: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 23. Dezember 2003

Der Markt und die Herrlichkeit

Er hatte in Rom seine Gitarre dabei. Nachdem wir um 12 in der Pension sein mussten, klimperte er noch eine Stunde rum und sang christliches Liedgut, nur eine Wand und einen Meter von mir entfernt. Andere sangen manchmal mit. Nach ein paar Nächten gab mein Walkman den Geist auf, und Nero mit seinen Christenverfolgungen wurde mir sehr symphatisch.

Damals, Mitte der 80er, war er eine Art Spätfolge der 68er, missionarisch eifernd und gleichzeitig verständnisvoll, selbst wenn man ihm den Schädel eingeschlagen hätte. Zudem öko und Lennon-Brille. Für meine in Ungarn handgenähten Budapester hatte er kein Verständnis. Er trug Birkenstock, die früher mal beige waren, inzischen aber ins isabellabraun hinüberwesten. Er stank nach Frömmigkeit. Seine erste Freundin wollte er ganz sicher mal heiraten.

So war es denn auch, als er mir heute über den Weg lief. Er hat sich nicht verändert, was kaum überrascht bei Leuten, die schon als alte, faltige Greise auf die Welt kommen. Inzwischen ist er leitender Angestellter bei einer kirchlichen Einrichtung, und betreut dort die "EDV-Anlagen" und den "Internet-Auftritt". So heisst das da. Die Begriffe IT und Website stehen wahrscheinlich noch auf dem Index. Mit dem Internet-Auftritt haben sie jetzt ganz grosse Pläne, nach dem Ende der New Economy sehen sie im "weltweiten Netz" einen Trend zurück zu den wahren Werten. Dass seine Schuhe inzwischen geputzt waren, dürfte an der verhuzelten Kinderhandhalterin neben ihm gelegen haben, sauber und unapetitlich wie Kernseife in der Zoloft-Kapsel.

Er hat alles richtig gemacht. Er ging konsequent den Weg aller irdischen 68 durch die Institutionen. Kein Risiko, keine Visionen, es sei den bei 12 Stunden hardcore Rosenkranz, und dann auch nur Jungfrauen. Dafür hat er ein gesichertes Einkommen, und eine Spielplatz im Netz für seine Ideologie. Dagegen war die Gitarrenfolter nur ein leichter Vorgeschmack.

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Left-out

Verleger, geraden die von kleineren Verlagen, kriegen viel Müll. Wenn sie sich nicht sicher sind, ob es Müll ist, fragen sie jemand anderen. Einen, von dem die Rezensenten sagen, dass er das "Lebensgefühl" der "Generation" getroffen hat. Inzwischen kenne ich viele Verleger, und sie fragen dann mich: Guck doch mal, Du hast doch eine Schwäche für Nachwuchsautoren...

Für Nachwuchs schon. Aber nicht für Kopien von Judith Hermann, die auch nicht besser sind. Diese Leute, die mit einer Anhäufung von Assoziationsbrocken eine Handlung ersetzen wollen. Die keine schwitzenden, stinkenden, scheiternden oder fickenden Helden haben, sondern anämische, abstrakt beischlafende, innenansichtige Pro-ta-go-nis-t-In-nen. Die eine innere Leere wortreich ins künstlerische schleppen wollen, ganz gleich, ob das jemand lesen will. Wohl eher nicht. Oder so. Vielleicht...

Ich will nicht sagen, dass es nicht geht. Es ist hohe Kunst, etwas durch Auslassen zu beschreiben. Peter Glaser zum Beispiel kann das. Rawums. Aber die Typen, die auf meinem Schreibtisch landen, können es nicht.

Also, ihr Sackgesichter aus den Germanistik-Doktoranden-Colloquien: Schaut schlecht aus. Vielleicht solltet ihr lieber mal, kann sein, ficken gehen. Dann klappt´s danach auch mit dem Vorschuss. Vielleicht.

Sagte ich dem Verleger. Der grinste hörbar durchs Telefon.

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