, die Arbeit ist hart, man braucht starke Traktoren mit guten Bügeln da drinnen, aber da stehen buchstäblich Millionen, es ist der Kern der Sicherheit, dieser dunkelgrüne Teppich, der im Gegenlicht tiefschwarz wird, bis auf die golden schimmernden Spitzen. Und wenn Viola und Hanna mal heiraten, wird er jeder 30 Hektar mitgeben, so gehört sich das, man darf nicht vergessen, wo man herkommt, man braucht etwas, das einen an das Land erinnert, und natürlich eine Sicherheit, denn nach dem Krieg war das Land die einzige Sicherheit, und wer Verwandte hatte, der musste damals nicht leiden. 1945, 46, da waren die Wälder voller Wild, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber das war einer der Gründe, warum es bei ihnen und auch bei uns immer etwas Fleischigs auf den Tisch gab, in der schlechten Zeit.

30 hektar Wald, ist das gut? fragt er, die D.-Schwestern lächeln ein wenig einfältig, aber die Frage hat er an dich gerichtet, und du sagst, ja, es ist gut, das ist etwas, das einem keiner nehmen kann und das immer bleiben wird, und du glaubst auch daran, denn wer sollte es nicht glauben, wenn der Wald auf der Hügelkuppe im letzten Licht funkelt wie eine dünne Brilliantkette. Du gefällst ihm, sagt er, du bist wie dein Grossvater, du wirst einmal ein feiner Mann. Und er schaut seine Nichten auf eine Art an, die dir nicht wirklich gefällt, und einen Moment wünscht du dich zurück nach Berlin, in die kalte Winternacht und den Moment, als jemand drei Nougatrollen aufeinander stapelt und dieses fragile Gleichgewicht mit grosser Könnerschaft nach Hause trägt, um dieselben dann im Bett zu essen, denn alles Gold dieser warmen, unfassbar schönen Welt, in der alles stimmt und jeder seine Geschichte und seinen Platz hat und auch noch in Jahrzehnten haben wird, wenn dann die alt gewordenen Enkel erzählen werden, wie man hier Ehen einfädelt und Dynastien verknüpft, all der Reichtum und die Offenheit der Menschen ist erkauft durch Unabänderliches, und der kleine, zaudernde Moment, bevor Viola sich überwand, den Kuchen zu undamenhaft mit der Hand zu nehmen, ist das Spiegelbild deines eigenen Zögerns, dich auf diese Welt einzulassen - so hübsch ihre spitze, arrogante Nase ist und so golden ihre Stimme klingt, wenn sie Rossini singt, so ist doch eine undurchdringliche Glasplatte zwischen euch, und dem Wald wird es egal sein, denn er denkt nicht in den kurzen Zeiten unseres Lebens, er kennt keine Begierden und Einsamkeit und auch keinen Besitzer, er ist einfach da und wird noch da sein, wenn wir und unsere Wägen und selbst unsere Häuser längst zerfallen sind.

Mittwoch, 14. Juni 2006, 14:07, von donalphons | |comment

 
Old Green Economy
Der Holzpreis ist in den letzten 12 Monaten um ca. 10 % gestiegen und wird weiter klettern. Holz ist eines der nächsten Dinge der "Rohstoff-Fonds".

Insofern sitzt der Mann bequem und sicher. Hoffentlich verscherbeln die Erben das nicht sofort.

Und wer hat heute schon eine Goldgrube, in der es sich Lustwandeln lässt ?

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Da verscherbelt keiner was, das sind Clanstrukturen, die man sich selbst in mittleren Städten nicht mehr vorstellen kann. Ich selbst bin immer wieder fassungslos, wenn ich sowa erlebe, selbst wenn ich eigentlich "dazugehöre". Eigentlich müsste ich auch was vom gestrigen Gartenfest erzählen, bei einer Seitenlinie der D.s. Die wissen genau, wo das ganze Geld herkommt, und die sind so durch eine einzige Charaktereigenschaft geworden: Durch das Behalten.

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Was Du ihm nicht erzählt hast, ist, dass Du ein begnadeter Jäger bist, nur braucht man dazu keinen Stutzen von Steyr oder Mauser, sondern einen Finalizer ;-)

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Hmmm - wenn ich an mein Heimatdorf und an die Wälder meiner Jugend denke, dann frage ich mich, ob das mit dem "Und ewig singen die Wälder" wirklich so stimmt. Ich hoffe eher, dass noch genug Holz für meinen Sarg vorhanden ist. Obwohl mir das zu diesem Zeitpunkt auch egal sein könnte.

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Du kannst dich hier wochenlang mit Leuten unterhalten, ohne das Wort "Internet" auch nur in den Mund zu nehmen. Wenn du es tust, schauen sie dich komisch an. Vermutlich nicht zu Unrecht. Vielleicht sollten die Web2.0-Pinscher mal einen Tag in den Wald zwangsspazieren.

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@ chat: Forstwirte sind arme Menschen und haben 2 grosse Probleme: Den grauenhaft niedrigen festmeterpreis und die elend langen Liefertermine der Mercedes Zwölfzylinder.

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@ don

" Ich lieg und besitz' " wussten ja schon andere vom Umgang mit ihrem Hort zu sagen.

Als weitere Probleme sind die Kater von der Größe eines Königstigers zu erwähnen die üblicherweise nach Jagd und Fest auftreten, und der hohe Verbrauch des neuen Defender.

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Hier hat man keinen Kater, sondern nur einen "Brand", der gleich wieder gelöscht werden muss. man ist ja nicht umarasunst bei der Freiwilligen Feuerwehr. Obiges Exemplar fährt allerdings Mercedes G-Klasse.

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Seid`s froh wenn Ihr noch private Waldeigentümmer habt, die nicht alles in Euro und Cent sehen.
Ich kenne inzwischen genügend Verwaltungen und Privateigentümmer die um des Profites Willen das Land an die Ik*a verliebte Genration Wüstenroth verschachern ,während der Gemeinderat über die zunehmenden Leerstände der alten Häuser im Dorfkern wimmert. Aber es ist eben billiger ein Haus vom Fertigbaumeister schlüsselfertig zu erbauen als gelebte Bausubstanz zu erhalten und seinen Bedürfnissen anzupassen.

Ich mache hierbei jedoch bewußt einen Unterschied zwichen billiger und günstiger.

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Ich bin da froh drum, keine Frage. Aber Bayern ist da sicher noch fester gefügt als andere Teile des Landes, und wird es wohl auch bleiben - gerade durch die steigenden Transportkosten. Im Ernst, ich wäre durchaus dafür, globale Entfernungssteuern zu erheben, statt das Rumkutschieren um den Globus zu fördern, zugunsten der Profite irgendwelcher Spekulanten. Wer Tropenhölzer will: Bitte, schon im 19. Jahrhundert musste man sich dafür dumm und dämlich zahlen, gerne wieder. Nuss und Kirsche sind auch schön. Wer im Winter Blumen aus Südafrika will: Nur zu. Bitte zahlen. Wem im März der Feldsalat zu dünn ist und lieber Lollo Rosso will: Gerne, aber bitte auch die Folgeschäden für die Alpen bezahlen.

Eine andere Frage ist aber, ob ich da neiheiradn dad. Das nun auch nicht. Schliesslich bin i a Schtodara.

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@ don:

Ja, Holzwirte jammern gern auf Hochwald-Niveau.

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Ach ja, die Kreise kenne ich auch, nur dass man bei uns in die Heide fährt und statt Defender oder G-Klasse Touareg und Cayenne fährt. Einige Elitegrade drüber macht man die Sachen dann beim Big-Game-Fishing vor Madeira klar.

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Nun ja, wir wollen ja alle Mitleid, aber der Mann war stolz. Er hatte bei allen Differenzen sogar eine gewisse Würde, die ich bei den Marketingh**** des Blogosphärengangbangs so vermisse - so schreit grade eine nach neuen opelz, während der andere ein schleimiges Interview mit jemandem macht, der ihn schon mal für Gefälligkeitsberichte bei seiner Nemax-Skandalagentur gekauft hatte. Da wird gerade versucht, Kasse zu machen. Und danach gibt´s Sponsorenbrause auf der geliehenen Dachterasse - wenn sie dann wieder unten sind, fehlt ihnen sogar die Erkenntnis, was sie eigentlich sind.

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Nebenbei ...
Der Text ist super - Danke!

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public economy? Falschmeldung aus Berlin...
...die öffentliche Sparsamkeit hat es ermöglicht, dass die deutschen Internetuser Literatur kennen lernen: Kulturstaatsminister Bernd Neumann hatte am 9.6. 2006 angekündigt und heute gehandelt: "....am 15. Juni geht mit www.literaturportal.de das erste Literaturportal für den gesamten deutschen Sprachraum online." http:// www.bundesregierung.de/Bundesregierung/Beauftragter-
fuer-Kultur-und-M-,12577.1014650/pressemitteilung/Kulturstaatsminister-Bernd-Neu. htm... *** Neumann hat in Zusammenarbeit mit der Schillergesellschaft e.V. in Marbach 150.000 € investiert (= x,x Leopardpanzer) . Das Ergebnis - literaturportal.de - wird der Öffentlichkeit nun als "erstes deutsches Literaturportal" verkauft. Was kann man dagegen machen?
(vgl. tagesschau.de,15.6.2006: "Kulturnation Deutschland"
Erstes deutsches Literaturportal im Internet)

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dagagen kann man nichts machen - hoechstens bei der jeweilig zustaendigen Finanzverwaltung seine Steuergelder zurueckfordern.

(Ich fasse nicht was ich da sehe - wo man hinsieht: Auswurf (zB. hier , noch deutlicher kann man nicht zeigen, dass man nichts weiss und nichts kann und nichts will (ausser oeffentliche Gelder zum Fenster herauszuschmeissen) - das deutsche Literaturportal braucht 7 (sieben) Zeilen fuer Max Frisch ... ach ich sehe gerade - sie brauchen 9 Zeilen fuer Jurek Becker - dann ist ja alles gut.)

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'systemvergleich'
..."über Geld wollen wir hier gar nicht reden" (Originalkommentar ZDF,15.6.2006,England:Trinidad..) - sollte man aber: Zumindest bei den viel zu teuren Ausgaben für die neusten Förderungsprojekte des deutschen Kulturstatsministers (s.o. "literaturportal.de",150.000€). - "Der Ankauf der 18 Eurofighter soll insgesamt 1.969.000.000,- Euro kosten" meldet dazu die wirklich gut informierte Webseite der österreichischen Militärtechnikfreunde airpower.at (Preis vom Sommer 2003, (http:// www.airpower.at/flugzeuge/ eurofighter/geschichte.htm).
Warum finanzieren wir in Deutschland die Kultur nicht einfach ausschließlich aus privaten Spenden? Dann müsste Staatsminister Naumann in Berlin auch keine Falschmeldungen produzieren und es wäre - endlich - genügend Geld für die Militärausgaben da....

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Der grundsaetzliche Irrtum bei dieser Geschichte ist, dass diese ganzen Bundes/Landesregierungsgetriggerten Portale (ala deutschland.de) irgendetwas mit Kultur zu tun haben.
Meist werden Unsummen fuer lustlose Linksammlungen ausgegeben - und manchmal klappt nicht mal das - siehe Literaturportal - zu links zu wikipedia hat es schon nicht mehr gereicht (oder die <a> tags waren einfach alle ....)

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Kulturstaatsminister - lustlos?
...aber so funktioniert ja nicht nur die so genannte 'Kulturpolitik' ! Auch die Bildungspolitik hat keinen 'Appetit'... (sie wird eben noch nicht "präsentiert von Mac Donalds und CocaCola", ZDF,19.53h). Die Schüler tendieren zwar zum Dickerwerden, die militärischen Systeme werden teurer, aber PISA setzt den Rasenmäher an und wir lernen in Zukunft alle dasselbe: vergleichbar, günstig, Unterricht mit Langeweile-Garantie. Die einzige Hoffnung, die Deutschland bleibt, ist der Fußball...Was sind 7 oder 70 Zeilen Max Frisch gegen ein >>1:0 für Deutschland<< !

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