1986 kam der Messias

Da, wo jetzt der Weihnachtsmarkt vor dem Stadttheater ist, am nördlichen Rand mit der langen Reihe von Holzbuden, vor dem eine Bläsergruppe das zeittypische Repertoire abspielt, wird der Platz von einer Böschung begrenzt, und dahinter ist das Alte Schloss. Zwischen den Treppen und dem Schloss ist nicht viel Platz. 1986 war ich in diesem schmalen Streifen mit nicht allzu vielen anderen eingepfercht. Vor uns stand die Polizei, und davor strömten Menschen in das Stadttheater. Der Festsaal sollte voll werden, an diesem nebligen Herbstabend. Auch drinnen ging es um die Ankunft des Messias.



Wer als Vertreter einer winzigen, offiziell eigentlich ausgerotteten ethnisch-religiösen Minderheit in dieser Stadt aufwuchs, wusste natürlich, dass da hinter der freundlich-bayerischen Fassade seit 1933 vieles fast bruchlos durchgelaufen war. Allein schon, weil der einzige kurze Bruch von 1945 bis 1953 einem Familienmitglied zu verdanken war, das 45 nicht wie die meisten seiner früheren Freunde als ehemaliger Kriegsgefangener, sondern am Steuer eines amerikanischen Jeeps zurückkam und die Entnazifizierung hier mit ein paar "KZlern" in die Hand nahm. KZler, das war das, was man diesen Leuten ab 1953 mit der Rückkehr der Nazis in die Ämter wieder hinterher rief.

Fast alle waren sie dabei gewesen, die Zeitung blieb so zusammengleichgeschaltet und der selben Familie zugehörig, wie sie es schon vor 1945 war, und Vertriebene und Revanchisten bekamen ihre eigenen Seiten. Daran konnte auch die Beobachtung urch den Verfassungsschutz nichts ändern. Selbst in den Schulen wurden die alten und weniger alten Nazis an der Jugendfront eingesetzt, und in einer Stadt, die die 68er nie erlebt hat, waren diese Schweine keinesfalls harmlose alte Deppen. Noch nicht mal der stadtbekannte Umstand, dass ein Geschichtslehrer seinem Sohn zum 18. eine nachgeschneiderte SS-Uniform geschenkt hatte, zog Konsequenzen nach sind. So war die Stadt, als der Messias kam, im Herbst 1986.

Die Staatspartei war an und für sich dagegen, aber irgendwie war der Messias doch immer noch einer von ihnen, man kannte sich ja, und so unternahm sie nichts gegen seinen Versuch, den grössten Saal der Stadt zu bekommen. Man konnte nicht viel dagegen tun, ausser hingehen und die Leute anschauen. Hoffen, dass sie es sich vielleicht nochmal überlegten, da rein zu gehen, zu ihrem Stammtischbruder, dem München-leuchtet-Preisträger, dem verkörperten Jetzt red i, zum Waffen-SS-Mitglied, zum Messias einer Partei, die jung war und kräftig, der die Menschen in Scharen zuliefen, weil sie sich nicht mehr wie in der Staatspartei verstellen mussten.

Ich wollte nur die sehen, die da rein gingen. Nicht beschimpfen, nicht anschreien, einfach nur anschauen. Die einzige kleine Rangelei artete schnell in eine wüste Schlägerei mit den vom Messias mitgebrachten Aufpassern aus, danach kam die Polizei und drängte die paar wenigen, die dagegen waren, an die Böschung. Da stand ich dann. Es kamen all die bekannten Gesichter der bekannten rechten Prominenz, und es kamen die Alten, von denen mir meine Grossmutter erzählt hatte, was sie damals getan hatten, ein Aufmarsch der Partei über 40 Jahre nach ihrem offiziellen Ende. Viele Orden aus der Zeit; die Polizei schritt nicht ein, sie hatte genug zu tun, uns an der Böschung zu überwachen. Aber immer wieder auch Honoratioren der Stadt, Leute, die man kannte, darunter auch solche, die mich zum Kuchen geladen hatten und in die übliche Liste der potenziellen Partner für ihre Töchter eingereiht hatten, denn das Geld läuft hier schneller zusammen als das Blut, sagt man. Diese Leute sahen einfach weg, der Apotheker G. kam sogar mit seinem Sohn, der Autohändler S. trug, wie sein gesamter Clan, die Sonntagstracht, es kamen Lehrer und auch manche von der Staatspartei, weil, über den Messias, über den wollte man sich schon informieren, und das war die paar Mark Eintritt dann auch wert.

Der Messias kam und ging durch die Hintertür, gesehen hat ihn keiner von uns. Eine Handvoll Störer wurde im Saal entfernt, bevor er auftrat, nachher gab es Anzeigen, und wir sammelten in den nächsten Wochen für einen Jungen, der gerade volljährig war und ein Ermittlungsverfahren am Hals und finanzschwache Eltern hatte.

So war das 1986, als der Messias kam. Der Messias war so, wie man ihn sich vorgestellt hat; sein Kommen liess die Stadt so erscheinen, wie sie in ihrem Innersten war und vielleicht immer noch ist. Viele sind hier seitdem so elendiglich in den Hospitälern verreckt, wie sie schon am Kubanbogen, in Stalingrad, im Hürtener Wald oder im Aachener Kessel hätten verenden sollen. Ihre Orden werden von den Erben an die hiesigen Militariahändler verschachtert, aber deren Geschäfte scheinen zu gut zu gehen, als dass ich glauben würde, es sei alles vorbei. Ihr nächster Messias muss nicht mehr geboren werden, er ist schon da und wird sich eine anderes, heute marktkonformes Branding geben. Aber er wird kommen, sie werden ihn besuchen, und ich will verdammt sein, wenn ich dann nicht wieder am Rand stehe und in ihre Kotzfressen schaue, in dem Wissen, dass sie irgenwann genauso draufgehen wie ihr Messias.

Donnerstag, 1. Dezember 2005, 12:23, von donalphons | |comment

 
Vielleicht bin ich ja der Einzige, der nicht weiss, wer der Messias war.

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Franz Schönhässlichhuber

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So in etwa habe ich mir das vorgestellt, aber ich dachte, nein, dass kann doch nicht sein. Ich hatte ja keine Ahnung, wie schlimm es da unten ist.

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Damals, in Lübeck
Da standen wir draußen und protestierten gegen die NPD. Nur drei Andere waren mit über eine Ubootadresse beschafften Einladungen reingegangen. Als drinnen die Veranstaltung losgehen sollte, erhoben sie sich von den Stühlen, brachen je ein Bein ab, ******* eröffnete mit: "So, Ihr Nazischweine, jetzt gibt´s Saures!", und ein knappes Dutzend Gehirnerschütterungen und Platzwunden später gelang es den dreien, über die Feuerleiter ungeschoren zu entkommen. Die NPD-Veranstaltung war gestorben. In Göttingen bekam ****** es unblutig hin: Die Lautsprecheranlage hatte keinen Saft, alles, was zu hören war, war "Wir woll´n keine Nazischweine! Nazis verpisst Euch, niemand vermisst Euch! Tod dem Faschismus, Krieg dem Krieg!"

Na, und zum letzten NPD-Aufmarsch in Göttingen siehe hier: http://che2001.blogger.de/20051031/


Die nächste Generation mag noch viel schöner hubern, aber es wird immer Widerstand geben, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.

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Zwei Horizonte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Dons eindringliche Schilderung, wie die Reps gfest verwurzelt sind im gesellschaftlichen Establishment von fucking black Ingolstadt und Göttingen, wo die NPD (im Gegensatz zu den Reps echte Nazis, keine Halbfaschisten, die zu feige sind sich festzulegen) wie eine Invasion vom fremden Stern wahrgenommen werden und wo es für die Jugend Volkssport ist, gegen Nazis auf die Straße zu gehen. Beide Beispiele hintereinander gelesen: Sehr schön!

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Heisst es nicht "Hürtgenwald" ?

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Es heißt Hürtgenwald. @nicht wie in der Staatspartei verstecken: Ein CSUler redet für meinen Geschmack schon viel zu direkt und offensichtlich schwarzbraunen Scheißdreck. Wenn die Reps nur die ehrlichere Variante sind, dann würde der Bayer wohl ebensogut ins Braunhemd passen wie in die Sepplhosn. Dass es dort unten nicht so kommt wie in Meckpomm oder Dunkelsachsen liegt wohl nur daran, dass Geld faul, bequem und feige macht.

@che: Wie eine autonome Antifa-Aktion liest sich die Lübeck-Geschichte aber nicht.

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Das waren ja auch keine studentischen Antifas, sondern ein kleinkrimineller Reisechaot (von Beruf Maschinist) und zwei kommunistische Hafenarbeiter.

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