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Dienstag, 26. Juli 2005
Architektenhaus
Wenn Fenster die Augen einen Hauses sind, dann will ich diesem Neubau in Viertel meiner Eltern nicht begegnen, wenn es dunkel ist:
Keine Frage, Schiessscharten werden wieder modern - falls mal die hungigen Hartz-IV-Horden anrücken sollten, eine gute Entscheidung. Passenderweise verfügen auch Elitessenheime über solche brutalen Schlitze. Harte Zeiten erfordern harte Massnahmen.
Trotzdem, links unten sind ein paar bunte Windräder. Kein Hartz für Kinder.
Keine Frage, Schiessscharten werden wieder modern - falls mal die hungigen Hartz-IV-Horden anrücken sollten, eine gute Entscheidung. Passenderweise verfügen auch Elitessenheime über solche brutalen Schlitze. Harte Zeiten erfordern harte Massnahmen.
Trotzdem, links unten sind ein paar bunte Windräder. Kein Hartz für Kinder.
donalphons, 17:16h
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Ich schlafe nicht in der Dusche
In der Gründungsurkunde des Kollegs, das heute mein Wohnort in der Provinz ist, wurde klar gesagt, was es werden sollte: Ein Palast zu Ehren der - angeblichen - Jungfrau Maria. 397 Jahre später war fast die Hälfte von diesem Palast wieder verschwunden, abgerissen, zugunsten eine Wohnheims zerstört, aber der Rest, der im Besitz meines Clans ist, war aus Sicht des Denkmalschutzes vorzüglich erhalten. Aus Sicht eines normalen Betrachters heisst das, dass immer nur das Nötigste getan wurde - so hat man die Wandfresken nicht runtergeschlagen, sondern bei Nichtgefallen einfach Tapete draufgeklatscht. 397 Jahre nach der Errichtung war es dennoch an der Zeit, dieses Haus, in dem ich die ersten 5 Jahre meines Lebens verbracht hatte, gründlich und behutsam zu renovieren.
Also machte der gesamte Clan eine Begehung und überlegte, was man denn aus diesem Monstrum mit seinen 40 Räumen machen könnte, ob man die Räume verändern könnte und dergleichen mehr. Ganz oben angekommen, sahen meine Eltern die ehemaligen Dienstbotenkammerl, die in den 60er Jahren als geheimer Treffpunkt der provinziellen Schwulenszene zwischengenutzt worden waren und seit den späten 70er Jahren in Erinnerung früherer Abenteuer vor sich hin rotteten. Schräge Wände, krummer Boden, niedrige Decken, das kann man kaum vermieten, sagten sie, das lohne sich nicht. Prima, sagte ich, dann nehme ich das.
Das Leben meiner Eltern ist arm an Niederlagen, aber dieser Sommermorgen vor 8 Jahren markierte ihr komplettes erzieherisches Versagen. Ihr Koloss in der Vorstadt hatte nur deshalb so gigantische Dimensionen angenommen, um später auch mal ein eigenes Kind mit Familie unterbringen zu können. Ausserdem hatten sie uns nie etwas anderes als Verachtung für Altbauten gelehrt; wer es sich leisten kann, baut selbst und hat es nicht nötig, abgelebte Häuser von anderen zu beziehen. Ein "Architektenhaus", das musste es sein, nach den eigenen Wünschen entworfen und gestaltet, kein Reihenhaus oder eine Doppelhaushälfte, die im Viertel meiner Eltern als "Hundehütten" bezeichnet werden. Der Stadtpalast war in ihren Augen noch schlimmer: Ein einziger, bis zur Strahlenkranzmadonna 18 Meter hoher geldschluckender Alptraum, und nachdem sie alles für mich getan hatten, mir eine wunderbare Einliegerwohnung im besten Teil der Stadt geboten hatten - wollte ich hoch in die alten Dienstbotenkammer der "oidn Kalupn", wie meine Frau Mama dieses Paradebeispiel jesuitischer Baukunst der Spätrenaissance bezeichnete.
Unterstützt wurde mein Anliegen von meiner Grossmutter und meiner Grosstante, die noch aus einer Zeit stammten, als der Stadthausbesitz das einzige sozial bedeutsame Kriterium war. Der Blick, die Lage, das Licht, die Atmosphäre, die gealterten Dielen - das alles haben meine Eltern nicht gesehen, für die war es nur ein runtergekommenes Loch. Plötzlich dachten sie, sie könnten es ja doch anderweitig vermieten, sie zierten sich, und erst, als die Handwerker bestätigten, dass alle nötigen Einbauten wie Heizung und Dusche kein Problem sind, gaben sie den Widerstand auf. Ich begann, den Dachboden und die Holzschuppen nach brauchbarem Inventar zu durchsuchen, baute einen 50er-Jahre-Herd zum Küchenschrank um, legte die alten Dachbalken frei, und sah, dass meine Grosstante recht hatte, als sie sagte: In so einem alten Haus wird Dir nie langweilig.
Wie recht sie hat, sah ich dann gestern Nacht, als ich etwas erschöpft von der Arbeit und den Fettucini mit Pfifferlingen auf dem Bett lag: Plötzlich machte es Peng, etwas klirrte zu Boden, und verlor sich scheppernd im Raum. Ohne ersichtlichen Grund, ohne dass ich hingestossen wäre oder auch nur das Licht gebrannt hätte, war eine der Kristallschalen des Kronleuchters zerbrochen.
Der Kronleuchter - der erste meines Lebens übrigens - ist alt, diese Schalen sind nicht mehr zu bekommen, und obwohl ich aus Berlin ein Dutzend Kronleuchter mitgebracht habe, ist das genau der richtige für den Raum. Die richtige Grösse, der richtige Glasbehang, die richtige Kerzenzahl. Und nach 8 Jahren des treuen Dienstes nun so was. Es steigert die Spannung beträchtlich, wenn man nach einer Viertel Stunde Kriechen und Suchen damit beginnen kann, die Scherben wieder zusammen zu kleben und dabei feststellt, dass noch zwei Trümmer irgendwo liegen müssen - wie auf einem Minenfeld tappst man sich auf dem Teppich voran, immer mit der Angst, dass sich gleich scharfes Kristall in das Knie bohrt.
Während neue Häuser im Laufe von 60 Jahren einfach so kaputt gehen, weil das Holz im Dachstuhl nichts taugt und das Plastik in der Küche ausreisst, weil das Parkett nichts aushält und sich die Mauern senken, haben die Häuser vor 1900 ganz andere Probleme. Wenn die Donau steigt, fürchten meine Eltern Wasser im Keller und Schimmel. Hier bei mir werden die Wände feucht, der Putz wird weich und wenn er abfällt, kommt dahinter die Seccomalerei des Kernbaus aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein, die schon die Gesellschaft Jesu einfach überpinselt hat, Pfuscher, elende. Nach 20 Jahren sind auch die teuersten Stahlfedern kaputter, als es die Sackleinengurte von Biedermeiermöbeln je sein werden - und falls die in der Spannung doch mal nachlassen, kann man sie wieder festnageln. Bei meiner Mutter bricht eine Küchenschublade heraus, bei mir bricht ein Stück des Kronleuchters ab. Beide Häuser haben Risse - bei ihnen sind sie ein Zeichen des Verfalls, bei mir ein Zeichen des Alters. Bei ihnen bröselt der Putz, bei mir die Stuckdecke. Ich muss mir keine Sorgen deshalb machen, die Mauern sind hier oben noch 40 Zentimeter dick, aus massiven Ziegeln und Jurabruchsteinen, bei meinen Eltern sind es gerade mal 25 Zentimeter, da ist das Gebrösel so etwas wie ein Menetekelupharsin.
Mit einem alten Haus hat man die schöneren Probleme und die besseren Geschichten. Ein altes Haus ist bei weitem nicht so berechenbar wie ein neues Gebäude, es ist zickig, es hat seine Allüren und grossen Dramen, es ist eine grand Dame im Vergleich zu einer billigen, kaugummikauenden Vorstadtschlampe, und es sorgt schon dafür, dass es einem nie langweilig wird. Weil man das aber früher wusste, sind alte Häuser so angelegt, dass man das meiste selbst machen kann. Und so klebe ich gerade die Kristallschale meines Kronleuchters, während Frau Mama durch die Möbelgeschäfte irrt und verzweifelt nach einem kleinen, fatalen Ersatzteil aus Plastik für eine Küche sucht, das es nicht gibt.
Es geschehen Dinge in diesem Haus, die man sich nicht erklären kann. Aber es ist nicht böse, es will manchmal nur spielen, und es gibt hier keinen Grund, in der Dusche zu schlafen.
Also machte der gesamte Clan eine Begehung und überlegte, was man denn aus diesem Monstrum mit seinen 40 Räumen machen könnte, ob man die Räume verändern könnte und dergleichen mehr. Ganz oben angekommen, sahen meine Eltern die ehemaligen Dienstbotenkammerl, die in den 60er Jahren als geheimer Treffpunkt der provinziellen Schwulenszene zwischengenutzt worden waren und seit den späten 70er Jahren in Erinnerung früherer Abenteuer vor sich hin rotteten. Schräge Wände, krummer Boden, niedrige Decken, das kann man kaum vermieten, sagten sie, das lohne sich nicht. Prima, sagte ich, dann nehme ich das.
Das Leben meiner Eltern ist arm an Niederlagen, aber dieser Sommermorgen vor 8 Jahren markierte ihr komplettes erzieherisches Versagen. Ihr Koloss in der Vorstadt hatte nur deshalb so gigantische Dimensionen angenommen, um später auch mal ein eigenes Kind mit Familie unterbringen zu können. Ausserdem hatten sie uns nie etwas anderes als Verachtung für Altbauten gelehrt; wer es sich leisten kann, baut selbst und hat es nicht nötig, abgelebte Häuser von anderen zu beziehen. Ein "Architektenhaus", das musste es sein, nach den eigenen Wünschen entworfen und gestaltet, kein Reihenhaus oder eine Doppelhaushälfte, die im Viertel meiner Eltern als "Hundehütten" bezeichnet werden. Der Stadtpalast war in ihren Augen noch schlimmer: Ein einziger, bis zur Strahlenkranzmadonna 18 Meter hoher geldschluckender Alptraum, und nachdem sie alles für mich getan hatten, mir eine wunderbare Einliegerwohnung im besten Teil der Stadt geboten hatten - wollte ich hoch in die alten Dienstbotenkammer der "oidn Kalupn", wie meine Frau Mama dieses Paradebeispiel jesuitischer Baukunst der Spätrenaissance bezeichnete.
Unterstützt wurde mein Anliegen von meiner Grossmutter und meiner Grosstante, die noch aus einer Zeit stammten, als der Stadthausbesitz das einzige sozial bedeutsame Kriterium war. Der Blick, die Lage, das Licht, die Atmosphäre, die gealterten Dielen - das alles haben meine Eltern nicht gesehen, für die war es nur ein runtergekommenes Loch. Plötzlich dachten sie, sie könnten es ja doch anderweitig vermieten, sie zierten sich, und erst, als die Handwerker bestätigten, dass alle nötigen Einbauten wie Heizung und Dusche kein Problem sind, gaben sie den Widerstand auf. Ich begann, den Dachboden und die Holzschuppen nach brauchbarem Inventar zu durchsuchen, baute einen 50er-Jahre-Herd zum Küchenschrank um, legte die alten Dachbalken frei, und sah, dass meine Grosstante recht hatte, als sie sagte: In so einem alten Haus wird Dir nie langweilig.
Wie recht sie hat, sah ich dann gestern Nacht, als ich etwas erschöpft von der Arbeit und den Fettucini mit Pfifferlingen auf dem Bett lag: Plötzlich machte es Peng, etwas klirrte zu Boden, und verlor sich scheppernd im Raum. Ohne ersichtlichen Grund, ohne dass ich hingestossen wäre oder auch nur das Licht gebrannt hätte, war eine der Kristallschalen des Kronleuchters zerbrochen.
Der Kronleuchter - der erste meines Lebens übrigens - ist alt, diese Schalen sind nicht mehr zu bekommen, und obwohl ich aus Berlin ein Dutzend Kronleuchter mitgebracht habe, ist das genau der richtige für den Raum. Die richtige Grösse, der richtige Glasbehang, die richtige Kerzenzahl. Und nach 8 Jahren des treuen Dienstes nun so was. Es steigert die Spannung beträchtlich, wenn man nach einer Viertel Stunde Kriechen und Suchen damit beginnen kann, die Scherben wieder zusammen zu kleben und dabei feststellt, dass noch zwei Trümmer irgendwo liegen müssen - wie auf einem Minenfeld tappst man sich auf dem Teppich voran, immer mit der Angst, dass sich gleich scharfes Kristall in das Knie bohrt.
Während neue Häuser im Laufe von 60 Jahren einfach so kaputt gehen, weil das Holz im Dachstuhl nichts taugt und das Plastik in der Küche ausreisst, weil das Parkett nichts aushält und sich die Mauern senken, haben die Häuser vor 1900 ganz andere Probleme. Wenn die Donau steigt, fürchten meine Eltern Wasser im Keller und Schimmel. Hier bei mir werden die Wände feucht, der Putz wird weich und wenn er abfällt, kommt dahinter die Seccomalerei des Kernbaus aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein, die schon die Gesellschaft Jesu einfach überpinselt hat, Pfuscher, elende. Nach 20 Jahren sind auch die teuersten Stahlfedern kaputter, als es die Sackleinengurte von Biedermeiermöbeln je sein werden - und falls die in der Spannung doch mal nachlassen, kann man sie wieder festnageln. Bei meiner Mutter bricht eine Küchenschublade heraus, bei mir bricht ein Stück des Kronleuchters ab. Beide Häuser haben Risse - bei ihnen sind sie ein Zeichen des Verfalls, bei mir ein Zeichen des Alters. Bei ihnen bröselt der Putz, bei mir die Stuckdecke. Ich muss mir keine Sorgen deshalb machen, die Mauern sind hier oben noch 40 Zentimeter dick, aus massiven Ziegeln und Jurabruchsteinen, bei meinen Eltern sind es gerade mal 25 Zentimeter, da ist das Gebrösel so etwas wie ein Menetekelupharsin.
Mit einem alten Haus hat man die schöneren Probleme und die besseren Geschichten. Ein altes Haus ist bei weitem nicht so berechenbar wie ein neues Gebäude, es ist zickig, es hat seine Allüren und grossen Dramen, es ist eine grand Dame im Vergleich zu einer billigen, kaugummikauenden Vorstadtschlampe, und es sorgt schon dafür, dass es einem nie langweilig wird. Weil man das aber früher wusste, sind alte Häuser so angelegt, dass man das meiste selbst machen kann. Und so klebe ich gerade die Kristallschale meines Kronleuchters, während Frau Mama durch die Möbelgeschäfte irrt und verzweifelt nach einem kleinen, fatalen Ersatzteil aus Plastik für eine Küche sucht, das es nicht gibt.
Es geschehen Dinge in diesem Haus, die man sich nicht erklären kann. Aber es ist nicht böse, es will manchmal nur spielen, und es gibt hier keinen Grund, in der Dusche zu schlafen.
donalphons, 16:17h
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