: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 29. Oktober 2004

Shop in the Making

Die Räume, muss man sagen, die sind toll. Draussen bröckelt der opulente Putz der 1870er Gründerzeit, drinnen herrscht die Klarheit der Post-New-Economy. Seit diesem Sommer beobachte ich diesen Laden:



Eine Mischung aus Klamottenladen, Design-Agentur, Kleindisco, Eventlocation, Treffpunkt, mitunter sogar Anlaufstelle für Kunden. Die Website ist seitdem soon to come. Manchmal würde ich gerne reingehen und fragen, ob sie über die Runden kommen, wie sie es schaffen, aber das wäre sehr indiskret und auch nicht wirklich nett gegenüber Leuten, denen zum freien Unternehmertum kaum Alternativen bleiben.

Lumpenentrepreneure nennt Ingo Niermann das, im Gegensatz zu Lumpenproletariat. Ich mag beide Begriffe nicht, auch wenn im Erfolgsfall aus diesen jungen Kreativen oft, zumindest nach meinem Erleben, die schlimmsten Zyniker werden. Aber wie sollen sie grosszügig sein, wenn sie nie Grosszügigkeit erlebt haben. Schon die Bewerbung an die besondere Designerschule war Krieg, der Kampf um Praktika, schliesslich das Gerangel um möglichst grossartig klingende Professoren. Dann der tägliche Krieg mit den Ämtern, die auch für den kleinsten Kreativen Grosskonzern-Vorschriften anwenden, ohne dass sie sich jemals die entsprechenden Angestellten leisten könnten, die ihnen das abnehmen.

Mal schaun, wie weit sie heute Abend sind. Vielleicht ist dann auch wieder Vernissage oder Party, und ich komme doch mit einem von ihnen ins Gespräch.

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Real Life 29.10.04 - Mobile Marketing

Schaust Du bitte mal drüber, stand in der Mail. W., ein alter Bekannter aus der nordbayerischen Provinz, hat einen Auftrag an der Angel. Ein alteingesessenes Textilunternehmen hat eine "junge Linie" entwickelt, und dummerweise auch noch einen Artikel über Guerilla-Marketing gelesen, das bei jungen Leuten toll wirken soll, zumal, wenn es mit mobile Content durchgezogen wird. Das Budget ist üppig, also steht das auch in seiner Powerpoint. Frage: Ist die Idee technisch umsetzbar.

Gegenfrage: Ist die Idee sinnvoll?

Antwort: Ne. Aber die glauben fest daran.

Also, technische Machbarkeit vorrausgesetzt, wird bald wieder irgendeine bescheuerte Mobile Marketing Company 160 Zeichen "Ruf mich zurück und gewinn geile Preise wie die versaceähnliche Jeans von Hinzengruber Textil Technologies, Günzlingshausen"-SMS rausschicken, und ich überlege mir, was für Typen das wohl sind, die das wollen. 45-jährige Industriekaufleute, die Angst vor der Zukunft haben und deshalb leicht beeinflussbar sind. Gesellschafter, die bei der Mittelstandstagung mit neuen Begriffen brillieren wollen, ohne die Worte "location based services" aussprechen zu können. Statt dessen "Local Base Service" sagen.

Und ich denke an die Rezipienten, die Empfänger, die Kundschaft. Irgendwelche Kids, die vor drei Jahren mal ein paar Klingeltöne geladen haben und seitdem mit SMS gespamt werden. An die Mädis mit dem überzogenen Konto, die sowieso die Hälfte ihres Bedarfs in den Shopping Malls vor der Stadt zusammenklauen. An die Typen, die wegen der Klingelkiste schon im Alter von 14 Jahren ihre knapp über dem Sozialhilfesatz liegenden Eltern zum Kundenberater ihrer Sparkasse zwingen.

Ich denke an die SMS, die irgendwo im Nirwana landen, und an den grinsenden CIrgendwasO-Typen vom Nummernhändler, der als einziger was davon haben wird, wenn er dann das Geld für seine blonde Freundin im gelben, viel zu engen Puli in Cafes rausschmeisst, die gleich neben dem Prada-Shop liegen und deren Latte geschmacklich geschmacksreduziertem, geschäumtem Sperma mit braunem Spülwasser nahe kommt. Danach fährt er dann mit einem Abmahn-Anwalt zu einem krisengeschüttelten Platz Golfen, und redet über die Werbekampagne der Wirtschaftswoche, die er wegen der "Competition-Orientation" klasse findet, für so mobile, leistungsbereite Kämpfertypen wie sie.

So wäre das, wenn, ja wenn es technisch möglich wäre, was sich mein Bekannter da ausgedacht hat. Ist es aber nicht. Die Blondine im gelben Puli wird also eher weiter Mineralwasser aus der Kiste daheim trinken, der Typ vom Adresshändler muss sich Sorgen um die nächste Leasingrate machen, und ein Stickerfreak und paar Studentinnen auf Rollerblades werden sich nächstes Frühjahr was dazuverdienen. Hoffen wir mal, dass die Funkzellen schön gross bleiben.

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