浮世絵

In meiner Wohnung hängen vier Blätter aus den 36 Ansichten des Fuji von Hokusai. Als ich sie gekauft habe, war ich noch nicht lange eingezogen, hatte nicht viel Geld übrig und war froh, so billig ein wenig Erbauliches für die Wände zu finden. Sie sind nicht sonderlich wertvoll; der Umstand, dass sich darunter auch Bilder aus den geplanten 100 - und letztlich bei 46 verbleibenden - Ansichten sind, zeigt zwar, dass sie alt, aber keinesfalls die ersten Originale sind. Ich könnte mich natürlich auch mit der Frage der abgenutzten Druckstöcke beschäftigen, mit denen die Arbeiten von Hokusai zugewiesen und datiert werden, aber ich gehe lieber zum See, der mein privater Fuji ist.





Das Schriftzeichen dort in der Überschrift steht für Ukiyo-e, was übersetzt in etwa "Bilder aus einer fliessenden Welt" bedeutet. Mein Leben hier ist auch fliessend, und manche bezeichnen es als einen grossen Witz, dass ausgerechnet ich, der ich mit Wasser im Allgemeinen wenig anfangen kann und selten mehr als 10 Tage im Jahr beim Baden bin, ausgerechnet an einen See gezogen bin. Hätte ich nicht auch ein, zwei Dörfer weiter ziehen können, wo ich für den gleichen Preis ein Zimmer mehr bekommen hätte? Und warum geht man überhaupt zum See? Was hat der Mensch mit diesem Element, das zusammen mit dem Feuer dasjenige ist, das für ihn tödlich und gefährlich ist?





Ich glaube nicht, dass die alte Besitzerin des Cafe am See gewusst hat, wer Hokusai gewesen ist, und dort hingen auch keine Ukiyo-e herum, aber sie sagte einmal, dass sie den See nun schon seit Jahrzehnten kennt, und nie sieht es gleich aus. Es ist eine fliessende Welt am Wasser, und wenn ich dieses Glück habe, und es ist im Norden grau und im Süden grau, und nur über mir scheint am See die Sonne, dann bin ich zufrieden. Mehr muss gar nicht sein, der Tag ist gut geflossen, den Rest nehme ich dann gar nicht mehr so wichtig. Hier fliesst es richtig, auch wenn es anderswo überschwemmt, mitreisst und vernichtet.





Das ist in meinen Augen das Angenehme, wenn man einen Punkt erreicht hat, an dem man zufrieden ist: Dann muss man sich nicht mehr als Teil grosser Umwälzungen schlecht fühlen. Der Tegernsee hat einen grossen Zufluss, mehrere Gebirgsbäche und einen Abfluss, und es dauert drei Jahre, bis das Wasser ausgetauscht ist. In solchen Zeiträumen kann man Veränderungen gestalten und sie auch bewältigen. Es geht nicht immer gut, aber es geht letztlich doch alles glatt. Ich würde so ein Leben, und sei es auch nur geborgt oder für ein paar Wochen, auf keinen Fall missen wollen, aber so bin halt ich und andere sind anders und rechnen genau durch, was sie erringen können, wenn sie das riskieren.





Und jetzt stehe ich eben hier unten im letzten Licht des Tages, zwischen mir und dem Wasser ist nur die silbrige Luft, das Holz aus den Bergen und das Leder der Veroneser Schuhe in den Farben der Region. Dann wieder Luft und Wolken und ein Streifen für jene, die vielleicht herunterschauen können, wenn sie einen Fensterplatz, einen Flugschein, einen Auftrag und einen Moment der Achtsamkeit haben, bevor sie den ipod weiterschuffeln und sich wieder dem Filmprogramm zuwenden. Gibt es das überhaupt noch? Es ist lang, lang her, dass ich das letzte Mal geflogen bin. Das nachletzte Mal war es der verhinderte Versuch, nach London zu kommen.





Natürlich reicht in so einer sacht dahinfliessenden Welt schon wenig, damit alles durcheinander kommt. Oft sitzt man am See, nimmt einen Stein in die Hand und

denkt darüber nach, ob man ihn werfen soll. Alles hat sich so gefügt, wie es ist; wirft man ihn, wird es vielleicht Jahrhunderte dauern, bis er wieder an den Strand gelangt, oder aber er wird zu Sand zerrieben. Für das Schicksal ist man selbst nur so ein Stein. Und dann legt man ihn wieder hin. Andere sehen das natürlich ganz anders, und so wird getan und getrampelt und alles in der Annahme, dass es schon irgendwie geht, weil es schon immer gegangen ist. Und wenn es dann doch nicht geht, maulen sie auch noch rum, dass man eigentlich ganz gern wieder ruhig und angenehm weiter machen möchte, ohne sie natürlich. Das sah man beim 29C3, aber das war auch bei mir teilweise so. Man muss immer, das ist der Preis des ruhigen Fliessens, überlegen, wie man den Ausgleich bewahrt. Und wer das eine will und das andere und nimmt, was er kriegen kann, ohne Rücksicht und am besten auch noch im Gefühl, dazu ein Recht zu haben, für den gibt es irgendwann keinen Zugang mehr.





So ist das, unten am Wasser. Oh, ich habe natürlich nichts dagegen, wenn andere ihr Dasein anders gestalten, ich bin auch für die Freiheit und Selbstverwirklichung aller, und ohne jde Frage ist es auch manchmal fad am See, so dass man vielleicht dessen Wert ein wenig falsch einschätzt. Das liegt aber nicht am See, sondern am Bestreben, mehr zu haben. Mehr Reisen und mehr Platz und mehr Leute, die man rumscheuchen kann und Titel und ach ja, so ein See in den Bergen, der erzählt doch nur von den Grenzen, von der Mühsal, von der Bedeutungslosigkeit der Menschen und der Unerbittlichkeit der Gletscher, die irgendwann wieder alles wegräumen werden, und dann fängt es von vorne an. Ohne mich natürlich, aber auch ohne all die anderen.

Mittwoch, 2. Januar 2013, 14:21, von donalphons | |comment

 
"Oh, ich habe natürlich nichts dagegen, wenn andere ihr Dasein anders gestalten...."

Danke für Ihre Großzügigkeit!
;o)

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Gemeint ist in etwa: "Ich verbuche dann die persönlichen Verluste und investiere das, was ich geben kann, hoffentlich besser".

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das équilibre... ein wenig seltsam erscheint es schon, wenn man angekommen ist und nichts mehr verändern möchte.

lieber don, mir ist erst neulich aus einer erbschaft ein gut erhaltenes blatt von hokusai, rückseitig gestempelt, in die hände gefallen, kajikazawa in kai province, leider natürlich nicht die komplett bläulich gehaltene variation, das wäre nicht nur farblich recht günstig gewesen.
nun sehe ich allerdings keine schwarzen umrisse, sondern blaue.

ein ganz fürchterlich dumme frage, ich weiss, aber ist dies üblich?

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Wenn ich mich recht erinnere, dann war das Blau der Originale recht hell und das "Schwarz" späterer Auflagen oft nicht rein schwarz, sondern ein dunkles Blau. Aber ich bin kein Experte.

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nun habe ich mir ein werk zu hokusai aus dem regal geholt: nun soll entweder die färbung komplett bläulich sein, was vorgeblich einem kleinen lottogewinn gleichkäme, oder eben wie die späteren auflagen, die auch grün und gelb koloriert sind und die, wie sie zurecht sagen, dunkelblaue linien aufweisen.

wenn ich allerdings die farbgebung der umrisse und linien recht betrachte, so erscheinen sie verglichen mit dem buch - dort möglicherweise buchdruckbedingt - schon heller als bei der kolorierten, eher so wie bei der blauen auflage: koloriert, aber hellere blaue umrisse *rätsel*. tja. nun.

immerhin zeigt es das meer, auch ein wasser, und das nicht zu knapp.

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Meine "Große Welle von Kanagawa", die ich mir vor einiger Zeit aus der FTD ausgeschnitten hatte, wird auch mal viel wert sein. Auf jeden Fall mehr als deren Liquidationserlös.
hä hä

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nix! mir gem nix her.

man würde halt gerne wissen, was genau man da auffand - immerhin bei jemandem, der das zwar nicht wirklich zu schätzen wissen gedurft haben würde, aber die qualle, pardon, quelle, aus der das blatt stammt, verweist auf einen höheren wert, auch der übergabeanlass ist kolportiert; dies würde auch aufzulösenden haus entsprechen. viele feine sächelchen, aber oje, welch eine mühsal.

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Zu Bild 8:
Weihnachten habe ich mir in L. meine fellgefütterten abgeholt. Nun warte ich auf das passenden Wetter!

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... ganz toll, echt jetzt!

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Ein Lob der bayerischen Verfassung.

Der grundsätzlich freie Zugang in Wälder und an Seeufer ist in Europa nichts selbstverständliches. "Ihr da oben" könnt die Zufahrten eng und die Parkpklätze klein halten, aber zu Fuß darf ich auch an den See. Das erleichtert mir auch das Gönnen. Ich gönn Ihnen den See und danke für die Bilder.

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In Potsdam tobte um den Uferweg des Groß Glienicker Sees jahrelanger Kleinkrieg.

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Nicht nur am Großen Glienicker See.
Auch der wunderschöne öffentliche Spazierweg entlang des Griebnitzsees in Babelsberg (südwestlich von Berlin; früher Teil der Grenze) wurde von den neuen Villenbesitzern immer wieder widerrechtlich gesperrt. Die Villeneigner wollen natürlich den direkten Weg zum Wasser (und die damit verbundene Wertsteigerung) und die Spaziergänger wollen da weiterhin ungestört lang laufen, resp. mit dem Rad langfahren ...
Deshalb: jahrelanger juristischer Streit und die Parten mit den besseren Anwälten und mehr Geld haben natürlich gewonnen (oder hat sich da wieder was geändert?).
Es war ein wunderschöne Spaziergang, immer am Wasser lang, von den Radiosendern in Babelsberg über Kohlhasenbrück in den Ortsteil Wannsee...

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@ jeeves...
so eine Nummer hätten sich nicht mal die Bonzen vom SED Partei - Kontrollrat getraut, die früher, als sich noch keine Jauch's und Joop's die Filetstücke gekauft hatten, rund um Potsdam diese Ufergrundstücke im Beschlag hatten.

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Auch wenn es hier nur Broder interessiert...
....Enteignung von jüdischen Grundbesitzern am Griebnitzsee:

@Sterngucker: Der Kontrollrat befaßte sich mit solchen Lappalien nicht, für die SED war das militärisches Gelände. Die Jauchs und Joops haben die auch am Tegernsee üblichen Preise bezahlt.

@jeeves: Die überwiegend jüdischen Grundbesitzer waren in der Nazizeit und natürlich auch zu DDR-Zeiten widerrechtlich enteignet worden und ihre Eigentümerrechte reichten bis zum Seeufer und standen aber nach der Wiedervereinigung im Gegensatz zu modernem Recht. Der Konflikt wurde durch die kompromißlose und dämliche Haltung der Stadt Potsdam erst verschärft. Details bitte ich der Presse zu entnehmen.

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Ihre Geschichte erinnert mich spontan an ein unvermutetes ukiyo-e aus der Meiji-Zeit, dem ich unlängst im Umfeld von Audubons "Birds of America" begegnete:
http://rlv.zcache.com/john_james_audubon_bird_naturalist_postcard-p239224704774633320baanr_400.jpg

Verblüffend, nicht wahr? Nicht nur, daß das Blatt ein westliches Motiv enthält und daß das Porträt dem Biedermeier-Don verblüffend ähnlich sieht, nein, es gibt noch mehr Parallelen. Das Blatt zeigt nämlich eine Episode aus Audubons Leben. Er hatte seine wertvollen Aquarelle in einer Holzkiste verwahrt. Diese Kiste wurde von norwegischen Ratten aufgenagt und zum Nestbau verwendet. Die Blätter waren natürlich unwiderruflich zerstört. Audubon nahm es relativ gelassen, meinte, er könne es jetzt eh besser machen und fing von vorn an. Mit den bekannten und bemerkenswerten Konsequenzen. In diesem Sinne, Don Alphonso Ihnen und uns allen ein gutes neues Jahr!

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panta rhei
Wohl dem, der die Farbe seines Schuhwerks auf die Tagesfarbe seines Sees abstimmen kann.
"Pianta re" sozusagen.

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mal kurz einen link von einem blick über einen see,
einen anziehend-einladenden blick, den auch wir - häufig mehrmals wöchentlich - immer wieder sehr schätzen. immer wieder gespannt sind, wie es denn heute dort aussehen wird und wirkt. http://www.panoramio.com/photo_explorer#view=photo&position=13&with_photo_id=6412923&order=date_desc&user=1146085
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und zwar im zutiefst katholischen, aber eben sehr wohl auch gelassen-konservativen und aufgeschlossen-toleranten frankreich.
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der blick von der stadtautobahn (sic) über rasenfläche, spazierweg, ufer und see auf weichbild mit dom.
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und eine "dauerinstallation" das. und sehr öffenlich. und selbstverständlich niemandes frage oder anstoß. und sehr angenommen von jung und alt und jeder stunde des tages an jedem wochentag.
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und im winter ist der see gefroren.
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und die kultur fällt einem ein.
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"„Den ganzen ‚Tristan’ könnte ich nicht mehr aushalten. Wohl aber den ‚Lohengrin’, dessen Vorspiel vielleicht das wunderbarste ist, was er überhaupt geschrieben hat, und den ich in seiner blau-silbernen Schönheit wohl immer noch am innigsten liebe – es ist echte, bleibende, bei jedem Kontakt sich erneuernde Jugendliebe... ."
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http://www.jonaskaufmann.com/de/15/texte-zu-lohengrin-von-thomas-voigt.html
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und vielleicht bringt ja in einer nächsten generation auch einer einmal ein hölzernes schriftzeichen an, an seinem see? und zwar direkt in lebensgröße, wie in metz. nachdem die zustimmung der honoratioren dann kein problem mehr, sondern vollkommen selbstverständlich.
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(und jaja, man weiß, ein idyll, ein allzu deutsches solches. vielleicht. und doch so gesund und vollkommen richtig für unser innerstes so oft, gar keine frage. "die deutsche seele up-to-date". tube findets auf anhieb. http://www.youtube.com/watch?v=AcekLCkaP0A )
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grüße

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Was Wagner angeht, mag Don nur den mit den Torten. Mit Richard hat er es nicht so. Um nicht zu sagen so ganz und gar nicht, wirklich nicht. Echt jetzt.

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es ist aber viel wagner in don a.?
und ja, wir verstehen des gastgebers unreine ablehnung - womöglich auch, dass er zwischen person und werk und zeitgeschichte und heutigen konzertbesuchern und deren atemluft kaum unterscheidet. alles ablehnung, reinste ablehnung.
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aber es ist viel wagner in don a . - ungefähr so viel, wie in bayrischen königen?
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und sicher, wir delirieren... . und reinste ablehnung, sicherlich.
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danke für die links. (und wir insistieren nicht "man sehe die bilder an, es ist das lohengrinvorspiel - in seiner blau-silbernen schönheit!" und wir loben gastgebers photos, taten wir das schon? - auch sie sind nämlich frei von kitsch, wie der text, aber kunst & leben(!)) (wie schön!)

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Und welcher König steckt in Ihnen, dass Sie von sich im majestätischen Plural sprechen? ;-)

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wir und wir von wir natürlich,
wie sonst? und danke der nachfrage. perfekt!57 ist natürlich eine kunstfigur. und kennt keine welt.
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"aber es ist viel wagner in don a . - ungefähr so viel, wie in bayrischen königen" - eine könig in seinem reich - und dankenswerter weise selbstverständlich ohne die probleme realer monarchie.
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so wars gemeint.

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Geschätzter Hausherr, bitte gestatten Sie eine Frage: Wie pflegen Sie eigentlich Ihr Schuhwerk? Um die weißen Nähte sind Sie zu beneiden ...

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Lederfett, und dann habe ich noch für Beschädigungen so eine aus Italien mitgebrachte Creme. Aber das Leder ist recht beständig.

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Ich danke!

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