Money machine

Sie sagt, dass letztlich bei der Geschichte alles nur denkbare schief ging. Zuerst mal nicht, da war alles ok, aber dann ist alles über den Kerlen zusammengebrochen. Im Kern gab es einen Mechanismus, den einer drehte, und das Geld ging quer durch den Konzern zu jedem, der es wollte und der der Sache dienen konnte.

Einer hat dann den Fehler gemacht, das Geld über seinen Firmenrechner nach draussen zu tragen. Statt es ordentlich mit einer gefälschten Abrechnung zu unterschlagen, hat er es bei einem Auto-Importeur übers Internet direkt verpulvert, weil es so eine günstige Gelegenheit war. Ausserdem hat er eines Mittags noch einen Flug gebucht, über genau die Summe, die sie ihm am Morgen zugeschanzt hatten. Er war der Jüngste in dem System, eine kreative Ausnahmeerscheinung in einem Team älterer Mitarbeiter, die das System schon länger zum Schaden der Firma betrieben. Er war ein New Economy Drop-Out, der rechtzeitig dort untergekommen war, und sich nicht vorstellen konnte, dass dort mal jemand so schlau ist, still Ermittlungen zu führen, über Nacht die Festplatten auszubauen und Kopien zu ziehen.

Sie haben es gemacht. Nichts Ungewöhnliches war zu finden, bis zu seinen Daten. Seine Daten lieferten zwei ungewöhnliche Zahlen, die zu anderen Zahlen passten, das hatte zwangsläufig Folgen, und plötzlich lag die Money machine vor ihr, ein komplexer Mechanismus, intelligent und nicht wahrnehmbar. Sein E-Commerce war der Schlüssel. Er knickte sofort um.

Sie sagt, jetzt können sie mit ihm machen, was sie wollen. Er hat ihnen alles gesagt, was er wusste, aber die Art, wie er es tat, war so New Economy geschwätzig, dass sie ihm alle zugesagten Strohhalme zu seiner Rettung wieder weggenommen haben. Er war am Ende zu brilliant, und es macht ihnen Spass, ihm jeden Ausweg zu nehmen.

Ich würde mich an seiner Stelle umbringen, sagt sie und saugt an ihrem Longdrink. Aber das wird sie ihm so nicht ins Gesicht sagen. Das wäre selbst nach dem Auffliegen der Money machine unhöflich. Vielleicht kommt er ja von selbst auf die Idee.

Donnerstag, 22. Juli 2004, 01:21, von donalphons | |comment

 
Stilistisch wundervoll. Allerdings wäre es nicht unhöflich, jemandem den Suizid wegen eines Diebstahls nahezulegen, es wäre schäbig. Eigentlich ist es schon unangemessen, ihm solche Not still zu wünschen.

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Wir kommen aus einem Umfeld, in dem Unhöflichkeit ein weitaus problematischeres Verhalten als banale Schäbigkeit wäre. Und ich befürchte, dass dieses Umfeld mit Wörtern wie "angemessen" begrifflich nicht zu fassen ist. Was es nicht besser macht. Nur anders.

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Diebstahl ist Diebstahl, die Schadenssumme ist fürs Prinzip doch unerheblich. Klauen ist gewöhnlich. Wenn Schäbigkeit im geschilderten Umfeld nicht problematisch ist, dann ist ein Suizid (zur Wiederherstellung von Ehre? Zur Vermeidung stilloser Häftlingskleidung? Aus Sorge, Arbeitsamtsformulare nicht souverän ausfüllen zu können?) erst recht unangemessen.

Und als jemand, der gesagt bekommen hat "Du hast nicht die richtige Agenturdenke": Einem den Tod zu wünschen ohne ihn persönlich zu hassen ist in jedem Umfeld unangemessen Ehrlich..

Das ist doch Quatsch, moderne Mythen zu postulieren.Wenn die Krawatte abends in die Ecke fliegt, benutzen wahrscheinlich mehr Leute Aldi-Klopapier, als sich das "Umfeld" eingestehen mag.

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Es geht nicht um Diebstahl, sondern um Unterschlagung und Untreue und eine kriminelle Struktur, die nicht gewöhnlich war. Tatsächlich würde ich vermuten, dass das Leben des oben beschriebenen mannes zumindest nach seinen eigenen Erwartungen und Ansprüchen vorbei ist. Wer mit solchen Taten auffliegt, steht vor dem absoluten Nichts; vielleicht nicht real, aber vom Gefühl her. Dieses Gefühl ist es wohl, was "sie" meinte. Und ich habe in dieser Szene genug gesehen, um mir um solche Äusserungen nicht allzu viele Gedanken zu machen.

"Du hast nicht die richtige Agenturdenke." Ich vermute, letztlich war es ein Lob. Vermutlich nicht so gemeint, aber doch.

Was die Höflichkeit angeht: In unserem Viertel flog, als ich Teenager war, ein Millionenbetrug auf; so eine Art Comroad der 80er Jahre. Der Hauptschuldige wohnte 200 Meter von uns entfernt. Wenn man sich auf der Strasse sah, grüsste man sich, als sei nichts gewesen. Man lud ihn nicht aus, nur neue Einladungen kamen nicht mehr. Solche Mechanismen waren und sind unabhängig vom Toilettenpapier. Ich und meine Freunde haben das Essen noch mit Büchern unter dem Arm gelernt, und bis heute muss ich den Reflex unterdrücken, Frauen beim Niedersitzen zu helfen. Völlig verrückt, ich weiss, irgendwelchen Kindern in Jeans ein Verhalten aufzuzwingen, das durch eine damals 70 Jahre ausgestorbene Reifrockmode nötig war.

Vielleicht sollte ich mehr über dieses Umfeld schreiben, aber es ist eigentlich eher ereignislos, es passiert nichts, und was geschieht, wird nicht verbreitet.

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