: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 18. Mai 2006

Nachtrag Dienstag: Sirmione

Das Witzige an den Grotten des Catull ist, dass es sich dabei weder um Grotten noch um Besitz des berühmten Dichters und Zeitgenossen Cäsars handelt. Allein, was noch zu sehen ist, ist der Keller einer hundert Jahre jüngeren Villa, von der sonst fast nichts aufrecht Stehendes erhalten ist. Das aber, und das rechtfertigt den Besuch und die Belästigungen der Anreise, in wirklich sagenhaft schöner Landschaft.

Hier, auf einem Sporn im Gardasee gelegen, hatte man von der Terasse einen exquisiten Blick über den See, und mit ein wenig Dunst konnte man sich auch an einem Tal am Meeresrand wähnen. Sollte Catull, der aus Verona stammt und im Gesang XXXI angibt, ein Haus in Sirmione besessen zu haben, tatsächlich hier gewohnt haben, dürfte es ihm ein Leichtes gewesen sein, hier die Damen der römischen Gesellschaft flachzulegen. Nicht, dass es ihm schwer gefallen wäre, einen Ersatz für die ungetreue Lesbia zu finden, allein es ist eine un bestreitbare Tatsache, dass Urlaub in einer schönen Gegend freimütige, mitunter getrennt reisende Paare zur Übereinkunft bringt, dass Urlaub in der Liste anderer Liebschaften nicht zählt. Hier oben, da bin ich mir sicher, wurde sehr oft nicht gezählt.



Dass einem solche Gedanken nicht durch reale Menschen vergällt werden, ist ein weiteres Glück dieses Ortes. Sirmione ist voll von deutschem Plebs, das lieber Sandalen trägt, als ein paar läppische Schmerzen in normalen Schuhen zu ertragen, und sich dann wundert, wie ekelhaft so ein am Stein eingeschlagener Zeh schmerzen kann. Abwechslung bringen schwabblige Freibäuche des weiblichen Nachwuchses, umschlossen von rosa, orangen und weissen Fetzen, oft auch mit Glitzeraufdruck, und die Hardrockfreaks, die mit ihren schwarzen Surfershorts zum schwarzen Korn-T-Shirt noch eine Ecke gewollt ungutbürgerlicher aussehen, als daheim in Passau, Lenggries oder Altötting. Sirmione, das zieht sie dennoch an, es ist ein ekelhaftes Kitschkaff, die überlaufene Scaligerburg am Ortseingang ist ein bedeutungsloser Steinhaufen, aber der Ort nutzt mit seinen winkligen Gassen und der aufgestauten Hitze und dem Tegestouristenmief ab. Gegen Ende, Richtung Grotten, nimmt der Strom der schlecht gekleideten Leute, die Italiener nicht umsonst angeekelt betrachten, merklich ab.

Kurz vor der Villa, in der eine Zeit Maria Callas residierte, warten dann kleine, scheussliche Elektrozüge auf fussfaule Pauschaltouristen. Ein Euro kostet das Oneway-Ticket, vielleicht in der Hoffnung, dass sich das Pack angesichts der Schönheit und vielleicht auch der Eleganz des Park Hotels der Verzweiflung an der Spitze des Vorsprung hingeben möchte und, gleich den Verurteilten des tarpejischen Felsens, seiner Schmach mit einem Sprung über die Klippen ein Ende setzen will. Dann braucht man natürlich keine Rückfahrgelegenheit.

Allein, der Obolus ist schon demotivierend genug: Die letzten versprengten Reste der Höllenausgeburten sehen die Preistafel, überlegen, wie weit man wohl für einen Euro mit dere deutschen Bahn kommen würde - locker 5 Kilometer - und denken, dass es auch bei der nötigen Begrenzung der üblichen Touristenabzocke sicher 2 Kilomter sind, die in ihren Latschen zu bewältigen nach dem fiesen Pflaster von Sirmione kein Vergnügen ist. So kehrt der Deutsche um, kauft einen kombinierten Flaschenöffnher/Korkenzieher aus Messing mit dem Abbild Catulls sowie ein Stück Pizza aus der Microwelle, ist seines erbärmlichen Daseins froh und erlaubt mir, einsam auf der Spitze der Halbinsel meinen Gedanken über eine untreue Lesbia und diese meine Zeit nachzuhängen.



Salve, nec minimo puella naso
nec bello pede nec nigris ocellis
nec longis digitis nec ore sicco
nec sane nimis elegante lingua,

decoctoris amica Formiani.
ten provincia narrat esse bellam?
tecum Lesbia nostra comparatur?
o saeclum insapiens et infacetum!

... link (8 Kommentare)   ... comment


Nachtrag Montag: Bei Gonzaga denke ich immer an Gorgonzola

Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg? will ich verächtlich an diesem Abend des 15. Mai in die laue Abendluft kurz hinter Garda rufen, hinein in das Farbenspiel aus Blau, Violett, Rot und Rosa, das sich über die Hügel von Torbole bis Salo erstreckt, so schön, so unabbildbar grandios ist dieser Sonnenuntergang. Sieg? murmelt die verschlafene Hölle, moment, ja, da hätten wir was im Angebot, Ihre Bilder von diesem Abend, bittschön, allesamt unsagbar kitschig geworden, da haben sich unsere Bildwandlerbeamten aber auch alle Mühe gegeben, macht 20 Karmapunkte Bearbeitungsgebühr, da bitte.



Dabei hatte alles so prächtig angefangen. Dottore Porcamadonna, sagte meine Wirtin am Frühstückstisch, ein Anruf, ein Anruf für Sie! Komisch, dachte ich, so schnell geht das mit dem Kontoüberziehen doch nicht, ausserdem, die Bank hat doch die Nummer gar nicht... Es war denn auch der Vater von Pauline und Maximilian, der gleich etwas verdruckst klang (in Klammern immer das, was ihm seine Frau vorgekeift hat: Guten Morgen. (Nach Mantua? Mit dem? Der sich im Konzertverein mit dieser Iris da zeigt und was mit ihr hat? Niemals). Es ist so: (Sag mal, wie kannst Du Dich überhaupt so selber einladen. Dia gfeits ächt a bissal am Gschpür. Wia schau ma denn do aus. Des ko ma ned mocha) Wegen Mantua.



Also. (Es is mia scheissegoi ob des amoi dei Freind wao. Des duad ma einfoch ned. Oiso, I foa do ned hi. Sog eam wosd wuisd) Meine Frau, ähem, die fühlt sich heute nicht wohl, zu viel Sonne wegen dem Cabrio glaube ich. (Des heds ois ned brachd wennst ned imma so bled dohearedn dadst) Also, deshalb bleiben wir heute wohl doch in Brescia, zumindest wir beide. (Wos hosd gmocht? Du hosd es de Kinda vaschprochn? No frogs do, obs seiba foan woin, owa i foa do nia ned hi.) Ich würde aber, wenn möglich, den Kindern das Auto geben, weil die müssen ja auch nicht den ganzen Tag in Brescia rumsitzen. Ginge das? Moment, ich geb Dir schnell Maxl, dann könnt ihr euch verabreden (Des oane sog I dia: Von mia aus kenna de foan, obe den lod i auf da Schanz ned zum Essn ei...) Und so kam es, dass ich nur zwei junge Leute statt einer Familie in die Geheimnisse des Zentrums der Gonzaga einführte.



Das Wissen um diesen Gesprächsverlauf verdanke ich dem Umstand, dass Pauline und Maximilian trotz des schlechten Geschmacks ihrer Eltern bei der Namensgebung doch zu Hoffnung verleiten, dass dieser meiner Heimatstadt könnte noch etwas anderes entstammen als dumpfe Autoverschweisser. Nach einer gewissen Aufwärmphase verstanden beide Seiten, dass das Vortäuschen von Lokalpatriotismus und Diskretion ebenso unangebracht war wie meine Befürchtungen, ahnungslosen Dummbratzen die Wesensmerkmale des Übergangs zwischen Renaissance und Manierismus erläutern zu müssen. Sie wussten, dass der Palazzo Te eines der Hauptwerke des frühen Manierismus und der Saal von Amor und Psyche das Hauptwerk Giulio Romanos ist. Die fette Mortadella von Zeus und das zugehörende, weit geöffnete Schenkelpaar, das - vielleicht aus Absicht? - im dunkeln Bereich des Saales war, kannten sie bereits aus Abbildungen. Der Saal der Giganten, da waren wir uns einig, wird dagegen überschätzt, und der geheime Garten, in den sich fast nie ein Tourist verirrt, ist ein zu Unrecht vergessenes Kleinod.



Übrigens ist das einer der grossen Vorteile am Montag: Da haben die meisten Museen geschlossen, nur eben nicht der Palazzo Te. Weil aber Montag ist und alle glauben, auch der Palazzo Te wäre geschlossen, kann man Raum für Raum alleine anschauen. Man muss schon sehr unempfindlich für Kunst sein, wenn man glaubt, den Palazzo Ducale mit dem Hauptwerk Andrea Mantegnas (Hochrenaissance), den Dom von Alberti (Spätrenaissance) und den Palazzo Te an einem Tag bewältigen zu können. Die Sinnenfreude des überaus weltlichen, ja geradezu antichristlichen Palazzo mit seinen Fickereien, den galanten Festen, den Pferden, der Lust am Ornament und Detail, die Liebe zu Licht und Luft und dem Traum vom Leben ausserhalb der Stadt mit all seinen Rustikoquadern, Teichen und Gärten in der Zeit um 1540 zu verstehen, verlangt nur nach einem Besuch des Domes auf der anderen Seite der Stadt.



Der Dom, das 50 Jahre ältere Meisterwerk von Alberti, nimmt in seiner schaurigen Grösse und seinen zum Gottesdienst vergewaltigten römischen Anleihen die finstere Epoche der spanisch-österreichischen Herrschaft über Norditalen vorweg, mit dem tridentinischen Konzil und dem Ende aller Freiheiten, die diese Region in den 500 Jahren davor gross gemacht haben. Man braucht nach dem Licht des Sommers eine halbe Stunde, bis das Auge für die im Dunkel verborgenen Formen und Farben geschärft ist. Hier ist die Kapelle von Abdrea Mantegna, aber sie enthält nur wenig von des Meisters Hand, was sich gegen das finstere Loch behaupten könnte. Das Chiaroscuro wurde hier architektonisch vorweg genommen, wenige Lichtreflexe im grossen Dunkel, eine Absage an die überbordende Spätphase der Gotik mit ihren im gleissenden Licht erstrahlenden, verschnörkelten Gewölben, statt dessen ist alles schlicht, monumental, und, unter uns gesagt, so schaurig, dass man schon als Kunstgeschichtler abstrahieren können muss, um die wahre Bedeutung dieses grossen Lochs bar jeder Freude zu erkennen.



So wanderten wir also durch die Gassen dieser Stadt, die im Mai noch recht verschlafen ist, und ich log lustig eine Geschichte zusammen: warum der Gorgonzola seinen Namen von den Gonzaga hat: Es ist, behaupte ich, nämlich so, dass die Gonzaga in ihrer Frühzeit des 15. Jahrhunderts noch kräftige, dunkle Italiener waren, lustig im Leben und brutal als Condottieri, das Plündern liebten und dem Sex zugetan waren. Im 16. Jahrhundert nun fand man sie auf Seiten des spanisch-österreichischen Habsburger, also auf der Seite der Sieger. Wie es damals üblich war, festigte man den Bund zwischen Gonzaga und Habsburg durch eine Ehe. Nun hat das Habsburger Gen ausser den Habsburgern selber noch niemand gut getan, und die Gonzaga waren keine Ausnahme: Aus den prallen Gestalten des Manierismus wurden hässliche, aufgequollene Figuren mit weisslich-grünlicher Gesichtsfarbe, krank und verschimmelt und an einen Käse erinnernd, der die gleiche schleimige Konsistenz in Grün und Bleich hatte. Und deshalb nannte man diesen Schimmelkäse nach diesen Schimmeladligen, die im 18. Jahrhundert nur ein auf einer sumpfigen Halbinsel modernder Abglanz früherer Grösse war: Gorgonzola, zu deutsch "Ganz wie Gonzaga". Danach gingen wir essen - handgemachte Ravioli in Gonzaga äh Gorgonzolasosse - sagten ein paar Artigkeiten, die nicht gelogen waren, und wir fuhren heim, sie auf ihrer ersten eigenen Reise im Audi Cabrio gen Brescia zur sicher immer noch wütenden Mama, und ich in den Sonnenuntergang, hoffend, dass Pauline im Kunst-LK den letzten Teil meiner Ausführungen nicht für bare Münze nimmt.



Übrigens, eines noch: Ich habe mich entschieden, nicht ans Meer zu fahren, sondern hier zu bleiben. Zum einem, wie die Mailänder fatalerweise 1159 vor der Plünderung ihrer Stadt durch Friedrich II. so schön sagten: juravimus quidem, sed juramentum attendere non promisimus - Wir haben es zwar geschworen, aber wir haben nicht versprochen, uns an den Schwur zu halten. Zum anderen, denke ich, dass der Teil "Mit Don Alphonso in die Marken" auch später stattfinden kann.

Und nun - zu den Gärten des Catull!

... link (4 Kommentare)   ... comment


Vier Abende in Malcesine

Montag: Das "Internetcafe", ein irisch tuender Pub mit 56k-Onlineanschluss und damit dem Monopol zwischen Rovereto, Brescia und Verona, um den sich zwei amerikanische Professoren, des einen Frau und ich uns jeden Abend lange Wartereien antun, hat zu.

Dienstag: Das Cafe schliesst gerade auf, aber auf meine Frage, ob ich mich der entwürdigenden Prozedur unterordnen dürfte, meine persönlichen Daten für die Nutzung des Netzes rauszurücken (Fuck You Silvio), heisst es: The Internet is broken. Auf meine Frage, wann es denn wieder ging, bekomme ich mitsamt den leidlich entsetzten Professoren, die auch schon geiern, die Antwort: Tomorrow. Maybe.

Wittwoch (=Tomorrow): Ich bin etwas später dran und treffe auf dem Hinweg den Single-Professor, der mir mitteilt, dass das Internet immer noch broken ist und es tomorrow maybe wieder geht. Wir trinken zusammen einen Tee, erklären das Problem dem anderen Professor und seiner Frau, und wir reden etwas über die aktuellen Themen, etwa, dass die Italiener ihre Truppen aus dem Irak abziehen werde. ich fange an zu glauben, dass die rechtsextreme/neoconazistische/ Redneck Arschlochdichte der deutschen Blogosphäre in jedem Fall höher ist als in den zivilisierteren Gegenden Nevadas, die ich auch so ganz gut kenne.

Donnerstag (=Tomorrow II=heute): Der Laden hat gegen Mittag schon offen, aber the Internet is immer noch broken. Ich frage, ob ich mir das mal anschauen kann. Prego, aber der Rechner geht nicht mehr. Dachte ich mir. Ich zücke den Thinkpad. Jetzt geht das Internet wieder. An der Tür sehe ich das bekannte Gesicht eines amerikanischen Professors. Wir machen einen Deal: Sie können heute Nachmittag ran, ich heute abend. Kann sein, dass einige amerikanische Studenten Mails bekommen, bei denen z und y vertauscht sind. Aber heute Nacht habe ich freie Datenbahn.

Ich bin zurück.

... link (17 Kommentare)   ... comment