Nachdenkhilfe für Laberer

In meiner Schule gab es einen rabenschwarzen Geschichtslehrer, der, als es im Leistungskurs an die Behandlung von Waffen-SS und SS ging, so eine gewisse Art Oral History betrieb: Er erzählte, dass er Ende des Krieges bei der Waffen-SS war, und wir sollten nicht alles glauben, was da erzählt wurde. Keiner störte sich daran, dass dieser Herr und Geschichte vermitteln sollte, was in Bayern zu Zeiten des kalten Krieges und des nichtwarmen Bruders Strauss noch einen gewissen Indoktrinationsauftrag hatte, da wurde uns "Einsicht" vermittelt und "Verständnis" von Vorgängen, die dem Staat so passten und vielleicht weniger der Realität der jüngsten Geschichte. Dafür war dieser Herr durchaus prädestiniert, inclusive seinem Stolz, dabei gwesen zu sein.

Ehrlichkeit in Bezug auf Extremsituationen ist eher selten, das vereint Opfer und Täter, Mitläufer und Gegner. Vermutlich ist das Leben eines 16-jährigen, der sein ganzes bewusstes Leben der Indokrination der Nazis ausgesetzt war und der die Wahl hat zwischen freiwillig melden und zwangsrekrutiert werden, um sich in einem verlorenen Krieg umbringen zu lassen, so eine Extremsituation. In dieser Zeit war die Waffen-SS nicht mehr der politische Elitekader der kämpfenden Truppe, sondern ein Truppenteil, in den man ungeachtet der politischen Auffassung abgeordnet wurde. Natürlich gab es da nicht weniger Verbrechen; mit Panzern Kriegsgefangene zu überrollen, wie es die Waffen-SS-Abteilung "Hitlerjungend" 1944 bei der Invasion in der Normandie getan hat, ist ein Beispiel dafür, was frisch von der Schulbank kommende Kinder zu tun in der Lage sind.

Aber wie in jedem Fall gibt es keine Kollektivschuld, auch wenn das Wort Waffen-SS hoffentlich auf immer kollektiv Abscheu und Empörung hervorrufen wird. Sollte Günther Grass also jetzt die Wahrheit gesagt haben - in den allerletzten Kriegstagen zur sich auflösenden Waffen-SS-Abteiling Frundsberg abkommandiert und ohne Kampfhandlungen in Gefangenschaft geraten, was ich durchaus zu glauben bereit bin - bleibt allein die Frage, warum er es so spät zugegeben hat. Einerseits muss man es wohl respektieren, dass er hier offen und ehrlich ist, andererseits ist es doch recht spät und nicht wirklich sauber, angesichts dessen, was Grass über Verdrängung und Vergessen gesagt hat. Mir erscheint es weniger als moralisches Dilemma denn als Nullsummenspiel eines Autors, der bereits so über den Niederungen des Gekeifes seiner rechten Feinde steht, dass er sich und allen diese Wahrheit nicht mehr ersparen braucht.

Und sollte doch einer die Stimme erheben wollen aus dem braunschwarzen Sumpf, so sei ihm geraten, sich erst mal mit denen auseinanderzusetzen, die immer noch an den Legenden einer sauberen Wehrmacht stricken.

Sonntag, 13. August 2006, 18:31, von donalphons | |comment

 
Als Freundin der wenigen Worte - stimme ich dir zu.
Nullsummenspiel - exakt!
Da ich erst vor kurzem dem Leib meiner Mutter entsprang - kann ich sagen - who cares? Aber es stört - und das gewaltig - ich finde Heuchler SCHEISSE. Aber ich fand den literarisch eh noch nie gewaltig - insofern stört es mich auch nicht.

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Ach Gottchen, der Jünne nun schon wieder.
Das "Eingeständnis" der SS-Vergangenheit ist eigentlich die geringere Sache.

Interessant ist die psychopathologische Seite, will sagen die Offenlegung der Quelle von Jünnes eigenartiger Motivationsstruktur. Ob man es Übertragung oder Projektion oder was auch immer nennen kann, der Mann ringt immer noch den Adolf nieder, um vor sich selbst Erlösung zu finden.

Und arbeitet seine Vergangenheit jeden Sommer stets im gleichen Ort in den Masuren auf, aus dem er stammen soll (Teilpolacke ja, aber doch nicht so, das man es in D. öffentlich zugeben mag, da schadet das, aber dafür dort vor Ort umso mehr), und schlurft dort so selbstvergessen-bedeutsam umher das man Mühe hat ihn nicht niederzureiten, oder zumindest mit der Gerte für körperliche Anregung zu sorgen.

Langweilig. Eine dutzendfache deutsche Geschichte von verklemmter "faschistischer Schuld" und ebenso verklemmter "antifaschistischer Sühne". Die übliche jämmerliche Motivationsstruktur. Was an seinem literarischen Erfolg nichts ändert.

Auch Grass ist nur ein Mensch, kein Heiliger mit Schreibgriffel. Das mag für viele das schockierendste an der ganzen Pseudo-Affäre sein.

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Da wollen einige offene Rechnungen mit Grass begleichen.

Obwohl ich den Schirrmacher nicht mag, hat er einen nach meiner Meinung guten Kommentar geschrieben:

http:// www.faz.net /s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E405E110A92BE45B7A76B55CF4698239D~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

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"Offene Rechnungen" ???

Oh bitte, nicht so einen Dumpfsinn - wer ausser ein paar versponnenen Dichter-Kollegen hat da ernsthaft was "offen" ? Wer ausser den Verlagen, bei denen GG sein neues Buch nicht mit diesem selbstgefälligen "Geständnis" pressewirksam promotet ?

Es ist doch nur alles eine langweilige Geschichte aus dem moralinsauren Milieu der deutschen Nachkriegskünstler. Selbstbetrüger, die ihre Motivation vor sich und anderen verstecken sind gut im heucheln eines Bessermenschen und im moralisieren. Es sind nur Menschen, so what, wir neigen alle dazu.

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Offensichtlich haben da einige was offen. Vor allem in der Politik. Ist zwar alles schon eine Weile her, aber Grass hat es in den 60ern bis frühen 80ern geschafft, die Union geistig un ethisch ganz schön in die Ecke zu quetschen, angefangen von den früheren kameraden bis zu ihren Stahlhelm-Lehrlingen und Nachfolgern. Für die - und natürlich für diverse ältere Schriftstellerkollegen - ist das jetzt nochmal ein innerer Reichparteitag - ohne Anführungsstriche.

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Wenn man beispielweise Jürgs hört, dessen Grass-Biographie nicht auf positive Resonanz bei den Literatur-Kritikern gestossen ist und der sich anscheinend um seine "Pointe" betrogen fühlt:

Das Ende einer moralischen Instanz

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all die jahre wusste keiner was? gar keiner?

da muss es doch schweigeverabredungen in grössenordnungen gegeben haben.

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Der Jürgs ist ein ganz eigenes Kapitel, da würde ich nicht weiter drauf achten.

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bei allem respekt vor GG`s arbeit, so langsam scheint er sich zu einer art einmann - lichterkette zu entwickeln.... vielleicht ein versuch der selbstreinigung, wer weiss.

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Mein erster Gedanke war ganz profan: Stirbt er bald? Will er noch schnell reinen Tisch machen? Mein zweiter Gedanke war noch gemeiner: Laufen die Geschäfte so schlecht, daß er so PR für das Buch machen muß?

Dann fiel mir auf, es geht mir völlig am Arsch vorbei. Intellektuellen-Rumgewichse. ABM fürs Feuilleton. Gesellschaftsspiel für Germanisten. Weder interessant noch relevant.

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Warte mal ab bis Grass verkündet, dass er seit Jahren (geheim)Mitglied bei der CDU ist!

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Klar kann man das als Fäuleton ABM abtun. Denn trotz des Nobelpreises haben wohl 90% der Bürger noch nichts von Grass gelesen. Bekanntheit korrelliert in der Regel nur mit Ahnung.

Der Grund dafür, dass es kein grösseres Thema ist, liegt in der verkommenen gesellschaflichen Situation in Deutschland. "Jeder hat Dreck am Stecken" ist zur einzigen Gewissheit einer Gesellschaft geworden, die den Glauben in Politiker, Publizisten und anderen Meinungsmachern und medialen Aushängeschildern (auch Journalisten) verloren hat. Es wäre fatal, wenn der Fall Grass nun von Stasi-IMs/-Mitarbeitern und anderen Gesinnungstätern zur Reinwaschung ihrer Weste instrumentalisiert werden würde.

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Der Gedanke, dass der Walser jetzt den Rumpelstilzchen tanzen wird die alte Sau, Waffen-SS, das hätte mir einfallen müssen... ,verdammicht!, verleiht dem Geständnis wenigstens etwas Unterhaltsames.

Ansonsten wird es sehr profan sein: den Literaturnobelpreis, den hätte er nicht eingefahren, wenn er früher gestanden hätte.

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Tja, jetzt keifen die Leute, die lieber für Ernst Jüngers Stahlgewitter einen Nobelpreis gesehen hätten.

Den Kommentar von Frank Schirrmacher fand ich übrigens ziemlich mau - wenig überzeugend. Ich kann nachvollziehen, warum Grass sich schwer tat, seine Monate in der SS in die Öffentlichkeit zu bringen. Es gibt m.E. kaum einen Literaten von Rang, der derart vorbildlich (!) Konsequenzen aus der Zeit des zigmillionenfach mörderischen deutschen Faschismus gezogen hat.

Ähem, und man könnte anmerken, dass der Fäulletonist Schirrmacher, welcher übrigens auch Walser promotet, ein eifriger Bewunderer von Ernst Jünger ist...

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Schirrmacher
Trotzdem war der Kommentar bemerkenswert besonnen. Aber muss man wohl, wenn in der eigenen Zeitung der Vorabdruck erscheint. Wenn es Schirrmacher schwer gefallen ist, freut es mich doppelt.

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Könnten wir bitte bei den Fakten bleiben? Waffen-SS und SS sind 1944f. organisatorisch und personell zwei unterschiedliche Dinge, ohne dass Waffen-SS dadurch eine gute Sache wäre.

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Gähn...
Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als die (kurzfristige) Mitgliedschaft eines Schreiberlings, der seine besten Zeilen schon lange gesehen hat, in einer wie verbrecherisch und menschenverachtenden auch immer gewesenen Organisation namens Waffen-SS vor über 60 Jahren...

Darf ich am Rande darauf hinweisen, dass das Merkel-Ferkel und der Problem-Bär gerade dabei sind den ohnehin schon schwer leckgeschlagenen Dampfer namens Deutschland - zwar voll beflaggt - aber doch weiter mitten rein in die Scheiße (Verzeihung!) alias den Nah-Ostkonflikt zu steuern?!

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Das ist nur Chickenhawkerei, irgendjemand im Nahen Osten findet sich schon, der die zurückhält, und dann war man bereit, aber die anderen wollten ja nicht.

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ob sich verhinderte menschen wie z.b. die schmierulanten von "die welt", oder der leidlich bekannte reykjavik-liebhaber auch eines tages für die dunkleren flecken ihrer vita an den pranger gestellt sehen werden?

ich kann's erwarten.

gez. das elephantengedächtnis

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Nun, der ein oder andere Scheck könnte vielleicht schon mal publik werden. Nicht unbedingt für Broder, aber für andere.

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oh, da fallen mir spontan ein: bayer crop sciences, vattenfall, rwe, monsanto... muss es mehr sein? :-)

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Zeitpunkt
Das Thema hab ich auch gestern abgearbeitet. Interessant ist eigentlich nur, warum er es jetzt veröffentlicht und nicht mit ins Grab genommen oder vorher verraten hat. Meine Antwort ist schlichtweg Marketing. Siehe auch www.weltenweiser.de

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Marketing für Bücher geht, glaube ich, anders. Jedenfalls nicht mit Waffen-SS.

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papstbezug soll ja auch noch gegeben sein, im zu vermarktenden werk.

ja, wen man so im kriegsgefangenenlager alles kennenlernen konnte. wenn der grassgünter jetzt die audienz beim papst mitsamt dem segen kriegt, stinkt die csu erst richtig ab.

als nächstes dann noch das outing als praktizierender katholik und dann die ständige mitarbeit beim rheinischen merkur, und schon ist auch die cdu froh, einen verlorenen sohn aufnehmen zu können.

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Poète Maudit
[Edit: Gelöschter Bullshit. Don]

Letzte Bemerkung: Der kleine Triumph der Konservativen besteht natürlich jetzt darin, dass ein Don Alphonso dieses sagen muss: "Waffen-SS und SS sind 1944f. organisatorisch und personell zwei unterschiedliche Dinge, ohne dass Waffen-SS dadurch eine gute Sache wäre." Damit hat Don Alphonso recht. Sehr recht. So recht, dass er es noch vor 5 Tagen vielleicht so nicht gesagt hätte. Wenn überhaupt, ist dies die kleine boshafte, quasi alphonsesque Pointe der "Grass-Affaire".

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Heute ist Trettag :-)
Hier stinkt es nach Arschloch, man kontrolliere mal besser den Schliessmuskel und komme mir nicht mit so einer Scheisse. Genau hinschauen gehört definitiv dazu, denn wenn ich das nicht täte, Du billiger Froschfresserimitator, könnte ich mutmasslich auch Deinen Opa, Grossonkel, irgendeiner findet sich immer, in die braune Tonne treten. Tue ich aber nicht. Weil dergleichen ahistorische Brutalaktionen nichts bringen. Und weil schon zwischen einem Grass und einem Schönhuber bei formal gleicher Kriegsgattung durchaus erhebliche Unterschiede sind.

Alles was ich sage ist: Arschlochgestank. Und: Schreiben kannst Du auch nicht, Du selbstverliebter Phrasenwichser. Und jetzt, Mann - verpiss Dich.

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Einordnung
Mich ödet nur mal wieder die 'öffentliche Erregung' und Bigotterie der vermeintlich 'Unbefleckten' an.

Ab 44 wurde die Hälfte der Wehrdienenden zwangsweise der Waffen-SS zugeführt, erst nach der Ausbildung konnten sie frei entscheiden ob sie dort dabei bleiben wollen. Ganz anders die, die sich freiwillig zu den Einheiten der Waffen-SS gemeldet haben. Dies ist dann eine andere 'Liga'.
Btw. wenn SpOn den 'Guardian' zitiert in den Nürnberger Prozessen wurde die Waffen-SS als kriegsverbrecherische Organisation eingestuft ist dies einfach mal wieder falsch. Sonst hätte man Skorzenny etal. wohl kaum freigesprochen. Aber Genauigkeit ist halt nicht weit verbreitet.

Zu Grass (und Fischer...sowie alle die es betrifft - jaja, auch die in der DDR im Häuserkampf ausgebildeten SEW-Mitglieder) - die Konvertieten sind mit Verlaub die schlimmsten Zeit'genossen'. In jeder Armee sind sowieso nach Gauß´scher Verteilungskurve mindestens 3% Vollirre dabei - wenn nicht gar mehr.

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Nun ja, wenn dann ausgerechnet Wolffsohn, der Folter als Mittel gegen Terroristen für legitim hält, das moralisierende Werk von Grass für entwertet hält, dann würde es sich lohnen, mal grundsätzlich über Moral im 21. Jh. nachzudenken.

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Soviel auch zum Thema 'Niemand hat mehr eine Rechnung mit Grass offen'.

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Immerhin würde Grass wohl nicht auf ein Treffen mit Rechtsextremisten gehen, wie mancher ihn andissender, sein Judentum raushängender Herr.

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Wolffsohn ist ja nicht die einzige zweifelhafte Figur in der Grassverurteilungsmaschine. Da reiht sich auch ein Speerreinwascher Fest nahtlos ein.

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@don
treffen in telgte vleicht

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Dialektik der Untat
Das Dilemma ist, Grass muss jetzt wohl oder übel damit leben, dass ihm die Falschen wie Baring etc., die ein ideoligisches Interesse an jeglicher Relativierung der Waffen-SS-, Wehrmachtstaten haben, beistehen werden.
Es ist offensichtlich, dass der Waffengang eines Schönhubers (HuSohn) von dem eines Grass grundverschieden zu beurteilen ist, doch wird es zunächst einmal niemand interessieren, hier zu differenzieren, schließlich haben mit einem Moralisten und literarischen Riesen wie Günter Grass (ja, ja, vereinzelt versucht man auch seine Werke zu verunglimpfen, doch ist dies einfach Bullshit!) nicht wenige Zwerge ihre Rechnungen offen...

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Und jetzt auch noch des Broders öffentliche Onanie auf den vom Sockel geschubsten Grass auf SpOn. Da möcht man kotzen, da wünscht man sich, dass jemand dem Broder bald mal nen Friedmann'schen Skandal nachweist, diesem lebenden Schaumvormmund.

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Wundert mich, dass man sojemanden überhaupt noch schreiben lässt. Muss was mit der Nähe mancher Leute beim Spiegel mit dem Neocon-Lager zu tun haben. Gosse halt.

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Grass ist also keine moralische Instanz mehr. Wie gut, dass uns die Bildzeitung das erklärt. Da kennt man sich aus mit sowas.

Aus meiner Sicht dazu nur soviel:

Wenn ein Mensch etwas Richtiges vertritt, wird es nicht dadurch falsch, weil er selbst diesen Ansprüchen nicht immer gerecht wurde.

Wenn ein Mensch etwas Falsches vertritt, dann wird das Falsche für eine bigotte Öffentlichkeit oft erst sichtbar, wenn sich der Mensch als Heuchler entlarvt.

Aber falsch war es schon vorher.

Ein Beispiel: Wenn jemand immer wieder verkündet, dass sich niemand schämen muss, schwul zu sein und sich ruhig öffenlich dazu bekennen soll, und es stellt sich heraus, dass er selbst dazu nicht in der Lage war, dann entwertet das überhaupt nichts.

Wenn aber jemand immer wieder lautstark gegen Schwule hetzt, und sich herausstellt, dass er selbst nur seine Homosexualität verdrängt, dann zerbrückelt "moralische Instanz".

Scheinbare moralische Instanz natürlich. Denn er war natürlich nie eine.

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was wäre
wenn diese ganze feuilletonistische entrüstung

nichts weiter wäre als ein aufbäumen alter männer, teils dem geltungsdrang, teils dem interesse am abverkauf geschuldet

und ansonsten für die berliner republik so wichtig *) wie das fahrrad, das etwa zur gleichen zeit vor dem neuen berliner hauptbahnhof umgefallen sein soll?

auch die cdu wird sich, nachdem ein wadelbeisser aus der zweiten reihe vorgeschickt worden ist, so seine fünfzehn minuten prominenz erhaltend und die aussicht, bald mal wieder für irgendwas gebraucht werden zu können, und der irgendwas fordern durfte, wie das im sommerloch so üblich ist, besser auf ihre aktuellen probleme besinnen. davon gibt es genügend, das eigentliche problem ist doch bei denen, dass ein volk ohne volkspartei sehr viel besser als umgekehrt sein kann.

*) ich bestreite nicht die grundsätzliche problematik - was ist die aufgabe des intellektuellen? besipielsweise.
aber dazu hat schon benda (julien benda, la trahison des clerks oder, deutsche ausgabe, der verrat der intellektuellen) das massgebliche gesagt, das ist auch schon wieder gut sechzig jahre her und immer noch aktuell.

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Die letzte Lachnummer in der Reihe ist ja Maxim Biller, ein Mann, der zwar gern in moralisch tut und jetzt nochmal beissen darf. Was für ein Wicht. Immerhin hat er Broder mal als grossen deutschen Philosophen portraitiert - um jetzt mit ihm an der gleichen Tür zu kläffen. Peinlich.

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Ich konnte Günter Grass noch nie leiden – eine Laudatio
Schon von intellektuellen Kindesbeinen an – als Gymnasiast – hatte ich mit Grass ein Problem. Sein gestischer Maximalismus, der es unter dem faustischen Ringen ums Äußerste selten tat, berührte mich unangenehm.
Es war die Böll & Grass-Zeit, so, wie es bereits die Goethe & Schiller-Zeit und die Mozart & Haydn-Zeit gegeben hatte. (Die Nörgler & Nörgler-Zeit kommt noch;-))

Böll und Grass – das war wie Pat & Patachon (Erläuterung für die jüngere Generation: Stummfilm-Komiker), Plisch & Plum (Erläuterung für die jüngere Generation: ein Paar bei Wilhelm Busch), und Marx & Engels (Erläuterung für die jüngere Generation: Skeptiker der Marktwirschaft) und es paßte genau so wenig.

Dem vom Tonnengewicht der eigenen Nachdenklichkeitsschwere selbstbetroffenen Grass kontrastierte der scheinbar nur mit Luftballons balancierende Böll. Den Atem der Geschichte ließ Grass wehen, während Böll deren Fürze mit ironischer Meisterschaft in die literarische Form erhob. Grass zehrte vom Großen, das er beschwor; Böll zehrte am Großen, um es auf das dem Großen selbst gemäße Zwergenmaß zu reduzieren.

Bölls Stärke im Literarischen war seine Schwäche in der Zeit, eine Schwäche, die fatal sich erfüllte, als er in die zeitbedingte Angelegenheit RAF/"Katharina Blum" unglücklich einstieg. Aber das wäre eine andere Geschichte.

Grass, dem ich eine dunkle Ahnung der eigenen literarischen Insuffizienz unterstelle, da er nämlich ein so kompetenter Literat ist, daß seine gehobene Mittelmäßigkeit ihm selbst unmöglich entgangen sein kann, hatte darum erfolgreich aufs Politische sich verlegt – und den Verdrängern und Schlußstrichziehern die Hammelbeine schmerzhaft länger gezogen, als die selber jeden Schlußstrich quer über die diagonale Lagerkarthographie von Auschwitz je hätten ziehen können.

Das machte er unvergleichlich und mit Bravour: Es traf die Richtigen; er traf die Richtigen. Sie jaulten auf, sofern sie das noch sich trauten. Er hat sie nicht nur in die Ecke getrieben, er hat sie unter die Steine getrieben, wo herauszukriechen sie akut sich erfrechen – und jedesmal, wenn Günter Grass in den letzten 30 Jahren solch Bewunderswertes vollbrachte, wurde mir gleichwohl schlecht.

Es ist der Ton.
Die Inhalte mögen respektabel sein, doch es ist der Ton. Es ist die Tabakspfeife und die Körpersprache und der Ton. Es ist die Tabakspfeife und die Körpersprache und der Ton und das Mienenspiel. Es ist die Tabakspfeife und die Körpersprache und der Ton und das Mienenspiel und die Vertretung von "Werten".

Es ist die Affirmation.
Was am Grass mir unerträglich ward, ist, daß er mit seinen Gegnern deren Voraussetzung teilt: "Werte" müssen sein.

Sieben mal tausend mal tausend Gasopfer bezeugen: "Werte" müssen nicht sein, keineswegs, zumindest sind sie hochflexibel. (Dabei lasse ich außer Betracht, daß mehr noch als das Sterbenmüssen das Lebenmüssen in den Lagern die Hölle war.) Grass' Erfolg gegen die, die bis heute auf den Schlußstrich gehen, ist die angeglichene Moral-Prätention beider Seiten. Taktisch hat er das gut gemacht: Ich bejuble jede Schweißperle einzeln, die er ihnen auf die Stirn trieb, und ich finde ihn dennoch zum Kotzen, weil er damit ex principiis den affirmativen Rotz beförderte, der das Land durchseucht.

Aber einmal war er wirklich gut.
Es gibt diese Augenblicke, in denen ein Mensch leuchtet; in denen er erscheint als einer, der nur auf diesen Moment hin gelebt hat, so, als wäre alles zuvor nur eine Vorbereitung gewesen für diesen Augenblick.

Es war, als Günter Grass sagte:

"Kein Kampf der Kulturen, sondern zweier Un-Kulturen."

Damit ist es für mich gut.

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