: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 3. Oktober 2004

2 Sekunden

Nicht länger. Zu kurz, um zu schalten. Ich ging gerade zur Kasse, als sie mir entgegen kam. Sie sah mich an. Irgendwas war da, aber ich wusste nicht mehr, wann und wo. Ich habe letzte Nacht nicht geschlafen, meine Synapsen waren zu langsam, aber ich hätte es wissen müssen, als ich den Wagen vor mit an der Tankstelle gesehen hatte, und das Zeichen des Alumni-Clubs.

Der Kassierer schaute noch zum Fenster raus und ihr hinterher, als sie einstieg, und auf die Strasse preschte. In dem Moment begriff ich, wer sie war. Andere Frisur, kürzer und cleaner, andere Sonnenbrille, anderes Auto, immer noch sie. Ich hatte ihr Gesicht verdrängt, sie, den Umkreis, überhaupt alles, was in dieser zeit geschehen war.

Das wär was, mit ihr nach München mitgenommen zu werden, sagte der Typ an der Kasse. Er wusste nicht, was er sagte, er ist sicher nie mitgenommen worden. Ich schon. Ich bin mit ihnen den ganzen Weg gefahren in die Nebelwand, ganz unten bin ich ihr damals begegnet, und dann bin ich jeden verdammten Meter wieder zurück, zuerst auf dem Zahnfleisch, und am Ende mit einer Bombe unter den Flügeln. Als es raus kam, mussten ein paar Leute ihre Schreibtische räumen. Sie natürlich nicht. Es gibt Menschen, die werden immer oben sein. Und sie gehört zu denen, deren Paps räumen lässt.

Immerhin, wahrscheinlich hat sie mich erkannt. Es gab auch einen guten Grund dafür. Eigentlich sind wir quit, nach all dem, was damals war, aber selten bin ich so langsam, so widerwillig nach München, in die einzigartige Munich Area gefahren wie heute, in ihren Spuren, und dass sie heute Nacht nur 400 Meter von hier unter einem Gris ganz ruhig schlafen wird, nagt an meiner Seele. Falls ich sowas habe, natürlich.

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Ein ganz normaler Samstag Morgen im goldenen Oktober

Ja, es hat etwas geregnet. Aber nur kurz, dann war alles wieder vorbei, und inzwischen kracht die Sonne vom herbstblauen Himmel. Yvonnes Eltern kommen zum Einkaufen in die Stadt. Sie nehmen natürlich den praktischen Kombi, der RS6 mit seinen 380 PS Serie, und fahren damit zum High-End-Händler ihres Vertrauens, von dem sie schon die neue Anlage daheim und den Surroundklang in den drei Autos haben.



Heute wollen sie nur nur eine Kleinigkeit. Yvonne kommt nach Hause, zum ersten Mal seit ein paar Monaten, und sie werden ihr ein Küchenradio schenken, das neue Tivoli Piano aus Mahagoni, erzählen sie mir. Sie haben sich auch die neuen Plasmafernseher angesehen, aber im Moment brauchen sie noch keinen. Vielleicht spekulieren sie aber damit, dass Yvonne den alten will, dann könnten sie sich ja doch einen neuen leisten, so platzmässig, im Haus.

Dann werden sie noch schnell auf den Wochenmarkt gehen, und schauen den Umzug des Kriegervereins an, der heute durch die Stadt marschiert, mit Fahnen und Uniform. Ausserdem werden sie wohl beim Reisebüro vorbeigehen. Sie sind im Winter immer ein paar Monate irgendwo, wo sie nocht nicht waren, solange es nur im Ausland ist, und im Süden. Norden und besonders deutscher Norden sind No-Go-Areas.

Im Radio kommt in den Nachrichten, dass in Berlin, also da oben, irgendwelche Leute gegen die Hartzgesetze demonstrieren. Aber das werden sie nicht hören, denn auf dem Heimweg über die Wiesen und Felder hören sie Scarlatti, oder vielleicht auch Brubeck. Sie hören sowieso schon zu viel von all diesen Problemen, jdesmal wenn Yvonne aus Frankfurt anruft und erzählt, dass sie auch im neuen Job mit den Leuten nicht klarkommt, nachdem sie ja schon von der Investmentabteilung zum Kredit und jetzt in die Bonitätsprüfung durchgereicht wurde. Das erzählen sie mir nicht, aber ich weiss es auch so. Von Yvonne.

Er sagt ihr dann jedesmal, sie soll zurückkommen, hier ist es überhaupt kein Problem, er kennt den Maier von der Dresdner und den Müller von der Hypo, dann kann sie auch wieder jedes Wochenende reiten und golfen. Der Club hier wurde gerade erst neu eingerichtet. Und sie würde sich aufrichtig freuen, wenn ihre Tochter wieder hier wäre. Das Tivoli ist eigentlich fast schon ein Bestechungsversuch, vermute ich. Aber wenn ich nächste Woche in Frankfurt bin, soll ich sie doch mal anrufen, sagen sie, Yvonne würde sich sicher freuen, mal wieder von mir zu hören.

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