: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 9. Juli 2007

Die Quelle des Reichtums oder Messer wetzen gegen die Globalisierung

Immer wieder fragen sich die neidischen Koofmichs der Blogosphäre: Wieso wohnt der einfach so immer im Stadtpalast, während ich mich für eine lumpige Woche in der hinteren Hundehütte eines zum pseudoantiken Lifestylehotel degradierten Herrenhauses in der Pampa zum Werbegockel machen muss? Ist das gerecht?

Und ich antworte: Nein. Es ist natürlich ungerecht, wie immer, wenn Besitz im Vergleich auf posende Unterschichtenvertreter trifft. Die Ungerechtigkeit hat natürlich historische Ursachen, denn wer von früh auf vermittelt bekommt, worauf sich Besitz im Gegensatz zu Schein gründet, hat später alle Möglichkeiten, dieses Wissen zu nutzen. Ich glaube nicht an genetisch bedingte Veranlagung, sondern an die schlichte Erkenntnis: Man ist nie so reich, dass man es sich leisten kann, etwas Minderwertiges zu kaufen.

Und das fängt schon bei den Kleinigkeiten an. Nehmen wir nur mal: Messer. Manche werden sagen: Naja, ein Verschleissgegenstand. Zuerst hat man im Starterpaket von 1kea ein paar Küchenmesser, die werden stumpf, dann schmeisst man sie weg - sie haben ja nichts gekostet, war ja ein Paket - und benutzt die normalen Besteckmesser, bis die stumpf werden, dann schmeisst man die auch weg. Das Prinzip erkennt man auf dem Flohmarkt, wenn man Bestecke durchwühlt: Es sind meistens die Messer, die fehlen. Flohmarkt jedenfalls ist das Stichwort, denn da war ich heute. Ich brauchte Rahmen, und es gibt da einen Markt, dessen Qualität zwar durchschnittlich mies ist, aber dennoch ein paar spezalisierte Profis für Bäuerliches anzieht. Manche von denen haben restaurierte Werkzeuge, und einer von denen, ein rundlicher, aber rüstiger Rentner aus der Nachbarstadt, hatte das hier für 8 Euro dabei:



Dazu muss ich jetzt was erklären: Dort, wo ich wohne, habe ich zwei Wohnungen; meine alte Wohnung unter dem Dach, wo ich mich im Sommer auf der Dachterasse aufhalte, und die grosse, neue Wohnung ein paar Stockwerke weiter unten. Ich habe desweiteren schon seit Ewigkeiten einen Wetzstahl, aber auch nur einen. Mit dem Ergebnis, dass ich im Sommer oben koche, und dann jede Woche runter muss, um die Messer zu wetzen. Das kann mitunter ganz schön nerven, wenn man die fehlende Schärfe beim Schneiden des harten Grana Padano bemerkt, und im Herd der (preussisch auch "die") Butter im Hofa im Topf bruzzed schmilzt, (holt genervt Luft:) jo Saxndihundsvareggtebreissn vo de Kiela schleichts eich ia Hodalumbn des vaschteds eh ned ia malaadn Fieschkepf. Äh ja.

Das hier ist, wirtschaftlich gesprochen, ein langfristiges Investment. Ich besitze einige gute Küchenmesser deutscher Produktion, die ich damit viele Jahrzehnte scharf halten kann. Danach sterbe ich, und der Wetzstahl wird anderen Freude bereiten. Er hat jetzt schon über 100 Jahre auf dem Buckel, und macht es sicher nochmal - wie lange wohl? Messing ist so gut wie unzerstörbar, der Griff ist aus völlig glattem Kernholz, das bei guter Lagerung mehr als 1000 Jahre schafft, und der Stahl muss alle 100 Jahre mal mit neuen Riefen versehen werden. Wenn das Stück dauernd benutzt wird, wird es nicht viel anders aussehen, wenn man es in ein paar Jahrhunderten das Museum hängt. Für, wie erwähnt, 8 Euro.

Es geht natürlich auch anders. Nicht zum Flohmarkt radeln, aber alle zwei Jahre feststellen, dass die heimischen Messer der Schrott sind, die sie schon immer waren. In die Stadt - am besten mit dem Auto - fahren, und dort im Sonderangebot Messer made in Germany kaufen, 2,99 Euro das Stück. Made in Germany ist allerdings nur die Verpackung, der Inhalt kommt aus China und sieht täuschend echt aus. Das kleine Problem bei der Sache: In China werden diese Messer aus Schrottstahl hergestellt; also aus dem Wertstoffmüll des Westens, und der Hunger Fernasiens ist inzwischen so gross, dass Schrottautos und abgewirtschaftete Industrieanlagen dorthin exportiert werden. Was ich daran so irrsinnig finde: Das Zeug würde hier kein Stahlbauer, der was auf sich hält, verwenden, noch nicht mal für Abflussrohre - aber als Küchenmesser tut es der Deutsche an sein Essen.

Ein hoher Schrottstahlanteil sorgt leider dafür, dass man mit dem Wetzen fürwahr nicht anzufangen braucht. Damit sich die Schneide eines Messers bei diesem Arbeitsvorgang wirklich wieder ausrichtet, muss es aus einem wirklich guten Stahl sein. Die besten Stahle für das Zerlegen von Speisen sind übrigens nicht rostfrei, aber mein entsprechend narbiges Besteck des späten Rokoko kann ich wirklich nur Kennern zumuten. Der Chinadreck dagegen ist generell unzumutbar und nach zwei Jahren erkennbar schrottreif. So fährt man wieder in die Stadt, und kauft das nächste Messer für 2,99 Euro.

Man kann das alles von der Umweltbilanz her betrachten, von der Nachhaltigkeit, von der Frage, wo das Geld hingeht, und ob es mein Rentner besser verwendet, wenn er dafür eine Brotzeit kauft, oder der Megakonzern, der irgendwo in Südchina die Umwelt mit der Verwertung von verseuchtem Schrottstahl ebenso ruiniert wie die Gesundheit seiner Mitarbeiter, die bestochene Funktionäre unterdrücken; man kann überlegen, wer seine Zeit sinnvoller einsetzt, und am Ende ausrechnen, wer in 40 Jahren mehr Geld ausgegeben hat: Der eine, der immer noch wetzt, oder der andere, der inzwischen wegen der gestiegenen Rohstoff- und Transportpreise nach dem Spaziergang in die Stadt mit 2,99 Euro nicht mehr mal die Zinken einer Kuchengabel bekommt. Womit wir beim natürlichen Opfer des Wetzstahls wären: Dem Messer.



WosgostndösBschtegg? - fragte ich den Herrn. Ois? Ois. 12 Eiro.

Für 12 Euro bekommt man nicht mal das Silbertuch, auf dem es liegt. Es ist ein Silbertuch, weil das Besteck versilbert ist. Schliesslich ist es grossenteils von WMF. Enthält 6 grosse Gabeln, 6 kleine Vorspreisengabeln, 6 Kuchengabeln, 6 Löffel, leider nur 4 Messer, siehe oben, 6 Kaffeelöffel, und einen Vorlegelöffel, und dann noch ein Haufen anderer Stücke. Da hat sich jemand wirklich mal was geleistet. Das alles würde von WMF heute weit über 2000 Euro kosten. Eine einzige versilberte Kuchengabel kostet nämlich schon 42 Euro. Und sie ist es wert.

Sie ist es wert, im Gegensatz zum Dreck der Globalisierung und seinen Mechanismen: Der Wohlstandsverwahllosung hier und der Menschenverachtung dort, und der daraus folgenden bangen Frage, ob wir unseren Vorsprung noch werden halten können, bis die Explosion der Transportpreise die Schotten dicht macht, oder ob wir den Dreck für die paar Cent Preisunterschied weiter kaufen, bis wir alle global auf dem gleichen verkommenen, asozialen Müllhaufen sitzen, den wir uns gerade billigimportieren.

Ich weiss es nicht. Alles, was ich weiss ist, dass ich auch dann noch in meinem Stadtpalast sitzen werde, die Messer wetze und es nicht nötig haben werde, mich für Sponsoren zum käuflichen Deppen zu machen, oder mein Blog an die Helfer der chinesischen Mörder zu verticken.

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Empfehlung heute: Was ich gelernt habe,

bei dieser neuen Kategorie liebenswerter Blogtexte, ist, dass man vielleicht besser nicht auf Blogs linkt, die keine Kommentare zulassen. Sonst entlädt sich nämlich die Debatte auf dem eigenen Blog. Aber ich habe bekanntlich nichts gegen Debatten, gegen Störer hilft ein herzlicher Fusstritt, und ausserdem ist Anke Gröner gerade in Paris, und das finde ich sehr fein.

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Der passende Rahmen

Sonntags könnte man sich einfach auf die Dachterasse legen, und fertig. Irgendwann die eingelegten Egerlinge holen, dann frisches Brot, später dann den Kuchen, den Concerti Grossi von Avison über Scarlattis Klaviersonaten lauschen. Es ist ansonsten sehr still in der Stadt, da kann man ruhig aufdrehen und den auf der anderen Seite schuftenden Elitessen ein paar Takte Gutes auf den Lebensweg mitgeben.



Doch leider kennt die Arbeit am Haus keinen Aufschub, und wenn man sich während der Woche mit den Haien der Münchner Immobranche prügelt, die samt und sonders keine "niederen" Tätigkeiten in ihren Häusern kennen, dafür aber die Aussichten, den nächsten Urlaub ist Stadelheim zu verbringen - dann fragt man sich schon, ob so ein verarbeiteter Nachmittag nicht die bessere Alternative ist. Ganz abgesehen davon, dass es nicht sein müsste; spontan fällt mir unter denen jedenfalls keiner ein, der in den aktuellen Treppenhäusern der Investmentangebote dekorative Powerpoints aus der Erbauungszeit anbringen lässt. Genau das tue ich, bei genauer Betrachtung - endlich habe ich genug alte, identische Rahmen, um ein paar Blätter eines Missale aus der Zeit um 1600 aufzuhängen. Aber wer weiss schon, auf was für Ideen man im Jahr 2400 kommt, sollte man sich dann in Besitz eines maroden Dreckhaufens unserer Tage befinden, und die naheliegende Idee des präventiven Selbstmordes von sich weisen: So eine nette Powerpoint zum Thema "Risikoloses Investieren an der Börse in Shanghai" lenken sicher von dem ein oder anderen Riss* im Beton ab.

*Riss, der: Ungewollter Spalt im Mauerwerk, eine der Folgen des nachbarocken Niederganges der Baukunst in Repräsentationsbauten.

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