Nachtrag Montag: Bei Gonzaga denke ich immer an Gorgonzola

Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg? will ich verächtlich an diesem Abend des 15. Mai in die laue Abendluft kurz hinter Garda rufen, hinein in das Farbenspiel aus Blau, Violett, Rot und Rosa, das sich über die Hügel von Torbole bis Salo erstreckt, so schön, so unabbildbar grandios ist dieser Sonnenuntergang. Sieg? murmelt die verschlafene Hölle, moment, ja, da hätten wir was im Angebot, Ihre Bilder von diesem Abend, bittschön, allesamt unsagbar kitschig geworden, da haben sich unsere Bildwandlerbeamten aber auch alle Mühe gegeben, macht 20 Karmapunkte Bearbeitungsgebühr, da bitte.



Dabei hatte alles so prächtig angefangen. Dottore Porcamadonna, sagte meine Wirtin am Frühstückstisch, ein Anruf, ein Anruf für Sie! Komisch, dachte ich, so schnell geht das mit dem Kontoüberziehen doch nicht, ausserdem, die Bank hat doch die Nummer gar nicht... Es war denn auch der Vater von Pauline und Maximilian, der gleich etwas verdruckst klang (in Klammern immer das, was ihm seine Frau vorgekeift hat: Guten Morgen. (Nach Mantua? Mit dem? Der sich im Konzertverein mit dieser Iris da zeigt und was mit ihr hat? Niemals). Es ist so: (Sag mal, wie kannst Du Dich überhaupt so selber einladen. Dia gfeits ächt a bissal am Gschpür. Wia schau ma denn do aus. Des ko ma ned mocha) Wegen Mantua.



Also. (Es is mia scheissegoi ob des amoi dei Freind wao. Des duad ma einfoch ned. Oiso, I foa do ned hi. Sog eam wosd wuisd) Meine Frau, ähem, die fühlt sich heute nicht wohl, zu viel Sonne wegen dem Cabrio glaube ich. (Des heds ois ned brachd wennst ned imma so bled dohearedn dadst) Also, deshalb bleiben wir heute wohl doch in Brescia, zumindest wir beide. (Wos hosd gmocht? Du hosd es de Kinda vaschprochn? No frogs do, obs seiba foan woin, owa i foa do nia ned hi.) Ich würde aber, wenn möglich, den Kindern das Auto geben, weil die müssen ja auch nicht den ganzen Tag in Brescia rumsitzen. Ginge das? Moment, ich geb Dir schnell Maxl, dann könnt ihr euch verabreden (Des oane sog I dia: Von mia aus kenna de foan, obe den lod i auf da Schanz ned zum Essn ei...) Und so kam es, dass ich nur zwei junge Leute statt einer Familie in die Geheimnisse des Zentrums der Gonzaga einführte.



Das Wissen um diesen Gesprächsverlauf verdanke ich dem Umstand, dass Pauline und Maximilian trotz des schlechten Geschmacks ihrer Eltern bei der Namensgebung doch zu Hoffnung verleiten, dass dieser meiner Heimatstadt könnte noch etwas anderes entstammen als dumpfe Autoverschweisser. Nach einer gewissen Aufwärmphase verstanden beide Seiten, dass das Vortäuschen von Lokalpatriotismus und Diskretion ebenso unangebracht war wie meine Befürchtungen, ahnungslosen Dummbratzen die Wesensmerkmale des Übergangs zwischen Renaissance und Manierismus erläutern zu müssen. Sie wussten, dass der Palazzo Te eines der Hauptwerke des frühen Manierismus und der Saal von Amor und Psyche das Hauptwerk Giulio Romanos ist. Die fette Mortadella von Zeus und das zugehörende, weit geöffnete Schenkelpaar, das - vielleicht aus Absicht? - im dunkeln Bereich des Saales war, kannten sie bereits aus Abbildungen. Der Saal der Giganten, da waren wir uns einig, wird dagegen überschätzt, und der geheime Garten, in den sich fast nie ein Tourist verirrt, ist ein zu Unrecht vergessenes Kleinod.



Übrigens ist das einer der grossen Vorteile am Montag: Da haben die meisten Museen geschlossen, nur eben nicht der Palazzo Te. Weil aber Montag ist und alle glauben, auch der Palazzo Te wäre geschlossen, kann man Raum für Raum alleine anschauen. Man muss schon sehr unempfindlich für Kunst sein, wenn man glaubt, den Palazzo Ducale mit dem Hauptwerk Andrea Mantegnas (Hochrenaissance), den Dom von Alberti (Spätrenaissance) und den Palazzo Te an einem Tag bewältigen zu können. Die Sinnenfreude des überaus weltlichen, ja geradezu antichristlichen Palazzo mit seinen Fickereien, den galanten Festen, den Pferden, der Lust am Ornament und Detail, die Liebe zu Licht und Luft und dem Traum vom Leben ausserhalb der Stadt mit all seinen Rustikoquadern, Teichen und Gärten in der Zeit um 1540 zu verstehen, verlangt nur nach einem Besuch des Domes auf der anderen Seite der Stadt.



Der Dom, das 50 Jahre ältere Meisterwerk von Alberti, nimmt in seiner schaurigen Grösse und seinen zum Gottesdienst vergewaltigten römischen Anleihen die finstere Epoche der spanisch-österreichischen Herrschaft über Norditalen vorweg, mit dem tridentinischen Konzil und dem Ende aller Freiheiten, die diese Region in den 500 Jahren davor gross gemacht haben. Man braucht nach dem Licht des Sommers eine halbe Stunde, bis das Auge für die im Dunkel verborgenen Formen und Farben geschärft ist. Hier ist die Kapelle von Abdrea Mantegna, aber sie enthält nur wenig von des Meisters Hand, was sich gegen das finstere Loch behaupten könnte. Das Chiaroscuro wurde hier architektonisch vorweg genommen, wenige Lichtreflexe im grossen Dunkel, eine Absage an die überbordende Spätphase der Gotik mit ihren im gleissenden Licht erstrahlenden, verschnörkelten Gewölben, statt dessen ist alles schlicht, monumental, und, unter uns gesagt, so schaurig, dass man schon als Kunstgeschichtler abstrahieren können muss, um die wahre Bedeutung dieses grossen Lochs bar jeder Freude zu erkennen.



So wanderten wir also durch die Gassen dieser Stadt, die im Mai noch recht verschlafen ist, und ich log lustig eine Geschichte zusammen: warum der Gorgonzola seinen Namen von den Gonzaga hat: Es ist, behaupte ich, nämlich so, dass die Gonzaga in ihrer Frühzeit des 15. Jahrhunderts noch kräftige, dunkle Italiener waren, lustig im Leben und brutal als Condottieri, das Plündern liebten und dem Sex zugetan waren. Im 16. Jahrhundert nun fand man sie auf Seiten des spanisch-österreichischen Habsburger, also auf der Seite der Sieger. Wie es damals üblich war, festigte man den Bund zwischen Gonzaga und Habsburg durch eine Ehe. Nun hat das Habsburger Gen ausser den Habsburgern selber noch niemand gut getan, und die Gonzaga waren keine Ausnahme: Aus den prallen Gestalten des Manierismus wurden hässliche, aufgequollene Figuren mit weisslich-grünlicher Gesichtsfarbe, krank und verschimmelt und an einen Käse erinnernd, der die gleiche schleimige Konsistenz in Grün und Bleich hatte. Und deshalb nannte man diesen Schimmelkäse nach diesen Schimmeladligen, die im 18. Jahrhundert nur ein auf einer sumpfigen Halbinsel modernder Abglanz früherer Grösse war: Gorgonzola, zu deutsch "Ganz wie Gonzaga". Danach gingen wir essen - handgemachte Ravioli in Gonzaga äh Gorgonzolasosse - sagten ein paar Artigkeiten, die nicht gelogen waren, und wir fuhren heim, sie auf ihrer ersten eigenen Reise im Audi Cabrio gen Brescia zur sicher immer noch wütenden Mama, und ich in den Sonnenuntergang, hoffend, dass Pauline im Kunst-LK den letzten Teil meiner Ausführungen nicht für bare Münze nimmt.



Übrigens, eines noch: Ich habe mich entschieden, nicht ans Meer zu fahren, sondern hier zu bleiben. Zum einem, wie die Mailänder fatalerweise 1159 vor der Plünderung ihrer Stadt durch Friedrich II. so schön sagten: juravimus quidem, sed juramentum attendere non promisimus - Wir haben es zwar geschworen, aber wir haben nicht versprochen, uns an den Schwur zu halten. Zum anderen, denke ich, dass der Teil "Mit Don Alphonso in die Marken" auch später stattfinden kann.

Und nun - zu den Gärten des Catull!

Donnerstag, 18. Mai 2006, 22:50, von donalphons | |comment

 
sehr schön geschrieben (das bayrische ist sogar verständlich)

Schönen Urlaub noch!!

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Morgen ist leider alles schon wieder vorbei, Samstag habe ich einen unaufschiebbaren Termin, und so doll ist das Wetter hier auch nicht mehr.

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Dös is aba da Palazzo del Te, mit del. Der muß früher phantastisch in den Sümpfen gelegen haben, heute kaum vorstellbar, da ihn die Vorstadt eingeholt hat.

Und nichts über die Camera dei Sposi? Kommt bestimmt noch.
Im Cigno waren Sie schon essen?

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Auf den Wegweisern steht in Manova immer Palazzo Té, um genau zu sein. Nachdem es eigentlich heisst "Palast auf der Insel Té", denn das Té steht für eine Insel im mittelalterlichen Sumpf, geht wohl alles - ausser Teepalast, wie eine Gruppe deutscher Touristen beim letzten Besuch dachte.

Und die Camera: Wie gesagt, es war Montag, und der Palazzo Ducale war zu, ausserdem, wie schon geschrieben, ist Mantegna für einen Tag einer zu viel. Lieber zwei Sachen richtig als fünf Sachen, drei davon eben im Palazzo Ducale, nur mässig.

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