Ich wollte nur einen Tag bleiben

Aber dann kam einiges dazwischen. Morgen sind es dann sechs Tage in Frankfurt, und wenn ich Glück habe, bleibt es auch dabei. 6 Tage für mich, und 45 Tage für den Sunbeam. Für einen Tag hätte der Akku meines Mobiltelefons ausgereicht. Nun ist es vollkommen leer, und ohne Draht zur Aussenwelt möchte ich mich nicht auf die Heimfahrt begeben. Ich fahre in die Stadt hinein. Mit der S-Bahn. Und muss mich entscheiden, welcher verdreckte Sitz am ehesten zumutbar ist. Frankfurter S-Bahnen sind dreckig und runtergekommen, die Fenster sind zerkratzt, und draussen rumpelt ein urbanes Gebilde vorbei, das überall sein könnte, wo die Welt hässlich ist.



Um mich vom Telefonat des Bildungsfernen abzulenken, der kein Problem mit den Sitzen zu haben scheint, lösche ich ein paar alte Dateien auf der Kamera. Vermutlich sind diese digitalen Nervgeräte überhaupt nur so erfolgreich, weil die Menschen zu viel in S-Bahnen sind. Dabei komme ich im internen Speicher auch zu den Bildern vom Juli des letzten Jahres, und ich denke, wie es wäre, jetzt über dem Tegernsee.



Nun, es soll regnen und stürmen. Alles nur Illusion. Echt sind dagegen die Verkäufer in den Sportgeschäften, die mir unfreundlichst zu verstehen geben, dass sie mir nichts verkaufen können, und selbst, wenn sie das passenden Lenkerband hätten, mit dem man auch Hockeyschläger umwickelt: Sie würden es auch dann nicht verkaufen. Ich mache drei mal die gleiche Erfahrung, erhalte ein unanständig teures Angebot für ein Netzgerät für mein Telefon und kaufe dann ein ganzes Telefon zum gleichen Preis bei einem Türken am Hauptbahnhof. Es hat geregnet. Frankfurt stinkt bestialisch nach Berlin und Urin. Ich gehe zur S-Bahn, erdulde die Werbung und das Warten. Dann kommt der Zug. Die ersten sind noch nicht ausgestiegen, da drängeln auch schon die ersten von aussen hinein. Alles stockt, alles rempelt. Es ist nicht so lang her, da wartete man. Zumindest in München war das letztes Jahr noch so.



Mit einem Schwung dieser manierenlosen Proleten, manche in Anzug und manche in Strassenkleidung, fahre ich zurück. Ich habe auch noch einen Ledergurt gekauft. Unter der Motorhaube sind zwei Bohrungen für Alpenfahrten, an denen man den Gurt befestigen und damit auch mit leicht geöffneter Motorhaube fahren kann. Dadurch kommt mehr Luft in den Motorraum. Keine dumme Idee, wenn der Wagen wegen Hitzeproblemen 10 mal liegen geblieben ist. Selbst wenn heute alles bestens lief, von ein paar unschönen Ablagerungen aus dem Bezintank mal abgesehen:



Es wird Zeit, dass ich heim komme. Zurück nach Bayern, weg aus dieser Stadt und endlich dort hin, wo ich hingehöre. In der S-Bahn hatte ich so ein massives Berliner Gefühl, das nie gut ist.

Dienstag, 23. Juni 2009, 01:45, von donalphons | |comment

 
... so schlimm ist Berlin nun auch wieder nicht. Es ist zwar hässlich, laut und ruppig, aber auch herzlich. Sie glauben nicht, wie herzerwärmend das war, als mir neulich ein "Alles juut?" entgegenflog, das sich irgendwie aus Berlin ins korrekt-unterkühlte, spießige Hamburg verirrt hatte!

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Ich hatte mir das 35 Jahre meines Lebens nicht vorstellen können, aber in meinen 1.5 Jahren in Berlin habe ich gelernt zu jubeln, wenn ich von Thüringen nach Bayern fuhr und endlich wieder unter Menschen war, mit denen man reden konnte. Normale Menschen ohne Projekte, herzliche Menschen ohne merkelsche Frustmundwinkel, kein slawischer Singsang mit beleidigtem Unterton mehr, und nicht mehr diese Maulfaulheit. Gemütliche, legere, a wengal noble und freundliche Bayern.

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"Merkelsche Frustmundwinkel" - da haben Sie allerdings Recht: Ohne die geht es in Berlin nie ab. Und das jeweils Schlimmste wird immer schon mit verbissenem Gesicht als gegeben hingenommen, auch wenn es (noch) gar nicht eingetreten ist.

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wenn man irgendwo anders in deutschland als in berlin unversehens bekannte wiedertrifft, heißt es: "oh, auch hier? wie schön, dich zu sehen!"

in berlin dagegen heißt das so:

"NEE WA? HAPPTA KEEN ZUHAUSE ODA WATT?"

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Ich frage mich, wie man auf so etwas antwortet, ohne dabei die Regeln des höflichen Verhaltens zu brechen.

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gar nicht.

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Das hatte ich befürchtet.

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Was der Unterschied zu Berlin ist: Der Gleichmut diesen Alptraum der Stadtplanung in und um Frankfurt zu ertragen ist dort grösser als in Berlin. Die reden das noch nicht einmal schön.

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Es will mer net in de Kopp enei...
.

wie kann nor en Mensch net aus Frankfort sei.


http://img195.imageshack.us/img195/1633/090606frankfurtfressgas.jpg


Gute Heimreise Don.

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Welche Stadtplanung? Die historische Altstadt Frankfurts wurde im Krieg fast völlig zerstört und später hat man halt die Weichen so gestellt, dass es heute weder ein Zurück noch eine neue Richtung geben kann. Frankfurt ist konsequent hässlich und das im Grunde überall und selbst die paar Ecken, die Frankfurter Ortsfremden als bessere Wohnlagen euphemisieren wollen, lassen Menschen aus bewohnbaren Städten der Republik allenfalls müde mit den Schultern zucken.

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ich habe ein paar Jahre in Ffm im Arbeitsexil gelebt. Beinahe jedes Mal wenn ich in ´s Auto stieg habe ich mich verfahren. Wenn ich mich auch dadurch oftmals verspätet habe, besser kann man eine Stadt in kurzer Zeit nicht kennenlernen.

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Am Samstag allerdings saß ich bei schönem Wetter bei einem Kaffee und in angenehmer Berliner Begleitung am Wannsee, um von dort aus zu einem Spaziergang durch den Grunewald aufzubrechen, wo uns ebenfalls gut gelaunte und freundliche Menschen begegneten. Wer meint, er müsse sich unbedingt auf Szenebezirke focussieren, der ist selbst schuld, wenn er sich die Maulfaulheit des Kellners und dessen "Kaffe, wa?" antut.

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Wald
Wie man(n) in den Wald hinein schreit, so schallt es zurück :P

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Ich glaube eher, da schreit der Wald. Ganz von selbst. Ich hab' in Berlin auch schon Verkäuferinnen erschreckt, indem ich freundlich war.

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Hihi, genau.
Frundlichkeit oder gar ausgesuchte Höflichkeit kriegen die oft überhaupt nicht verarbeitet und reagieren entsprechend irritiert. Drinnen rattert es dann wahrscheinlich "wat solln ditte - will der mir verarschen?"

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ich hatte mal auf einer kulturreise quasi vergessen, dass ich in berlin war. dann ging ich neben der symphonie in einen supermarkt, ließ mir ohne entschuldigung in die hacken fahren und mich von der verkäuferin anschnauzen.
da wusste ichs wieder. sollte nicht wieder vorkommen.

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Begleiter, die in Berlin wohnen, sahen mich im Geschäft oder Café auch schon zweifelnd an: "Was ist denn mit dir? Du übertreibst total!", während ich der Ansicht war, mich unauffällig freundlich zu verhalten. "Vielen Dank" o.ä. irritiert da manchmal schon. Aber die irritierten Blicke kann man sich natürlich in manchem Discounter vom gehetzten Personal auch bundesweit abholen.

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Mich könntest du nicht schlimmer bestrafen, als mich nach Bayern zu verlagern. Ich möchte in dieser dumpfen Denkfaulheit nicht einmal tot über einem Zaun hängen.

Bayern hat nur einen Zweck. Schnell durch und in bewohnbare Länder wie Österreich oder nach Italien.

Dein Berlinbild ist übrigens nicht dass, was ich in Charlottenburg oder Wilmersdorf erlebe. Du kannst Berlin nicht zusammenfassen, dazu sind die Kieze zu unterschiedlich. Eine Reise von Wilmersdorf nach Spandau ist schon eine Reise ins befreundete Ausland. Eine nach Prenzlau ins Tourististan der Neuzeit wird systematisch und mit den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen begleitet.

Es gibt ihn übrigens immer noch, den Riss zwischen Ost- und Westberlin. Wenn ich in meiner Kneipe vom Müggelsee erzähle dann fragen die mich bestenfalls ob ich nicht genug Wannsee habe.

Was die Neuerungen der Architektur angeht, so sind sie in Frankfurt, München und Berlin genauso schrecklich wie in Köln oder Hamburg. Sie sind einfach grausam.

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Der Wannsee ist natürlich gegen den Müggelsee eine Pfütze. Wissen aber auch die wenigsten Berlin-Reisenden. Und Charlottenburg ist in der Tat nett. Die meisten Leute sehen halt nicht, dass in Berlin ein einzelner Bezirk die Einwohnerzahl einer Großstadt hat.

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Anderl,
das stimmt natürlich. Und sowenig man alle Berliner Bezirke über einen Kamm scheren kann, bleibt aber trotzdem festzuhalten, dass es ein durchschnittliches Berliner Ruppigkeitslevel gibt, das man in München, Hamburg oder Köln so nicht kennt. Für Vergleichbares muss man schon ins tiefste Franken fahren. ;-)

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In Franken sind die Leute nicht unfreundlich, die reden einfach gar nicht mit einem...

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Stimmt, auch das habe ich erlebt dort,
ebenso wie Pampigkeit, die dem Berliner Standard in nichts nachsteht.

Allerdings muss ich dazusagen, dass mir in Franken auch durchaus Freundlichkeit und Herzlichkeit begegnet sind. Und die rühmichen Ausnahmen gibt es natürlich auch in Berlin, auch wenn sie in der Riesenmasse dort sicher schwerer zu finden sind.

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Alles stockt, alles rempelt. Es ist nicht so lang her, da wartete man. Zumindest in München war das letztes Jahr noch so.


Ahhhh, aber in München kann man sagen: 'Leit, laßt's Leit 'naus!', und die reagieren drauf. In Frankfurt verstehen das die lokalen Orks nicht.

Und was die Stadtplanung angeht: nachdem ich einmal vor Jahren fast mit meinem harmlosen Ansinnen gescheitert bin, zu Fuß vom Bahnhof zum Senckenbergmuseum zu gelangen, habe ich eingesehen, daß in Frankfurt gar nichts einen Sinn ergeben muß. -

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Tja, und wenn man beharrlich versucht sich korrekt zu verhalten, dann wird man auch noch ausgelacht, man sei ja selber schuld, wenn man nicht zu vorderst in der Schlange steht, oder sich auf Kosten andere einen, oft vermeintlichen Vorteil zu schaffen versucht. und wenn man jemanden auf seine Verfehlung, auch höflich anspricht, wird man oft genug auch angepöbelt. Ob am Bahnsteig, Ampel, Rolltreppe - es ist zum auswachsen. Der Deutsche ist ein ausgesprochen undisziplinierter Massenansteher. Und inkonsequent obendrein, denn wenn er´s wenigstens akzeptieren würde, in dem Bewusstsein, he, ich machs, die andern machens, so what. Aufregen darf man sich da nicht. Aber so ist er eben, ich ich ich, und der Rest ist dann erstmal egal. Herrje!

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Vor allen Dingen, wenn man die verschiedenen Bräuche in anderen Ländern kennt und schon in London auf die feine englische Art Schlange gestanden hat, in Tokyo gelernt hat, daß fremde Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln als nichtexistent erachtet werden (man würde sich in schrecklichen Knoten winden, um sie korrekt zu behandeln, also tut man so, als gibt es sie nicht, Problem erledigt; und der fremde Ellenbogen, der in der Magengrube landet, existiert genausowenig) oder in St. Petersburg an den Ampeln die wortlose Art der kollektiven Willensfindung erlernt hat -- dann kommt einem die disorientierte Art der Deutschen, die nicht wirklich wissen, was sie da machen, ausgesprochen ineffektiv vor. Man ist ja nicht mal konsequent grob (wie die Tokyoter), noch hat man ein System (wie in England oder Rußland). Man eiert rum und wie man's auch macht, ist es falsch, und jemand beschwert sich.-

Vielleicht ist das das typisch Deutsche?

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