Real Life 18.6.04 - Untergrund der nächsten Gener

nein, sagen wir mal lieber, Kohorte.

Ich weiss nicht, ob sie eine PRaline ist, und woher sie meine Nummer bekam. Wahrscheinlich hat sie noch nicht mal auf unsere Website geschaut, sonst hätte sie begriffen, dass mein Medium herzlich wenig mit dem zu tun hat, was man als ihren "kulturellen Horizont" bezeichnen könnte. Seit zwei Monaten erhalte ich Einladungen zu irgendwelchen schrägen Kulturparties, die sie selbst von wem anderes bekommt, und die sie mir dann forwarded. Es ist ziemlich schwer, Journalisten auf solche Krümelevents spät Nachts zu locken, wo es nichts zu Essen gibt und das Bier was kostet. Vielleicht wird sie weiterhin eingeladen, kriegt Bücher umsonst, oder kann angeben, wenn sie einen Typen anschleppt, auf dessen Visitenkarte eine New Yorker, eine Berliner und eine Münchner Adresse stehen. Echte PR ist sie eher nicht.

Es war ein echter Dreckstag in Berlin a. d. Spree. Zwei Termine geplatzt, umsonst gewartet, ein paar Regenschauer und dann auch noch die Dummheit, ans Handy zu gehen. Ob ich heute Abend nicht doch kommen will, ganz toller Event, gerade ich als halber US-Citizen würde es grossartig finden, New Yorker Underground.

Ich dachte mir, das mit meinem Status als banaler Angestellter einer amerikanischen Stiftung erkläre ich ihr lieber dort, mit allem Drum und Dran, damit sie klar sieht - und sagte zu. Ich hätte das Handy besser an die Wand pfeffern sollen.

Ein paar Meter neben einem früheren Schickilokal in der Gipsstrasse war ein Laden ausgeräumt. Jemand hatte sich nicht viel Mühe gegeben, das Ganze authentisch wirken zu lassen: Farbphotos von Sprayern mit Klebestreifen an die Wand gepappt, grellgelbe Halogenstrahler frisch aus dem Baumarkt, und dazu überall die typische Sprayerschrift, quasi die gotische Fraktur unausgelasteter Spiesserzahnarztkinder.



Die waren zur Hälfte drinnen und draussen und ziemlich dürr, von den beiden fetten, kurzhaarigen Kajaltöpfen abgesehen, die zu solchen undergroundigen Events gehören wie der tschechische Gartenzwerg in den Vorgarten des Kleinbürgers. Draussen lehnten sie an ein paar Mittelklassewägen, natürlich vor allem an einem schwarzen, 5-türigen Golf, das Becks in der Hand und ziemlich LAUT, ohne dass es nötig gewesen wäre in diesem verschlafenen Wohnviertel.

Drinnen waren neben den Bildern von wild vermummten N.Y.Kiddies mehr von den typischen Szeneleuten, mit den 70er Taschen und manchmal auch Lackmänteln. Es roch nach zu viel Parfum, fast wie auf einem Wohltätigkeitsbasar, aber nicht süsslich verwesend, sondern eher kalt und stechend. Süsslich roch nur der billige Sekt, den jemand verschüttet hatte und der jetzt den Boden verklebte.

Die Möchtegern-PR-Frau kam mit einer Bekannten auf mich zu, stellte uns vor, und begann zu reden. Es war zu laut, sie sprach mehr in Richtung ihrer Bekannten, die schon etwas zu alt für die kreischenden Kids neben uns war. Ich verstand die Hälfte und hätte einiges darum gegeben, wenn es nur ein Viertel gewesen wäre. Angeblich war das hier sehr wichtig, ein Spit-zen-Event, und ausserdem sind auch viele Jungstars der Szene da, Künstler, Schauspieler, Regisseure, Autoren.

Ein Typ, der mit seiner zerissenen Jeans einen kleinen Tribut 2 the topic machte, zog mit einer teuren Digicam herum und knallte mir den Blitz aus einem halben Meter Entfernung in die Augen, bevor er mir dann, zur Unschärfe inmitten eines schwarzleuchtgelben Flecks gewandelt, als irgendein Jungeventdurchzieher vorgestellt wurde. Sehr unangenehm, pleased to beat you. Gekreische von Rechts, ganz viel, da ging wohl wieder eine Flasche sekt auf, aber ich sah nichts.

Ich sprach dann noch mit einem frisch zurückgekehrten Austauschstudenten über die Probleme bei der Arbeitssuche in New York, mit einer fertigen Journalistin ohne Job über die Krise des Journalismus, und mit einem Kerl, der dachte, ich könnte ihm vielleicht helfen, sein Manuskript an einen Verlag zu bringen. Er war ziemlich frustriert, als ich ihm sagte, dss noch nicht mal ein gut laufendes Buch so viel Geld bringt, dass er sich den Traum vom neuen BMW X-5 leisten kann, geschwiege denn einer Wohnung in Mitte. Gegen ein Uhr drängte die nächste Gruppe in die Galerie, und ich ging, ohne meine einladende Bekannte noch mal zu sehen.

Auf dem Weg zum Auto hupte jemand hinter mir. Es war die Bekannte der PR-Frau. In einem leicht verbeulten Mazda MX-5 mit Koblenzer Kennzeichen. Shakira volle Kanne dröhnte durch das Verdeck.

Freitag, 18. Juni 2004, 05:17, von donalphons | |comment

 
Mittenutten
Jetzt bin ich gerade wieder ein bisschen froh, dass ich da weg muss

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Ich wäre mehr als ein bisschen froh, wenn ich mit könnte. Wäre hier alles so, ich würde zum Autist vor dem Bildschirm werden.

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Nanu? Grad kam schon wieder sowas rein - armer Fooldc, ich glaube, ich forwarde das, dann wird der Abschied noch leichter :-)

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Verschwende Deine Zeit
Sammelkommentar zu diesem und dem folgenden Beitrag:
Da hat die Provinz Vorteile: Bei uns geht man auf solche Parties meist nur dann, wenn man wirklich etwas zu besprechen hat. Die Zeit ist zu kostbar, um sie mit Parties zu verplempern, bei denen kein Deal rauskommt. Und bei Herrn Ex-Ministerpräsident, Herrn Ex-Fußballheld und Herrn VW-Manager lässt sich immer noch etwas einfädeln. Da gibts aber keine Enchilladas, sondern Schnittchen. Und natürlich laufen die New Economy Deals weiter. Oder was heißt New Economy Deals. Die Unverschämtheit halt. VW macht vor, wie das läuft, meine Firma macht es noch brutaler nach. Man setzt Lieferanten und Geschäftspartner unter Druck, lässt sie Jobs kostenlos machen oder zahlt ihnen die Hälfte des normalen Honorars und droht ihnen die Insolvenz an, wenn sie nicht mitmachen. Man arbeitet nicht mit raffiniert eingefädelten Deals, sondern ganz bodenständig mit Drohungen und Erpressung.

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PR-alinen
Oh je, diese PR-Aliens! Eben hatte ich eine, die für karitative Projekte arbeitet. Zum erotischen Gurren kommt hier der Tonfall tiefster moralischer Betroffenheit, das Leiden der mißbrauchten Kinder und geknechteten Negertürkjudtamilkosovotschetschenen in der Stimme und Augenaufschlag, Marketingbitch trifft Mutter Teresa, und die heißt auch noch Tanja. Oh je!

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Idealtypisch. Aber mit Mitmenschlichkeit hat mein Exempel nichts zu tun. Sie heisst auch nicht Tanja.

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Ersatz-Berufsdefinition: Wenn man seinen Misserfolg nicht offenlegen will: Student, Doktorand oder irgendwas mit PR (bsp. Eventmanager/in).

Journalist, Texter, Webdesigner hat ja mittlerweile einen negativen Klang.

Wenn man seinen Misserfolg offen zeigt: Künstler, Musiker, Filmemacher, Schauspieler.

Früher war die Antwort auf die Frage: "Was kannst Du?" - "Ich kann gut organisieren". Heute ist die Annwort: "Ich kann PR, Öffentlichkeitsarbeit."

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Mein Fall syndiziert aber nur PR. Seltsam. Kenne ich aus München nicht, das Geschäftsmodell. Vielleicht haben die finanziellen Ressourcen nicht ausgereicht, um einen Kindermodenladen aufzumachen?

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Ich genervte PR-Fresse
@ hella: Sehe ich anders. Ich bin PR-Mensch, allerdings in leitender Funktion, und ich liebe meinen Job, wenn auch nicht meinen Chef. Vielleicht ist das in Braunschweig anders als in München oder Berlin, aber PR wie auch Journalist, Texter, Webdesigner (streng genommen mache ich das alles) gilt hier immer noch als hipp. Und es gibt hier einige gute und angesehene Agenturen. Die arbeiten allerdings nicht für NE-Spinnbuden, sondern für VW, Salzgitter Stahl, Toshiba, Bosch und so weiter, Kunden, wo richtig was dahinter sitzt.

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Das oben genannte Beispiel arbeitet doch ohnehin nur in der Kulturbranche; Wirtschafts-PR würde sich solche Stümpereien verbitten.

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Gar keine Frage: PR ist eine ernste Sache. Aber es wird in "gewissen Kreisen" dazu benutzt, um das persönliche und berufliche Portfolio aufzupeppen. Wenn ich so im Internet lese: Jeder Texter, Webdesigner, Coach bietet auch noch PR an. Das nennt man wohl Ganzheitlichkeit, ist aber nur Stümperei.

Hella, die übrigens auch mal in einer Pressestelle beschäftigt war (Bereich Politik).

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Normalerweise wird dann auch immer gleich erzählt, was für tolle, einflussreiche Jopurnaille sie so kennen. Geschichte unterbringen? Aber mit links, ist doch klar.

Don, der auch schon mal auf dem Küchentisch Pressemitteilungen verfasst hat, bei Butterbrot, Tränensalz und Wasser ;-)

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Universalisten
Es gibt aber Leute, die tatsächlich das ganze Spektrum abdecken. Da das aber jeder Dritte von sich behauptet, ohne dass es stimmt, glaubt man es niemandem mehr.

Che, der auch mal in der Druckvorstufe, während er mit der Tastatur die Reinzeichnung machte, mit auf der Schulter eingeklemmtem Telefon das Anzeigengeschäft abwickelte und dabei die Sekretärin mit Gesten dirigierte.

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Aha
dabei die Sekretärin mit Gesten dirigierte.

Soso. Was darf man sich darunter vorstellen?

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Dirigent
Dass die eine Ebene tiefer als ich genauso einen beschissenen Job hatte: auf Geste zu schnallen, was ich von ihr wollte, weil ich nicht die Zeit hatte, es ihr zu sagen!

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Klingt nach Sklavenhaltung in den Südstaaten.

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Oder wie Sex nach Art des Weißen Hauses.

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Behinderte
Ich war einfach gehandicappt: Ich hätte zwei Münder gebraucht, einen für das Akquisegespräch und einen für die Sekretärin.

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Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist, wieviele Münder sie gebraucht hat, Che.

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Sorry, aber...
die Antwort bezog sich auf Dich, nicht auf Jeremin. Nix mit Sex am Arbeitsplatz. Und sie ging pünktlich um 4 nach Hause, ich nicht. Dass ich selbst unter ausbeuterischen Bedingungen arbeite, heißt nicht, dass ich das nach unten weitergebe. No way.

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