Laufen ja, Verstecken nein

Ich komme prima mit mir selber aus. Ich muss nicht den ganzen Tag quatschen. Mitunter bin ich zufrieden, wenn ich ein, zwei Wochen keinen höre und sehe. Es gibt Phasen, da bin ich Menschenfeind. Oder ich will zumindest meine Ruhe, wenn ich auf den Kieseln des Strandes sitze und nach Nordwesten schaue.



Genügt mir völlig. Auch ist es eine grossartige Sache, an einem Tag, da jeder Tourist nach herumstehenden Oldtimern schaut, in ein Museum zu gehen, wo man ganz allein ist. Gerade am Sonntag sind italienische Städte halbwegs leer und still. Ich kann mir in aller Ruhe und in allen Details die bei Kunstgeschichtler berühmte, bei normalen Venedigtouristen mit Palladiodünkel und dem Traum, so einen Portikus an die eigene Butze im Donausumpf zu klatschen aber völlig unbekannte Loggia in Breschia ansehen.



Überhaupt hat Breschia das Pech - oder das Glück? - von Touristen kaum wahrgenommen zu werden. Es liegt nicht auf dem Weg aus dem Norden, Mantua und Verona haben viel zu bieten, und wer nicht gerade nach Mailand oder Turin über den Brenner fährt, müsste einen grossen Umweg in Kauf nehmen. Breschia hatte Pech: Für Venedig war es die hinterste Ecke des Festlandbesitzes, für die Österreicher eine Kasene und Ort der Unterdrückung, und heute ist es von einer sauren Schale der Industrie umgeben, die den süssen Kern des Centro von aussen nicht erahnen lässt. Ntürlich wird man hier etwas rabiater mit dem italiensichen Grossstadtleben konfrontiert, als in Siena oder Venedig. Drei mal in den ersten Stunden: Da war dieses surreale, korpulente Paar, von dem der Mann einen verkrüppelten Bonsai-Baum mit sich herumtrug. Irgendwann drehte er sich zu mir herum und fragte etwas, das ich nicht verstand. Verstanden habe ich dagegen die Fragen der beiden Afrikanerinnen, nur war mir nicht, siehe oben, nach Zweisamkeit. Und ein drittes Mal wurde ich angesprochen, diesmal von einem, der mir irgendetwas anbieten wollte. Offenbar wirkte mein Englisch abschrecken genug. So ist das, jenseits der Touristenströme, hart und direkt. Die bewegte Geschichte äussert sich beispielsweise auch in der Damnatio Memoriae, mit der die Bürger am Palazzo de Governo die Wappen und Hoheitszeichen der hiesigen Besatzer ausgelöcht haben.



An dieser Stelle nun wurde ich zum 4. Mal angesprochen, aber diesmal mit meinem deutschen Namen. Es war wohl etwas zuviel erwartet, nach Breschia während der Mille Miglia fahren zu können, ohne auf einen Mann der Heimat zu treffen. Auch der heimatliche Global Player hat sein Museum ausgeräumt für dieses Ereignis, und so sind wohl auch irgendwo ein paar belanglose hässliche Eisenbomber im Schaulaufen so ziemlich aller schöner Ferraris, Lagordas, Lancias, Austin Healeys und Abarths gnadenlos untergegangen.



Der, der mich ansprach, ist ein paar Jahre älter als ich, an der gleichen Schule und im gleichen Literaturzirkel, wo er vor allem nichts sagte und erfolglos eine frigide bessere Tochter anstarrte. Der Tag, an dem sie ging, war auch sein letzter Tag in dieser Runde. Dennoch, man kennt sich, zumal er die übliche Karriere gemacht hat: Studium, Job bei der Autofirma, Heirat und jetzt schon zwei gerade erwachsene Kinder, Pauline und Maximilian, die von der längst aus allen Fugen gegangenen Mutter in Konzerte, Bälle und auch Urlaube mitgeschleift werden. Manchen Einladungen kann man sich nicht entziehen, was soll aus so einem kleinen Tee schon werden, denkt man sich - und ist dumm genug, vor diesem ungebildeten Geschmeiss fern der Heimat vom morgen anstehenden Palazzo Te zu erzählen, Guilio Romans Meisterwerk, nur um dann zu erfahren, das die Familie nicht im Firmentross nach Hause tingelt. Sondern noch da bleibt. Und nach drei Tagen Breschia nicht mehr weiss, wo sie noch hin soll. Aber Mantua, das wäre was, da könnte man sich doch morgen treffen, wenn ich schon da bin, als vermutlich einziger der Schule, der jemals in einem kunstgeschichtlichen Seminar war.

Man kann davonlaufen, aber sich nicht verstecken. Immerhin, das Gesicht von Paulines Mutter, wenn ich der Tochter und dem Sohne erkläre, warum es in der Malerei des Manierismus zulässig ist, wenn Zeus sein fettes Gerät in fleischige Weiber knallt - im Gegensatz zu seinem Lehrer & nicht bildhaften, aber mutmasslich tatsächlichen Knabenfreund Michelangelo - ist die Sache vermutlich wert.

Montag, 15. Mai 2006, 01:50, von donalphons | |comment

 
Ein wunderbar magisches Foto ist das vom See in der Dämmerung. Und seien Sie nicht traurig, dass man Sie erkennt. Schlimmer wäre es doch anders herum: "Ich hätt dich nimmer erkannt!"

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Machst Du mir ein Photo vom Palazzo del Te?
Über den hab ich mal ein Referat gehalten, aber wie's so ist: Ich war noch nie da.

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Hab ich gemacht, auch ohne das gelesen zu haben. Trotz "No Photo". Was brauchst Du denn?

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Ich *brauche* soweit garnix. Ich war einfach nur neugierig, wie das Ding jenseits der fünfzig Jahre alten schwarzweißen Institutsdias aussieht.
Daher: Danke für die Bildberichterstattung.

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sig. porcamadonna! ich schätze diese stadt genauso wie sie, und freu mich über die punktgenaue würdigung. aber so unter alten mafiosi: bitte schreiben sie's doch wenigstens einmal richtig. brescia! so rollt's auch viel schöner über den gaumen, grad wie ein milder prosciutto crudo.

scusi fürs granteln, mich zwickt nur grad mein iskiasnerv.

don giovanni meticoloso

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Off topic:

Von Qualitätsjournalisten recherchieren lernen:

So habe etwa der Glaube an die medizinischen Bilder die iranischen Zwillinge Lea und Tabea Anfang des Jahres 2005 das Leben gekostet, die als erwachsene Frauen getrennt wurden, sagt Knieper.

Ich nehme einmal an, dass der Herr Knieper das anders gesagt hat.

Von den im Herbst 2004 getrennten deutschen Zwillingen Lea und Tabea ist nur Tabea gestorben, wohingegen die beiden iranischen Zwillinge Ladan und Laleh Bijani bereits Mitte 2003 ums Leben kamen.

Aber knapp daneben ist auch vorbei.

(Nachtrag um 21:05: SpOn hats mittlerweile gefixt und bittet um Entschuldigung)

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Wissenschaftsjournalismus in Deutschland. Im übrigen finde ich den Artikel auch sehr fragwürdig.

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Fragwürdig ist noch sehr nett gesagt. Hübsch fand ich auch diese Passage:

Er ließ Elitestudenten einschätzen, wie gut sie das Prinzip verstehen, das zum Beispiel einem Hubschrauber zugrunde liegt, einem Reißverschluss oder einer Klospülung. Dann zeigte er einer zweiten Gruppe junger Frauen und Männer technische Zeichnungen dieser Gegenstände und fragte sie dasselbe.

Die zweite Gruppe zeigte sich viel sicherer. Als es jedoch ans Erklären ging, versagten die Elitestudenten und kamen ins Stottern. Alle hatten sich furchtbar überschätzt.


Ähm, was jetzt? *am Kopf kratz* Die zweite Gruppe war sich zunächst sicherer, aber die erste kam dann ins Stottern, und alle hatten sich überschätzt. Faszinierend.

Von der empirischen Basis für die zusammengeschluderten Behauptungen möchte ich jetzt mal überhaupt nicht reden.

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Wissenschaftsjournalismus ist im schlimmsten Fall nur Verkaufe.

Lediglich das "V" und das "K" im Wort Verkaufe ist im Wissenschaftsjournalismus nicht enthalten...

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Die Autorin ist immerhin Vorzeige-Wissenschaftsjournalistin bei der grössten deutschen "Qualitätszeitung".

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Daher auch der sonst unübliche Hinweis auf die nachträgliche Korrektur.

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OT
Hallo, Don? *klopf, klopf, klopf!* Jemand zuhause? Hmm.

Womit könnte man Dich locken? Hmm. Meuternde, verzweifelte Neoconnards vielleicht? Sag, wie ist das Wetter? Sind die Spielhallen am Gardasee immer noch so öde und umso emsiger von den Urlaubern besucht? Ließen sich Reste vom Berlusconi ausscharren?

Immerhin hat heute Mr. S. von S & W 51 Zeilen lang geweint, dass wir seinem Helden, Prof. Unsinn, keinen Respekt zollen.

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Das einzige Internetcafe zwischen Brescia, Verona und Rovereto hatte 3 Tage lang Netzausfall, bis ich es gerade kostenlos repariert habe. Hey, die Welt geht auch ohne mich weiter - und ausserdem hatte ich jede Menge Spass, den ich jetzt nachtragen werde - heut Abend darf ich für die Reparatur den ganzen Abend surfen :-)

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