: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 11. Dezember 2006

Es wird sich einiges ändern

Stammleser wissen, dass ich Journalist bin. Ausschliesslich Print, kein Online. Meine Auftraggeber sind, was das Internet angeht, sehr konservativ, und ich kann es ihnen nicht verdenken. So schlimm es auch mit Print bergab geht: Dort ist immer noch das Geld.

Ich habe verstärkt in den letzten Wochen eine Reihe von Angeboten bekommen, etwas im Internetbereich zu tun. Beratung, Firmengründung, Interimsmanagement, PR und Medien. Ich habe das alles abgesagt, bis auf zwei Angebote aus dem Bereich mehr oder weniger klassischer Journalismus. Wie das wird, weiss ich selbst nicht, vielleicht lase ich es auch bleiben, wenn es mir nicht gefällt, ich habe die Wahl. Es dürfte aber klar sein, dass sich für mich mehr ändern wird, als lediglich mein Ausstieg aus der Haifischbranche. Es ist dann sicher nicht mehr so leicht wie früher, den Printjournalisten und den Onlineblogger auseinanderzuhalten.

Wie auch immer: Dieses Blog hier ist und bleibt mein virtuelles Wohnzimmer, meine Privatsphäre, und hier gibt es nichts ausser meine Wenigkeit und das Zeug, das es schon immer gab. Es wird nicht weniger werden, es bleibt alles beim Alten. Ich sage es aber hier und jetzt, weil ich glaube, dass Ihr, die Ihr es Euch in meinem Wohnzimmer bequem gemacht habt, ein Recht habt, das frühzeitig zu wissen. Ich werde nicht meine Seele verkaufen oder meine Person und schon gar nicht die Leser, sondern Texte, gradraus, ungeschönt, drastisch und so, wie ich bin. Das ist ein faires Geschäft. Anderes überlasse ich anderen. Dumme, arme Schweine müssen ja auch von was leben.

Also, glaub ich zumindest.

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Sehr zu empfehlen - Duevel Planets

Wenn man täglich an einem High End Geschäft vorbeikommt, gewöhnt man sich an exorbitante Preise wie 700 Euro für eine Steckerleiste, 6000 Euro für einen CD-Player und 3800 für einen Plattenspieler. Und man gewöhnt sich an die seltensten, exklusivsten Tonmöbel, die dort im Schaufenster stehen. Ich bin also nicht mehr besonders zu beeindrucken. Gerissen hat es mich allerdings, als dort zum ersten Mal ein Paar Duevel Planets ausgestellt waren, die genauso in die Kunstgalerie nebenan gepasst hätten: Hohe, breite Säulen, bei denen die Lautsprecher nach oben geöffnet sind, und der Schall über zwei glänzende Silberkugeln im Raum verteilt wird. Es sind sogenannte omnidirektionale Lautsprecher, die den Ton gleichmässig im Raum verteilen.



Nun ist bei Boxen der Ton alles, der Preis viel und das Aussehen nichts. Allerdings stand da ein sensationelles Preisschild dran, 500 Euro das Paar. Also rein in den Laden und anhören, denn Boxen brauchte ich sowieso. Was soll ich sagen: Grandios.

Das Irre an diesen Tonmöbeln ist nicht nur der Klang, der selbstverständlich überzeugt. Fein aufgelöste Höhen, satte Bässe, allein das geräusch, wenn eine Viola da Gamba allein gestrichen wird, oder ein Dudelsackbläser ansetzt - alles kommt wunderbar natürlich und akzentuiert beim Hörer an. Solange auf der CD kein Klangbrei drauf ist, kommt da kein Klangbrei raus. Selbst normalerweise schwierige, komplexe Passagen wie etwa die Quarenta Horas, spanische Musik des frühen 18. Jahrhunderts für Chir, Solisten, Orchester, Flamenco und Kastagnetten werden mühelos wiedergegeben, keine Schwächen beim Verlauf oder der Akzentuierung. Mit einem wirklich guten Verstärker ist die Komplexität manchmal so hoch, dass man nichts nebenbei tun kann. Auch ein Klangorkan wie "One" von Lamb oder "Push the Tempo" von Fat Boy Slim bringt die Boxen nicht ans Limit.

Den eigentlichen Höhepunkt erlebt man, wenn man die Boxen an die Wand stellt, aufdreht und im raum herumgeht. Bei normalen High End Boxen ist es wichtig, genau im Schnittpunkt zwischen den auf den Hörer ausgerichteten Boxen zu sitzen, sonst verändert sich das Frequenzspektrum, und der Raumeindruck leidet. Um das zu verstehen, muss man einfach mal hinter eine Box gehen: Sofort klingt es schlecht. Die Duevels reflektieren den Schall an die Kugel und dann auch an die Wände; der Ton kommt also von einer Quelle, die vom Prinzip her einem Instrument entspricht. Das Klangerlebnis ist entsprechend: Keine Probleme mehr mit abfallenden Bässen, wenn man sich im Raum herumbewegt, alle, die da sitzen und lauschen, haben eine ähnlich gute Klangqualität. Durch den Hall entsteht eine grandiose Räumlichkeit, der Schall geht nicht nur durch den Raum, er steht im Raum, man muss das gehört haben, um es zu verstehen, aber es ist irre. Schlichtweg irre. Meine Nachbarn können ein Lied davon singen. Und das unterschiedslos bei kleinen Ensemblen oder grossen Orchestern. Besonders delikat: Frauenstimmen, die in grossen Räumen aufgenommen wurden. Die ablimitierte Scheisse der aktuellen Chart-Popmusik zeigen sie leider gnadenlos auf, aber alles andere, Jazz, Klassik, was immer lebt und atmet, erfährt durch die Duevel Planets eine - für diesen Preis - ideale Wiedergabe, besonders in Räumen mit einer kahlen Wand, an der man sie aufstellen kann.

Dass sie in der Form den Ständern entsprechen, die man in früheren Jahrhunderten an der Wand postierte, dass sie den extravaganten Hauptraum mit ihrer Form perfekt ergänzen und die Schauseite auch furniert werden kann, ist obendrein ganz wunderbar. Deutsche Qualitätsarbeit eines Kleinstherstellers sowieso. Gibt es nicht bei "Geiz ist für Idioten"-Händlern, sondern nur bei ausgewählten Spezialisten.

Disclaimer: Ich habe lang überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben soll, ist er doch eine Empfehlung für ein Produkt, das - im Gegensatz zu den hier sonst empfohlenen Gegenständen - aktuell und frei käuflich ist, und zudem mit 500 Euro nicht ganz billig. Nachdem aber Weihnachten naht und ich weiss, dass mancher auf der Suche nach guten Tonmöbeln ist, habe ich mich dazu durchgerungen. nein, ich werde nicht dafür bezahlt oder sonstwie bevorteilt, ich kenne zwar den lokalen Händler, aber für den sind das Kleinigkeiten, normalerweise sind da Boxen unter 1000 Euro nicht erhältlich. Und ich habe den vollen Preis bezahlt.

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Und Tschüss, Ihr Spaten!

Das geht runter wie Honig. Endlich kriegen mal die eine Abreibung beim BR, die es verdienen. Mit ihren Schundfunk Papsttourbegleitern. Und den zu Berufsjugendlichen mutierten w&v-New-Economy-Dropouts, die sich ihre Schleiminterviews bei zu PR-Bloggern rückentwickelten anderen w&v-New-Economy-Dropouts abholen. Alles Buckeln hat nichts genutzt. Da fährt zusammen in die Verbreitungshölle, was zusammen in die Verbreitungshölle gehört.

Bayern4 Klassik rulez. Sucht Euch endlich eine anständige Arbeit wie CSU-Hinterbänkler-PR, statt irgendwas an Blogs zu frickeln. Das könnt ihr eh nicht besser als Edelman.

Oder so.

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Montag, 11. Dezember 2006

Endlich

Du bist ein Grund für einen Agnostiker wie mich, auf die Existenz der Hölle zu hoffen.

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Sehr zu empfehlen - Heidenspass am x. Advent

Bei den Heiden, erzählt man den Kindern in diesen Breitengraden, gibt es keine solchen schönen nadelnden Kränze, mit deren Abfallgrün man so schön zündeln kann - LASS DAS DU DUMMES BALG! Also, bei den armen Heidenkindern gibt es keinen Kranz mit so dicken roten Kerzen, zu denen kommt das Christkind ebensowenig wie zu Dir, wenn Du schnüffelst, die singen keine Lieder an diesen Sonntagen, und warten nicht geduldig, indem sie Woche für Woche eine einzige Kerze anzünden und sind eben arme Heiden, bei denen ist das ganz, ganz anders.



Genau.

Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich endlich Appliken gefunden habe, bei denen es zusammen mit dem Prunkspiegel der enthaltsam gläubigen Bekanntschaft meiner Eltern beim Auffallen des Hostienaufnahmeorgans die Kiefergelenke knarzen liess.

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Sonntag, 10. Dezember 2006

Die langen Fäden der hässlichen Heimat

zerren nicht nur an dem Mann, den sie Straubings Boazn Burny den Brauereigaul nannten und beim Kinderchor der Pfarrgemeinde St. Prokulus Steissbein den St. Burnster, den es im Januar, zur schlimmsten denkabren Zeit also von Barcelona - schön, warm, fast südwestbayerisch - zurück nach Berlin treibt: Wo dieser stolze Sohn der bayerischen Erde unter Brücken oder schlimmer, bei aufgerissenen schwäbischen Studentinnen schlafen muss, wenn er keinen Platz für sich, 50 Kästen Kneitinger und seine E-Quetscharre findet. Ihr habt was zu bieten oder kennt wen, der endlich dem Elend den Rücken kehrt, die 145.975ste leere Wohnung im Prenzelberg hinterlassend? Meldet Euch beim Meister Burnster.

Wenn also in der Hölle noch Platz ist, wird es in Bayern dagegen eng. Wie es nun mal so ist mit den Immobilien in der Boomregion: Ein Anruf bei einem Inserenten, und pardauz, sofort haben sie die Wohnung genommen. Mieter, wie man sie haben will: Doppelverdiener, sie Lehrerin, er Ingenieur, sprich bombensichere Berufe. Beide aus der Stadt, beide haben woanders studiert, aber jetzt sind sie schon länger wieder da und wollen

nie wieder weg

Doch, schön war das Studieren in Schwabing, lustig war es mit Erasmus im Ausland, aber jetzt ist erst mal genung, sie wollen endlich zusammenziehen, sich einrichten und bleiben. Das Irre an der Sache ist: Sie sehen auch so aus. Sie werden ganz sicher bleiben, etwa 7 Jahre, bis sie das Geld beisammen haben, sich ein Haus zu kaufen, und dann wird sie Kinder kriegen und er ist so weit aufgestiegen, dass nichts mehr passieren kann. Sagen sie auch. Genau so. Als ob es die natürlichste Sache der welt wäre, geboren zu werden und irgendwann wieder der fette Humus des Landes zu werden, und dazwischen halt das Übliche, aber bitteschön immer an der gleichen Stelle. Ich stand gestern mit der ganzen Tradition des Clans vor ihnen und hatte keine Ahnung, wo ich in einem Jahr sein werde - ausser ganz sicher an keinem Ort, mit dem ich jetzt rechnen würde.

Und nicht in einer Lage, die für sie das Ideal ist.

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Freitag, 8. Dezember 2006

Alchemist Products Kraken APD6A late MkI

Love it or hate it.



Jetzt gehört er mir. Genau das richtige, bösartige Ding für den Stadtpalast eines bösartigen Ordens.

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Tempo Neu

Manche Legenden sind tot am besten. Wäre von den Autoren viel verlangt, aber ok.

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Todeswette!

Es geht um nichts, aber trotzdem: Wo stehen die Aktien von OpenBC heute am 2. Handelstag um Mitternacht? Wer am nächsten dranliegt, hat gewonnen! Insidertipps bei Ben Schwan. Ich lege vor angesichts der Mickrigkeit ihres Businessmodells ziemlich bullish vor, setze auf die Dummheit der Börse und sage:

29.12 Euro!

Wer steigt mit ein?

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Yiddisch2.0

Redefining the meaning of Meshugoj: Eine Deutsche Webklitsche, die für das Branding käuflicher Schweine des Internets jüdische Begriffe missbraucht und sich beim philosemitischen Geschleime auch noch cool vorkommt. Some of my best enemies are Arian. Über die Gratulanten für sowas sage ich erst mal gar nichts. Oder doch. Ich werde was sagen. Das wird alles hier in diesem Blog notiert. Und irgendwann sage ich es.

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Donnerstag, 7. Dezember 2006

Hausbibliothek der Aufklärung II

Die Aufklärung des europäischen, durch christlichen Fanatismus verdorbenen Kontinents kommt durch die Hintertür. Die Aufklärung braucht mehr als nur Ideen und Begriffe, die eigentlich bereits seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bekannt und bei den Herrschenden verbreitet sind: Sie braucht auch ein grosses Publikum. Pietro Aretino war ein Freigeist, Gilles de Rais war gottlos, und Lucretia Borgia kümmerte sich mit ihren Freunden nicht um die Regeln der Kirche; Kardinal Bembo lachte über den Aberglauben und Castiglione vertrat Ideale der Vernunft. Doch allen war ihnes eines gemein: Dir Trennung vom Pöbel, von der Mehrheit; sie selbst waren die winzige Führungsschicht, und ihre Ideologie galt bestenfalls ihresgleichen. Die anderen, wie wir gesehen haben, sollten besser mal dumm bleiben, und brav zahlen, damit sich die Spitzen weiterhin ihre Notdurft in luxuriöser Seide verrichten konnten. Was letztlich ihr Untergang wurde.

Denn, und damit kommen wir zur Aufklärung, Seide ist komplex in der Herstellung und entsprechend teuer. Zwar war es bereits im Mittelalter gelungen, Seide auch in Südeuropa herzustellen, der Hauptabnehmer aber waren die Länder des Nordens, und besonders das prunkliebende Frankreich mit seinen streitlustigen Fürstenhöfen. Alle staatlichen und kirchlichen Verdammungen gegen das teure Material halfen nichts: Wer es sich leisten konnte, griff für Kleidung zur Seide. Wams, Mieder, Mantel und Barette waren damals die Repräsentationsmittel schlechthin, und nur wohlhabende Menschen hatten mehr als ein Kleid. In Frankreich führte der Import der Seide zu einem enormen Aussenhandelsdefizit.

Und das war ein Problem in den Augen eines gewissen Herrn Colbert. Genauer Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay. Den Titel bekam Colbert erst später; seine Karriere begann der Sohn eines Händlers aus Reims während der französischen Volksaufstände zwischen 1648 und 1659. Er war ein Gefolgsmann und Günstling des verhassten Kardinal Mazarin, dem Erzieher des unmündigen Königs Ludwig des XIV., geschickt im Verhandeln und erfahren in den Ränkespielen zwischen dem Hof und den aufsässigen Adligen. Als Mazarin 1661 starb, begann Colberts kometenhafter Aufstieg. Unter Ludwig XIV erhielt er volle Kontrolle über alle wirtschaftlichen Belange der Reiches.

Colbert entwickelte eine effektive Besteuerung, ging gegen sinnlose Zölle und Beschränkungen vor, und versuchte, das Aussenhandelsdefizit zu begrenzen. Unter der auf Edelmetall basierten Wirtschaft erkannte man, dass mit dem Import von Waren der Reichtum in Edelmetallen verloren ging. Also musste man teure Importe stoppen, sei es nun mit Strafzöllen - oder mit der Einführung der Produktion im eigenen Land. Das Luxusgut Seide stand ganz oben auf der Tagesordnung von Colbert. Und deshalb gab er ein Buch in Auftrag, das schon 1665, kurz nach seinem Amtsantritt erschien:



Christophle Isnard ist der Autor dieses Werks, das hier mit Wasserschaden zerfleddert vor uns liegt. Der Titel ist nicht zu entziffern, er ist, wie im Barock üblich, etwas ausführlicher: "Memoires et Instructions pour le Plant des Meuriers blancs, nourriture desVers a Soye: Et l'Art de filer, mouliner & aprester les Soyes dans Paris &lieux circonvoisins, sur l'Establissement qui s'y fait des Manufactures de Soyes, à l'exemple de celuy que le Roy Henry IV avoit estably dans la plusgrande partie de la France". Ich weiss nicht, ob es das einzige Exemplar in Deutschland ist, jedenfalls ist es sehr selten. Es hatte damals einen recht bekannten Besitzer und ist im Originaleinband des 17. Jahrhunderts. Es ist ein Buch, das ich selbst eher selten aufschlage; es tut ihm nicht gut, und es gibt nicht mehr viele davon. Ja, es ist teuer. Nein, ich habe nicht viel dafür gezahlt, obwohl es mir fast das Leben gekostet hätte. Mein Herz blieb beinahe stehen, als ich es öffnete, und raste, bis ich den Preis erfuhr. Denn dieses Buch ist eine Höllenmaschine der Kulturgeschichte, seine Publikation veränderte das Wirtschaftssystem Europas, die Gesellschaft Frankreichs, das Bewusstsein der Frauen und ist ein früher Sargnagel für die Kirche.



Davon wussten natürlich weder Colbert noch Isnard, als zweiterer es dem ersterem widmete - sie hätten es wohl eher verbrannt, als es anderen zu empfehlen. Vorergründig geht es "nur" um den Merkantilismus, um die bestimmende Form der Wirtschaft vor dem eigentlichen Kapitalismus. Die Grundidee ist einfach: Frankreich braucht Geld, also züchtet man Maulbeerbäume, setzt Seidenraupen daran, wartet, bis sie sich verpuppen, kocht sie und gewinnt damit den feinen Faden, aus dem Seide gewebt wird. Die verkauft man dann gewinnbringend an andere Länder, bekommt Gold, und hat damit die Mittel für den König, um Dinge wie den Spanischen Erbfolgekrieg zu finanzieren, oder Schlösser wie Versailles, oder Grafschaften für Herrn Colbert.



Angesichts der Folgen kommt das Buch, das die Grundlage für den Aufstieg Frankreichs zur führenden Modenation der Welt ist, niedlich und beschaulich daher. Der Drucker etwa gibt dem Leser treffliche Hinweise - wer meinen Roman kennt, weiss jetzt, woher ich die Idee mit dem Vorwort des Druckers habe. Sodann hebt Isnard an zu einem längeren Aufsatz, einer wirtschaftspolitischen Vision von blühenden Landschaften in Frankreich, deren Sprengkraft er sich nicht vorstellen konnte. Denn nicht nur - wie bei diesem Exemplar - Reiche bekamen dieses Buch, es gelangte in billigen Nachdrucken in die Hände von Unternehmern, die sich staatlich gefördert daran machten, die Empfehlungen zum Kultivieren der Maulbeerbäume und Seidenraupen umzusetzen.



Erkennbar gelesen wurde mein Exemplar nur im repräsentativen vorderen Teil, der sich an die Staatsmänner wandte. Die Besitzer der Nachdrucke aber, die sich an Isnards treffliche Ratschläge zur Zucht hielten, erschufen die französische Seidenindustrie, die wenige Jahrzehnte später den Weltmarkt dominieren sollte. Aus diesen Seiten entsprang mit den Seidenraupen der Phoenix, den Isnard in seinem abschliessenden Gedicht pries, aber mehr noch, auch eine vermögende Schicht von Bürgern, die zunehmend den räuberischen Adel der Bürgerkriege verdrängte und die feinsten Tücher für dessen verschwenderisches Dasein im goldenen Käfig Versailles lieferte.

Seide war plötzlich nicht mehr verdammenswerter Luxus, sondern ein Mittel zur Stabilisierung des Staatshaushaltes. All die Lust an rüschigen Kleidern und prächtigen Stoffen diente von nun der heimischen Wirtschaft, die französische Mode, der andere Höfe nacheiferten, zog Exporte und Gewinne nach sind. Plötzlich konnte es gar nicht mehr frivol, bunt, verspielt und aufwändig genug sein, die Kleidung verspottete Jahrhunderte von christlicher Entsagung, das Laster und die Verschwendung wurden zum Wohle der Wirtschaft zur Tugend, und alle Monate änderte sich die Mode, alles zugunsten des Heimatmarktes. Isnard bekam damit die Seidenzucht, Colbert schaffte es, sein Aussenhandelsdefizit zu begrenzen, aber statt nach Italien zu gehen, finanzierte der Boom eine neue Gruppe von Staatsbürgern, die der eigentliche Träger der Aufklärung werden sollte: Das Bürgertum, das sich mit wachsendem Reichtum nicht mehr vo Kirche und Staat gängeln lassen wollte, und das dereinst das Blutgerüst für die nachfahren Ludwig XIV. austellen sollte. Dazu dann mehr im nächsten Teil.

(Falls ich heute Nacht nicht von habgierigen Volkswirtschaftlern ausgeraubt und erschlagen werde)

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Mittwoch, 6. Dezember 2006

Rotfront!

Angesichts der Entwicklungen in den letzten Wochen und der Geschehnisse im StudiVZ ist eine Zusammenarbeit zwischen fzs und StudiVZ jedoch nicht mehr möglich. In einem Gespräch Ende dieser Woche wird den Betreibern von StudiVZ dargelegt werden, wie der fzs die Vorwürfe gegen StudiVZ bewertet und das wir von einer Zusammenarbeit unter den gegebenen Umständen absehen werden.

Das ist schön deutlich, auch wenn ein ß beim letzten "das" fehlt. Ich muss mich nun doch nicht dafür schämen, Streikrat und Fachschaftssprecher gewesen zu sein.

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Isarblick vs. Seeblick

Möglicherweise werde ich demnächst eine gewisse Entscheidung treffen müssen; grob gesagt zwischen diesem Blick auf die Isar



und diesem dramatischen Blick in den Sonnenuntergang über der Ebene, hinter deren Wäldern der tiefblaugrüne See liegt.



München ist, zumindest bei kurzen Besuchen, immer wieder umwerfend schön, es ist gross, es gibt gute Buchhandlungen und wenig Nebel. Gleichzeitig ist es bestürzend teuer und hat eine miserable jüngere Vergangenheit, gegen die die miserable ältere Vergangenheit der Provinz, an die mein Haus erinnert, angenehm weit entfernt ist. Möglicherweise geht beides, vielleicht wird es nur ein ungenügender Kompromiss.

Vielleicht sollte ich einfach ganz wegziehen, so wie der erste Internetmensch, den ich kennengelernt habe, 1995 in Italien. Ein Berater, der das meiste von einem Turm aus hoch über der Küste gegenüber von Elba gemacht hat. Ich fand das super, da sass er in seinem Olivenhain im Winter, es war warm, vor ihm stand ein Tisch mit Notebook, und so arbeitete er. Als ich dann selbst in dieses Geschäft eintrat, dachte ich, irgendwann müsste doch auch sowas mit Turm und Blick auf die alten Etruskerstädte möglich sein. Es hatte damit so viel zu tun wie reale Archäologie mit Indiana Jones, aber hey, die Idee war zumindest super.

Irgendwann.

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Das Ekzem

Bei Kaut Bullinger nehme ich neues Briefpapier meiner üblichen Marke G. Lalo, das heute in der kleinen Stadt nicht mehr zu bekommen ist, dazu noch 25 Umschläge, und reihe mich in die Schlange der Wartenden ein, die Waterman-Füller, Montblanc-Geldbörsen und in einem Fall einen Geschenkgutschein erwerben. Dieser junge Herr ist mir vorhin schon aufgefallen, er schaute nervös und fahrig das angebotene Briefpapier durch, hielt auch G. Lalo in Händen, legte es wieder hin, begutachtete die Erzeugnisse von Rössler, kam zu keinen Entschluss. Dabei ist es so einfach, man kann hier nichts falsch machen, aber dieser Young Urban Professional hatte nicht das, was Felix Krull seinerzeit hatte: Ein mit viel Zeit vor Schaufensterauslagen geschultes Empfindes für den richtigen Kauf. Tradition ist etwas, das man niemanden in einem schnellen Schmalspurstudium beibringen kann. So wird das nichts mit dem charmanten Aufschneider, hier pflegt einer seinen inneren Sachbearbeiter. Ein Geschenkgutschein also.

Ich zahle, trete hinaus in die immer noch frühlingshaft warme Luft, die erfüllt ist mit der Kakophonie des Weihnachtsmarktes auf dem Marienplatz. Der zu entfliehen ist mein Ziel, doch selbst der komplett verbaute Hauptplatz scheint dem Treiben nicht mehr zu genügen. Selbst der Rindermarkt, an dessen Stufen sich die Münchner Angestellte im Sommer zur Mittagsstunde die Beine bräunt, ist gefüllt mit erbärmlichen Kitsch, der Erzgebirge sagt und doch Billiges aus den Sklavenbetrieben Chinas meint - kurz, das Grauen hat eine weitere Heimstatt im Zentrum meines geliebten München erobert.



Staunend, die feuchten Kirschmünder leicht geöffnet, treibt ein Schwarm Japanerinnen an mir vorbei in den Pfuhl der erfundenen Gemütlichkeit. Mit einem Karusell in Erzgebirgsmühlenform ist es hier noch echter, noch überzeigender als etwa in Berlin, wo es Riesenräder gibt und erbrochenen Glühwein, aber auch weitaus kitschiger, mangaheidimässiger, nach Verdorbenem süsslich riechend und begleitet vom Gekreisch infantil gewordener Bewohnern der ansonsten gnadenlos unromantischen Munich Area. Hier kann man es rauslassen, was im Büro und im Amt zwichen Mobbing und Akten nicht geht, hier ist es pudsig und liab und Geh Agnes schau hea, mei dan de Engal scheh, schaug amoi, des war doch wos fia di.

Ich aber wende mich ab, haste hinunter zum schon geschlossenen Viktualienmarkt, wo die gscheadn Goschn ihr unverkauftes Gmias in die hässlichen Holzhütten schieben, abgedeckt vom opaken Plastik, das sie wie unförmige Kreaturen der Nacht erscheinen lässt, und gehe in die Rumfordstrasse, fern des Trubels, in die Erlösung und damit in die Verdamnis, von der nachher zu berichten sein wird.

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Dienstag, 5. Dezember 2006

Ach so, und -

gestern wurden es drei Jahre.

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Punktgenau

Irgendwann dachte ich, dass die Folie eigentlich nicht nötig gewesen ist. Kein Tropfen, keine Spritzer, alles sauber auf dem abgedeckten Boden, dessen Eichenparkett ohnehin unempfindlich wäre gegen etwas weisse Farbe. Dann kam ich zum seniblen, nach oben geöffneten Konzertmöbel, und ohne weitere Verzögerung, als Inbegriff des Kontrapunkt mischte sich der Ton eines satten Platsch hinein in Gesualdos Madrigalbuch Nummer IV.



Aber ich hatte ja, im Gegensatz zur Leichtfertigkeit meiner frühen Jugend, alles sauber abgedeckt. Wäre mir nicht kurz darauf beim Versuch, auf einem Bein stehend von der Leiter herunter eine Mandarine aus der Silberschale unter der Folie heraus zu operieren eine Lampe umgekippt - dann müsste ich mir vielleicht Gedanken machen, ob ich nicht vielleicht doch langsam schon so alt bin, dass die Verweisung einsetzt.

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Montag, 4. Dezember 2006

Hausbibliothek der Aufklärung I

Diese Serie habe ich schon lange geplant, und immer wieder verschoben. Sie sprengt den Rahmen normaler Blogschreiberei, und befasst sich mit Themen, von denen ich nicht weiss, ob sie die Mehrzahl der Leser auch nur ansatzweise interessiert. Die Erfahrungen der letzten Wochen lassen mich ohnehin daran zweifeln, ob das Buch und die Aufklärung ihre Zukunft nicht schon lange hinter sich haben. Vielleicht aber ist meine Auffassung dieser Welt schon immer die verschobene Perspektive eines Menschen mit bayerischem Abitur, Latinum, kulturwissenschaftlichem Studium und weit über 5.000 Büchern gewesen. Dennoch scheint es mir geboten, ein wenig auf die Entwicklung einzugehen, die - im Gegensatz zum Christentum und ähnlich totalitären Konstrukten - ein wirklich vornehmer Ursprung unserer Gegenwart ist: Die Aufklärung, dargestellt anhand von originalen Druckerzeugnissen der Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis wir am Ende angelangt sind, aber ich hoffe, doch kurzweilig einige hübsche Bücher aus meinem Besitz zeigen zu können.

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Wenn man über Aufklärung redet, die Zeit also zwischen dem 30-jährigen Krieg und dem Nachklang der franzöischen Revolution, zwischen dem Absolutismus eines Ludwig XVI und dem Diktat Metternichs, empfiehlt es sich, mit dem Gegenteil zu beginnen, um die gesamte Wegstrecke der Entwicklung aufzuzeigen. Beginnen wir also in einer Region, die auf immer fern sein wird vom Lichte der Vernunft, die zu allen Zeiten schon dumm und rückständig war, nicht nur aus Pariser, nein auch aus bayerischer Sicht - beginnen wir im Passau des Jahres 1650.



Es ist ein schmuckloses Buch im Kleinoktav, gebunden in isabellaweissem und senfgelbem Pergament, Reste umgearbeiteter, noch älterer Handschriften, die hier nochmal neues Leben erhalten. Proprium Sanctorum steht als Titel auf dem wurmzerfressenen Titel. Das Proprium beschreibt die Teile der Messe, die sich jeden Tag, je nach Anlass ändern, im Gegensatz etwa zur Eucharestie und anderen immer gleichen, monotonen Verrichtungen des Katholizismus, stur und einfallslos. Doch auch das Proprium ist nicht wirklich eine Erlösung vom Trott; vielmehr ist es eine Handlungsanweisung zum mühseeligen Schreiten durch ein Kirchenjahr voller Pflichten, die sich im Bistum Passau angesammelt haben.



Kaum ein Tag ist frei, an dem nicht irgendwelchen Heiligen, Seligen, Märtyrern oder verdienten Gestalten der Donaustadt, die genug für ewige Messen gezahlt hatten gedacht werden muss. Jeden Tag eine Messe, jeden Tag das gleiche Ritual in den vielen Kirchen der Stadt, jeder sollte kommen, um sein Untertanentum unter die Religion zu beweisen, seine Gebete sprechen, während die da vorne etwas in unverständlichem Latein murmelten, sie aber waren die die Klingelbeutel zu füllen hatten, denn der Krieg war vorbei und die Kirche brauchte neues Geld. So viele Stunden stehend und knieend in den hohen Sälen, denn Bänke gab es damals nur im Chor, die normalen Besucher mussten stehen oder knien, im Winter sicher kein Vergnügen und auch im Sommer zu früher Stunde eher eine Pflicht denn eine Freude. Doch der Druck der Gruppe, der verbindliche Glaube, der in den Jahrzehnten davor jedes unvorstellbare Leid über das Land gebracht hatte, kannte keine Ausnahmen und kein Erbarmen, egal wieviel von den Heiligen in dem Büchlein versprochen wurde.



Es ist eine düstere Zeit, aus der diese Seiten stammen, die Texte sind stilistisch einfältig, Märchen für Dumme, und die Rubrizierung erinnert nicht zufällig an heute Gossenzeitungen. Wer dieses Buch besass, wusste nur so viel, wie er wissen musste, um andere dumm zu halten. Jeder Tag ein neuer Heiliger für andere Sorgen und Nöte, die Kirche lieferte Immaterielles und Hoffnung frei Haus, für den Preis eines Lebens unter ihrem Joch, reguliert und bestimmt durch dieses wenig schöne Buch mit seinem schlechten Papier.

Und doch trägt es in sich den Keim der Vernichtung des Aberglaubens. Denn der Religionskieg hatte alle bisherigen Regeln für ungültig erklärt, der Fanatismus dieser Zeit eröffnete Chancen für die, die von ihm profitierten. Besonders raffgierig war der Mann, der als Autor des Buches genannt wird: Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich, Bischof von Passau und zusätzlich von Olmütz, Halberstadt, Magdeburg, Breslau und Straßburg, Hochmeister des deutschen Ordens und, vor allem, Heerführer der Katholiken. Diese Aufgabe war es, die ihn wirklich lag, die Bistümer waren die Pfründe, die ihm bei der Finanzierung des späten Krieges halfen. Leopold Wilhelm und sein Buch stehen für den Höhepunkt der kirchlichen Macht, die sich völlig vergessen hat und jede noch so miese Schweinerei duldet und fördert, von den Untertanen jeden Verzicht und totale Unterwerfung unter das System fördert, und sich selbst jeden Luxus und alle Verbrechen leistet, die die Welt damals erkennen musste. Es hat Zentraleuropa entvölkert und ruiniert, die Menschen unterdrückt und entmündigt, und gerade aus diesem Krisen erschaffenden Gegensatz zwischen oben und unten, zwischen Allmächtigen, die bestimmen und verprassen, und Ohnmächtigen, die sich fügen und zahlen, entstand, weit entfernt von Passau, die Erkenntnis, dass es so nicht auf immer sein könnte. Und schuld waren natürlich - die Frauen.

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