Real Life 20.12.05 - China Shopping

Die Bahn ist nicht dein Ding. Eigentlich bist du Anhänger des Individualverkehrs, sei es mit dem Rad oder zu Fuss oder. mit dem Auto, wenn es Strecke und Wetter erfordern. Es gab auch mal eine Bahnphase in deinem Leben. Ganz kurz sogar eine ÖPNV-Phase. Aber das ist lang her. Der schlechte Geruch aus der Heizung, das mitunter wenig gepflegte menschliche Umfeld, sein bedingt soziales Verhalten, all das hat dir den Schienenverkehr verleidet. Im Sommer bist du die 80 Kilometer von München heim in die Provinz oft mit dem Rennrad gefahren, selbst bei Gewitter war das angenehmer als die Züge durch die finstere bayrische Provinz.

Aber diesmal gibt es aus diversen Gründen keine Alternative. Es ist mal wieder was schief gelaufen, die Barchetta, die zum Transfer anstand, hatte keinen Saft mehr in der Batterie, nach drei Monaten Rumstehen am Strassenrand. Du weisst, was dich da drin im Zug erwartet, und deshalb nimmst du neben der blutrünstigen Lektüre des Mönchs von M. G. Lewis - sehr empfehlenswert übrigens, ein Abt in Spanien schändet Jungfrauen mit Teufelshilfe, aber einer, der sich Alphonso nennt, entreisst ihm seine Liebste und trägt zu seinem Untergang bei - auch noch etwas drogen Seelentranquilizer in Form der aktuellen World of Interiors mit, in der Hoffnung, über Stuck, Silber und Damast die Niederungen des Daseins zu überstehen.



Du nimmst Platz und achtest nicht auf das, was um dich herum geschieht. Es ist nicht viel los, in diesem Zug nach Norden. Es dauert, bis draussen die Masten und die flachen, hässlichen Industriebauten des Stadtrandes vorbeifliegen, aber dann nimmt das Unheil von hinten kommend seinen Lauf. Zuerst hörst du sie, dann riechst du sie, es ist diese Mischung aus Kälte, fettem, alten Fleisch, dem impertinenten Parfum der Frauen und Sauerkraut. Über dessen Qualität sie sich, nachdem sie gerade vom Essen kamen, lautstark unterhalten. Sie, das sind fünf unterschiedliche Stimmen, drei Männer und zwei Frauen. Du drehst dich um und siehst nur einen, der schon sitzt, der auch ein Penner sein könnte in seinen abgelatschten, billigen Schuhen mit Gummisohlen, den unter die Fesseln gerutschten Socken, der vergammelten Hose, über der ein Bauch quillt und ein topfförmiger Schädel ohne erkennbaren Halsanschluss sitzt, bekrönt von einer Baseballkappe. Aber hier ist tiefstes Bayern, das hier ist der Speckgürtelexpress, das alles muss noch gar nichts heissen.

Noch hast du dich nicht zur World of Interior zurückgedreht, da sagt er auch schon was von wegen, was für Essen es bei ihm im Ministerium so gäbe. In den nächsten Minuten wird dir aus 5 Meter Entfernung die Faktenlage zugebrüllt, so laut, dass du dich dem nicht verschliessen kannst; der Penner ist ein hohes Tier in einem Ministerium, Verwaltungsbeamter nicht weit unter einem Minister, und er redet, redet, redet, lacht über seine eigenen Witze. Die anderen sind seine Bekannten, und die waren heute einkaufen. Ohne ihn, was jetzt zur Folge hat, dass sie ihm die Beutestücke vorführen.

Wos isn des, tönt er von hinten. Dann liest er vor: Nasi Goreng. Haha, des kennt a glei Nazi Goreng hoassn. Allgemeine, ungetrübte Heiterkeit. Oda Nasen Spray, und erneut wiehert die Runde, quiekend eine Frau, schallend die Männer. Die Käuferin meint, das sie mitsamt dem anderen Asienzeug für Irmtraut, die sei jetzt doch so im Colonial Style eingerichtet, ned woa, und die wolle so Chinesnkrampf, und da sei die Packerlsuppn doch recht praktisch. Es folgt ein heiterer Austausch über den Mann der Irmtraut, der, so der wortführende Penner, Nichts habe, was bedeuten müsse, dass seine Frau was taugt. Erneute Heiterkeit.

Sie machen auch nicht mehr die alten rassistischen, misogynen Faschodrecksäcke as they used to, die hier sind Anfang 60 und auf ihre Art die schwarze Seite der68er, die sind damals geprägt worden und können heute noch über Zoten lachen, alles geht, alles zusammengemischt und es passt doch in die politische Landschaft des Freistaates. Die nächsten Kilomter klammerst du dich verzweifelt an die World und du hast Glück, schon bei der ersten Haltestelle, einem toskanahauspestverseuchten Ex-KZ-Ort, packen sie zusammen und verlassen den Zug, wo sie dann schon mal anfangen, das Weihnachtsfest vorzubereiten. Aber nicht, ohne am Fenster vorbeizulaufen und dir nochmal vorzuführen, warum du nicht ewig hier bleiben kannst, ohne vor die Hunde zu gehen. Dann fährt der Zug an, und du siehst ein letztes Mal in das leutseelig grinsende Gesicht des hohen Beamten.

Dienstag, 20. Dezember 2005, 23:16, von donalphons | |comment

 
Igitt! Aber so ist´s. Demnächst gibt´s bei mir chinesisch - mit frischen Zutaten.

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Ich fahre sehr gern ÖPN+FV. Mit Ipod. So bleibt laut gestikalisierendes und telefonierendes Dreckspack unbemerkt. Probieren sie's mal.

Nasi Goreng aus der Tüte? Die fressen sicher auch kleiner Kinder da.

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vielleicht sollte ich ja auch sowas mitnehmen, Frank Sinatra mit Kick to the head oder wie das heisst.

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Darf ich raten: 1. Klasse?

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Nein, natürlich nicht, nur 2.. Als wir noch Personal hatten, so bis Mitte der 80er, fuhr das durchaus auch 1. Klasse, wenn wir mal Bahn gefahren sind, aber ich bin vom Status ja durchaus drunter, da tut´s die 2. auch.

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Mir fallen solche Leute oft in der 1. Klasse auf. Trotzdem ist 1. Klasse um Längen angenehmer als die Mischung aus Wehrpflichtigen, alleinerziehenden Müttern mit Kindern und Studenten in der 2. Klasse.

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Das war ein regionalzug, da gibt es keine 1. Klasse, sondern allesbunt gemischt. Und das war auch der Typ, der es geil findet, dass so ein Chinashächtelchen und 99 Cent kostet und keinen Gedanken daran verschwendet, wo sowas geflochten wird.

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@strappato:
Hurra es lebe die Abgrenzung.
Die Geschichte klingt so furchtbar nach dem Drang, die eigenen 4 Waende nicht verlassen zu muessen um soziale Interaktion vermeiden zu koennen. Bei Dir klingt das in etwa so durch: An der ersten Klasse stoert dieses und an der 2. jenes.

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1. Klasse ist netter. Wobei das auch a bisserl eine Frage der Uhrzeit ist. Spät abends ist das Volk in der 2. Klasse m.E. unterhaltsamer und morgens ist es wegen allgemeinem Chrrr-Schnrr gleichgültig.

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in der ersten ist meist mehr Platz, aber die Entscheidung 1. Klasse nuetzt fast nur auf Streckenlaengen, die man per Flug schneller absolvieren kann.

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just diese strecke ist aber auch der knaller. je-des-mal, wenn ich die fahr, hab ich entweder betonschädel nebst frisch importierter thai-gattin, 50 schwer erziehbare jugendliche auf ausflug mit sozialarbeiter, einen rentnerkegelverein, zeugen jehovas und burgerfressende prollfamilien um mich herum. alle mit bayernticket unterwegs in ihre heimatkäffer.

sehr zu empfehlen dagegen: der berlin-sprinter von/nach ffm. jederzeit wieder. äußerst angenehmer zug, gleichzeitig eine art mobile apple user group. würde den dauernd fahren, wenn ich wüßte, was ich dauernd in berlin sollte.

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Ja, Klassenkampf.

Ich fahre beruflich oft mit dem Zug, hauptsächlich längere Strecken. Der Vorteil gegenüber dem Auto ist, dass man im Zug arbeiten kann. Und dieser Vorteil kommt in der 1. Klasse besonders zum Tragen, da hier doch ein merklich konzentriertes Arbeiten möglich ist. Dank UMTS kommt man sogar in den Bahnhöfen gut ins Internet.

Übrigen ist die Möglichkeit mit dem 1. Klasse-Ticket in die Bahnhofslounges zu gehen auch nicht zu verachten (sofern man nicht sowieso als Vielfahrer die Comfort-Card hat). Die Lounges können jeden Vergleich mit den Business-Class-Lounges von kleinen Lufthansa-Partnerfluggesellschaften auf entlegenen Flughäfen standhalten.

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als dauerpendler (anfang der woche nach hamburg, am ende wieder nach berlin) möchte ich den zug nicht missen. das ist aber ein zug, wo sich die erste klasse nicht unbedingt lohnt zu diesen zeiten: es ist immer wieder ein wenig zum lachen, wenn die business-people, an flexibilität gewohnt, frustriert aus der ersten klasse kommen und vergeblich im bistro einen platz suchen (da ohne reservierung). und wenn man die züge kennt und entsprechend reserviert, kann man auch in der zweiten klasse am tisch gar nicht so schlecht arbeiten.

das mit den leuten ist so eine sache, das ist mal so, mal so, obwohl die vielen rekruten am freitag nachmittag schon nerven können

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Ich kann das Gemecker nun gaaa nicht nachvollziehen. Wenn immer es geht, fahre ich Bahn, und abgesehen von den Fr+So-Rekruten nervt eigentlich nichts. Klasse 1 oder 2 ist zumindest für HH-B egal, also Arbeit 1 und privat 2, weil meine Tochter Anzugträger langweilig findet :-)
Im Auto kann ich nun mal keine Präsentationen oder Codes fertigschrauben - und eigentlich habe ich im Zug immer nette Leute getroffen. Selbst die Beamten sind im Norden nicht so fett, aber dürfen eh nur 2. Klasse fahren.

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Ich würde Bahnfahren ja fast schon als Kontaktbörse bezeichnen, eine Zugfahrt, auf der ich niemanden kennenlerne, gibt es eigentlich nicht. So kann ich dir nur Recht geben und Pathologes "Bahnfaahn macht Laune" unterstreichen.

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