7 Jahre

Ich täusche mich immer mit dem Datum. Tatsächlich habe ich Berlin unter einem chlorgasgelben Himmel am 31. Mai 2005 verlassen, und nicht am 30. Juni. Allerdings habe ich um diese Zeit dann noch schnell meine Kräuter evakuiert; willkürlich kann man also sagen, dass meine Zelte am 1. Juli abgebrochen waren. Scheidungen, glückliche noch dazu, kennen keine verflixten 7. Jahre. Und es ist nur ein Zufall, dass ich gerade zu diesem Datum noch den Auftrag für ein grosses Stück über die Zurückgebliebenen zu schreiben habe. Unter menschenwürdigen Bedingungen.



Und noch immer graust es mir beim Gedanken, was wohl gewesen wäre, wenn ich das Angebot angenommen hätte, dort zu bleiben. Don Dahlmann hat damals gesagt, etweder man ist nach 2 Jahren wieder weg, oder man bleibt ewig. Weil man dann nicht mehr resozialisierbar ist, hätte man hinzufügen können, der Weg nach Berlin ist eine Einbahnstrasse, man richtet sich dort mit den Problemen irgendwie ein, man arrangiert sich, und der Rest ist einem egal. BER, S-Bahn-Chaos, Randalierer und die Piraten und ihr Desinteresse an normaler Parlamentsarbeit, so kann man das alles erklären. Man muss dort gewesen sein, um es zu verstehen. Aber anderthalb Jahre waren mehr als genug. Wobei, wenn ich ehrlich bin: Anfangs des Monats musste ich stets nach Hause. Ich habe 1000 Ausflüchte gehabt, dort ein paar Tage dranzuhängen. Alles in allem, ein Jahr vielleicht? Immer noch zu viel, nach drei Monaten weiss man, wie das Provinznest dysfunktioniert.



Zugegeben, die Tricksereien der Banken sind schlimmer als Berlin, und das Elend dort fährt, wenn es nicht gerade überbordet, ganz gut im Windschatten der Finanzkrise. Das Leben in anderen Slums ist schlimmer. Aber ich bin dann doch lieber an einem Ort, wo die Menschen im Konzert wirklich 45 Minuten den Mund halten und konzentriert zuhören, wo die Freiheiten der einen nicht die Unterdrückung der anderen unter Lebensvorstellungen bedeutet. Man kann hier schon feiern, aber dafür muss man nicht gleich ideologische Konstrukte der postindustriellen Gesellschaft hochhalten. Vermutlich könnte das Berliner Pack hier sogar irgendwie seine Freiheit verwirklichen, aber es müsste dann ein wenig von seiner obszönen Dreistigkeit aufgeben. Mehr nicht.



Aber das ist schon zu viel verlangt. Die Blase will die Hegemonie, egal ob der Bierflaschenpenner mit Haschproblem oder die Medien auf Leistungsschutzdope, das Kassieren ohne Arbeiten soll die Regel werden, das dröhnt aus Berlin - und das wollen wir nicht, sagen die Menschen in der Provinz. Und kommen mit Worten wie "Gerechtigkeit" und Ablehnung parasitären Verhaltens. Mir tut es immer ein wenig weh, wenn ich mit Leuten rede, die ein Grundeinkommen wollen, um den Menschen die Angstvor Dumpinglöhnen zu nehmen - das ist ehrenwert, aber ein Blog weiter steht dann, was sie damit tun werden. Selbstverwirklichung um jeden Preis, den die anderen bezahlen müssen. Das war 2005 schon fühlbar, inzwischen gibt es dazu eine Partei und Volksvertreter, die in den Parlamenten wenig tun. Ich mag diese Konzerte und das Engagement der jungen Leute am Sonntag, die Begeisterung der Zuhörer und die übervollen Geldkörbe am Ausgang. Es kann funktionieren, hier, in der Provinz, wo jeder die Verpflichtung fühlt, die aus den Bedingungen der Freiheit erwächst. Der Mensch ist nicht schlecht, aber der Berliner in solchen Umfeldern ist ziemlich oft asi. Weil die Selbstbedienung dort als cool gilt. Die Samwers machen es vor, der Rest lobot nach.



Und wenn wir schon über die Bankenkrise reden: Insolvenzverrschleppung, Bailout, Belohnung von Unverantwortlichkeiten, ich sehe da den Unterschied zwischen den Banken und Berlin nicht. Kitas in Berlin sind kostenfrei, das soll die Menschen dazu bringen, mehr Nachwuchs zu zeugen. Woanders muss man zahlen, für die eigene Kita und den Abermillionen, die Berlin nicht hat, aber dafür braucht, Natürlich gibt es dagegen in Berlin keinen Aufstand, die Reichen lachen und die Hipster können noch etwas weniger arbeiten, und am Ende sollen die anderen dafür zahlen, weil Berlin so arm ist. Ich habe in Berlin an allen Ecken und Enden das Verantwortungsgefühl vermisst. Berlin ist nicht einfach nur eine Katastrophe, es ist so katastrophal, wie die Menschen die ihre Stadt gestalten. Na schön, sage ich, wenn ihr so wollt. Kost ein paar Milliarden, schallt es zurück. Warum eigentlich?



Von dem, was in Berlin vorgedacht wird, kommt bei uns nichts an. Die ganzen Ideen und Entwürfe sind bei uns nicht existent. Diese Leute interssieren sich auch nicht dafür, ob ihre Theorien irgendwie implementierbar sind, sie schicken einem allenfalls den Knipserabschaum der Streetviewfreunde auf den Hals, aber nur, wenn die Strassen nicht gefroren und das Wochenendtickets billig und die Versorgung mit weichen Drogen gesichert sind. Es ist in Ordnung, eine neue Gesellschaft aufzubauen, und wenn dabei Berlin verwüstet wird - warum nicht. Danach kann man ja vergleichen, was besser funktioniert, die Theorien der Provinz oder die Theorien der in die Steppe gezogenen Provinzler. Aber dafür zahlen?

Also, nun, bedaure, aber der Krieg gegen die Schuldenunion beginnt am besten in Berlin.

Montag, 2. Juli 2012, 01:20, von donalphons | |comment

 
Berlin setzt eben Trends. Selbst beim Bankenbailout war Berlin Vorreiter:

http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Bankenskandal

Berlin zeigt, wie man auch mit Schulden leben kann... ;-)

Aber Hoffnung macht das nicht.

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strappato,

da muss ich als Mainbube aber aufs schärfste protestieren. Die Ehre, die rafinierteren Bankster mit den längsten Armen und größten Händen (wie Radladerschaufeln) zu haben, gebührt Frankfurt.

http://www.capital.de/finanzen/100008796.html

Oder schon die richtig dicken Frankfurter Kisten wie Helaba (Oswald / Hankel), BfG oder DG-Bank vergessen?

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Landowsky, Diepgen, Nawrocki, das waren alles Waisenknaben. Die Berliner Skandale waren provinzielle Dorfpossen. Korruption kann man das gar nicht nennen, eher Mundraub. Und die S-Bahn fuhr vor 10 Jahren noch regelmäßíg.

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Der Spruch geht anders: Im Mai 45 fuhr die Berliner S-Bahn regelmäßig.

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Und zwar bis zur "Wiedervereinigung", weil die S-Bahn in ganz Berlin unter DDR-Verwaltung stand. Da klappte jahrzehntelang alles und es war zudem billig: wenn ich nicht irre, 20 Pfennig das Erwachsenen-Ticket. ...bis sie in unsere Westhände fiel, und dann in die Hände der Bahn AG.

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jeeves, dem war nicht so.

die s-bahn nahm die vereinigung vorweg, die wurde von der ddr so lange auf verschleiss gefahren, bis sie nicht mehr fuhr, und dann nach wertberlin weitergereicht. damals bedankten die sich sogar noch artig für solche geschenke.

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Auch-einer, anlässlich Ihres Beitrages muss ich mal mein Vergnügen an guten Tippfehlern gestehen. Ein paar richtig feine Tastentreffer in den Kommentaren der letzten Tage:

Wertberlin, für Westberlin.
Hoellaender, für Hollaender.
Life of Brain, für Life of Brian.

Die verkehrten Buchstaben schmuggeln sich ganz wunderbar in die Beiträge. Ich hab das gerne.

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Im Nachhinein ist das eines der wenigen Dinge, derer ich Willy Brandt gram bin: der Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin.

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Mit Leuten, die in Berlin geboren und /oder aufgewachsen sind, habe ich eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Muss ich hier mal loswerden.

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Und es gibt dort auch nur halb so viel Feiertage wie in Bayern. Weder Dreikönig noch Fronleichnam noch Allerheiligen.

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Wenn die eh nicht arbeiten, was brauchen sie dann auch Feiertage!

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War ja klar, dass das jetzt kommt. Vielleicht stimmt das ja: Keine Rekatholisierung ist auch keine Lösung.
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Den Dom Unter den Linden könnte man direkt so übernehmen. Für die Nachrüstung der anderen Kirchen (in Richtung des oben gezeigten Barockdesigns) kann man bestimmt einen polnischen oder chinesischen Supplier finden.

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Juni 2005
Ungefähr um dieselbe Zeit im Jahr 2005 habe ich nach Jahren meinen Studienort verlassen und mich weiter nach Süden begeben (das ist immer noch nördlich genug).

Ich habe ein Volontariat in einer unseriösen PR-Klitsche gemacht und dort eine monatliche Zeitschrift produziert. Die meisten Texte habe ich selbst geschrieben. Die Bezahlung war natürlich mies, aber da sich kaum jemand um mich kümmerte, konnte ich schreiben, was ich wollte.

In dieser Zeit stieß ich über die Kampagne "Du bist Deutschland" und Jean Remy von Matts E-Mail über "die Klowände des Internets" auf Blogs wie Blogbar, Werbeblogger, Indiskretion Ehrensache usw. Das hat mich nachhaltig inspiriert. Bis heute.

Dabei wollte ich damals eigentlich nach Berlin. Gar nicht auszudenken, was ich alles verpasst hätte, wenn das geklappt hätte.

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*05. April 1945 in Berlin (Charité)
Danke, hm555

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im eigenen saft
wer seit jahren nicht in berlin gewesen ist, kann leider überhaupt keine richtige aussage dazu treffen. dazu muss man ein bisschen länger und vor allem in den letzten ca. 10 jahren hier gelebt haben.

(man merkt auch texten - egal welchen - jeweils deutlich an, wenn dinge jeweils kolportiert sind und keine eigenen erfahrungen dahinter stehen.)

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@hansmeier555

,,Mit Leuten, die in Berlin geboren und /oder aufgewachsen sind, habe ich eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Muss ich hier mal loswerden."

Geht mir auch so. Die lächerlichsten Großstadtindianer im Sinne der hier für die Steppenbewohner entwickelten Beschreibung kannte ich aus München. Ich glaube nicht dass die o.g. ,,Diagnose" falsch ist. Um sie zu retten darf man sie halt nicht nur auf Berlin beziehen.

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niemand stellt die diagnose in Frage, es ist halt nur ein recht verzerrtes Bild weil stark eingeschränktes bild. das wäre so als würde man das an der ein oder anderen stelle geradezu bezaubernde minchen auf "loddar maddeus" und seine weitere etourage beschränken.

und wie an anderer stelle bereits angemerkt weisen lebensführung des hausherrn und die der berliner bionadeburgeoisie* bisweilen erschreckende parallelen auf ;)

sollte er mal wieder geifern, lasst ihn machen, die galle sollte man sich für fettes essen aufheben

*sind ja laut dem kommunalen narrativ auch alles aus den südprovinzen zugereiste

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@rollproll

,,sollte er mal wieder geifern, lasst ihn machen, die galle sollte man sich für fettes essen aufheben"

Danke, ein vorzüglicher Rat! ;-)

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Ich verkehre nicht in den kritisierten Kreisen, aber daß diese selbsternannten Gesellschaftskünstler Berlin dominieren, dem stimme ich zu. Aber das wird nicht mehr lange anhalten, die Migranten kommen. Man mag über Bushidos Praktikum bei der CDU lächeln, aber der nächste Bürgermeister schon könnte ein Migrant sein, bei der SPD gehen entsprechende Leute mit einem Anti-Wowi-Kurs in Stellung. Zuerst wird sich dadurch nicht viel ändern, am Ende- und das kann schon in den 20ern sein-haben wir dann Zustände wie in Westafrika. Die Freunde von Wowi werden dann nichts mehr zu lachen haben. Und ich erlebe meine späten Jahre in autochthoner Umgebung in Brandenburg, hoffe ich zumindest.

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Ceterum censeo Carthaginem esse delendam

€: i stimmviech ... bedziemy? chacha ... juz jesteszmy. boi sie stary! (ale nas nie rozpoznawasz ... )

€2: es geht auch eher um das leierhafte denn um das nordafrikanische kleinod

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Mir wäre es lieber, unsere Kultur würde nicht zerstört. Insofern unterscheidet sich die Intention meiner Aussage doch von der des Zitats.

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"haben wir dann Zustände wie in Westafrika"

Echt? Sind da Migranten Bürgermeister?

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@stimmviech:
Nur damit nicht der falsche Eindruck entsteht man könne Murks in eine zivilisierte Umgebung dadurch einführen, dass man ihn immer wieder anführt - die Leute gewöhnen sich dann daran.
,,...in autochthoner Umgebung."
Der Begriff autochthon ist in Mitteleuropa jedenfalls für gebildete Menschen nicht verwendbar. Seine Benutzung schon weist nach dass sein Benutzer nichts von der Geschichte dieses Landes weiß. Ob Ungebildete, die dennoch mitreden, aus Westafrika oder aus Kiel stammen, ist mir gleichgültig.

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nicht verwendbar? iiwoooo:

Düsseldorf! Autochthon! Neandertal! :-))

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... Und noch ein bisschen weiter den Rhein entlang, bei unseren niederländischen Nachbarn, ist "autochtoon" ein viel verwendetes Wort.

http://nl.wikipedia.org/wiki/Autochtoon_%28antropologie%29

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@diktionaftis Danke für den Link! Herzlich gelacht! Da sieht man wie man über die eigenen Füße fällt, sobald man schlechtgelaunt in böser Absicht (spalten, ausgrenzen) sich den Begriffen nähert. Was ,,deutsch" ist im Sinne eines alltagssprachlichen pragmatischen Vorurteils ist für uns Alle kein Problem. Sobald wir nah ran gehen wird der Begriff immer unschärfer. Wenn wir noch näher rangehen werden wir - verückt.

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Natürlich kommt man wieder weg, auch nach 20 Jahren noch. Es braucht dann nur ein wenig länger um wieder anzukommen.
Was zu beweisen wäre.
Die Stadt eignet sich doch gerade besonders gut als Spiegel dieses ganzen Durcheinanders, weil sie ein Umschlag- und Durchgangsbahnhof der Geschichte ist. Deshalb sieht´s hier auch oft so aus, wie auf den Bahnhofstoiletten. Aber es gibt, um im Bild zu bleiben, auch noch ein paar Nebengleise mit Waggons, wo man es vielleicht aushalten könnte.

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mir ist erst dank diesem text heute klar geworden, dass lobo von lobotomie kommt. danke

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