: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 4. Dezember 2006

Hausbibliothek der Aufklärung I

Diese Serie habe ich schon lange geplant, und immer wieder verschoben. Sie sprengt den Rahmen normaler Blogschreiberei, und befasst sich mit Themen, von denen ich nicht weiss, ob sie die Mehrzahl der Leser auch nur ansatzweise interessiert. Die Erfahrungen der letzten Wochen lassen mich ohnehin daran zweifeln, ob das Buch und die Aufklärung ihre Zukunft nicht schon lange hinter sich haben. Vielleicht aber ist meine Auffassung dieser Welt schon immer die verschobene Perspektive eines Menschen mit bayerischem Abitur, Latinum, kulturwissenschaftlichem Studium und weit über 5.000 Büchern gewesen. Dennoch scheint es mir geboten, ein wenig auf die Entwicklung einzugehen, die - im Gegensatz zum Christentum und ähnlich totalitären Konstrukten - ein wirklich vornehmer Ursprung unserer Gegenwart ist: Die Aufklärung, dargestellt anhand von originalen Druckerzeugnissen der Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis wir am Ende angelangt sind, aber ich hoffe, doch kurzweilig einige hübsche Bücher aus meinem Besitz zeigen zu können.

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Wenn man über Aufklärung redet, die Zeit also zwischen dem 30-jährigen Krieg und dem Nachklang der franzöischen Revolution, zwischen dem Absolutismus eines Ludwig XVI und dem Diktat Metternichs, empfiehlt es sich, mit dem Gegenteil zu beginnen, um die gesamte Wegstrecke der Entwicklung aufzuzeigen. Beginnen wir also in einer Region, die auf immer fern sein wird vom Lichte der Vernunft, die zu allen Zeiten schon dumm und rückständig war, nicht nur aus Pariser, nein auch aus bayerischer Sicht - beginnen wir im Passau des Jahres 1650.



Es ist ein schmuckloses Buch im Kleinoktav, gebunden in isabellaweissem und senfgelbem Pergament, Reste umgearbeiteter, noch älterer Handschriften, die hier nochmal neues Leben erhalten. Proprium Sanctorum steht als Titel auf dem wurmzerfressenen Titel. Das Proprium beschreibt die Teile der Messe, die sich jeden Tag, je nach Anlass ändern, im Gegensatz etwa zur Eucharestie und anderen immer gleichen, monotonen Verrichtungen des Katholizismus, stur und einfallslos. Doch auch das Proprium ist nicht wirklich eine Erlösung vom Trott; vielmehr ist es eine Handlungsanweisung zum mühseeligen Schreiten durch ein Kirchenjahr voller Pflichten, die sich im Bistum Passau angesammelt haben.



Kaum ein Tag ist frei, an dem nicht irgendwelchen Heiligen, Seligen, Märtyrern oder verdienten Gestalten der Donaustadt, die genug für ewige Messen gezahlt hatten gedacht werden muss. Jeden Tag eine Messe, jeden Tag das gleiche Ritual in den vielen Kirchen der Stadt, jeder sollte kommen, um sein Untertanentum unter die Religion zu beweisen, seine Gebete sprechen, während die da vorne etwas in unverständlichem Latein murmelten, sie aber waren die die Klingelbeutel zu füllen hatten, denn der Krieg war vorbei und die Kirche brauchte neues Geld. So viele Stunden stehend und knieend in den hohen Sälen, denn Bänke gab es damals nur im Chor, die normalen Besucher mussten stehen oder knien, im Winter sicher kein Vergnügen und auch im Sommer zu früher Stunde eher eine Pflicht denn eine Freude. Doch der Druck der Gruppe, der verbindliche Glaube, der in den Jahrzehnten davor jedes unvorstellbare Leid über das Land gebracht hatte, kannte keine Ausnahmen und kein Erbarmen, egal wieviel von den Heiligen in dem Büchlein versprochen wurde.



Es ist eine düstere Zeit, aus der diese Seiten stammen, die Texte sind stilistisch einfältig, Märchen für Dumme, und die Rubrizierung erinnert nicht zufällig an heute Gossenzeitungen. Wer dieses Buch besass, wusste nur so viel, wie er wissen musste, um andere dumm zu halten. Jeder Tag ein neuer Heiliger für andere Sorgen und Nöte, die Kirche lieferte Immaterielles und Hoffnung frei Haus, für den Preis eines Lebens unter ihrem Joch, reguliert und bestimmt durch dieses wenig schöne Buch mit seinem schlechten Papier.

Und doch trägt es in sich den Keim der Vernichtung des Aberglaubens. Denn der Religionskieg hatte alle bisherigen Regeln für ungültig erklärt, der Fanatismus dieser Zeit eröffnete Chancen für die, die von ihm profitierten. Besonders raffgierig war der Mann, der als Autor des Buches genannt wird: Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich, Bischof von Passau und zusätzlich von Olmütz, Halberstadt, Magdeburg, Breslau und Straßburg, Hochmeister des deutschen Ordens und, vor allem, Heerführer der Katholiken. Diese Aufgabe war es, die ihn wirklich lag, die Bistümer waren die Pfründe, die ihm bei der Finanzierung des späten Krieges halfen. Leopold Wilhelm und sein Buch stehen für den Höhepunkt der kirchlichen Macht, die sich völlig vergessen hat und jede noch so miese Schweinerei duldet und fördert, von den Untertanen jeden Verzicht und totale Unterwerfung unter das System fördert, und sich selbst jeden Luxus und alle Verbrechen leistet, die die Welt damals erkennen musste. Es hat Zentraleuropa entvölkert und ruiniert, die Menschen unterdrückt und entmündigt, und gerade aus diesem Krisen erschaffenden Gegensatz zwischen oben und unten, zwischen Allmächtigen, die bestimmen und verprassen, und Ohnmächtigen, die sich fügen und zahlen, entstand, weit entfernt von Passau, die Erkenntnis, dass es so nicht auf immer sein könnte. Und schuld waren natürlich - die Frauen.

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