Die Nöte der reichen Herrschaften
Es gibt in dieser Stadt ein gutes Viertel, und es heisst das alte Westviertel. Das alte Westviertel jedoch ist nicht ein Viertel, sondern ein Nebeneinander tiefer Gegensätze. Da schaut der zugewanderte Manager der Weltkonzerns von seinem Toskanabalkon nach der Geschäftsreise zu den chinesischen Mördern verständnislos hinunter in einen Obstgarten des hiesigen Elektroinstallateurs, der das teure Grundstück auch weiterhin nur als Parkgelegenheit seiner alten SLs und zum Lesen in seinem billigen Liegestuhl nutzt. Da gibt es eine Arzt mit Biofimmel, der ein komplettes Luxusgrundstück zum Hegen seiner Ziege nutzt, und den Chefarzt, der das angrenzende Grundstück nur gekauft hat, um es jetzt verwildern zu lassen und damit die Ansiedlung eines etwaigen Nachbarn zu verhindern, weil er auf der anderen Seite seiner Villa genug von Leuten hat, gegen deren übergreifende Obstbäume er prozessiert.
Die grösste Kluft aber, die jedermann ersichtlich ist, liegt jedoch im Bereich eines zugeschütteten Altwassers innerhalb des alten Westviertel, das wegen des sumpfigen Grundes und der Überflutungsgefahr einmal alle 7 Jahre während des Jahrhunderthochwassers nicht bebaut werden kann. Ein Wiesenstrich also trennt teilt das Gebiet in zwei Bereiche, das eine näher am Tennisplatz, das andere fast direkt am See. Dazwischen ist Brachfläche, ein Acker, eine Wiese, die die hiesigen Katzen und Hunde lieben, sowie ein Erdbeerfeld und das Areal einer Freilandgärtnerei, der die Hiesigen ihre im sumpfigen Boden bestens gedeihenden Urwälder verdanken, wenn sie nicht gerade solche Golfrasenfetischisten und AutobahnzurGarageAnleger wie die Nachbarn meiner Eltern... wie gesagt, es gibt hier auch noch andere Gräben.
Man ist hier, im besten Viertel, im einzigen Viertel, in dem man wohnen kann, und das in einer der reichsten und dynamischten Grossstädte der Republik, auf den ersten Blick ansonsten frei von Sorgen. Tempo 30, ein eigener Schulbus und so viele Zivilstreifen, dass man sich einen eigenen Wachdienst sparen kann. Jeder kennt hier jeden, man passt bei allen Gegensätzen aufeinander auf, und wenn nicht gerade der zugedröhnte Sohn nach einer wilden Party im Winter aus einem Auto geschubst wird, um vor dem Gartentor dann zu erfrieren, kann nicht allzu viel passieren. Ausser...
Ausser, die Stadtverwaltung kam zum Schluss, dass so ein Viertel für die diversen, hier geleerten Weinflaschen auch ein Container stehen sollte. Es gibt in der Altstadt drei exzellente Weingeschäfte, die ihre Kundschaft vor allem dem Westviertel verdanken. Wenn der Wein nun, sei es mit dem alten Rad oder dem alten Alfa Spider oder dem brandneuen R8 nach Hause gebracht wurde, bei einem der vielen Gartenfeste geleert wurde, ging die Flasche zu einem ganz bestimmten Punkt: Dem sternförmigen Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Strassen, die das ganze Viertel sowie die etwas schlechtere Ecke nördlich davon - weder mit See und Tennisplatz, lediglich mit einem Weiher und einem Reitgestüt und von Anwälten verseucht, die im Miami Vice Stil bauen. Und diese Strassenkreuzung lag inmitten des Tennisbereichs des Westviertels. Was die Folge hatte, dass dort tagsüber durch die Gärten so manches Geklirre ertönte.
Die Bewohner des Tennisbereichs argwöhnten nun schon etwas länger, liessen es bei Gesprächen einfliessen, deuteten es beim Ratsch über Muckimänner für Gartenarbeiten und die Unopiu-Trends des Frühlings an, kamen beim Gespräch über in Internate verfrachteten Nachwuchs mit leichten Gesetzesproblemen darauf zu sprechen, dass es doch sehr ungerecht sei: Sie hätten all den Lärm und die Belästigung, während im Seebereich allein getrunken werde. Das sei ungerecht, die einen geniessen und die anderen werden gestört. Die Bewohner des Seebereiches jedoch wiesen jeder Verantwortung von sich, so präferierten sie nämlich am See einen weiteren Altglascontainer, der ausser den daneben grillenden, spiessigen Minigolfern, die sowie nicht von hier sind, niemand störe. Der Altglascontainer des Tennisviertels sei allein deren Problem. Und weiter hallte das Geklirr durch weitläufige Gärten und über Veranden, bis nun die Stadtverwaltung, genervt von den dauernden Eingaben und drückenden Pausengesprächen im Konzertverein, in ihrer unendlichen Weisheit eine Lösung für das drängende Problem gefunden hat.
Im Bereich zwischen den beiden über den Glascontainer verfeindeten Fraktionen, entlang der sauber begrünten Strasse, die die Getrennten verbindet, und die eng und ohne Parkplätze ist, wurde nun ein Stück Wiese zubetoniert. Und dort, inmitten der grünen, saftigen Wiese, für alle ausser Hörweite und gleichzeitig zur optischen Verschandelung einer topfebenen Landschaft, ist nun der neue, grosse Glasontainer zu finden. Fährt die Tennisfraktion zum See, muss sie ihn genauso sehen wie die Seefraktion auf dem Weg in die Innenstadt.
Nur die Kinder werden wie eh und je über den Feldweg radeln, über dem im Sommer die Fasane knallend auffliegen, sich dann entlang der Strecke sammeln und vielleicht hoffen, dass sich da vorne jemand für erste sexuelle Erfahrungen findet, über den trennenden, containerbestückten Abgrund hinweg, denn trotz allem kennt man ja sonst niemanden, und schon gar nicht, wenn sie in den Blocks wohnen, wie das manche Menschen wohl tun, die aber auch andere Probleme haben, als die Frage, wo der Container stehen soll.
aus der reihe: die nächste bloglesung kommt bestimmt.
Die grösste Kluft aber, die jedermann ersichtlich ist, liegt jedoch im Bereich eines zugeschütteten Altwassers innerhalb des alten Westviertel, das wegen des sumpfigen Grundes und der Überflutungsgefahr einmal alle 7 Jahre während des Jahrhunderthochwassers nicht bebaut werden kann. Ein Wiesenstrich also trennt teilt das Gebiet in zwei Bereiche, das eine näher am Tennisplatz, das andere fast direkt am See. Dazwischen ist Brachfläche, ein Acker, eine Wiese, die die hiesigen Katzen und Hunde lieben, sowie ein Erdbeerfeld und das Areal einer Freilandgärtnerei, der die Hiesigen ihre im sumpfigen Boden bestens gedeihenden Urwälder verdanken, wenn sie nicht gerade solche Golfrasenfetischisten und AutobahnzurGarageAnleger wie die Nachbarn meiner Eltern... wie gesagt, es gibt hier auch noch andere Gräben.
Man ist hier, im besten Viertel, im einzigen Viertel, in dem man wohnen kann, und das in einer der reichsten und dynamischten Grossstädte der Republik, auf den ersten Blick ansonsten frei von Sorgen. Tempo 30, ein eigener Schulbus und so viele Zivilstreifen, dass man sich einen eigenen Wachdienst sparen kann. Jeder kennt hier jeden, man passt bei allen Gegensätzen aufeinander auf, und wenn nicht gerade der zugedröhnte Sohn nach einer wilden Party im Winter aus einem Auto geschubst wird, um vor dem Gartentor dann zu erfrieren, kann nicht allzu viel passieren. Ausser...
Ausser, die Stadtverwaltung kam zum Schluss, dass so ein Viertel für die diversen, hier geleerten Weinflaschen auch ein Container stehen sollte. Es gibt in der Altstadt drei exzellente Weingeschäfte, die ihre Kundschaft vor allem dem Westviertel verdanken. Wenn der Wein nun, sei es mit dem alten Rad oder dem alten Alfa Spider oder dem brandneuen R8 nach Hause gebracht wurde, bei einem der vielen Gartenfeste geleert wurde, ging die Flasche zu einem ganz bestimmten Punkt: Dem sternförmigen Zusammentreffen von vier unterschiedlichen Strassen, die das ganze Viertel sowie die etwas schlechtere Ecke nördlich davon - weder mit See und Tennisplatz, lediglich mit einem Weiher und einem Reitgestüt und von Anwälten verseucht, die im Miami Vice Stil bauen. Und diese Strassenkreuzung lag inmitten des Tennisbereichs des Westviertels. Was die Folge hatte, dass dort tagsüber durch die Gärten so manches Geklirre ertönte.
Die Bewohner des Tennisbereichs argwöhnten nun schon etwas länger, liessen es bei Gesprächen einfliessen, deuteten es beim Ratsch über Muckimänner für Gartenarbeiten und die Unopiu-Trends des Frühlings an, kamen beim Gespräch über in Internate verfrachteten Nachwuchs mit leichten Gesetzesproblemen darauf zu sprechen, dass es doch sehr ungerecht sei: Sie hätten all den Lärm und die Belästigung, während im Seebereich allein getrunken werde. Das sei ungerecht, die einen geniessen und die anderen werden gestört. Die Bewohner des Seebereiches jedoch wiesen jeder Verantwortung von sich, so präferierten sie nämlich am See einen weiteren Altglascontainer, der ausser den daneben grillenden, spiessigen Minigolfern, die sowie nicht von hier sind, niemand störe. Der Altglascontainer des Tennisviertels sei allein deren Problem. Und weiter hallte das Geklirr durch weitläufige Gärten und über Veranden, bis nun die Stadtverwaltung, genervt von den dauernden Eingaben und drückenden Pausengesprächen im Konzertverein, in ihrer unendlichen Weisheit eine Lösung für das drängende Problem gefunden hat.
Im Bereich zwischen den beiden über den Glascontainer verfeindeten Fraktionen, entlang der sauber begrünten Strasse, die die Getrennten verbindet, und die eng und ohne Parkplätze ist, wurde nun ein Stück Wiese zubetoniert. Und dort, inmitten der grünen, saftigen Wiese, für alle ausser Hörweite und gleichzeitig zur optischen Verschandelung einer topfebenen Landschaft, ist nun der neue, grosse Glasontainer zu finden. Fährt die Tennisfraktion zum See, muss sie ihn genauso sehen wie die Seefraktion auf dem Weg in die Innenstadt.
Nur die Kinder werden wie eh und je über den Feldweg radeln, über dem im Sommer die Fasane knallend auffliegen, sich dann entlang der Strecke sammeln und vielleicht hoffen, dass sich da vorne jemand für erste sexuelle Erfahrungen findet, über den trennenden, containerbestückten Abgrund hinweg, denn trotz allem kennt man ja sonst niemanden, und schon gar nicht, wenn sie in den Blocks wohnen, wie das manche Menschen wohl tun, die aber auch andere Probleme haben, als die Frage, wo der Container stehen soll.
aus der reihe: die nächste bloglesung kommt bestimmt.
donalphons, 01:49h
Sonntag, 29. Juli 2007, 01:49, von donalphons |
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manuel_le,
Montag, 30. Juli 2007, 01:05
Titel der Lesung:
Auch das ist Deutschland, 2007.
...oder so ;-)
(sehr schön, und literarisch - könnte wirklich fürs laute Lesen geschrieben worden sein!)
...oder so ;-)
(sehr schön, und literarisch - könnte wirklich fürs laute Lesen geschrieben worden sein!)
... link
donalphons,
Montag, 30. Juli 2007, 02:14
Das ist sehr deutsch. Und trotz allem immer noch das bessere Ende. Besser, man streitet sich um den Standort des Müls, als dass es allen egal ist, weil jeder sein Zeug auf die Strasse kippt.
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derherold,
Montag, 30. Juli 2007, 15:21
Ein Glascontainer im besten Viertel der Stadt - ich wußte, es gibt noch so etwas wie soziale Gerechtigkeit in diesem Land. :))
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