: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 19. Juni 2012

Mystik

Mystisch ist ein Bergwald im Herbst oder im Winter. Nachdem ich meine Touren oft am Abend mache, kann ich die ganzen Geschichten von den Berggeistern verstehen, und finde auch das Bauen von Steinmändlein wichtig, so seltsam es klingen mag. Der Berg ist eine ganz eigene Erfahrung, immer ein wenig existenziell, man fragt sich, was wäre wenn man jetzt stürzte, und was soll sein: Dem Berg ist es egal, irgendwann findet man schon die Knochen. Überall am Berg, sogar an wirklich läppischen Aufstiegen, sind Kreuze. Der Berg ist da und voller Geschichten, er hat so viel gesehen und wird immer stoisch bleiben. Mal schenkt er einen Zauberwald, besonders im Winter, und dann wieder ein Gewitter, das da oben ganz anders als im Flachland ist. Der Berg ist gross, der Menschist vor ihm nichts. Mystik, das ist in den Bergen. Aber ich radle gerade nur in den Hügeln.







Warum das jetzt so oft kommt? Früher bin ich auch geradelt, aber damals wären Digitalkamers noch zu teuer gewesen, um sie mitzunehmen. Dann war ich in Berlin. Das waren anderthalb Jahre ohne Rennrad, denn Berlin ist nicht die Stadt dafür. Danach ging es wieder los, aber lange dachte ich mir, der Weg da hinaus, das ist doch nichts Besonderes, entsprechend selten fand es im Blog statt. Dass es sich in den letzten Jahren geändert hat, liegt neben dem Zwang, auf die Figur zu achten, an drei Dingen. Zuerst arbeite ich mehr mit dem Kopf und brauche Ausgleich beim Schrauben, also mache ich mehr mit Rädern, und es ist im Moment ja auch ein billiger Spass, sie zu kaufen, zu warten und ab und zu eines weiterzugeben. Und dann kommen mir beim Radeln die besten Ideen.







Und obendrein möchte ich mich auch noch absetzen. Man sagt ja: Kaum wird ein Blogger von einer Zeitung übernommen, stirbt ein Blog. Das stimmt schon, aber bei mir ist das anders. Wäre ich in einem Frankfurter Büro, ja dann, dann sähe es schlecht aus. Bin ich aber nicht, zwischen Bett und Schreibcouchtisch liegen nur ein paar Zimmer. Ich kann meine Zeit einteilen. Ich kann raus. Und viele können das offensichtlich nicht. Diese ganzen Berliner Hipster, die sich dauernd irgendwo einloggen: Sie zeigen keine Bilder davon. Sie kommen auch nicht weg. Es gibt keine Natur und keine Stadt, manche beschaffen sich ihre Bilder einfach aus dem Netz, mehr haben sie nicht, machen sie nicht, können sie nicht. Und vermutlich, wenn ich wie Seemann, Seeliger oder Heller lebenwürde: Dann würde ich das auch nicht tun. Das Leben in der Stadt ist zu eng, es fehlt die Weite und die verschwenderische Grosszügigkeit. Und weil ich darin lebe und denke, man kann nicht immer nur schlechte Bilder oder Zeugs aus irgendwelchen CC-Quellen zeigen, bringe ich inzwischen das, was andere kaum mehr sehen.







Das gibt es auch noch. Das sollte man eigentlich jeden Tag erleben, denn es erdet. Nicht so drastisch wie der Berg, aber man sieht das Werden und Wachsen, man entdeckt das Grosse im Kleinen, und wenn man weit genug fährt, oder genug Steigungen einbaut, dann weiss man auch, was das bedeutet, Leistung, Kraft, Erschöpfung.. Es kann auf dem Rad alles sein, gemütliches Rollen oder Verweilen, Dahinsirren im Sonnenlicht, aber nie ist man zu schnell, es ist immer genug Zeit da, um zu halten und zu schauen. Natürlich mag mancher im Getreide und in der Kuh nur die Dönersemmel und einen Vortäuschung der Füllung sehen, aber der Glanz auf dem Getreide kann auch bereichern, weil er da ist.







In meiner Münchner Zeit bin ich bei schönem Wetter immer mit dem Rad heimgefahren, und dachte mir manchmal auf der Holledau: Das ist ein gesegnetes Land. Hier komme ich manchmal in eine Kirche, in der geheiratet wird, und sie geben sich alle Mühe, es schön zu machen: Das finde ich dann gar nicht so schlimm. Tatsächlich endet meine Route bei einer Kirche, da würde ich sagen; Wenn ich etwas für diesen Aberglauben und diese Fehleinschätzung übrig hätte, dann genau hier oder dort, wo es losgeht. Ich fahre von einem Rokokojuwel zum anderen. Und gerade jetzt, wo jeden Abend früh der Verkehr erstirbt, und ich allein bin mit dem Wind, den Wiesen, dem leisen Sirren der Speichen und meinen Gedanken, da sage ich mir: Natürlich könnte ich auch andere Bilder mitbringen. Aber es kann nicht schaden, genau das zu sehen. Ein wenig Romantik kann in einer Welt wie dieser, wo Grün in Arenen zu sehen ist, und die Hitze wegklimatisiert wird, nicht schwer schaden. Das ist keine Mystik. Es ist, wie es eben ist. So sieht das bei mir aus.

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