Piazza delle Victoria
In der Mitte der Piazza della Vittoria in Brescia ist der Corso aus grossen Bodenplatten.
Heute ist er immer zugeparkt, so dass man nicht erkennen kann, wie lebensfeindlich die Gestaltung wirklich ist. Versiegelt und von hohen Gebäuden eingeschlossen, ist es ein Aufmarschplatz für den neuen Menschen, und kein Versammlungsort, auf dem man sich gern aufhält. Der Antikmarkt, der hier stattfindet, zwängt sich denn auch unter die Arkaden auf der rechten Seite. An die gewünschte Symmetrie halten sich hier nur noch die Mülltonnen.
Von der anderes Seite kann man zumindest an einer Ecke ein Gebäude sehen, das nicht zu diesem Ensemble in weissen Marmor gehört. Auf das gelbe Eckhaus aus dem späten 19. Jahrhundert nimmt der Platz mit seinen Raumhöhen und Fluchten bewusst keine Rücksicht. Gross soll es sein, grösser, für die grösste Zeit Italiens und seinen Duce. Ein Monument des neuen Geistes, das so auch bald in Berlin, Madrid und Moskau stehen konnte.
Rechts vorne ist die Kanzel, die Tribüne, nicht nur als solche eine Anleihe beim Christentum. In rotem Marmor gehauen, nimmt sie in ihrer Gestaltung die berühmten Vorbilder in Mailand und Verona auf. Man weiss, dass die Kirche nichts gegen die Überhöhung des Duce in solch quasireligiöser Form einzuwenden hatte. Hier gingen zwei Geisteshaltungen, Katholizismus und Faschismus, eine Symbiose ein, die mehr war als ein Zweckbündnis.
Ein Bogen, zwei Säulen, ein Bogen - Palladio stand Pate für die Arkaden. Wobei Palladio nicht diese absurde, langweilige Monumentalität vermieden hätte, irgendetwas hätte er unterteilt, gegliedert, mit einem Schnörkel versehen, um so dieser Monotonie entgegen zu wirken. Der Faschiusmus dagegen mag Einförmigkeit, Schlichtheit und immer gleichen Drill. Dass die Grösse in Monstrosität umschlägt, störte damals keinen.
Über allem erhebt sich der Turm der Revolution, ein Hochhaus aus Ziegelstein, ein Campanile des neuen Zeitalters. Er überragt die anderen Türme der mittelalterlichen Stadt, und verzichtet auf jede Leichtigkeit. Er nimmt die Gestaltung der Wehrtürme auf, deren Niederlegung in den italienischen Republiken stets das Zeichen des Sieges der Bürger über den Adel, die Bischöfe oder die Obrigkeit war. 1932 war aber von Demokratie keine Rede mehr.
Nach Osten, Richtung Venedig, gibt es ein Zugeständnis an die alte Herrscherin über Breschia. Die Fensterreihe im zweiten Stock ist das Zitat des Piano Nobile eines venezianischen Palazzo, auch hier wieder ins Monströse aufgeblasen und in der Formensprache bis zur Kargheit reduziert. Vergangenheit in eine Zukunft gebracht, die sich in der Realität als ebenso karg erweisen sollte, oder, mit Kriegsbeginn, als Katastrophe.
Aber 1932 sonnte man sich lieber im fragwürdigen Glanz der Eroberungen im ersten Weltkrieg. Breschia war eine Basis der Italiener im Alpenkrieg und gleichzeitig eine Waffenschmiede. Nichts erzählt hier von den Erfrorenen, dem Giftgas, den Befehlen, die eigenen meuternden Truppen mit Artillerie zusammen zu schiessen. Hier ist alles Sieg, Agression zahlt sich aus, und entsprechend wütend schaut auch der Marcuslöwe drein, den eine Versicherung hier anbringen liess.
Der Name der Piazza musste natürlich in Bronzebuchstaben angebracht werden, getragen von dorischen Säulen. Die dorische Säule ist ohnehin sowas wie das Deppenleerzeicher der Architektur. Wann immer sie nach der Antike verwendet wurde, konnte man daraus schliessen, dass die Erbauer einen nachlässigen Umgang mit dem Leben anderer pflegten. Die dorische Säule, benannt nach den Eroberern Griechenlands im dunklen Zeitalter vor ca. 3000 Jahren, hat es in sich. Schon immer. Wer das hier 1932 sah, hätte sich das Kommende ausmalen können.
Wenn dann der Eingang zu einem Arbeitstrakt auch noch diesen Gleichschritt, dieses Stehen in Reih und Glied symbolisiert, ist man am Hintereingang des Faschismus angekommen. Statt Säulen und Marmorbögen gibt es hier den Drill und die Zucht der Volksgenossen im Faschismus. Jeder hat seinen Platz, keiner tanzt aus der Reihe, voran die Liktorenbündel mit Stöcken und Äxten, die im alten Rom die Herrschaft über Leben und Tod symbolisierten.
Drinnen dann das Klein-Klein des miefigen Alltags unter der Diktatur, der marmor hört nach den ersten Stufen auf, dahinter kommt die Portiersloge, ein kleiner, düsterer Überwachungsposten, ver dem der Gang abknickt in die Innereien der Gebäude. Schon damals zeigte sich das, was man heute am Potsdamer Platz und anderen innerurbanen Wüsten erlebt: Geplante Plätze binden nicht, es entsteht kein Leben, niemand verweilt hier, wenn er nicht unbedingt muss. Ein einziges Cafe verucht sich dagegen zu behaupten, aber weil hier Diktatur ist und Diktatur nur Posen kennt, kann es auch nicht das Caffe Garibaldi sein oder das Caffe La Pergola oder sonst etwas, das nach Plüsch und Gemütlichkeit klingt, nein, es kann nur heissen:
Nicht weit von hier, in Salo am Südende des Gardasees, geht diese Epoche nur 11 Jahre später ihrem glanzlosen Ende entgegen. Mussolini wurde nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten abgesetzt, festgenommen, von den Deutschen befreit und an diesem wunderbaren See mit einem lächerlichen Marionettenregime installiert. Am Ende des Krieges wollte er mit seiner Anhängerschaft von Salo in die nahe Schweiz fliehen, wurde aber von Partisanen gefangen, zum Tode verurteilt, wie ein räudiger Hund abgeknallt und dann, an den Beinen aufgehängt, der Bevölkerung zur Schau gestellt. An einer Tankstelle, die weitaus weniger protzig ist als die Piazza della Vittoria, die seinen Niedergang ohne Schaden überdauert hat und heute den Neofaschisten immer noch Bewunderung und Stolz abringt, weiss glänzend und das Stadtbild immer noch störend
aber nicht ganz unwidersprochen, zum Glück.
Heute ist er immer zugeparkt, so dass man nicht erkennen kann, wie lebensfeindlich die Gestaltung wirklich ist. Versiegelt und von hohen Gebäuden eingeschlossen, ist es ein Aufmarschplatz für den neuen Menschen, und kein Versammlungsort, auf dem man sich gern aufhält. Der Antikmarkt, der hier stattfindet, zwängt sich denn auch unter die Arkaden auf der rechten Seite. An die gewünschte Symmetrie halten sich hier nur noch die Mülltonnen.
Von der anderes Seite kann man zumindest an einer Ecke ein Gebäude sehen, das nicht zu diesem Ensemble in weissen Marmor gehört. Auf das gelbe Eckhaus aus dem späten 19. Jahrhundert nimmt der Platz mit seinen Raumhöhen und Fluchten bewusst keine Rücksicht. Gross soll es sein, grösser, für die grösste Zeit Italiens und seinen Duce. Ein Monument des neuen Geistes, das so auch bald in Berlin, Madrid und Moskau stehen konnte.
Rechts vorne ist die Kanzel, die Tribüne, nicht nur als solche eine Anleihe beim Christentum. In rotem Marmor gehauen, nimmt sie in ihrer Gestaltung die berühmten Vorbilder in Mailand und Verona auf. Man weiss, dass die Kirche nichts gegen die Überhöhung des Duce in solch quasireligiöser Form einzuwenden hatte. Hier gingen zwei Geisteshaltungen, Katholizismus und Faschismus, eine Symbiose ein, die mehr war als ein Zweckbündnis.
Ein Bogen, zwei Säulen, ein Bogen - Palladio stand Pate für die Arkaden. Wobei Palladio nicht diese absurde, langweilige Monumentalität vermieden hätte, irgendetwas hätte er unterteilt, gegliedert, mit einem Schnörkel versehen, um so dieser Monotonie entgegen zu wirken. Der Faschiusmus dagegen mag Einförmigkeit, Schlichtheit und immer gleichen Drill. Dass die Grösse in Monstrosität umschlägt, störte damals keinen.
Über allem erhebt sich der Turm der Revolution, ein Hochhaus aus Ziegelstein, ein Campanile des neuen Zeitalters. Er überragt die anderen Türme der mittelalterlichen Stadt, und verzichtet auf jede Leichtigkeit. Er nimmt die Gestaltung der Wehrtürme auf, deren Niederlegung in den italienischen Republiken stets das Zeichen des Sieges der Bürger über den Adel, die Bischöfe oder die Obrigkeit war. 1932 war aber von Demokratie keine Rede mehr.
Nach Osten, Richtung Venedig, gibt es ein Zugeständnis an die alte Herrscherin über Breschia. Die Fensterreihe im zweiten Stock ist das Zitat des Piano Nobile eines venezianischen Palazzo, auch hier wieder ins Monströse aufgeblasen und in der Formensprache bis zur Kargheit reduziert. Vergangenheit in eine Zukunft gebracht, die sich in der Realität als ebenso karg erweisen sollte, oder, mit Kriegsbeginn, als Katastrophe.
Aber 1932 sonnte man sich lieber im fragwürdigen Glanz der Eroberungen im ersten Weltkrieg. Breschia war eine Basis der Italiener im Alpenkrieg und gleichzeitig eine Waffenschmiede. Nichts erzählt hier von den Erfrorenen, dem Giftgas, den Befehlen, die eigenen meuternden Truppen mit Artillerie zusammen zu schiessen. Hier ist alles Sieg, Agression zahlt sich aus, und entsprechend wütend schaut auch der Marcuslöwe drein, den eine Versicherung hier anbringen liess.
Der Name der Piazza musste natürlich in Bronzebuchstaben angebracht werden, getragen von dorischen Säulen. Die dorische Säule ist ohnehin sowas wie das Deppenleerzeicher der Architektur. Wann immer sie nach der Antike verwendet wurde, konnte man daraus schliessen, dass die Erbauer einen nachlässigen Umgang mit dem Leben anderer pflegten. Die dorische Säule, benannt nach den Eroberern Griechenlands im dunklen Zeitalter vor ca. 3000 Jahren, hat es in sich. Schon immer. Wer das hier 1932 sah, hätte sich das Kommende ausmalen können.
Wenn dann der Eingang zu einem Arbeitstrakt auch noch diesen Gleichschritt, dieses Stehen in Reih und Glied symbolisiert, ist man am Hintereingang des Faschismus angekommen. Statt Säulen und Marmorbögen gibt es hier den Drill und die Zucht der Volksgenossen im Faschismus. Jeder hat seinen Platz, keiner tanzt aus der Reihe, voran die Liktorenbündel mit Stöcken und Äxten, die im alten Rom die Herrschaft über Leben und Tod symbolisierten.
Drinnen dann das Klein-Klein des miefigen Alltags unter der Diktatur, der marmor hört nach den ersten Stufen auf, dahinter kommt die Portiersloge, ein kleiner, düsterer Überwachungsposten, ver dem der Gang abknickt in die Innereien der Gebäude. Schon damals zeigte sich das, was man heute am Potsdamer Platz und anderen innerurbanen Wüsten erlebt: Geplante Plätze binden nicht, es entsteht kein Leben, niemand verweilt hier, wenn er nicht unbedingt muss. Ein einziges Cafe verucht sich dagegen zu behaupten, aber weil hier Diktatur ist und Diktatur nur Posen kennt, kann es auch nicht das Caffe Garibaldi sein oder das Caffe La Pergola oder sonst etwas, das nach Plüsch und Gemütlichkeit klingt, nein, es kann nur heissen:
Nicht weit von hier, in Salo am Südende des Gardasees, geht diese Epoche nur 11 Jahre später ihrem glanzlosen Ende entgegen. Mussolini wurde nach der Eroberung Siziliens durch die Alliierten abgesetzt, festgenommen, von den Deutschen befreit und an diesem wunderbaren See mit einem lächerlichen Marionettenregime installiert. Am Ende des Krieges wollte er mit seiner Anhängerschaft von Salo in die nahe Schweiz fliehen, wurde aber von Partisanen gefangen, zum Tode verurteilt, wie ein räudiger Hund abgeknallt und dann, an den Beinen aufgehängt, der Bevölkerung zur Schau gestellt. An einer Tankstelle, die weitaus weniger protzig ist als die Piazza della Vittoria, die seinen Niedergang ohne Schaden überdauert hat und heute den Neofaschisten immer noch Bewunderung und Stolz abringt, weiss glänzend und das Stadtbild immer noch störend
aber nicht ganz unwidersprochen, zum Glück.
donalphons, 23:58h
Sonntag, 21. Mai 2006, 23:58, von donalphons |
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maternus,
Montag, 22. Mai 2006, 00:23
Diese Stechschritt-Architektur kann man in Reinkultur auch in Latina bewundern oder auf dem Gelände für die ausgefallene Weltausstellung 1942 (EUR) im südlichen Rom. Nüscht als Marmorcanyons. Da fröstelt es den Betrachter auch bei 40° im Schatten.
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donalphons,
Montag, 22. Mai 2006, 00:31
Komischerweise ist diese Sicht nicht sehr verbreitet: Hier findet alljährlich die Abnahme der Mille Miglia Fahrzeuge statt, da stört sich kein Mensch am Ambiente. Unter den Arkaden ist der MM-Shop, und viele Teilnehmer redidieren im Albergo Vittoria.
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maternus,
Montag, 22. Mai 2006, 00:38
Das hat meiner Erfahrung nach mit der Gleichgültigkeit vieler Italiener gegenüber historischer Bausubstanz zu tun: "Wir haben ja soviel". Während meiner Jahre in Rom habe ich niemanden getroffen, der so desinteressiert an der grandiosen Architekturschow der Stadt war wie eben eingeborene Römer (na gut, abgesehen von Skandinaviern auf der Jagd nach billigem Alkohol).
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