Alles mit Seeblick

Wie es sein mag, wenn man wirklich dauerhaft in diesem Umfeld lebt? Nicht nach München muss, zu Terminen ohne Ergebnisse, zu Debatten ohne Ziel und Klärung, in die Sendeanstalten auf Podien, oder in die Provinz, wo jeden Tag etwas getan werden müsste und eine Nachfolge geregelt werden will? Wie ist das, wenn man einen Monat gar nichts anderes mehr sieht als den See, das Licht, die Luft atmet und zu glauben beginnt, dass Berge und der schnelle Weg nach Innsbruck oder Meran dazugehören, wie andernorts Kohlekraftwerke und Dienstleistungsruinen? Wenn man sich ebenfalls mit der hier üblichen Mittagspause arrangiert und von Bauer und Nachbarn gegrüsst wird, die einen auch sofort daran erinnern, wenn man die Kanne draussen hat stehen lassen und sie bis zur Rückkehr aufheben? Wenn die Ausnahme zur Realität wird?



Ich habe heute Frau E. getroffen und ihr vom See vorgeschwärmt, und wie gut es mir hier gefällt. Dass ich hier nun bin und glaube, dass es auch auf die Mensche n wirkt, die freundlich sind und zuvorkommend. Ob ich nicht vom Orgelprofessor aus St. Quirin gehört habe, fragte Frau E.. Nein? Nun, der Orgelprofessor war bis zu seiner Pensionierung ein wichtiger Mann der Kirchenmusik in Bayern, hat sich dann hier zur Ruhe gesetzt und Geld für die Orgel in Bad Wiessee beschafft. Jeden Sonntag hat er im Gottesdienst gespielt, und die Leute kamen, nur um ihn zu hören. Seine Frau gab an der Volkshochschule Kurse, und sie waren allgemein sehr beliebt und geradezu idealtypisch, bis zu dem Tag, an dem er ihr das Küchenmesser zuerst in die Brust und dann, als sie fliehen wollte, in den Rücken stiess, sie sterbend zurückliess und sich erst später dann der Polizei stellte. Das ist noch gar nicht so lange her, meinte Frau E., alles mit Seeblick. Sie verabschiedete sich, und ich ging hinunter an den See, wunderte mich, ob da nicht doch etwas drinsteckt, was ich übersehe, konnte aber nichts finden und fuhr nach München in ein Büro, in dem Messer gewetzt und Klagen geschliffen wurden.

Mittwoch, 6. August 2008, 01:47, von donalphons | |comment

 
Beruhigend
zu wissen, dass auch ein Idylliker weiß, dass die Idylle trügt.

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Der Fall muss viele Leute schockiert haben, und ich frage mich halt... eine Angestellte meiner Mutter wurde von ihrem Mann ermordet (sowas ist dann immer ein Familiendrama, kein Ehrenmord, sind ja Christen :-/), und was einem bleibt, ist die Hoffnung, dass es zumindest manche Schichten gibt, die als "Lack der Zivilisation" weitgehend immun sind, wenn nur das Drumherum stimmt. Und ich kenne das von mir selber; wenn ich auf einer Konferenz und angesäuert bin, schliesse ich die Augen und denke an den See, und ich werde ruhig. Aber, wie man sieht...

(Dass es hier ab und zu gut gekleidete Wasserleichen gibt, ist eine andere Sache und in der Regel durch den Klinikbetrieb mit gewissen Spezialbereichen zu erklären, aber gerade die älteren Bewohner erscheinen mir durch die Bank sehr viel lässiger als in den Städten)

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So viel Wasser, dass man alle menschlichen Abgründe damit zuschütten könnte, gibt es vermutlich auf der ganzen Welt nicht. Und außerdem ist es in der Stadt vielleicht leichter, einander in einer verunglückten Ehe aus dem Weg zu gehen und dadurch die Katastrophe zu vermeiden, als auf dem Land. Aber das ist nur eine Mutmaßung.

Die Frage, was eigentlich der exakte Unterschied zwischen muslimischen "Ehrenmorden" und christlichen "Familiendramen" ist, treibt mich allerdings auch schon seit längerem um.

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Den exakten Unterschied würde ich jetzt auch nicht nennen wollen, aber es gibt auf jeden Fall einen, denn jeder Ehrenmord ist ein Familiendrama aber nicht jedes Familiendrama ein Ehrenmord.

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Trotzdem würde ich vermuten, dass bei so manchen Familiendramen das Gefühl der "verletzten Ehre" durchaus unterschwellig eine Rolle spielt. Jedenfalls insofern, als der Täter sich sich dadurch ein Stück weit im Recht fühlt. Oftmals denkt der (männliche) Täter vermutlich auch, er hätte eine Art Besitzrecht an seiner Frau und/oder den Kindern. Zumindest scheint mir das so nach der Lektüre von entsprechenden Fallgeschichten. Aber natürlich gibt es bestimmte Fallkonstellationen, die in unserer westlichen Kultur zum Glück eher unüblich sind (wobei es ja irgendwo letztens auch die christliche italienische Familie gab, die ihre Tochter jahrzehntelang gefangen hielt, um sie für eine uneheliche Schwangerschaft zu bestrafen).

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Ich denke, das ist wirklich ein Marketinggag. Es gibt keine Familiendramen, zumindest nicht diesen Euphemismus. Es gibt Mörder, und die Motive gehen in die gleiche Richtung. Sage bitte keiner, dass in manchen Regionen oder Vierteln Deutschlands die Scheinkultur dieses Landes nicht genauso weit weg ist wie im Jemen.

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in systemen, die die motivation für solche morde eher im privaten, individualpsychologischen oder familiären suchen als in größeren sozialen zusammenhängen, heißen solche taten familiendramen. wenn man davon ausgeht, dass auch die privaten dinge verschiedenster familien miteinander vergleichbar, vielleicht sogar ähnlich motiviert sind, bekommen sie natürlich auch eine strukturelle oder politische bedeutung. es gibt bestimmt untersuchungen, die belegen, dass frauen öfter als männer opfer von beziehungsdelikten werden, aber man könnte sicher auch für den umgekehrten fall eine entsprechende untersuchung hinlegen. (vielleicht sind es da eher suizide als morde? ich rate nur.) für den fall "mann tötet frau" im sinne von nicht bloß persönlich, sondern strukturell motivierten morden hat z.b. alice schwarzer einige exponierte beispiele beschrieben und interpretiert (petra kelly, romy schneider usw.) und damit viel, zum teil berechtigte, kritik herausgefordert. ich weiß nicht genau, was du mit "scheinkultur" meinst, aber nach der herkömmlich emanzipatorischen lesart wären die beziehungsmorde von männern an frauen eben gerade nicht jenseits der tradierten kultur, sondern dieser immanent, also eine folge davon. ich meine aber, man müsste das auch für die gewalt von frauen an männern definieren, weil die beziehungstaten für die stereotype sichtweise zu komplex sind. und dann ist da natürlich auch der aspekt, dass die "ehrenmorde" in "anderen kulturen" gerade auch dafür hergenommen werden, um von der gewalt in der eigenen kultur abzulenken oder sich dazu zu beruhigen.

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Frauen sind in der Tat öfter Opfer als Täterinnen, die Täter werden aber häufiger nur wegen Totschlags bestraft, weil von einer Handlung im Affekt ausgegangen wird. Täterinnen hingegen werden in solchen Fällen häufiger wegen Mordes verurteilt, weil sie jahrelang beispielsweise Misshandlungen aushalten, dann aber sehr geplant vorgehen, wenn sie sich anders nicht mehr zu helfen wissen als ihren Tyrannen zu töten. Und Planung zählt eben zu den Tatmerkmalen von Mord.

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Das liest sich wie ein einem Hakan Nesser Roman, in dem man gar nicht in Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse sortieren möchte weil man weiß, daß alles komplexer ist als es scheint.

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Oder auch ganz einfach, weil die Begriffe nicht auf diese Welt passen. Vielleicht sollte man sich aber auch einfach keinen Kopf über sowas machen. Es bringt nichts.

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Ich hoffe schon, dass du dir weiterhin einen Kopf über so etwas machst, immerhin "bringt" es uns als Lesern guten Stoff. Und wie arm wäre die Welt, dächte man nur darüber nach, was etwas bringt - oder?

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Ehrenmorde an Frauen werden eher kaltblütig, oft sogar von mehreren Familienangehörigen (Männern) geplant und durchgeführt im Namen der Familienehre, die sie durch den Lebensstil der Frau beschmutzt sehen.

Während ein Familiendrama, bei dem ein Mann seine Frau und manchmal sogar noch die gemeinsamen Kinder und sich selbst umbringt oder es zumindest versucht, mir andere Ursachen zu haben scheint. Hinterher hört man von Depressionen, Schulden, Streit ums Geld, etc.

Was soll die Leute am Tegernsee und an ähnlichen Orten auch schon stressen? Das Leben hat eine andere Gangart. Hektik ist ein Fremdwort. Als ich noch regelmässig am Wochenende aufs Land rausfuhr, ist mir der Kontrast auch immer aufgefallen.

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Jahrelanger Hass kann sich aber auch in ländlicher Beschaulichkeit aufschaukeln, davon bin ich überzeugt. Dass die Zerstreuungen und Ablenkungen der Großstadt fehlen, könnte das sogar noch fördern.

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Es ist schon lange her, dass das Leben auf dem Dorf abgeschieden war und sich auf Einödhöfen seltsame Dinge abspielten.

Zum nächsten grösseren Ort ist es meist nicht weit und es gibt mehr als genug Abwechslung. In Deutschland hat doch jede Region ein reiches Kulturleben. Das Schleswig-Holstein-Musikfestival wird vorallem auf dem Land aufgeführt oder der Oberstdorfer Musiksommer.

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Nun ja - in diesem Fall war das Kulturleben mit der Hand des Täters deckungsgleich. Einerseits kommt das in den besten Familien vor, andererseits gibt es einfach Mikrosysteme, in die keine Kultur der Welt eindringen kann.

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Hat Frau E. Dir nicht mehr darüber erzählt? Es gab sicher einen Prozeß.

Ein Tötungsdelikt ist nicht immer ein Mord.

Ich hatte eine Kameradin in der Grundschule, die im frühen Erwachsenenalter ihren Grossvater erstochen hat, weil sie dachte er sei der Teufel. Niemand ist richtig aufgefallen, dass sie an einer Psychose leidet.

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Über das Thema Ehrenmorde, etc. (oft werden Frauen auch verstümmelt, Säure ins Gesicht) hatte ich schon lebhafte Diskussionen mit einer Freundin, die zur Elite in Pakistan gehört, sie arbeitet unter anderem für eine Organisation, die Vergewaltigungsopfern hilft. Am Ende sagte sie: Men are bad everywhere.

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Ja, leider. Frauenhass gehört irgendwie auch immer zu den meisten Religionen und "Kulturen" dazu.

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Ich erinnere mich noch gut an eine Veranstaltung in der Uni vor sehr langer Zeit. Der Lehrende berichtete von einem Mann, der seine Frau mit dem Käsemesser erstochen hatte und anschließend meinte: "Was man nicht so alles macht, wenn kein Käse im Haus ist."

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Manche Professoren sollten Orgenspieler heiraten.

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Es waren sogar 3 Messerstiche, die der immer wieder an depressiven Schüben leidende und im Jahr 2004 pensionierte Landeskirchenmusikdirektor seiner Frau beibrachte.
Jaja, immer diese Orgelspielkiller. Das dies nicht nur auf Männer anzuwenden ist, verdanken wir Birgit Hogefeld, die diese Tätigkeit während der Gefängnisgottesdienste ausübt.

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Als junges Mädchen hab ich Mörder gesammelt.
Also mir Menschen genau angeschaut, von denen ich wusste, dass sie jemanden umgebracht haben, oder zumindest rückwirkend über sie nachgedacht.
Und keiner, keiner von ihnen hatte was besonderes. Auch der nicht, der so reich war, und dann seine ganze Familie und die Hunde erschossen hat, nur weil er seine schwangere Freundin nicht heiraten durfte, ein einfaches Bauernmädchen aus Sizilien.
Und der andere hatte einen erschossen, allerdings von hinten, und durfte so nicht mehr in das andere Land auf dem Balkan reisen, weil man ihn suchte , auch nach 40 Jahren noch. Der hat mir auch ehrlich geantwortet, als ich ihn fragte, wie das denn so wäre, einen Menschen umzubringen.
Nicht so schlimm , meinte er, weil ihn der sonst umgebracht hätte. Aber von hinten, das sei schon blöd gewesen.

Der, der bei der Waffen-SS war, den hab ich mich nicht getraut zu fragen, den anderen schon. Aber der hat nicht geantwortet.

Ein anderer, der schon Messerstecher vom Messer stechen abgehalten hat, sagte mir mal: "Der Lack ist dünn, irgendwann ist jeder zu allem fähig."

Ja, ich habe auch ganz normale Bekannte.

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"Als junges Mädchen hab ich Mörder gesammelt."

Wie Wednesday in der Addams Family!

Als ich klein war, liefen die Mörder noch bei uns in der Stadt rum. Ganz normale Männer. Trotzdem glaube ich, dass es Unterschiede in der Dicke und Haftkraft des Lacks gibt. Zwischenzeitlich war hier mal die Strasse runter eine Disco, wo die Schlägereien dann in der Öffentlichkeit stattfanden - da war der Lack dünn.

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Es gibt ja diese Theorie, dass Menschen meistens dann gewalttätig werden, wenn sie in ihrer Kindheit selbst irgend eine Form von Gewalt erlebt haben. Sie lernen dann halt früh, zu hassen, und sie verlernen das Mitgefühl mit anderen, weil man mit ihnen ja auch keins hatte. Wenn man sich die Lebensläufe vieler Gewalttäter anschaut, dann scheint da zumindest ein bisschen was dran zu sein. Mag sein, dass so manche Familienväter, die plötzlich nach Jahrzehnten ausrasten, auch so einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit haben. Aber das kann ich nicht beweisen.

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glaubt doch nicht, dass es nicht jeden treffen könnte. jeder kann das. man muss nur den punkt finden, an dem es ihn oder sie reißt. das gehört leider zum tiersein dazu. man soll dankbar sein, wenn es einen selbst noch nicht so konkret dazu gebracht hat. aber als kind des westlichen wohlstands läuft man ja sozusagen ständig mit blutigen händen herum.

esst ihr fleisch? dann tötet ihr alle vier sekunden lang einen menschen, der hungert. habt ihr einen computer? dann tötet ihr täglich einen dutzend föten, die von arbeiterinnen im hardware-business abgetrieben werden. alles wunderbar remote, man braucht also nicht einmal ein aggressionspotenzial dafür.

es ist nicht so einfach. und es sind nicht immer männer. die morde, die man in der bildzeitung zu lesen bekommt, lenken nur ab vom eigentlichen!

lackschichten.

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Vegetarier. und zwar von der Sorte, dass ich auch weiss, wo die Milch vom Käse herkommt. Der damals 10000 Mark teure Rechner, an dem ich sitze, wurde von Europäern zusammengebaut, die vielleicht abtreiben, aber nicht direkt wegen dem Job. Irgendwo findet man immer was. Die Kunst ist, es so weit wie möglich auszuschliessen.

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ja.

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Morgen schreibe ich was dazu. das manchen nicht gefallen wird, weil es wieder von oben kommt, aber mei. Man kann es nicht allen recht machen.

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