: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 15. Mai 2006

Laufen ja, Verstecken nein

Ich komme prima mit mir selber aus. Ich muss nicht den ganzen Tag quatschen. Mitunter bin ich zufrieden, wenn ich ein, zwei Wochen keinen höre und sehe. Es gibt Phasen, da bin ich Menschenfeind. Oder ich will zumindest meine Ruhe, wenn ich auf den Kieseln des Strandes sitze und nach Nordwesten schaue.



Genügt mir völlig. Auch ist es eine grossartige Sache, an einem Tag, da jeder Tourist nach herumstehenden Oldtimern schaut, in ein Museum zu gehen, wo man ganz allein ist. Gerade am Sonntag sind italienische Städte halbwegs leer und still. Ich kann mir in aller Ruhe und in allen Details die bei Kunstgeschichtler berühmte, bei normalen Venedigtouristen mit Palladiodünkel und dem Traum, so einen Portikus an die eigene Butze im Donausumpf zu klatschen aber völlig unbekannte Loggia in Breschia ansehen.



Überhaupt hat Breschia das Pech - oder das Glück? - von Touristen kaum wahrgenommen zu werden. Es liegt nicht auf dem Weg aus dem Norden, Mantua und Verona haben viel zu bieten, und wer nicht gerade nach Mailand oder Turin über den Brenner fährt, müsste einen grossen Umweg in Kauf nehmen. Breschia hatte Pech: Für Venedig war es die hinterste Ecke des Festlandbesitzes, für die Österreicher eine Kasene und Ort der Unterdrückung, und heute ist es von einer sauren Schale der Industrie umgeben, die den süssen Kern des Centro von aussen nicht erahnen lässt. Ntürlich wird man hier etwas rabiater mit dem italiensichen Grossstadtleben konfrontiert, als in Siena oder Venedig. Drei mal in den ersten Stunden: Da war dieses surreale, korpulente Paar, von dem der Mann einen verkrüppelten Bonsai-Baum mit sich herumtrug. Irgendwann drehte er sich zu mir herum und fragte etwas, das ich nicht verstand. Verstanden habe ich dagegen die Fragen der beiden Afrikanerinnen, nur war mir nicht, siehe oben, nach Zweisamkeit. Und ein drittes Mal wurde ich angesprochen, diesmal von einem, der mir irgendetwas anbieten wollte. Offenbar wirkte mein Englisch abschrecken genug. So ist das, jenseits der Touristenströme, hart und direkt. Die bewegte Geschichte äussert sich beispielsweise auch in der Damnatio Memoriae, mit der die Bürger am Palazzo de Governo die Wappen und Hoheitszeichen der hiesigen Besatzer ausgelöcht haben.



An dieser Stelle nun wurde ich zum 4. Mal angesprochen, aber diesmal mit meinem deutschen Namen. Es war wohl etwas zuviel erwartet, nach Breschia während der Mille Miglia fahren zu können, ohne auf einen Mann der Heimat zu treffen. Auch der heimatliche Global Player hat sein Museum ausgeräumt für dieses Ereignis, und so sind wohl auch irgendwo ein paar belanglose hässliche Eisenbomber im Schaulaufen so ziemlich aller schöner Ferraris, Lagordas, Lancias, Austin Healeys und Abarths gnadenlos untergegangen.



Der, der mich ansprach, ist ein paar Jahre älter als ich, an der gleichen Schule und im gleichen Literaturzirkel, wo er vor allem nichts sagte und erfolglos eine frigide bessere Tochter anstarrte. Der Tag, an dem sie ging, war auch sein letzter Tag in dieser Runde. Dennoch, man kennt sich, zumal er die übliche Karriere gemacht hat: Studium, Job bei der Autofirma, Heirat und jetzt schon zwei gerade erwachsene Kinder, Pauline und Maximilian, die von der längst aus allen Fugen gegangenen Mutter in Konzerte, Bälle und auch Urlaube mitgeschleift werden. Manchen Einladungen kann man sich nicht entziehen, was soll aus so einem kleinen Tee schon werden, denkt man sich - und ist dumm genug, vor diesem ungebildeten Geschmeiss fern der Heimat vom morgen anstehenden Palazzo Te zu erzählen, Guilio Romans Meisterwerk, nur um dann zu erfahren, das die Familie nicht im Firmentross nach Hause tingelt. Sondern noch da bleibt. Und nach drei Tagen Breschia nicht mehr weiss, wo sie noch hin soll. Aber Mantua, das wäre was, da könnte man sich doch morgen treffen, wenn ich schon da bin, als vermutlich einziger der Schule, der jemals in einem kunstgeschichtlichen Seminar war.

Man kann davonlaufen, aber sich nicht verstecken. Immerhin, das Gesicht von Paulines Mutter, wenn ich der Tochter und dem Sohne erkläre, warum es in der Malerei des Manierismus zulässig ist, wenn Zeus sein fettes Gerät in fleischige Weiber knallt - im Gegensatz zu seinem Lehrer & nicht bildhaften, aber mutmasslich tatsächlichen Knabenfreund Michelangelo - ist die Sache vermutlich wert.

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Rebellen mit Gewehr

Dazu leise, ganz leise, denn wir sind ja im Diozösanmuseum von Breschia, wenngleich auch ganz allein, der Wärter war überrascht, ja geradezu düpiert, dass oberhaupt einer reinwollte, er musste uns extra aufsperren und das Licht einschalten, wir haben also all die Gemälde, Miniaturen und Paramente ganz für uns allein, aber es sind auch Kameras hier, und man will keine der Heiligen stören, also ganz leise, piano vor sich hinpfeifen, dieses nette kleine Lied:



Se vuol ballare, signor contino,
il chitarrino le suonero, si,
se vuol venire nella mia scuola,
la capriola le insegnero, si.

Sapro, sapro, ma piano,
meglio ogni arcano.

dissimulando scoprir porto.
L'arte schermendo, l'arte adoprando,
di qua pungendo, di la scherzando,
tutte le macchine rovesciero.

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Lebendige Sepulchralkultur

In Verona, am Rande der alten römischen Stadt, steht auf einem ehemaligen Gräberfeld die Kirche der 12 Apostel. An sie angebaut ist eine Grabkapelle zur Verehrung der Märtyrer der Stadt. Die übliche Geschichte: Eusebius von Cesarea, ein vermutlich recht korrupter Bischof aus der heutigen Türkei, schreibt seine Historia Ecclesiae, in der es vor allem um - für vernünftige Menschen - wenig erbauliche Arten des zu Tode Bringens von Christen ist. Man könnte das natürlich auf die wüsten Römer schieben, allein, die zynische moderne Forschung hat nachgewisen, dass Eusebius nicht nur miese Quellen verwendete, sondern auch zur historischen Legitimation recht locker war im Umgang mit der Wahrheit. Am Beginn des 4. Jahrhunderts musste und wollte jede Gemeinde möglichst schauderhaft umgekommene Märtyrer haben, nur dann galt man was. Jetzt, da das Christentum Teiil des Establishments war und selber An dersgläubige ausrottete, ganz gleich ob Isisanhänger, freigeistige Philosophen oder Juden, gefiel man sich immer noch als Opfer und erfand die Lügen, die heute noch wider besseres Wissen an manchen retardierten Neger- und Anderebayenrschulen gelehrt werden.

Aber damals sollte es noch 1000 Jahre dauern, bis die ersten Denker begannen, den Eusebius auf den Müll zu kippen. Auch in Verona veranstaltete man den üblichen Zinnober, sprich Heiligenkirche mit wundersam gefundenen Reliquien, bei denen es ziemlichz unmwichtig war, ob es in Wirklichkeit nicht vielleicht doch ein phrygischer Sklave oder eine hier hängengebliebene siculische Hetäre war. Ein mittelalterlicher werdender Tote wusste zwei Dinge: Desto näher man bei den Reliquien begraben ist, desto näher ist man am Heil. Und desto besser ein Grab sichtbar ist, desto eher bekommt es etwas von den Gebeten der Pilger ab. In der Folge sah im hohen Mittelalter, bevor Bestattungen in der Kirche auch für Laien möglich waren, der Idealfall so aus:



Man grub alte römische Sarkophage aus, bestattete darin den, der sich solches leisten konnte; immerhin wiegt der Deckel so eines Trumms schnell mal 300 Kilo, das gar antiert, dass man nicht so schnell ausgeleert wird wie andere Gräber im Boden bei der nächsten Lage Kadaver. Wäre ja noch schöner, den tollen Platz bei der Kirche zu haben und dann nach 20 Jahren für den nächsten, besser zahlenden Toten in die Etsch vor der Kirche gekippt zu werden. Und man baute Dächer darüber, um einen besseren Schutz vor dem Wetter zu besorgen, und, noch wichtiger, organischer Teil der Kirche selbst zu werden. Da konnte man auch als Mercutio in Sünde verflucht die Seele ausspeien, in der Form gelangte man im Fegefeuer auf die Überholspur zum Himmel.

Man kann über derlei Aberglauben heute nur noch lachen, und selbst die Kirche hat mit solchen Thesen Schluss und damit einen Stich durch die Rechnung derer gemacht, die im festen Glauben an die ewige Wirksamkeit der Deals sicher nicht wenig für derlei Vorzüge bezahlt haben. Aber auch so kommt kein Pilger mehr, um an den Gräbern zu beten, und wer drin war, ist heute auch vergessen. Da fehlte noch die passende Inschrift, oder gleich das Non plus Ultra des Prunkgrabes, mit aufgemeisselter Figur des Toten:



Dass die an sich schmucklosen Särge dennoch immer Nachts aussehen, als hätte eine hilfreiche Hand den Kadaver des Stifters hinzugefügt, und dass es bisweilen auch so riecht, ist allerdings keiner überirdischen Gerechtrigkeit zu verdanken, sondern schlicht irdischer Not: Wie man an den hier in der Nähe deponierten Kissen und Matratzen sieht, nutzen Obdachlose die Vordächer als nächtlichen Schutz auf. Da liegen sie dann, ersetzen den letzten, fehlenden Triumph der Sepuchralkultur mit ihren vielleicht ausgemergelten, vielleicht alkoholzerstörten Körpern, zum Hohne aller Versprechen vom liebreizenden Reliquienduft, dem Andenken hoher Herren und dem Irrglauben, dass man mit dem Schicksal oder dem Jenseits irgendwelche Deals machen kann. Unabsichtlich wurde hier Gutes getan, von denen, die ihre heutigen Bettnachbarn mit Peitschen hätten vertreiben lassen, und gerecht wäre es, wenn sie nur einen Augenblick aus dem ewigen Nichts erwachen könnten und sehen, was aus dem Trost ihrer letzten Stunden geworden ist.

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