1. Mai Folklore

Zuerst kommen die Betriebsorchester, in dunkelroten Jacken und Blasmusik, danach die Funktionäre in ihren schlecht sitzenden Sonntagsanzügen, und die anderen Mitglieder, die auch nicht wirklich gesellschaftsfähig aussehen, Typus weisse Socken, gebügelte Jeans und kurzarmige Hemden unter dem Sakko, das sie sichtlich ungern tragen. In den Gliederungen ihrer Gewerkschaften marschieren sie auf, die Hauptstrasse hinunter, und manche Passanten schauen lächelnd zu, ironisch lächelnd, wenn sie gerade beim am Feiertag offenen Bäcker Torte gekauft haben. So ist das, am ersten Mai, und die Jugend hat einen grossen Wagen, von dem sie Robbie Williams spielen, let me entertain you.

Später werden einige dann das Wort ergreifen, von der Wichtigkeit, hier und heute Flagge zu zeigen, denen das Feld nicht zu überlassen und einen fairen Anteil zu bekommen, den die globalisierten Märkte schon lange nicht mehr einsehen, denn es geht ja auch anders. Ohne anspruchsvolle Typen, die am Paradeplatz in ihren Sonntagsanzügen Rechte einfordern, die längst abgeschafft sein sollten und auch nie da gewesen sein werden, in den Swaet Shops in China und den Young Professionals, die in ihren Türmen 80 Stunden die Woche leisten und das auch cool finden, Hauptsache, die Gratifikation ersetzt die Überstundenregelung. Und wenn die korrupten Drecksäue der Mediengossen, der Schleim, der Aussatz der Publizität, der wieder angekrochene pay-per-lie-Versager aus der New Rconomy das nur oft genug verkündet, für die 30 Cent pro Zeile vom Verlag und die 30 Euro fürs Catering, dann werden die das schon irgendwann schlucken. Denn es geht auch ohne Rechte.



Sage keiner, dass rechtlose Sklaven keine Qualität hinbekommen - der Turm etwa, gebaut von Fronarbeitern, aus schweren Buckelquadern, unter vielen Gefahren gehauen von Idioten, die keine andere Wahl hatten als sich unterzuordnen unter Herrschaft, Propaganda und Gewalt - dieser Turm zur Niederdrückung der armen Schweine steht bis heute. 800 Jahre, Qualität, Dauerhaftigkeit, zum Hohn für die Typen in ihren schlecht sitzenden Anzügen, die glauben, nur freie Partner in einem sozial gerechten System könnten dauerhaft solide Leistungen erbringen.

Also weg mit dem verlogenen Sozialquatsch, immer feste drauf auf diese lustigen Linksspiesser in ihren billigen Klamotten, die sich noch nicht mal richtig ausdrücken können, im Zug nach ihrer Blaskapelle. Was ist das schon gegen schlaues Marketing, was vermag es schon gegen geschickt platzierte Spezialisten, was hilft es gegen die Einflüsterungen in den Ämtern, Ministerien und Parlamenten.

Letztlich ist alles Markt, der reguliert alles, auch den Frust und den Ärger, das werden die schlecht angezogenen Leute schon begreifen, wenn sie hartzvieren. Der Markt entscheidet.

Und zwar spätestens dann, wenn einer von denen in einen von rumänischen Schwarzarbeitern errichteten globalisierten Glasturm, in die hübsche Vorhalle aus Marmor mit den lächelnden, vielsprachigen Empfangsdamen, einen wirklich farblich unpassenden Transporter mit einer Ladung Diesel und Dünger steuert. Manche Marktmechanismen - das werden die darüber arbeitenden globalen Leistungsträger möglicherweise noch merken - wie etwa die der sozialen Gerechtigkeit, lassen sich nie dauerhaft zurechtfälschen wie eine Studie, die die Forderungen der verachteten Leute mit ihrer Blaskapelle als überzogen einstuft.

Montag, 1. Mai 2006, 22:36, von donalphons | |comment

 
Die Radikalmarktssektierer werden noch rechtzeitig die Hosen voll bekommen, - da muss nicht erst einer wie Morales mit unverhofften Verstaatlichungen kommen. Mit dem nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten wird eine neue Epoche beginnen, auch, was den Umgang mit der sogenannten "Globalisierung" angeht.

Und heute gilt schon: Die alten Parolen ziehen nicht mehr, dem neoliberalen Heilsversprechen laufen die Gläubigen fort. Ihnen hilft auch kein Spott über Gewerkschaftler hinweg, Ihr Denken ist dem Untergang geweiht.

Sie spüren es bereits. Die Widerstandsbewegung in Frankreich hat z.B. gezeigt, dass sich die wahre civitas nicht mehr betrügen lässt und sogar festeste und wildeste Entschlüsse marktvergötzender Eliten fortzuräumen versteht.

Wir haben - in unteren Einkommensbereichen verstärkt - in den letzten 15 Jahren quer über nahezu alle OECD-Staaten eine Verminderung der Realeinkommen erlebt. Keine der damit verbundenen Hoffnungen wurde erfüllt, und diejenigen, welche hierzulande eine Brüningsche Wirtschafts- und Sozialpolitik fordern, sind bereits in Rückzugsgefechte verwickelt. Die Ideologie des Dauerschrumpfens verfängt nicht mehr, die Menschen haben es satt.

Die sichtbare ideologische Radikalisierung der Rechtsliberalen bzw. FDP kann man m.E. zu den Manifestationen einer kommenden Auflösung rechnen.

Der linken Mitte wird Deutschlands Zukunft gehören.

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Ich halte es für einen Fehler, von den paar verlumpten Domain-Bettlern wie dem Herrn H. aus Bamberg oder dem Staatszuwendungsempfänger einer gewissen Uni oder einem badischen Neonazi aus dem Umfeld der FDP Rückschlüsse auf die Gesamtpartei zu ziehen. Der Grund: Das sind allesamt nur kleine Nummern, die oberen Vertreter in Berlin brüllen zwar rum, lassen sich aber mit ein paar Pfründen jederzeit ruhig stellen. Dass die FDP nie mehr Regierungspartei sein wird, dass die ganze Reformverarscheschiene die letzte Wahl verloren hat, ist offensichtlich - und manche Brüllaffen in den Medien werden ihre Bestechlichkeit auch noch zu spüren bekommen.

Tatsächlich sehe ich auch mittelfristig schwarz für die Linke/WASG. Letztere hatten ja ein paar gute Ideen, aber da wird es wieder eine Wanderung zur SPD geben.

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Wobei sich gleichzeitig die Frage stellt: wozu braucht man überhaupt noch eine FDP, wenn die Lobbyarbeit für eine entfesselte Marktwirtschaft ohnehin von Tarnorganisationen der Arbeitgeberverbände viel besser erledigt wird, und zwar auf eine geschickt getarnte und raffiniert pseudo-überparteiliche Weise?

http://de.wikipedia.org/wiki/Initiative_Neue_Soziale_Marktwirtschaft

Das Furchtbare ist doch, daß auch schon zu viele Sozis bereits von den mächtigen Lobbyverbänden und PR-Kraken unterwandert und verblödet sind. Ich mache mir eher Sorgen darüber, ob die SPD sich wieder ihrer eigentlichen Klientel und Bestimmung ersinnt.

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100% ACK!

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@Don
Das Ende der WASG/LINKE (was Nicht-Ostdeutschland angeht) bzw. eine Rückwanderung zur SPD sehe ich auch kommen. Wer will schon LaFos Linkspopulismus auf Dauer ertragen?

Die Zeit der großen Koalition wäre eigentlich eine riesige Chance für diesen Verein, aber erstens fehlt es ihm an Personal (dafür aber jede Menge sektiererische Linksneurotiker), und zweitens sind WASG/LINKE dadurch, dass sie halt nix anderes als eine SED-PDS darstellen, außerhalb Ostdeutschlands unwählbar. Gysi ist im Übrigen am Ende. Der Verein ist - außerhalb Ostdeutschlands - praktisch tot.

@Booldog/Che (und dem Rest der Welt)
Ich glaube, dass sich die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen K. wieder profilieren wird. Muss.

Die rechtspopulistischen Tänze der letzten Wochen haben in der SPD so manche Augen geöffnet, manche Illusion abgetötet. Die Schwierigkeiten mit der CDU auf praktisch jedem Politikfeld wird den Wunsch verstärken, jedenfalls bei der Bundes-SPD, einen (wieder) sozialdemokratischen Weg zu beschreiten.

Dazu wird beitragen, dass die CDU zur Zeit immer stärker auf das neoliberale Irrgleis rutscht ("mehr Freiheit wagen"), was diese wirtschaftsliberal bis konservative Partei zugleich angreifbarer macht.
Sie wissen es noch nicht - höhö.

Meine These von der Radikalisierung der FDP ziehe ich mir bestimmt nicht von den Blog-Beiträgen einschlägiger Jammergestalten aus Bamberg/Bonn/Marburg/München usw., sondern eher daraus, wie sich die FNS positioniert (nämlich: zunehmend libertär-radikal) sowie daraus, wie innerhalb der FDP-Parteiforen diskutiert wird.

Radikalisierung.

Und was bleibt der Bundes-FDP auch weiter übrig? Die Gier der Besserverdienenden wächst, der potentielle schwarze Bündnispartner rutscht in Fragen der Wirtschaftspolitik in altliberale Positionen hinein, halt diese Nummer mit dem verlogenen Freiheitsgeschwafel, was z.B. Verelendungsprozesse und Rechteabbau mit "Freiheit" verwechselt.

Also, diese Musikrichtung gehört der FDP nicht mehr, und so müssen sie die Tonart verschärfen, um überhaupt noch ein von der CDU unterscheidbares Profil zu haben.

So (falls ich mich bis hierhin nicht getäuscht habe), und nun drohen dem deutschen Rechtsliberalismus (d.h.:FDP) drei recht große Gefahren:

1. Sie werden von der CDU programmatisch überflüssig gemacht.

2. Die Grünen schmeißen Neoliberalnixxe wie die C. Scheel raus und profilieren sich in der Zeit der großen Koalition als die wahre liberale Partei, und zwar ökologisch-nachhaltig-sozialliberal.

3. Die FDP wird den eigenen Mitgliedern und Anhängern zu (markt)radikal.

Egal, was die FDP anstellt, sie werden an diesen drei Gefahren zugrunde gehen.

Zwar können sie darauf spekulieren, aus der Zeit der großen Koalition einen Oppositionsbonus zu erhaschen, nur leider ändert dies nicht viel an den oben aufgeführten drei Gefahren. Jemand, dem Gewerbefreiheit (usw.) das Zentrum seiner politischen Heimat darstellt, der hat es nicht mehr nötig FDP zu wählen. Für diese Wähler macht es nicht viel Sinn, FDP zu wählen, denn wozu die Gefahr eingehen, dass eine Stimme dem bürgerlichen Block verloren geht? Diese Gefahr, dass Stimmen an die FDP verlorene Stimmen sind, wird bei den kommenden Landtagswahlen sich stärker in die Wählerköpfe fräsen. Tjanun, und dann gibt es ja noch die beiden anderen Gefahren, und ich sehe kaum einen Weg für den deutschen Rechtsliberalismus, dieser Scherenbewegung zu entkommen. Wenn die FDP es nämlich auf dem Weg der Radikalisierung und Profilierung probiert (und das zeichnet sich ab), dann wird sie unwählbar.

Der faule Zauber der radikalmarktlichen Schrumpfungslehren verfängt jedoch nicht mehr, auch nicht für die CDU, welche sich gerade in dieser Weise windschnittig zu machen trachtet. Wir werden daher eine aufblühende linke Mitte erleben, auch deshalb, weil hier die Interessen und Probleme der Menschen angesprochen werden.

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Auf die linke Mitte ist geschissen!
"Der linken Mitte wird Deutschlands Zukunft gehören." Gehört ihr doch schon, weil das, was gestern Zukunft war, heute Gegenwart ist. Was will uns der Dichter damit sagen?

Seit Anfang der 70er höre ich das Gedöns, man müsse den Kapitalismus "reformieren", "mit menschlichem Antlitz" und so. Auswüchse seien zu bekämpfen. Was die Linksmittisten© nicht begreifen – da kann man sich den Mund fusselig reden – ist, daß das, was sie für Auswüchse des Kapitalismus halten, seine Substanz und sein Wesen ist.
Von ihren Träumereien am Kamin können sie nicht lassen, da sie sonst erkennen müßten, wie läppisch die nur moralisierende Grundlage ihrer systemkonformen Ansichten ist.

So erhalten sie tapfer selber das, über dessen vermeintliche Schattenseiten sie dann lamentieren.

Ihr wolltet "Reformen"? Jetzt kriegt ihr sie!

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Ich fürchte, die Union wird nicht nochmal den asozialmarktradikalen Fehler von 2005 machen, egal unter welchem Label. Zumindest die CSU ist weltenfern von solchen Thesen, und ganz blöd ist die CDU auch nicht. Ich denke, das Gerede um Atom und Bundeswehr im Inneren ist das Zeichen der eigenen Unsicherheit, wenn es um das Anpacken wichtiger Themen geht. Die probieren gerade eine Menge aus, vermutlich mit dem Ergebnis, dass Neoconazismus und reines Lobbybedienen am Volksparteienstatus sägt.

Aber genau dieser inhaltliche Raum wird die FDP möglicherweise bedrohen, denn wie es bei der Naumann-Stiftung verschiedene Ansätze gibt, von Hoppe bis sozialliberal, werden sich die auch in der Partei ausdifferenzieren - und entweder das Profil verwaschen, oder zum Bruch führen. So oder so, die FDP wird letztlich immer am finanziellen Tropf der Industrie überleben. Und ich bezweifle, dass alle radikalen Stichworte der braunen Schlammspringer bei diesen Leuten ziehen, die leben zu gut mit den beschränkten Märkten und der Bürokratie. Das neodings Pack ist laut, aber chancenlos. Auch intern.

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"Chancenlos"?
Die durch die Hartz-Gesetze bewirkte Verelendung der Armen ist beste neoliberale Praxis.
Die Steuergesetzgebung der Vorgängerregierung entspricht der neoliberalen Zielstellung von der Austrocknung und Schrumpfung des Staates.
Die Einschüchterung der Beschäftigten, ihre Erpressung funktioniert, indem die Zangenbewegung aus "Globalisierungs"-Propaganda und H4-Drohung installiert wurde in einer konzertierten Aktion: Die INSM bearbeitet die Gehirne, und Schröder macht die harten Gesetzesfakten dazu.
Chancenlos sieht anders aus.

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Phrasen, wie ich sie hasse
" ... gehört Deutschlands Zukunft"
"... ist dem Untergang geweiht"

Muß es dieser Schützengraben-Heldenkämpferton sein? Geht's auch mal ohne die "Deutsche Wochenschau" als sprachliches Vorbild?

Dean glaubt, daß die outrierte Tonalität des Jargons der pathethischen Eigentlichkeit ihn stärker macht.

Na denn, munter voran!

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@WASG/PDS: Ich kenne aus eigenem Erleben diese Partei ja nur im Westen, und da ist meine Wahrnehmung grundsätzlich anders. Die PDS kenne ich seit 1992 als ein Sammelbecken enttäuschter Grüner, versprengter Jusos, übriggebliebener KBler und sittsam gewordenener Autonomer, die die Partei als Organisationsrahmen und Finanzquelle nutzen. Eigentlich nicht viel anders als die Grünen der frühen 80er, nur ohne deren Einbindung in eine starke BürgerInnenbewegung. Und die abseitigeren politischen Sekten in diesem Umfeld sind da, wo ich mit ihnen zu tun hatte, eher Vegane und Ökofundis als Trotzkisten oder Maoisten.

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@politisch außerhalb des Ostens chancenlos und so: das kommt darauf an, was man als politisch erfolgreich betrachtet. Auf dem Höhepunkt der Hartz4-Proteste, 2004/5, da sah es so aus, als könnte diese Partei Teile der Sozis abspalten und es auf über 10 Prozent bringen. Diese Chance ist historisch vorbei. Aber in Städten wie Bremen, Oldenburg, Göttingen könnte sie längerfristig eine kommunalpolitische Rolle spielen, für die außerparlamentarische Linke (so noch vorhanden) eine wichtige organisatorische/logistische Funktion haben, und sei es nur im Sinne von Demoanmelder, Saal- und Lautsprecherwagenbeschaffer. Nichts, was den eigenen Ansprüchen gerecht wird, aber doch etwas, das ihr in einer Nische Existenzberechtigung verschafft.

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Dean glaubt, dass die outrierte Tonalität des Jargons der pathethischen Eigentlichkeit(...) etwas Pathetik zum 1. Mai gehört. ;-)
So, jetzt ist der 1. Mai wieder vorbei und wir können normal reden. Ich glaub tatsächlich, dass die neoliberalen Sprüche sich gründlich abgenutzt haben.

Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass FDP/CDU ihre Fehler wiederholen werden, ja sogar intensivieren werden. Ob die linke Mitte bis dahin mehr anbieten kann als Reformskepsis und echte Bemühung um die Zivilisierung des Kapitalismus (auch dafür gibt es schon Dankbarkeit), wird man sehen.

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Doc, es wäre schon hilfreich, wenn Du einmal konkret darlegst, wen und was Du mit linke Mitte bzw. Linksliberalismus genau meinst, welche politischen Konzepte Du eigentlich vertrittst. Ansonsten gebe ich dem Nörgler insofern Recht, dass es sich hier weniger um Auswüchse als die Wesensart des Kapitalismus handelt, bin aber zum Anderen zu sehr an politischen Veränderungen interessiert, um es bei dieser Feststellung zu belassen. Also: Was schlägst Du für Lösungen vor?

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Das ist doch alles eine Mischung aus Tagträumen und Stammtischphilosophie.

CDU, SPD, FDP und auch die Grünen haben keine überzeugenden Alternativen anzubieten. Vielleicht liegt es an den mangelnden Vordenkern, vielleicht ist deren Zeit eh vorbei.

Die Politik, übrigens in fast allen europäischen Staaten, ist vom Treiber zum Getriebenen mutiert. Die Handlungsspielräume sind eng. Da ist nur noch Platz für Feintuning, um die eigenen Wähler nicht zu verprellen. Und das hat auch die Mehrheit der Bevölkerung verstanden. Eigentlich dürfte sich kein MdB mehr auf Veranstaltungen mit der Basis und dem Wahlvolk trauen, angesichts der jämmerlichen Politik. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Man hat es sich eingerichtet - auch in Hartz IV, aufkommender Sozialneid wird durch Symbolpolitik wie die Reichensteuer abgebügelt.

Das Konsumklima ist so gut wie seit 6 Jahren nicht mehr. Das alles hat für mich ein wenig den Geschmack des Untergangs. Fatalismus allerorten. Wenn das Schiff sowieso sinkt, kann man ruhig noch mal Tanzen gehen. Die Zahlen der Privatinsolvenzen zeigen die Realität, gehen aber nicht in den Kosumklimaindex ein.

Ein anderes Indiz: Die Wahlbeteiligung. Dazu braucht man nichts mehr zu schreiben.


Die eigentlich Politik wird in Washington, Moskau, Beijing oder auch Brüssel gemacht. Oder glaubt wirklich einer, dass mit einer SPD, SPD-Grüne, CDU-Grüne, Jamaika, Ampel, CDU, SPD-FDP -Regierung andere Entscheidungen getroffen würden, wie die in der grossen Koalition?

Lösungen? Bei mir eher Ratlosigkeit und Verärgerung wenn ich die Politik verfolge. Nur: Solche Diskussionen wie "Union wird nicht nochmal den asozialmarktradikalen Fehler von 2005 ", " CDU zur Zeit immer stärker auf das neoliberale Irrgleis rutscht", "es wieder eine Wanderung zur SPD geben", "rechtspopulistischen Tänze der letzten Wochen haben in der SPD so manche Augen geöffnet", "Egal, was die FDP anstellt, sie werden an diesen drei Gefahren zugrunde gehen, usw. sind geradezu bizarr, wenn man die gesellschaftlichen Realitäten sieht. Und sie sind ein Grund dafür, dass sich nichts bewegt, im Gegensatz zu Frankreich beispielsweise. Solange sich die halbwegs Gebildeten Kreise in solcher Elefantenrunden-Rhetorik üben.


... und jegliche Auseinandersetzung mit der Linkspartei/WASG ist eigentlich Zeitverschwendung. Da sind Leute am Werk, die die Vergangenheit internalisiert haben und gegenüber der Zukunft die Augen verschliessen. Die ist selbst die "Partei Bibeltreuer Christen" näher an der Gesellschaft dran.

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Es gäbe schon Alternativen. Gysis Plan einer Wertschöpfungsabgabe finde ich nicht schlecht, noch besser die Idee eines garantierten Grundeinkommens unabhängig davon, ob jemand Arbeit hat oder nicht, ein Konzept das in der vorletzten Ausgabe des Stern vorgestellt wurde und das sogar finanzierbar wäre. Stand übrigens 1984 mal im Wahlprogramm der Grünen. Nur kommt nichts von Wert, ohne dass dafür gekämpft wird.

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Zumindest kommen keine weiterführenden Impulse von Parteien. Ob sie von woandersher kommen werden bleibt abzuwarten.

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Wo sind die Alternativen: Die Linkspartei nennt es Grundeinkommen, die Grünen Grunsicherung, die FDP Bürgergeld und die CDU Kombilohn, nur die SPD ziert sich ein wenig und wartet auf das neue Grundsatzprogramm.

Diese Vorschläge sind sich sehr ähnlich und der einzige Weg in einer Gesellschaft, in der nur noch 40% der Bevölkerung sein Einkommen hauptsächlich aus eigener Arbeit bestreitet.

Eine Wertschöpfungsabgabe kann ich mir ohne Verstaatlichung der Industrie nicht so recht vorstellen.

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So ähnlich sind sich die Vorschläge nicht. Was da im stern vorgestellt wurde, stammt von einem Drogerieunternehmer, der Folgendes vorschlägt: Auch Leute, die nicht arbeiten, erhalten ein Grundeinkommen in der Größenordnung von 1500 Euro, ohne irgendwelche Auflagen oder Beschränkungen, unbefristet. Finanziert soll das unmittelbar durch Steuern werden, und zwar aus einer Mehrwertsteuer von 50 Prozent, die die einzige verbleibende Steuer wäre, alle anderen Steuern fielen weg. Angeblich soll die Rechnung volkswirtschaftlich aufgehen.

Wertschöpfungsabgabe: Meines Wissens seit 1997 Programmforderung der PDS. Bedeutet vollständiges Wegfallen des Arbeitgeberanteils in den Lohnnebenkosten und stattdessen Finanzierung der entsprechenden Sozialversichetungsleistungen durch eine separate Gewinnsteuer, d.h. Besteuerung der realen Wertschöpfung in den Unternehmen. Hierdurch würden die Lohnnebenkosten drastisch sinken, auch wenn die Unternehmen im Endeffekt genausoviel zahlen.

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@Che
Linke Mitte = Sozialdemokratie + Gruen + Linksliberalismus

Auswüchse vs Wesensart?
1. Man kann deutlich mehr machen, um den Kapitalismus zu zähmen.
2. Die Handlungsoptionen sind riesengroß. Das bedeutet leider auch, dass es dabei jeden möglichen Blödsinn gibt.

Was für Lösungen?
Das wäre eine extrem lange Liste mit lauter Einzelmaßnahmen. Ich versuchs mal im Groben:

Vorab: Zur Zeit überwiegt (leider) die Defensive, d.h. Erhalt des Sozialstaats, Erhalt des Tarifgefüges usw. Trotzdem gibt es jede Menge vernünftige Zielvorstellungen.

1. Steuerordnung: Wohlhabende und gut verdienende Firmen stärker besteuern als die kleinen Leute (z.Zt. ist es faktisch umgekehrt). Um ein Detail zu nennen, man könnte Vorstandsvergütungen direkt an der Quelle besteuern. Steuerbasis vergrößern. Verrechnungspreistricks der Konzerne aushebeln. Wiedereinführung von Erbschaftssteuern bei der Firmen-Vererbungen, die z.B. auf dem Weg der Gewährung staatlicher (und meistbietend veräußerbarer) Anteile erbracht werden können. Verzicht auf die steuerliche Förderung einzelner Nachfragebereiche. Starke Verschlankung des Steuersystems.

2. Staatsordnung: Verschlanken und Effizienz erhöhen. Staatsausgaben vorsichtig zurückführen auf einen Zielwert von 35-40%. Verwaltungen effizienter führen, teils stark abbauen. Deutlicher Abbau der Regelungsdichte bei Erhalt und Ausbau echter staatlicher Leistungserbringung. Abbau schikanöser Verwaltungsstrukturen (z.B. Ausländerbehörden, Sozialverwaltungen). Kampf gegen den EU-Bürokratismus. Weniger Amigo-Wirtschaft und Subventionitis (d.h. z.B. Verzicht auf Transrapid). Abbau von Förderdschungel z.B. im Bereich Unternehmensförderung. Stattdessen Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und Ausbau von Ämter-Transparenz (z.B. Akteineinsichtnahme auch auf Länderebene) und Demokratie, Einführung direktdemokratischer Elemente. Entbürokratisierung und Effizienzerhöhung des staatlichen Nachfragewesens (z.B. Ausschreibungsverfahren), Erhöhung der Zahlungstreue öffentlicher Nachfrager ggüber kleinen und mittleren Anbietern. Verzicht auf gezielten Einsatz staatlicher Nachfrage zur Stärkung einzelner Wirtschaftsbereiche. Dämpfung des Infrastrukturwahns.

3. Marktordnung: Stärkung von Konsumentenschutz und Markttransparenz. Erhalt und Ausbau von Arbeitnehmerschutzrechten. Bekämpfung von schädigungs- und täschungswettbewerblicher Marktaktivitäten zugunsten von fairem Leistungswettbewerb. Bekämpfung und Zerschlagung privater Monopole, Zerschlagung des Energiemarkt-Oligopols zugunsten eines echten Wettbewerbs zugunsten der Konsumenten bzw. Abnehmer. Internalisierung externer Kosten (z.B. im Bereich Ökologie) zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. Einpreisung künftiger Knappheit von Ressourcen (und diese Einpreisungen europäisch/international fördern). Ausbau von Verbraucherzentralen. Bekämpfung von Schleichwerbung sowie der Verbindung redaktioneller Angebote mit ökonomischen Interessen. Erhöhung der Transparenzverpflichtungen für Finanzmarktanbieter.

4. Wirtschaftsordnung: Einführung einer ausreichend wirkungsvollen (aber insgesamt nahezu kostenneutralen!) Ausbildungsplatzumlage, um jährlich rund 150.000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Einführung von Anreizen zur Re-Integration von Langzeitarbeitslosen. Reduzierung der 400-Euro-Jobs auf 300 Euro, zwecks Begünstigung regulärer Beschäftigung. Bekämpfung von Schwarzarbeit. Soziale Demokratie in der Wirtschaft stärken an Stelle von ökonomischen Totalitarismus. Gezielte Kontrolle prekärer Arbeitsverhältnisse. Soziale Umschichtung von Vermögen. Bekämpfung von Marktversagen. Beispiel: Deckelung und Absenkung von Mietkosten, Bekämpfung des gängigen Nebenkostenbetrugs (gesamtgesellschaftlicher Schaden immerhin rund 10-20 Mrd Eur) z.B. durch Erlass von Höchstsätzen pro Kostenart/qm (weil: hier versagen "Märkte"). Massive Bekämpfung des Grauen Kapitalmarkts. Massive Beschneidung von EU-Subventionen (sowohl Agrarmarkt als auch "Struktur"hilfen). Genereller Verzicht auf branchenbezogene Fördermaßnahmen.

5. Rechtsordnung: Bekämpfung der Verrechtlichung aller Lebensbereiche, Stärkung von Schutz von faktisch Schwachen (Stichwort für Blogger: z.B. Abmahnwesen), deutliche beschleunigung von Gerichtsverfahren. Befristung von Urheberrechtssschutz auf 14 Jahre (in gewerblichen Teilbereichen sogar auf 7 Jahre). Entschärfung des Markenrechts. Bekämpfung bestimmter Formen des sich z.Zt. ausweitenden Rechte-Monopolismus (Beispiel: Monsanto), weil und wenn dieser zu Lasten der Allgemeinheit geht. Einführung von Haftung bzw. deren Versicherung für Gentechnikanbieter und für Atomkraftbetreiber. Rechtliche Stärkung kleiner und mittlerer Firmen ggüber markt- und rechtsmächtigen Konkurrenten. Stärkung freier Software.

6. Außenpolitik: Langfristig Halbierung der Bundeswehrausgaben, Erhöhung von Entwicklungshilfe und Länderzusammenarbeit an Stelle der sich z.Zt. ausbreitenden Interventionskultur. Bekämpfung von Militarismus und Hochrüstung. Stärkung der UN. Internationale Zusammenarbeit im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik. Intensivierung Kulturaustausch und Völkerverständigung. Integration der Türkei nach Europa, Verhinderung einer "EU-Verfassung", schrittweise Entmachtung von EU-Institutionen, Beendigung des Lissabon-Prozesses.

7. Bildung: Massive Intensierung von Bildungsanstrengungen, besonders solchen, welche auf die Breite und den Erwerb nachgefragter Befähigungen zielen. Abschwächung von Prestigebereichen, z.B. Sonderforschungsgewichse und teurer Formen von Apparatewissenschaft. Deutliche Stärkung von Studierenden (als quasi Bildungskonsumenten) bei Lehrplanformulierung und Organsisation der Hochschulen, generell Stärkung der Interessen von Bildungskonsumenten. Stärkung von Ingenieurswisenschaften. Allgemein Anstrengungen zur Erhöhung von Ausbildungsqualität und Chancengleichheit im Bildungswesen. Einführung wettbewerblicher Formen (aber: nur zusätzlich an Stelle von Privatisierungen) im Bildungsbereich, z.B. bei der Erbringung bestimmter Bildungsangebote an Schulen und Hochschulen. Stärkung von VHS und Angeboten zur Qualifizierung der arbeitenden Bevölkerung. Stärkung von Migranten im Bildungssystem. Stärkung von Medienvielfalt, nachfragegeleitete Erhöhung der Zugänglichkeit frei nutzbarer Inhalte. Ggf. Einführung einer effizienten Kulturflatrate.

8. Sozialordnung: Kein "Grundeinkommen". Aktivierender statt schikanierender Sozialstaat. Einführung einer (z.B. 20-stündigen) human gestalteten Arbeitspflicht (mit Angeboten zur Auswahl) für Arbeitslose, stark selbstorganisierend gestaltet und auf das Allgemeinwohl gerichtet. Drastische Reduzierung von Beamtenpensionen. Der derzeitige Durchschnittswert (2.400 Euro) ist nicht angemessen. Einbindung von Senioren in Kinderbetreuungsarbeit. Verstärkte Besteuerung hoher Renten. Förderung solidarischer Wohnformen. Stärkung von Gesundheitsprävention. Stärkung von Breitensport. Einführung wettbewerblicher Formen im Gesundheitsbereich sowie intensivierte Missbrauchsbekämpfung, um die Einkommen bisheriger Gutverdiener im Gesundheitsbereich zu senken. Humanisierung der Altenpflege. Ausbau optionaler Kinderbetreuung für Berufstätige und aktive Jobsucher. Organsierung gesellschaftlicher Teilhabe (z.B. über Förderung kostenloser bzw. kostengünstiger Kulturangebote).

Ziel: Kein abgemagerter, sondern ein effizienterer Sozialstaat. Realismus statt Träumerei. Und: Fortschritt statt Zynismus.

Che, das wärs im Groben. Enige, in ihrer Kürze leider völlig unzureichende Stichworte. Reicht das erstmal als ungefähre Antwort?

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Es gibt für ein Grudneinkommen viele Vorschläge. Das Bürgergeld (negative Einkommessteuer) der FDP gehört dazu. Die Finanzierung steht auf einem anderen Blatt. Und ohne die drastische Erhöhung der Umsatzsteuer - bei Wegfall/Reduzierung der Einkommenssteuern, ist das nicht zu machen. Daher bleiben diese Vorschläge auch Programmankündigungen. Bei der Finanzierung müssten die Parteien eine wirkliche Reform anpacken und einige Ideologien wie die vom Wachstum und den Arbeitsplätzen oder wie die von der Marktwirtschaft und der sozialen Gerechtigkeit über Bord werfen. Soweit sind wir noch lange nicht.

Hierdurch würden die Lohnnebenkosten drastisch sinken, auch wenn die Unternehmen im Endeffekt genausoviel zahlen....

Das geht von der Annahme aus, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten zu Neueinstellungen führen würde. Das gehört im Prinzip in die gleiche Schublade wie die Wachstumsideologie.

Die Unternehmen produzieren doch nicht nur in den Schwellenländern, weil es billiger ist (was zum Teil schon widerlegt wurde, da andere Kosten bsp. für Logistik, Qualität, usw. höher sind), sondern weil es die zukünftigen Märkte sind. Eine Werschöpfungsabgabe würde die Verlagerung der Arbeitsplätze noch beschleunigen. Wie diese dann ohne Zwangsmassnahmen wie Verstaatlichung (die ja erklärtes Ziel eines Flügels der Linkspartei ist) im Land gehalten werden sollen, ist mir Rätselhaft.

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@Dean: Na, das ist ja fast schon ein Wahlprogramm.
Danke erstmal für diese ausführliche Antwort, aber bitte nächstes Mal nicht so klein schreiben.

Bei Rot-Grün müsste sich Vieles tun, um für so etwas Mehrheiten zu finden. Dreh- und Angelpunkt wäre die Herstellung eines Primats der Politik, während wir real ein Primat der Ökonomie haben.

@strappato: Die negative Einkommenssteuer bildete mal die Grundlage der verschiedenen Kombilohn/Billiglohnmodelle, nur dass die ursprüngliche Idee dann pervertiert wurde. Es gab z.B. den Vorschlag, Kohlepfennig und Werftsubventionen komplett zu streichen, die Löhne der dort Beschäftigten drastisch zu kürzen (z.T. um 50%) und die Differenz aus dem verbleibenden Lohn und dem früheren Nettolohn aus Steuermitteln zuzuschießen und die Leute von der Einkommenssteuer zu befreien. Hierdurch würden Arbeitsplätze direkt subventioniert, ohne dass irgendwo Geld versickert. Das Modell wurde dann auch auf andere Wirtschaftszweige ausgedehnt, meines Wissens hat man in Großbritannien und einigen US-Bundesstaaten auch Erfahrungen mit negativer Einkommenssteuer machen können.

An der Geschichte dieses Modells sieht man exemplarisch, wie schnell solche brave ideas verkommen.

Zum Thema Wertschöpfungsabgabe: Sinn machen würde das in der Tat am Ehesten in Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen. Das muss nicht gleich Verstaatlichung der Unternehmen sein, aber z.B. Enteignung und Beschlagnahmung der Produktionsstätten in dem Fall, dass ein Unternehmen seine komplette Produktion ins Ausland verlagert.

Ich sage nicht, dass ich das favorisiere, ich wäre auch nicht unglücklich drum, aber ähnlich dem Nörgler sehe ich die große Differenz zwischen politischen Programmen und dem, was am Ende bei rauskommt. Die Grünen starteten mit einer Mischung aus Vorschlägen wie denen von Dr. Dean, dem von mir erwähnten garantierten und unbefristeten großzügig bemessenen Mindesteinkommen und Ökopazifismus, und nun schaut, was aus ihnen geworden ist, was die real für eine Politik gemacht haben. Ohne eine starke und kämpferische Basisbewegung werden überhaupt keine sozialen Forderungen durchsetzbar sein, und wenn ich mir dann die deutsche Bevölkerung anschaue.... puuuuhhhh!

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@che
Grundsätzlich würde ich dem zustimmen. Wobei der Weg für mich noch offen ist. Aber solange die Parteien nicht ihr Scheitern in den letzten 15 Jahren eingestehen wird sich nicht viel bewegen.

Bei dem Satz mit den kämpferischem Volk musste ich an einen Artikel in der heutigen taz denken:

http://www.taz.de/pt/2006/05/02/a0156.1/text

Echtes Klassenbewustsein wie hier geschildert ist nicht auf die Medienbranche beschränkt.

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