: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 23. April 2006

Stichwort Werbende Beiträge & Provokateure

Nachdem das jetzt ein paar Mal im Laufe der Zündfunk-Sache passiert ist, ein kleiner Hinweis: Ich habe inzwischen nicht mehr viel Verständnis für irgendwelche Selbstdarsteller, die im Rahmen derartiger Debatten meinen, für ihre eigenen Zwecke, Profilneurosen und Egotrips Werbung machen zu müssen. Sowas, ganz gleich ob es nun ein Turi oder anonymer Feigling ist, fliegt hier und an der Blogbar in Zukunft ohne weitere Debatte raus. Derartige Gestalten sollten also, wenn sie weiter mitspielen wollen, sich ihre Linkspammereien gut überlegen.

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Wie man in der Provinz nie ankommt,

auch wenn man sich alle Mühe gibt. Ein Erklärungsversuch.

Gestern Nacht war ich kurz mit Iris aus. Ich hatte mal wieder ein Konzert geschwänzt, und so den neuesten Tratsch über den Tennislehrer, die Tochter, ihre Mutter und deren Schwangerschaft verpasst. Iris wäre gestorben, wenn sie diese Geschichte über die ex-angeheiratete Verwandtschaft nicht losgeworden wäre. Also trafen wir uns in einer recht modernen Bar, derer die kleine Stadt einige besitzt. Das Ding ist normalerweise sehr leer, nur am Freitag und Samstag Abend erfüllt es so eine Art Überlauffunktion in der mit ausgehsüchtigen Landtritschn* und Elite-Studenten überfüllten Innenstadt. Am Nachbartisch sass eine Clique in Casual Business Wear, die unsereins sofort als fortgeschrittene BWL-Kids erkennt, blass, etwas eingefallen und laut; kein Wunder, in den letzten Tagen waren mal wieder Examen.

Während mir Iris also aufzählte, wen der Tennislehrer schon alles beglückt haben soll und dabei auch nicht mit pikanten Details über andere Clans der besseren Gesellschaft sparte, wechselte am Nachbartisch das Gesprächsthema zum anstehenden Golfturnier, zur eher mauen Anmeldung und dann auch zur Frage, warum das eigentlich immer so isoliert ist, in dieser Stadt, vielleicht ist es auch manchen peinlich, hierher zu kommen, andererseits gehe auch so wenig mit den Leuten und Firmen vor Ort, ausser dem Autokonzern, dem global Player, aber sonst, ach, es ist nicht leicht, hier anzukommen.

Nun interessiert mich das gestörte social Life hierher verschlagener Upper Middle Class Young Generation so gut wie gar nicht, wenn mir Iris von den panischen Vertuschungsversuchen einer Familie erzählt, die schon mein Urgrossvater nachweislich als gschtingads Gschleaf vom Glosscheamviadl** diffamiert hat. Umgekehrt behaupteten diese Leute, deren Stammhaus mit seinen lunpigen 2 Geschossen und der 3-Fenster-Front noch heute von der Schmach ihrer niedrigen Herkunft kündend an der Strasse raus zu dem Dreckskaff steht, von dem sie zugezogen sind, diese Brunzkacheln*** also sagen, wir, die Stadterer, hätten damals minderwertiges Brot an Bauarbeiter verkauft. Dennoch, das war gestern Abend, gerade heute tröpfelt es vom sagenhaft blauweissen bayerischen Himmel, und so will ich heute für alle, besonders aber für Golfturnierorganisatoren erklären, wie das geht, mit dem Nichtankommen in einer bayerischen Stadt.

Es ist nämlich so: Die kurzen Zeiträume von 4, 5 Jahren, die sich die typische Elitesse und ihr männliches Gegenstück hier aufhalten, reichen weder zur Gründung einer Tradition noch zur Erkenntnis dessen, was Tradition bedeutet. Würden sie die hiesige Tradition von dem unterscheiden können, was nur wie Tradition tut, liesse sich manches vielleicht beheben - schliesslich kommen die meisten aus einer national homogenen Schicht, und die Sprachbarrieren sind in meiner Generation praktisch weg. Wenn ich normal rede und nicht den Bayern einschalte.

Aber dazu dürfte man, wie bei diesem studentischen Golfturnier, nicht alles falsch machen, was man falsch machen kann. Es beginnt mit der Auswahl des Platzes. Der gehört nicht in diese Stadt, sondern liegt westlich davon. Und gehört zu einem Landkreis namens Neuburg. Als Autokennzeichen hat dieser Landkreis ND, was nach gängiger Auffassung für NationalDepp steht. Die Raserduelle auf den Landstrassen gegen die NationalDeppen sind der letzte Ausfluss einer jahrhundertealten politischen und religiösen Feindschaft zwischen den beiden Städten. In diesem Landkreis ein Turnier abhalten, das nach der anderen Stadt benannt ist - das ist mehr als ein Fehler. Das ist eine Sünde.

Nun steht der Golfplatz zu allem Überfluss auch noch unter der Fuchtel der Wittelsbacher. Das mag international gut ankommen bei neureichen Amerikanern und sissigeilen Japanern. Über den Ruf dieses Clans gerade in dieser Ecke Bayerns sollte man sich aber keine Illusionen machen. Die Wittelsbacher stehen seit dem Ende des hiesigen Teilherzogtums für konsequente Benachteiligung dieser Stadt. Gegen die Schweden und die Österreicher hat sich die Stadt wehren können, aber nicht gegen den Zentralismus und die Obrigkeit aus München. Beim Namen Wittelsbach tut sich hier bei uns gar nichts, die sollen wieder in ihre Boazn bei Aichach gehen - aus Aichach nämlich kommen sie, was noch schlimmer als die NationalDeppen ist.

Dergestalt das Problem erkannt habend, wenden wir uns nun dem Programm zu. Nach der ersten Runde Golf geht es zur "Bavarian Night" in ein Lokal, das als "eines der ältesten Brauhäuser" beschrieben wird. Es handelt sich dabei um das wahrscheinlich übelste Touristendisney, das die Stadt zu bieten hat. Der schlechte Ruf kommt vor allem daher, dass es eben nicht alt ist, sondern brandneu: An seiner Stelle war früher die als Suffschuppen bekannte Discothek "Why not", die bei Eltern und Kindern gleichermassen übel beleumundet war. Da ging von uns niemand hin, das war ein ganz mieser Laden, und erst, als er - vielleicht durch das alkoholische Aussterben seiner Suffköppe? - weg war, wurde dort besagten "Brauhaus" hineinkonstruiert. Echt wie ein Pappbayer auf dem Tokioter Oktoberfest, und mit einem Glockenspiel ausgestattet, das nicht nur eine Lärmbelästigung, sondern auch der Gipfel der Geschmacklosigkeit einer Stadt ist, in der man heute noch lebensgrosse Porzellantiger in die Wohnzimmer stellt.



Kurz, in diesen Laden geht keiner, der auch nur ansatzweise Ahnung von dieser Stadt hat. Die Grünen (!) machen dort ihren politischen Aschermittwoch, so lebensecht ist das dort. Übernachtet wird dann in diesem Hotel, ein schwarzoranger "Kult"-Komplex, dessen positives Merkmal in seiner Lage weit draussen an der Ausfallstrasse zu finden ist - sollte es in dem umliegenden Blockgettho, der Antwort dieser Stadt auf Berlin-Marzahn und München-Hasenbergl, zu Unruhen kommen, ist man wenigstens schnell weg. In dieser plebsbewohnten Ödnis und dem darin liegenden Sushi-Restaurant findet in der folgenden Nacht auch die - nicht mehr "bavarian" - Abschlussparty statt.

Davor, am gleichen Tag, werden die Newbies statt zum Golfen in ein Factory Outlet Center verfrachtet, nah bei den idyllischen, wohlriechenden Raffinerien der Stadt. ""Ingolstadt Village, die Chic Outlet Shopping Sensation in Deutschland" nennt sich die Retortenanlage, gegen die und die investmentgeilen Stadtväter die Staatsregierung einen langen, aussichtslosen Kampf geführt hat. Dort, in der halbfertigen Shoppingeinöde, kann man das erwerben, was es eben in den internationalen Outlets so an Geschmacklosigkeiten zu Supersonderkonditionen gibt. Das ist sicher interessanter als irgendso eine weltberühmte Rokokokirche oder eines der feinsten Beispiele für spätmittelalterliche Profanarchitektur.

Kurz, man schleift die internationalen Gäste durch ein brandneues Universum, das überall von Karatchi bis Houston, Texas stehen könnte. Zielsicher wird nur das angesteuert, was nichts, absolut nichts mit der Region zu tun hat, in der man sich befindet, abgesehen vielleicht von den Sickos in der Stadtregierung, die in globalised markets die challenge taken wollen. Man stelle sich vor, in Oxford würde man Gäste in eine Shopping Mall mit 50% off, in ein Hollywood Hotel an der Autobahn, auf einen von Saudis betriebenen Golfplatz in der Pampa und in die nagelneue Neppkopie eines Pubs mit Old-Bailey-Glockenspiel schleifen, in der sich ausschliesslich schmerbäuchige Touristen aus Liverpool herumtreiben, und sie dann nötigen, Bowlerhüte zu tragen - aber genau das ist es, was hier an dieser Stadt und ihren normalen Bewohnern vorbei veranstaltet wird. Ich habe nichts dagegen, so haben die ihre Reservate und kommen mir erst gar nicht in die Quere.

Aber hey, aus Sicht des Bewohners sieht es so aus: Wenn es mit solchem Kitsch angibt wie ein Proll, wenn es einkauft wie ein Proll, wenn es feiert wie ein Proll und wohnt wie ein Proll mit halbnackten Weibern an der Decke - dann ist es vielleicht auch ein Proll. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es das Leben zukünftiger multinationaler Sachbearbeiter vorweg nimmt, die überall auf das immer gleiche, für sie erfundene Umfeld treffen, neu, sauber, ohne Vergangenheit und Tradition. Allein schon, weil sowas in seinem dummen Prolltum nie dauerhaft gewünscht wird, nie irgendwo eingeladen wird, daheim noch nicht mal vorzeigbar ist, selbst wenn im Wohnzimmer Porzellanleoparden stehen und Mamas Bauch sich obszön vom Return auf des Tennislehrers Spermaaufschlag wölbt.

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