: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 29. Juni 2009

Wie gut, dass ich Literat bin

Als Literat kann man ja so manches erfinden, was im Journalismus als unpassend gilt, selbst wenn es viel wahrer ist. Und die wirklich schlimmen Sachen über von der Zensursula sage ja auch nicht ich, sondern Anton Bruno Xaver von Blumenthal, den in der FAZ vorzustellen ich das Vergnügen habe.

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Materialwert

Alle fragen sich ja, wann die Krise vorbei ist. Ich denke, ich kann zumindest sagen: Noch ist sie nicht vorbei. Ich habe dafür eine ziemlich gute Berechnungsmethode. Sie basiert auf englischen Teekannen aus Silber, die ich bei Ebay kaufe. Wie beispielsweise letztes Wochenende, als ich in Frankfurt festsass, keinen Flohmarkt hatte und leicht frustriert war. Da war eine Teekanne, die mir gefallen hat, viktorianisch, 1887, 52o Gramm schwer. In der beliebten Form mit den Rippen, einmal sauber gelötet, Ebenholzgriff, neckische Ballenfüsse. Eine Form, die Antiquitätensammler anspricht, weil sie typisch für eine Zeit ist, deren Formen später nicht mehr kopiert wurden. Und obendrein von einem bekannten Silberschmied jener Epoche.



Ich habe sie gekauft. Was mich selbst sehr erstaunt hat, denn in den letzten Wochen ist das Pfund gegenüber dem Euro stark angestiegen, weshalb sich der Kauf in England nicht mehr besonders lohnt. Es gab eine Zeit, da kostete der Euro 96 Pence, jetzt sind es nur noch 84. Einkäufe aus England haben sich seitdem also erheblich verteuert. Sollte man meinen. Mein Gebot war in Euro nicht hoch und in Pfund sehr, sehr niedrig. Es blieb das beste Gebot.

Der Kurs des Pfundes ist irrelevant. Ich mache das jetzt seit ein paar Monaten, genauer, seitdem ich bei der FAZ blogge und mir denke, dass dieses Geld vor allem dem Spass und dem Luxus geweiht ist - neben meinen drei Wohnungen voller Antiquitäten, die ich ohnehin schon habe. Vollkommen unabhängig vom Kurs des Pfundes entwickeln sich die Preise nach einem anderen Parameter: Es ist der Preis des Silbers. Alle von mir gekauften Kannen liegen in einem sehr schmalen Rahmen über dem Silberpreis; man muss mit rund 20% Aufschlag rechnen, und in den schlimmsten Zeiten, als die Kauflaune wirklich auf dem Boden lag, konnte man fast zum Materialpreis kaufen.

Und das ist auch weitgehend unabhängig vom eigentlichen Wert der Antiquität. Eine üppigst gravierte Biedermeierkanne von 1827 mit Silbergriff war tatsächlich etwas teurer, aber nicht im Mindesten so, dass sich der Preis signifikant vom Material wegentwickelt hätte. In normalen Zeiten wie etwa 2004/5, als ich sehr viel Besteck kaufte, war das Verhältnis von ideellem Wert zu Materialwert noch mindestens 1:1, das heisst, man bezahlte in etwa das Doppelte des Materialwertes bei einfachsten Stücken, und bei ausgefallenen Stücken vor 1900 das drei- bis sechsfache. Gestern Abend blieb eine Kanne mit Milchkännchen von 1860 liegen - 900 Gramm schwer, mit 191 Pfund blieb sie unter dem Limit.

Was ich auch erlebe: Es gibt kaum britische Käufer. Die steigen normalerweise beim Materialwert aus. Darüber sind die Deutschen (manche Kanne sehe ich in Pfaffenhofen zu verdreifachten Preisen wieder, für die dummen reichen Bayern reicht das), die Franzosen (das Leben ist schön, noch einen Froschschenkeltee?), die Spanier (Schwarzgeld ole!) und besonders die Italiener, wo solche Kannen sehr schick sind.

Wie erklärt man dieses Verhalten? In meinen Augen ist es so, dass die Menschen im Moment einfach nicht bereit sind, Dinge ideell zu bewerten. Was gilt, ist der Materialwert und obendrauf der Nutzwert. Rechnet man das Silber bei der obigen Kanne heraus, bleiben keine 20 Euro für das erworbene System Kanne. Das ist weniger, als eine moderne Blechkanne kostet. Alter, Geschichte, Patina, Design: Wertlos. Es wird einfach nicht bezahlt.

Das muss sich erst wieder ändern. Die Krise ist vorbei, wenn solche Kannen in Deutschland für minimal 3-400 Euro zu haben sind, weil die Briten wieder mitspielen und der Silberpreis gegenüber dem historischen Wert an Bedeutung verliert. Wenn sich Menschen wieder etwas Schönes leisten, Luxus, Lebenfreude, und bereit sind, dafür Geld auszugeben. Mit den Silberkannen kommen auch die grossen Tische wieder, die üppigen Lebensmittel, der Genuss und der Wunsch, mehr zu haben und es auch zu zeigen.

Gestern Abend, nachdem recht viel im Angebot war, und sich bei den Käufern des Kontinents eine gewisse Ermüdung eingestellt hatte, habe ich eine Kanne von 1930 in einer klassischen, zeitlosen Form knapp unter dem Materialpreis erstanden. Es wird noch sehr, sehr lange dauern.

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