: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 21. August 2006

Was ich wollte

war ein französischer Schreibtisch. Wenn möglich, aus der Zeit der französischen Revolution, vom Übergang zwischen Klassizismus und Empire, dass man sich vorstellen kann, dass darauf ein Danton geschrieben hat, ein frivoler Roman verfasst oder ein Anschlag auf Napoleon schriftlich verabredet wurde. Mit einer Marmorplatte, die im Sommer kühl ist und bei der es keine Rolle spielt, wenn man mal den Tee verschüttet. Ein Tisch, schwer und solide, der fest steht in der Wohnung und Heimat symbolisiert und die Ruhe, die man an so einer schweren Steinplatte wohl zwangsläufig bekommt. Mit Säulenbeinen, die eine schwere Last tragen, und dennoch elegant sind. Mahagoni immer gerne, und dazu fein ziselierte Bronzebeschläge. Ein Stück, wie man es in Auktionskatalogen sieht, mit der Beschreibung "A fine Empire Bureau Plat with Marble Top, 4.500-6.000 $".

Weil sowas selten ist und mitsamt Reise zur Auktion und 20% Aufgeld jenseits meiner finanziellen Mittel, fand ich mich mit der Idee ab, einen englischen Schreibtisch zu kaufen. Im Januar fand ich einen in rötlichem Mahagoni, um 1850, mit drop leafs bei Antik Du Kanti in Berlin, war mit dem Roadster unterwegs, und als ich bald darauf mit dem Audi kam, war er schon weg. Im Prinzip fluchte ich jeden Morgen beim Aufstehen wegen dieses Schreibtisches, bis ich dann missmutig und eher in Gedanken an meine Liebste einen Tisch kaufte, der auf dem Photo wie eine Stilkopie eines Regencyschreibtischs aussah, mit Lederfläche, gespreizten Beinen und Löwenfüssen aus Bronze mit Rollen. Es erwies sich als keine Stilkopie, sondern als altes Original, daneben stand noch ein Sofa Table, den ich auch nahm - und das alles für die Hälfte des ohnehin günstigen Preises, den Du Kanti verlangt hat. Alles prima, dachte ich, das Schicksal ist mein Freund. Bis heute morgen um 11, als ich auf dem Flohmarkt einen Händler aus Frankreich kennenlernte.



Ich veranstalte deshalb die grosse Blogmarketing-Spendenaktion "Jeder Leser 1 Euro" Ich habe definitiv keinen Platz mehr dafür. Und er ist auch nicht ganz billig, wenngleich alles andere als teuer für so ein Stück, mit Verhandeln unter 1000 Euro. Sollte jemand anderes sowieso mal ins Elsass fahren und schon immer von einem Empireschreibtisch geträumt haben: Ich habe die Adresse und die Nummer. Und gebe sie auf Anfrage heraus, auch wenn es weh tut.

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Verschwendung und Laster als Wirtschaftsstimmulanz

Wir müssen unseren Eltern dankbar sein, dass sie so freundlich waren, uns etwas Sinnvolles studieren zu lassen. Nicht etwa BWL, wo allenthalben ein Dasein als Sachbearbeiter droht, oder Jura, deren Jünger für die doppelte Arbeit eines Facharbeiters 2/3 dessen Lohnes bekommen, wenn sie dem Kunden erst mal die Mahnungen geschickt haben - und der als GmbH nicht pleite ist. Glücklicherweise erkannten unsere Eltern den Wert einer universellen Bildung und liessen Studiengänge der Kulturgeschichte zu, die zwar keinen direkten Beruf nach sich zogen, uns aber zu gebildeten, wissenden und erfahrenen Menschen gemacht haben. Wir wissen, dass die sog. Evolution des Menschen eine dumme Einbildung desselbigen ist, der gern in Verblendung zurückschaut, sich heute überlegen fühlt und nicht daran denkt, dass man über ihn in 100 Jahren ähnlich schlecht reden wird, und er kann dann nicht mal mehr in deren Blogs kommentieren.

Dieses tumbe Dasein in der Menschenbrühe, an deren Spitze sich jeder vermuten möchte, zu durchschauen ist nicht nur eine geistige Übung, es ist der Schlüssel zum guten Leben. Wer jemals in einer neolithischen Siedlung einen schminktauglichen Rötelstein und eine kleine Reibe aus Quarzit gefunden hat, die damals mit unsäglichen Mühen über 200 Kilometer transportiert wurden, macht sich über die Natur der Frauen noch die gleichen Illusionen, die angesichts von frühmittelalterlichen Männergräbern entstehen, bei denen die Schädeldecken vom Hieb einer Spatha gespalten sind. Und wenn heute der respektierte Meister Lumma das Buch "Verschwendung" eines unsäglichen Autors einer wahrhaft erbärmlichen Postille "Brand1" mit grosser New Economyvergangenheit empfiehlt, nun, dann



greifen wir nur müde lächelnd in das Buchregal nach Bernard Mandevilles "Bienenfabel oder private Laster als gesellschaftliche Vorteile", legen es auf unseren Regencyschreibtisch und bereiten uns eine Kanne Tee. Denn eine wirklich üble Verschwendung wäre es, einen weichgespülten Apologeten des genial bösartigen Originals zu erwerben. Was, bitte, könnte denn ein Autor so einer windigen Luftnummer vermögen gegen einen der grossen Aufklärer, einen gottlosen, zynischen Beobachter des Lasters und seiner Folgen, die doch immer gleich sind? Was soll so ein Amazoninsidelesenbuch, der in einem Jahr auf dem Ramsch liegt, gegen einen Klassiker, der auch schon auf dem Index der katholischen Kirche stand? "Verschwendung", das wissen wir ohne Lesen, ist etwas für die Post-68er, die sich cool finden, weil sie heute saubere Resopaltische mit abartig teurem Kirschfurnierimitat haben, genauso cool wie der 68er, der stolz war, eine verdreckten Obstkiste das Eigen seiner Kommune zu nennen und dort Marxens ursprüngliche Akkumulation zu büffeln - und doch sitzen sie beide am gleichen Müll.

Mandeville - zu seiner Zeit Anfang des 18. Jahrhunderts allseits verhasst und als Mandevil verunglimpft - hat gut doppelt so viel geschrieben wie das deutsche Nachmacherlein in seinem erbärmlichen Hayekschismus. Denn Mandeville kritzelt nicht irgendwelchen hirnlosen Tschaka-Liberalismus für die geistige Tiefflughöhe des durschnittlichen Brand1-Liebhabers, er ist sich durchaus der negativen Folgen und Voraussetzungen der Verschwendung im Klaren, die in seinem Buch breiten, mit geistreich-zynischen Erzählungen gefüllten Raum einnehmen. Jenseits der Ironie bleibt Mandeville strikt bei einer sinnvollen Äquidistanz zwischen Knauserei und Verschwendung, er führt die Extreme vor und überlässt dann dem Leser die Entscheidung.

Was in meinen Augen der Unterschied zwischen einem europäischen Aufklärer und den Hayeks Kadaver ausbudelnden ökonomischen Terrorstaatsfanatikern ist. Was Wunder, dass des kecken Autors Verleger deshalb von einem Vorfahr der zweiten Gruppe vor den Kadi gezerrt wurde. Wir aber blättern also wieder in Mandeville, essen ein Stück gedeckten Apfelkuchen dazu, verstehen, dass der Mittelweg nicht immer golden, aber doch sinnvoll ist und heben uns ein feines Lächeln für die Schwächen und Triebe der Menschen auf, denen letztlich unser Naturell, der Sex, die Literatur, das verfeinerte Essen und die Musik entspringt, aber zwingend weder ein Geschäftsmodell noch ein Bestseller von so einem Typen da.

Wer den Mandeville noch nicht hat, bestelle sich am besten im Buchladen die Hardcoverausgabe von C.H. Beck in München, 1988, 19,90 Euro. Natürlich mit Lesebändchen.

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