Manchmal wache ich auf

Und dann hatte ich wieder diesen Alptraum, irgendwo zu sein, im Mittelpunkt des Geschehens, aber es war kaum jemand gekommen; zuwenig, um etwas zu tun, aber zu viele, um die Show abzusagen. Es klingt dumm, wenn ein Journalist das sagt, aber im Kern verabscheue ich Öffentlichkeit und Treffen mit mehr als 1 Person, ich bin dann unsicher, tolpatschig und in gewisser Weise auch gehemmt. Man merkt es mir nicht an, aber ich habe jahrelang gekämpft, das Gefühl der Verlorenheit unter vielen zu unterdrücken, und mir einzureden, dass es toll ist, One2Many-Communication zu betreiben. Awareness als etwas positives zu begreifen. Den Mittelpunkt nicht zu fliehen. Kein Puls von 180 mehr am Mikrophon. Und nicht mehr diese Angst vor den Aufstehern, Weggehern und Ausschaltern.



Manchmal wache ich auf, und dann erinnere ich mich an Fetzen dieses Traumes, und die sehen so aus, wie der Event, auf dem ich gestern war, der mir als ganz gross angekündigt wude und der sich als Rohrkrepierer der PR erwies. In letzter Minute wurde noch telefoniert, eingeladen und bestürmt, damit es wenigstens etwas Kulisse gibt, Klatschvieh, Weinfürlausäufer. Es kamen die Künstler, ihre Freunde, Bekannten und Eltern, ein paar Journalisten, die das Buch abgriffen, und vielleicht noch ein paar andere Leute, die aber schnell wieder gingen. Man beklatschte sich selbst, man brachte das Publikum mit, man war unter sich und allein, einsam und verlassen, und so hatten sie es ganz sicher nicht vorgestellt mit der ersten Vernissage.



Manchmal wache ich auf , und mir laufen Bilder aus einem anderen Leben durch den müden Kopf, Bilder der Kunst und der Architektur, Bilder der Romanik mit ihren doppelstöckigen Kapellen und das Mysterium, das ihnen inne wohnt, die gnadenlose Akustik dieser Räume, die klare Stimmen verlangt, um nicht im Hall zu einem kakophonischen Choral zu werden, Bilder von schlanken Säulen und dünnen Gestalten auf den Tympanoi , grossäugig und mit gespannter haut wie viele meiner jetzigen Mitmenschen, und heute morgen habe ich mich ernsthaft gefragt, ob das nicht ein grandioser Raum für eine Lesung wäre, so weiss, so glatt, so konzentriert und mit Emporen über den Seitenflügeln, hinter deren Brüstung man sich zurückfallen lassen kann, um über das gehörte nachzudenken, über den da unten, der ich dann hoffentlich nicht bin, sondern ein anderer.

Freitag, 15. Oktober 2004, 22:05, von donalphons | |comment

 
auf dem oberen bild sieht es aus, als hätte da jemand einen kranz abgelegt. werden wohl nur klamotten gewesen sein?

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Klamotten. Aber stimmungsmässig hätte ein Kranz auch gepasst.

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Tja,
der Kunsthistoriker und Mittelalterarchäologe, der zum Büfettjournalisten-in-Consultant-in-Zeitgeistautor wurde. In mir kommen auch manchmal Remiszenzen aus einem früheren Leben würgend hoch.

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Schüchtern
"...aber niemand, der sich auf ihr Werk ernsthaft einlässt, wird die Traurigkeit übersehen können, die tief unter der Oberfläche wirkt; die Trauer in einem letztlich brechtschen Sinne, warum die Verhältnisse eigentlich so sind, wie sie sind. Die Jelinek, die eine Zeitlang Mitglied der österreichischen Kommunisten war, ist eine Moralistin durch und durch und im allerbesten Sinne. Sie leidet unter dem Leid. Es macht sie unbarmherzig, wie sie sich selbst einmal beschrieb. Und deshalb findet sie für sich keinen anderen Weg, als dieses Leid in ihren Geschichten und mit ihrer Sprache so zu verdichten, so zu überspitzen, daß es in aller Wucht und Härte der haarsträubenden Monstrosität der Dinge wenigstens annähernd gerecht wird..."

(...wer sie einmal bei einer Lesung erlebt hat, der traut seinen Augen nicht: da steht eine hochgradig zurückhaltende, angesichts vieler Menschen fast immer schüchterne Person, ruhig, freundlich, ab und an ein paar vorwitzige Haare aus der Stirn streichend, vorsichtig, scheu lächelnd...)

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