Hellwachkoma

Beim Einkaufen bin ich heute über "Das andere Leben" von Sandro Veronesi gestolpert. In Deutschland 2001 erschienen, in Italien 2000 mit Preisen überhäuft und damit ein Buch, das mir keinesfalls hätte entgehen sollen. Aber es war 2001, und damals war ich weder in Italien, noch allzu oft in Buchläden, sondern lebendig begraben unter der Bleiplatte, die den Namen "New Economy" trug.



Mir fehlen, grob gerechnet und in kultureller Hinsicht, drei Jahre meines Lebens. Nicht nur wegen des Hypes und meiner Rolle in diesem System, sondern auch wegen des sonstigen Irrsinns dieser Tage. Ist ja nicht so, dass man asonsten unberührt bleibt vom Lauf des Schicksals. Immer nur rein damit, keine Scheu, der kann schon noch ein Packerl oder zwei mehr tragen. Nur das Leben, das kommt dabei etwas arg kurz. Wenn ich in dieser Zeit etwas gelernt habe, dann ist es neben einer akzeptablen Menschenkenntnis und einer gewissen Härte die Erkenntnis, dass es etwas gibt, das wegen der Körperfunktionen nicht Tod genannt werden kann, aber auch kein Leben ist. Hellwachkoma, wenn man so will. Voll bewusst in das Nichts. Und weil es allen anderen genauso geht, fällt man damit noch nicht mal auf, selbst wenn das alles enorm asozial auffällig war.

War. War ist in diesem Kontext ein gutes Wort. Einiges kann man nachholen, Bücher kann man noch lesen, wenn Autoren und Erstbesitzer schon lange vergangen sind, und der Rest, das Einfügen in die normalen Abläufe, kommt irgendwann auch wieder. Reden hilft auch, besonders, wenn man mit diesem Erfahrungshorizont nicht allein ist, und vom Gipfel eines Berges hinabschauen kann in die Ebene, wo die Apfelbäume stehen.

Verachte nicht die irdschen Schätze,
wo sie liegen, nimm sie mit
dichtete Wedekind, und das ist der bessere Teil des Gedichts, das fortfährt mit
Hat die Welt doch nur Gesetze,
dass man sie mit Füssen tritt
Leider ist die Welt nämlich nicht nur voller tretbarer Gesetze, sondern auch voller Gestalten, die man nicht zweimal einladen muss, über die Stränge zu schlagen. Zu viel hellwach, zu wenig Koma.

Das muss man ändern. Wenn man erwacht ist.

Samstag, 4. August 2007, 01:33, von donalphons | |comment

 
Wahr gesprochen
werter Herr Alphons, die in besagtem Koma sind tatsächlich in einer Parallelwelt unterwegs, die ebenso flüchtig wie allgegenwärtig ist. Und genau da hat man den Salat. Vor allem im Kopf, falls da überhaupt etwas wachsen kann. Gesetzt der Fall das, kommt unweigerlich der Tag, an dem man sich den den ganzen Quatsch von außen oder oben anschaut und feststellt: das ist es nicht. Nein, ich bin keines jener Geschöpfe, Gott bewahre, zähle aber zwei besagter Zeitgenossen zu meinen engsten Freunden, gleichwohl ich sie in eben diesen Jahren oftmals zweifelnd beobachtete. Was da mit ihnen vorging, das war schon besorgniserregend. Mittlerweile haben sich die beiden beruhigt, der eine mehr, der andere weniger.

Herzlich
Ihr Erdge Schoss

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Das kommt irgendwann mit dem Alter, bei den meisten. Nur die Naturiprallen, die bleiben so, aber um die ist es auch nicht schade. Solange sie nicht wieder Deppen für das nächste Ding finden. Aber auch da bleibt die Hoffnung, dass man es irgendwann erkennt.

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Übrigens zwei ausgesprochen eindrucksvolle Bilder.
Wenn ich mir aussuchen müsste, zu welchem von beiden ich gerne mehr wissen würde - und es dürfte nur eines von beiden sein - dann würde ich radebrechen - und sagen: Das Geheimnis, das im zweiten enthalten ist, ist schützenswerter.
Mögen Sie daher eine kurze Legende hinsichtlich Gegenstand und Ort des ersten geben?

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Nun, die werte Leserschaft wird sich damit abfinden müssen, hier nur kleinste Spuren des Privaten zu finden. Ich kann natürlich zu zweiterem gerne sagen, dass es nur Äpfel auf einer Silberschale sind, rechts davon eine Khmersagenfigur aus Kambodscha und links eine Portaluhr des Biedermeier, aber das ist nur das Faktische.

Das bekrönte Buch findet sich am Rande eines Epitaphs für einen Domherrn des 17. Jahrhunderts in der Ostwand des Mortuariums am Dom zu Eichstätt.

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Danke sehr. Ich war nur im Zweifel, ob es sich bei der Kopfbedeckung um eine Mitra handelt, was mit Ihrem Hinweis ja geklärt ist.

[edit: Bin weder Kunsthistoriker, noch Experte auf dem Gebiet christlicher Würdenträger; ein solcher hätte an der vorderen Kante das gewöhnliche Barett, um das es sich wohl handelt, sofort erkannt.]

[edit (2) - Ich glaube mich jetzt zu erinnern, dass Fernandel als Don Camillo manchmal auch eins trägt.]

Mehr wollte ich auch gar nicht wissen (Stichwort "Legende") - und verstehe Ihren einleitenden Hinweis daher nicht recht - Privates gehört für mich ausschließlich in einen privaten Rahmen.

"Geheimnis", sofern das der Anlass sein sollte, hatte ich sehr viel allgemeiner gemeint - bitte verzeihen Sie die eventuell missverständliche Ausdrucksweise.

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