Real Life 9.9.06 - Heritage II
Dann kommt das Rondell mit den kleinen Schlössern, der Platz für die Hochzeitsgesellschaften, die sich vor dem prunkvoll eingerichteten Zentralbau photographieren lassen, bevor das Brautpaar in die Hölle der Mitnahmemöbel weiterzieht, und dahinter öffnet sich wieder ein weites Grün mit Bäumen, Wiesen, Schlössern und Wegen, und auf einem dieser Wege wandelt ein Herr in Braun mit einer Dame in Schwarz. Vor ihnen das genaue Gegenteil, der Herr in Schwarz und die Dame in Braun.
Und die Töchter in Rosa.
Das sind sie also, die Neocons in freier Wildbahn, raunt der Herr in Braun der Dame in Schwarz zu. Manager, Key Account leading Irgendwas, Vorstandsassi mit grossen Plänen und einer Frau, die ihn dabei unterstützt. Im Dieckmann-Look, schleimig stromliniengeformte Haartracht. Das flutscht. Er muss gar nichts sagen, es reicht, wie er ist.
Das ist einer, der Managerbücher mit simplen Wahrheiten liest und glaubt, dass Arbeiter und Leistung in China billiger sind. Bei dem es für teure Schuhe reicht, aber nicht zur Erkenntnis, dass man die Hose mindestens drei Zentimeter hätte kürzen müssen. Seine Töchter haben jedes Mal um die Digitalkamera zu bitten. Höflich. 68 war gestern, heute steht wieder Disziplin im Marschbefehl. Spazieren geht man im Schlosspark, im Odium alter, angenommener Grösse, die in Wahrheit eine erbärmliche Verwaltung war, mit einem Dekret, das Schnörkel verbot, und dem radikalliberalen Angebotsstreit zwischen Künstlern, die letztlich alle vergebens auf die versprochenen Zahlungen des Hofes warten mussten. Weiss er natürlich nicht, Kunstgeschichte ist auf so einem Lebensweg jenseits von ungelesenen Taschen-Bücher zur Regalwandfüllung nicht vorgesehen, aber es würde ihm wahrscheinlich gefallen. Dieses Top-Down-Modell. Seine Arbeiter für die Effektwandbemalung in Pastell beschafft er sich vermutlcih bei einer Dumpingplattform im Netz und schaut, dass ein Teil schwarz geht.
Von hinten fallen die schwarzen Schatten von dir und deiner Begleiterin auf den Abklatsch eines Gesellschaftsstücks minderer Güte, der Park und die Welt ist gross genug für beide Haltungen, aber du ringst mit dem Wunsch, dich vor den über Career Opportunities schwadronierenden Kerl hinzustellen und zu sagen - wenn er mal mit 55 am Herzinfarkt stirbt, werden seine blondrosa Töchter oder ihre Gatten für deine Rente aufkomnmen - und ausserdem kommt er mit der zu langen, im Staub der Schlosswege runtergetretenen Hosen nicht wirklich weit bei seinen Zielpersonen.
Aber das Wetter ist zu traumhaft, weiter vorne gabelt sich der Weg, und du wendest dich nach links, wo ein junges Paar in Nichtachtung eines Boosschen Meisterwerks hemmungslos und wenig schicklich bekleidet am Fuss eines halbnackten Marmorweibes den abendlichen Geschlechtsakt küssend vorbereitet.
mitleid dem mann in zu langen hosen.
ein drama.
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Aber sowas ist doch immer schön zu beobachten: Wir haben hier im Neubaugebiet auf "altem Grund" (früher standen da große Blöcke in einer Parklandschaft - Wohnungen für Unteroffiziere der Besatzer) kleine Grundstücke, vielleicht 400 oder 500 Quadratmeter, die Baufenster dicht auf dicht. Und: Große Klötze werden hingesetzt, die auf zwei Ar passend wären - und immer noch nicht gut aussehen würden. Aber: Der Jaguar (noch mit Potsdamer Kennzeichen) steht schon davor, weil, dahinter passt er nicht hin (da ist die 2,5 Meter Terasse, dann der Nachbar). Und nebenan geht auch nix, man kann ja nur gerade am Haus vorbeilaufen.
Aber man fühlt sich so, als würde man jetzt dazugehören. Dabei gehört man hier nie dazu - es sei denn, man ist hier geboren, auf die Public School beim Schloss gegangen oder hat eingeheiratet. BTW: Das Haus ist natürlich ein Fertighaus, das eine vorberechnete Lebensdauer von 30, vielleicht 50 Jahren hat.
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Wenn ich sehe, wie in vielen blogs die Ankunft des neuen IKEA-Katalogs zelebriert wurde, dann hat das was von Ersatzreligion
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den habe ich auch bekommen, ein beitrag steht bald an
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btw: was für andere heute der IKEA-Katalog ist, war für uns in meiner Studienzeit der Sperrmüll.
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Sperrmüll ist auch heute noch prima. Wann immer ich Sperrmüll sehe, bremse ich. Einem 15.000-Euro-Sarouk von 1900 sieht man nach der Reinigung nicht mehr an, ob er von einer Räumung oder einer Versteigerung eines englischen Landhauses kommt.
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hui ist mir fad'
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Und Weine, Weine? Weine nur aus dem Medoc und St Emillion! Etwas anderes kommt mir nicht auf den Tisch.
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Aber das ist halt so: Kinder sollen nicht stören, sollen die Designer-Möbel und das mit viel Liebe arrangierte Wohnensemble nicht zerstören und es erlauben, nicht von den kinderlosen Freunden mitleidig belächelt zu werden.
@Franz
Pilze sammeln die Verwandten unseres Au-pairs in Polen. Wir erwarten nächste Woche eine frische Ladung.
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@mark: wir reden nicht der Antiautortären Erziehung das Wort, sondern wehren uns gegen die Verunteroffizierung der Kinderzimmer.
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Sowas ähnliches haben sich die Kinder vor 1914 auch anhören müssen.
Ich sehe ein Problem in den Lebens- Erziehungsumständen. Kinder werden ohne Not von gutverdienenden Mittelschichtpaaren in der Stadtmitte einer Grossstadt in einer 3-Zimmerwohnung "gehalten". Weil die Eltern das Flair der städtischen Bohème haben wollen. Die Familie (Eltern/Kinder) können sich nicht aus dem Weg gehen - trotzdem verlangen die Eltern, dass sie nicht gestört werden. Das kann nicht klappen.
Jeder Spielplatzbesuch wird zu logistischen Meisterleistung. Vollkommen verrückt.
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... hach wie ich dieses pseudoschnoesels liebe - "Pilze lasse ich von den Polen sammeln" ...
... und dann noch keine Ahnung von Pilzen, Pilze aus Polen kommen bei mir maximal als Zusatz auf den Kompost, denn frisch sind die garantiert nicht mehr ...
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Zu den Pilzen: Morgens geschnitten, abends sind die hier. Von hier aus ist Polen näher als bei anderen die Toscana.
Unsere Haustür hat vor ein paar Wochen ein deutscher Malermeister gestrichen und nicht der Pole, der in meinem besser verdienenden Bekanntenkreis seit Monaten rumgereicht wird. Aber Vorurteile sind nun mal die besten Beruhigungsmittel.
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17:00 geschnitten, 18:30 Pilzpfanne, 19:30 Baeurchen.
SO geht das.
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@strappato: Das ist ja noch viel reaktionärerer Kack als ich erwartet habe. Das stinkt so derart nach Langemarck-Verherrlichung und Rohrstock-Apologie, dass es mir das Weihnachtsgebäck des Vorjahres wieder hochholt.
@Graf Richard: Da ist was dran. Allerdings treibt die Sehnsucht nach familiärer Perfektion ihre Blüten auch in Kreisen, die den Verdacht der Bürgerlichkeit weit von sich weisen würden.
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Noch Fragen?
ach so, was den Wein angeht- das ist mir blutiger Ernst, da gebe ich keinen Handbreit nach. (ordentliche Weine aus der Gegend gibts ab 8 Euro - no schnoeseling required)
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Bei uns war ein Freund (10) des Sohns zu Gast. Papa Manager, heute China, morgen Indien. Der Freund soll Golf spielen lernen, damit er sich in den Erfolgskasten zurehtfindet. Beim Kochen habe ich ihm einen Dosenöffner in die Hand gedrückt, damit er die Dose Tomatenmark aufmacht. Er hätte sich fast verstümmelt, hatte KEINE AHNUNG wie man das macht.
@Franzl: schön ruhig bleiben. Auf fünf zählen, einatmen, auf fünf zählen und wieder ausatmen.
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|edit| ... und er nicht die polnischen Pilze in der Bulthaupt-Küche in die Pfanne schmeissen muss.
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Das ist natuerlich ein Vorteil wenn man in der Zivilisation wohnt, hier gibt es ungefaehr 23452442 Sportangebote von A bis Z, da laesst sich sowohl Golf wie auch Tennis zwanglos vermeiden ...
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ne, ne, ne. Dafür habe ich keinen Nerv. Das hilft für eine Kücche genausowenig wie Networking Aperos für neue Aufträge.
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Und was die geographische Einschränkung Deiner önologischen Erfahrungen angeht. Kann man so machen, auch wenn sich mir der Sinn der Übung nicht erschließt.
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Koennen wir noch die Gascogne an den Privatplaneten anschliessen (wegen den lecker Huehnchen ... und dem Floc ...)?
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Und auf dem Trimm-Rudergeräte sowjetischer Bauart: Panzertrimmer Potemkin ......
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Vielleicht ein wenig.
Bulthaupt ist qualitätsmässig spitze. Aber ich erlebe in small-talks oft genug, dass es als Distinktionsmerkmal genommen wird - obwohl im teuren Ofen dann nur Fertig-Pizza landet. Selber Kochen ist zu einer Option geworden, was man ähnlich dem Urlaub möglichst mit hohem Distinktionsgewinn absolviert.
@che
Radfahren, ohne vorwärts zu kommen. Hat was von "Überholen ohne Einzuholen"
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Meine Gattin kocht in unserem Schloss in Frankreich auf einem 100 Euro Gasherd faaaaaantaaaaaaaaaaaaaaaastich.
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Hicks
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Aber der Koch kocht, und nicht die Küche. Es soll ja auch Heimwerker geben, die mit einer Hilti einmal im Jahr ein Loch bohren, und dann trotzdem die Elektroleitung treffen.
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Im Übrigen vermisse ich Don Alphonso Elegien auf barocke Holzherde.
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Braten von Charlois-Rindern kommt bei uns auch auf den Tisch. Da gibt es eine Reihe von Landwirten, die diese Rasse hält und selber das Fleisch vermarktet.
Deutschland hat einiges an Qualität und regionale Spezialitäten zu bieten. Es muss nicht immer Aquitanien sein.
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Ansonsten haben wir heute Zwetschgen geplündert und machen morgen Datschi. Das gibt dann Bilder vom novh warmen Teigzuckerzwetschgencocktail auf der Dachterasse. Wir haben hier noch frei stehende Obstbäume, wo man einfach mitnehmen kann. Aktuell ist mir vom begleitenden Testen zwar durchaus schlecht, aber bis morgen legt sich das wieder.
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@strappato: och, beim Franz werden verschiedene Dinge der moerderisch heissen Gasflamme ausgesetzt zB. dieser Kram.
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