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Samstag, 6. Dezember 2008
Der Davoser Nerv
Disclosure: Ich habe zwei Winter in Berlin überlebt. Ich weiss, wovon ich rede.
Wir wissen, was das bedeutet: Winter in den grossen Städten. Manche von uns haben noch das Glück, in einer Stadt zu leben, deren sonstige Rahmenbedingungen angenehm sind; sei es die freundliche Natur der Menschen, Sauberkeit, Vermögen und eine gesunde, weise Verwaltung; manch andere bleiben allein mit Grau und Matsch in einer menschlichen Wüste, und andere mussten sogar Winter in Berlin überleben. Das einzige Positive, was uns dazu einfällt, ist die Leichtigkeit, mit der man in Berlin im Winter beischläft; einfach, weil es nichts Schlimmeres geben kann als eine einsame, kalte Februarnacht nach einem dunkelgrauen Tag in dieser schmutziggrauen Stadt unter bleigrauem Himmel, und dazu über Wochen die sibirische Kälte in den breiten Strassen, die alle Menschen alt, mürrisch und hässlich macht. Man muss irgendetwas tun, um dem zu entfliehen, und weil die Alternativen selten und teuer sind, gehen wir dort manchmal miteinander ins Bett.
Ziemlich oft jedoch sitzen wir einfach nur in der Küche, schauen dem Gegenüber beim Rauchen zu und kochen, nachdem wir dem Kühlschrank erheblich mehr als die verdorbene Zwiebel und die Medikamentendose, die wir dort vorfanden, hinzugefügt haben. Und erzählen, wie schön es wäre, jetzt nicht in Berlin zu sitzen und auch nicht auf den Bahamas, denn Kälte und Schnee braucht der Mensch, aber nicht so matschig und grau wie hier. Wir reden über die phänomenalen Frühstücksbuffets am Morgen in den Bergen, bevor es aus dem Schlosshotel hinausgeht zum Wintersport, das viele Essen und die Teesorten, aus denen wir wählen, das Dampfen des Kaffees, der in der Höhe wie ein Vulkan raucht, wenn die Sonne scheint und wir draussen sitzen können. Wir erzählen vom Phantomschmerz, nicht mehr mit unseren Eltern in die Berge fahren zu können, vom sternendurchwobenen Himmel über Chamonix, von den Auffahrten auf den Berg, während sich unten die Wolken in die Täler betten, als wären es plüschige Schafe. Und während sich das eintönige Grau von Horizont zu Horizont erstreckt, über der Wohnung der Person, für die wir nur kochen, glauben wir, dass irgendwo vielleicht die Sonne scheint, oder der Schnee die Tränen in die Augen treibt, wenn wir keine Brille im tosenden Unwetter tragen.
Wir erzählen, wie das ist, ohne den ganzen Outdoorkleidungskram aus Plastik und Hightech, so wie früher, mit dickem Leder und langen Socken, die Nässe und die Kälte direkt zu erleben und so auszusehen, als wären wir unser eigener Urgrossvater in seiner wilden Zeit, wir berichten vom derben Humor der Bergler, der direkt und ganz ohne diese verlogene Berliner Ironie ist, hier heisst die Steilkurve Geissalm-Reib´n, weil man von der Gravitationskraft in Eis, Schnee, Bretterwand und, wenn es ganz schlecht ausgeht, in die Tannen hineingerieben wird, als sei man ein Stück Appenzeller, der für die Tarte zerhobelt wird. Es gibt in unserer Erinnerung nicht nur die Weltmeisterstrecke in der Klamm, da ist der gefrorene Gebirgsee und der Gesang der Kufen auf dem Eis, es gibt schwarze Abfahrten, Buckelpisten und unberührten Neuschnee am Morgen, die letzte Abfahrt, wenn die Sonne längst verschwunden ist und der Himmel am östlichen Horizont dunkelblau wird, und unter den Stahlkanten der frierende Schnee knurrt, am Abend Überbackenes, Fettes, Schweres, die Stunden am Kachelofen, das Kerzenlicht, und der schwarze Schlaf voller Ruhe und Vergessen.
Es ist der Davoser Nerv, den wir da berühren, er schmerzt, und wir könnten ihn betäuben durch Frustkäufe der neuesten Elektronik und breiter Bildschirme, aber dazu müsste man raus in das nicht enden wollende Grau, das keine Nacht je zu erlösen scheint, oder Vergessen suchen in den bastardisierten Weihnachtsmärkten der Stadt, in denen man Eintritt verlangt und sich der Pöbel am Glühwein vorbesäuft, bevor es am Abend zur Molliparty geht. Wir könnten dort in China fabrizierte Erzgebirgskunst kaufen, oder schlechte Web2.0-Schokolade in billiger Verpackung bestellen, und es würde uns doch nur daran erinnern, welche internationalen Luxusmarken in Rottach für das gleiche Geld zu finden wären, Lexington zum Beispiel mit den besten Stoffen ihrer Weihnachtskollektion, die so grossherzig naiv sein kann, wie es Amerikaner in ihren besten Momenten nun mal sind. Die Schokolade würde uns nur an das kleine Häuschen von Eybel am Ufer des Sees vergegenwärtigen, das vollgepfropft ist mit echten Kostbarkeiten, die von Könnern gestaltet und gemischt sind, die genau wissen, was sie erschaffen, und was uns gefallen wird.
Wir reden und reden unter dem grauen Himmel und wollen eigentlich nur noch ins Bett, um am Körper des Gegenparts zu vergessen und die Wärme zu finden, die uns der Matsch und die Feuchtigkeit geraubt hat, und selbst dann schmerzt uns das Grau der Augen, das an die Welt da draussen erinnert, wir würden es lieben, wäre draussen ein Schneesturm oder das Funkeln der Brillianten am Firmament, wir könnten die Trinkschokolade im Bett löffeln, Bettwäschekataloge wälzen, vielleicht am Sonntag über den verschneiten Jaufenpass auf einen Kuchen nach Meran, und ganz ohne Hass sein auf den grauen Sarg, der noch Wochen alles Leben umfängt, so es sich nicht erlöst durch Selbstmord. Oder Wegzug.
Wir wissen, was das bedeutet: Winter in den grossen Städten. Manche von uns haben noch das Glück, in einer Stadt zu leben, deren sonstige Rahmenbedingungen angenehm sind; sei es die freundliche Natur der Menschen, Sauberkeit, Vermögen und eine gesunde, weise Verwaltung; manch andere bleiben allein mit Grau und Matsch in einer menschlichen Wüste, und andere mussten sogar Winter in Berlin überleben. Das einzige Positive, was uns dazu einfällt, ist die Leichtigkeit, mit der man in Berlin im Winter beischläft; einfach, weil es nichts Schlimmeres geben kann als eine einsame, kalte Februarnacht nach einem dunkelgrauen Tag in dieser schmutziggrauen Stadt unter bleigrauem Himmel, und dazu über Wochen die sibirische Kälte in den breiten Strassen, die alle Menschen alt, mürrisch und hässlich macht. Man muss irgendetwas tun, um dem zu entfliehen, und weil die Alternativen selten und teuer sind, gehen wir dort manchmal miteinander ins Bett.
Ziemlich oft jedoch sitzen wir einfach nur in der Küche, schauen dem Gegenüber beim Rauchen zu und kochen, nachdem wir dem Kühlschrank erheblich mehr als die verdorbene Zwiebel und die Medikamentendose, die wir dort vorfanden, hinzugefügt haben. Und erzählen, wie schön es wäre, jetzt nicht in Berlin zu sitzen und auch nicht auf den Bahamas, denn Kälte und Schnee braucht der Mensch, aber nicht so matschig und grau wie hier. Wir reden über die phänomenalen Frühstücksbuffets am Morgen in den Bergen, bevor es aus dem Schlosshotel hinausgeht zum Wintersport, das viele Essen und die Teesorten, aus denen wir wählen, das Dampfen des Kaffees, der in der Höhe wie ein Vulkan raucht, wenn die Sonne scheint und wir draussen sitzen können. Wir erzählen vom Phantomschmerz, nicht mehr mit unseren Eltern in die Berge fahren zu können, vom sternendurchwobenen Himmel über Chamonix, von den Auffahrten auf den Berg, während sich unten die Wolken in die Täler betten, als wären es plüschige Schafe. Und während sich das eintönige Grau von Horizont zu Horizont erstreckt, über der Wohnung der Person, für die wir nur kochen, glauben wir, dass irgendwo vielleicht die Sonne scheint, oder der Schnee die Tränen in die Augen treibt, wenn wir keine Brille im tosenden Unwetter tragen.
Wir erzählen, wie das ist, ohne den ganzen Outdoorkleidungskram aus Plastik und Hightech, so wie früher, mit dickem Leder und langen Socken, die Nässe und die Kälte direkt zu erleben und so auszusehen, als wären wir unser eigener Urgrossvater in seiner wilden Zeit, wir berichten vom derben Humor der Bergler, der direkt und ganz ohne diese verlogene Berliner Ironie ist, hier heisst die Steilkurve Geissalm-Reib´n, weil man von der Gravitationskraft in Eis, Schnee, Bretterwand und, wenn es ganz schlecht ausgeht, in die Tannen hineingerieben wird, als sei man ein Stück Appenzeller, der für die Tarte zerhobelt wird. Es gibt in unserer Erinnerung nicht nur die Weltmeisterstrecke in der Klamm, da ist der gefrorene Gebirgsee und der Gesang der Kufen auf dem Eis, es gibt schwarze Abfahrten, Buckelpisten und unberührten Neuschnee am Morgen, die letzte Abfahrt, wenn die Sonne längst verschwunden ist und der Himmel am östlichen Horizont dunkelblau wird, und unter den Stahlkanten der frierende Schnee knurrt, am Abend Überbackenes, Fettes, Schweres, die Stunden am Kachelofen, das Kerzenlicht, und der schwarze Schlaf voller Ruhe und Vergessen.
Es ist der Davoser Nerv, den wir da berühren, er schmerzt, und wir könnten ihn betäuben durch Frustkäufe der neuesten Elektronik und breiter Bildschirme, aber dazu müsste man raus in das nicht enden wollende Grau, das keine Nacht je zu erlösen scheint, oder Vergessen suchen in den bastardisierten Weihnachtsmärkten der Stadt, in denen man Eintritt verlangt und sich der Pöbel am Glühwein vorbesäuft, bevor es am Abend zur Molliparty geht. Wir könnten dort in China fabrizierte Erzgebirgskunst kaufen, oder schlechte Web2.0-Schokolade in billiger Verpackung bestellen, und es würde uns doch nur daran erinnern, welche internationalen Luxusmarken in Rottach für das gleiche Geld zu finden wären, Lexington zum Beispiel mit den besten Stoffen ihrer Weihnachtskollektion, die so grossherzig naiv sein kann, wie es Amerikaner in ihren besten Momenten nun mal sind. Die Schokolade würde uns nur an das kleine Häuschen von Eybel am Ufer des Sees vergegenwärtigen, das vollgepfropft ist mit echten Kostbarkeiten, die von Könnern gestaltet und gemischt sind, die genau wissen, was sie erschaffen, und was uns gefallen wird.
Wir reden und reden unter dem grauen Himmel und wollen eigentlich nur noch ins Bett, um am Körper des Gegenparts zu vergessen und die Wärme zu finden, die uns der Matsch und die Feuchtigkeit geraubt hat, und selbst dann schmerzt uns das Grau der Augen, das an die Welt da draussen erinnert, wir würden es lieben, wäre draussen ein Schneesturm oder das Funkeln der Brillianten am Firmament, wir könnten die Trinkschokolade im Bett löffeln, Bettwäschekataloge wälzen, vielleicht am Sonntag über den verschneiten Jaufenpass auf einen Kuchen nach Meran, und ganz ohne Hass sein auf den grauen Sarg, der noch Wochen alles Leben umfängt, so es sich nicht erlöst durch Selbstmord. Oder Wegzug.
donalphons, 00:31h
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Alteisen
jenseits der 40 sollte man das schicksal in dieser beziehung nicht herausfordern.
Jenseits der 40... das klingt ja fast schon wie Krückstock oder Rollator... ich sage es mal so. Gestern war ich auf dem Berg, und bis ungefähr 1100 Höhenmeter kam ich mir dumm vor. Da stand ich im grünen, frühlingshaften Wald, mit einem schweren Davoser am Arm. Einen Schlitten hochziehen mag gehen, aber mit so einem schweren Trumm diretissima hochkraxeln ist eine andere Sache: Hart, schweisstreibend und angesichts der Umgebung blöd. Dummheit, denkt man sich, ist kein Privileg der Jugend.
Die Jugend traf ich dann beim letzten Aufstieg, als alles schon vereist war: Ein Waldbauer, der einen Baum zuschnitt, an seinen Traktor hängte und mir damit die Rodelstrecke ruinierte. Selten habe ich jemand so missmutig mit der Kettensäge hantieren sehen, und ich dachte mir: Junger Mann, früher wäre das anders gewesen. Früher hättest du diesen Baum mit einem grossen Hörnerschlitten ins Tal bringen müssen, und eine Fehlbremsung, ein Steinbrocken, der eine Kurve verursacht, und der Baum könnte es sich nochmal aussuchen, ob er seinen Schlächter von Hinten kommend den Schädel platzen lassen möchte, oder ihn beim Überschlag in das Eis rubbelt. Mein lieber junger Mann, du bist so missmutig, weil das hier langweilige Arbeit ist. Mit so einem Hornschlitten hättest du jetzt Angst und unten würdest du die Wirtstochter schwängern, das Leben will nachher sein Recht, weil das alles nachher raus muss, diese Gratwanderung zwischen Geschwindigkeit und Tod, die uns so viele hübsche schmiedeeiserne Kreuzerl unten in Gmund beschert hat, mit Bildern von Männern im besten Alter.
Weiter oben war dann Schnee. Und wie es so ist: Man rauscht hinab, das Panorama vor Augen, und schwupps rast man an der richtigen Kehre vorbei und muss wieder hoch. Runter kommen sie bekanntlich alle, aber nach Gasse gibt es, nachdem der andere Weg vom Waldbauer ruiniert war, nur einen Steilweg, und der ist in Zeiten wie diesen eher eisig und ungeeignet für Rodel. Ich würde da nicht mit Skiern runterfahren, und auf ein paar Meter Schlittenschleppen kam es mir auch nicht mehr an. Nur war ich zwischen einem älteren Ehepaar, er vornedran marschierend und sie ängstlich zurückbleibend. Der Weg ist sehr schmal, manchmal nur ein Meter zwischen Baum und Abgrund, und als ich an ihm vorbeikam, machten wir ein kleines Berglerschwätzchen, wie man es halt so macht.
Der alte Mann, 70plus auf alle Fälle, meinte, es sei währscheinlich trotz des Abgrunds sicherer, die Strecke zu rodeln, und wenn er einen Rodel dabei hätte, dann, ja dann, und so kam eines zum anderen, und ein mittelalter und ein sehr alter Depp probierten es aus, ob es wirklich ungefährlicher ist. Nun, ich war dabei und kann sagen: Nein, es ist nicht ungefährlicher, besonders bei der Links-Rechts-Kombination oberhalb des Wurzelfeldes, wo es hineingeht, wenn man die zweite Kurve nicht kriegt. Was man mit 180 Kilo Gesamtgewicht auf Stahlkufen und Eis gegen die Schwerkraft erst mal schaffen muss. Seine Frau jedenfalls war not amused. Ich schon. Er auch.
Ich halte absolut nichts von der Vorstellung, die restlichen 50, 60 Jahre meines Erdendaseins der Risikovorsorge zu widmen. Ich würde keine explizite Dunmheit machen, wie etwa im Bananenröckchen solche Strecken fahren. Oder mit falscher Ausrüstung auf Berge steigen. Aber ich glaube fest daran, dass ein wenig Risiko und ein paar schlecht platzierte Bäume gut sind für den Organismus, weil der Mensch bauartbedingt nicht für das gemacht ist, was viele tun: In einem Büro sitzen und irgendwas rumtippen, während 90% des Körpers nur Ballast sind, der in einem möglichst ergonomischen Stuhl vor Schäden durch Rumsitzen geschützt wird. Bis vor drei Generationen war der Bürostuhl die Ausnahme und der eisige Wald normal, und so schnell schaltet die Evolution unsere Spezies nicht auf Wellness-Workout-Ausgleichssport um.
Was für den Körper gilt, gilt auch für den Geist: Die Angst, wenn der Rodel zu schnell für die Kurve wird und hinten ausbricht, wenn die Kufen sich in das Eis knirschen und man hofft, sie scharf genug geschliffen zu haben, ist eine ganz andere Angst als, sagen wir mal, einen Betrag falsch zu buchen oder eine Deadline nicht zu packen. Es ist eine existenzielle Angst, die den ganzen Körper und das Gehirn fordert, man lernt etwas über Schwerkraft und Geschwindigkeit, das ist keine Übung, und wenn man es schafft und sich wieder in die Horizontale legt, und es wird schneller und schneller, wenn dann wieder in den Kurven die Eisbrocken fliegen, ist es...
notwendig. Ab und zu einfach notwendig, um sich zu erinnern, dass man Fleisch und Blut ist, Angst und Schmerzen, dumm und mutig, und nicht nur so ein Depp aus´m Internet, Computersklaven und Festplattenwichser, für den das grösste Drama ein Schnitt im Finger ist, weil er dann nicht mehr tippen kann, oder gar eine Risikobegrenzungsüberlegung, sondern - so lange wie irgend möglich - ein Geschoss voller Leben und Gier.
Die Reformhausbesitzerstochter schaut übrigens toll aus.
Jenseits der 40... das klingt ja fast schon wie Krückstock oder Rollator... ich sage es mal so. Gestern war ich auf dem Berg, und bis ungefähr 1100 Höhenmeter kam ich mir dumm vor. Da stand ich im grünen, frühlingshaften Wald, mit einem schweren Davoser am Arm. Einen Schlitten hochziehen mag gehen, aber mit so einem schweren Trumm diretissima hochkraxeln ist eine andere Sache: Hart, schweisstreibend und angesichts der Umgebung blöd. Dummheit, denkt man sich, ist kein Privileg der Jugend.
Die Jugend traf ich dann beim letzten Aufstieg, als alles schon vereist war: Ein Waldbauer, der einen Baum zuschnitt, an seinen Traktor hängte und mir damit die Rodelstrecke ruinierte. Selten habe ich jemand so missmutig mit der Kettensäge hantieren sehen, und ich dachte mir: Junger Mann, früher wäre das anders gewesen. Früher hättest du diesen Baum mit einem grossen Hörnerschlitten ins Tal bringen müssen, und eine Fehlbremsung, ein Steinbrocken, der eine Kurve verursacht, und der Baum könnte es sich nochmal aussuchen, ob er seinen Schlächter von Hinten kommend den Schädel platzen lassen möchte, oder ihn beim Überschlag in das Eis rubbelt. Mein lieber junger Mann, du bist so missmutig, weil das hier langweilige Arbeit ist. Mit so einem Hornschlitten hättest du jetzt Angst und unten würdest du die Wirtstochter schwängern, das Leben will nachher sein Recht, weil das alles nachher raus muss, diese Gratwanderung zwischen Geschwindigkeit und Tod, die uns so viele hübsche schmiedeeiserne Kreuzerl unten in Gmund beschert hat, mit Bildern von Männern im besten Alter.
Weiter oben war dann Schnee. Und wie es so ist: Man rauscht hinab, das Panorama vor Augen, und schwupps rast man an der richtigen Kehre vorbei und muss wieder hoch. Runter kommen sie bekanntlich alle, aber nach Gasse gibt es, nachdem der andere Weg vom Waldbauer ruiniert war, nur einen Steilweg, und der ist in Zeiten wie diesen eher eisig und ungeeignet für Rodel. Ich würde da nicht mit Skiern runterfahren, und auf ein paar Meter Schlittenschleppen kam es mir auch nicht mehr an. Nur war ich zwischen einem älteren Ehepaar, er vornedran marschierend und sie ängstlich zurückbleibend. Der Weg ist sehr schmal, manchmal nur ein Meter zwischen Baum und Abgrund, und als ich an ihm vorbeikam, machten wir ein kleines Berglerschwätzchen, wie man es halt so macht.
Der alte Mann, 70plus auf alle Fälle, meinte, es sei währscheinlich trotz des Abgrunds sicherer, die Strecke zu rodeln, und wenn er einen Rodel dabei hätte, dann, ja dann, und so kam eines zum anderen, und ein mittelalter und ein sehr alter Depp probierten es aus, ob es wirklich ungefährlicher ist. Nun, ich war dabei und kann sagen: Nein, es ist nicht ungefährlicher, besonders bei der Links-Rechts-Kombination oberhalb des Wurzelfeldes, wo es hineingeht, wenn man die zweite Kurve nicht kriegt. Was man mit 180 Kilo Gesamtgewicht auf Stahlkufen und Eis gegen die Schwerkraft erst mal schaffen muss. Seine Frau jedenfalls war not amused. Ich schon. Er auch.
Ich halte absolut nichts von der Vorstellung, die restlichen 50, 60 Jahre meines Erdendaseins der Risikovorsorge zu widmen. Ich würde keine explizite Dunmheit machen, wie etwa im Bananenröckchen solche Strecken fahren. Oder mit falscher Ausrüstung auf Berge steigen. Aber ich glaube fest daran, dass ein wenig Risiko und ein paar schlecht platzierte Bäume gut sind für den Organismus, weil der Mensch bauartbedingt nicht für das gemacht ist, was viele tun: In einem Büro sitzen und irgendwas rumtippen, während 90% des Körpers nur Ballast sind, der in einem möglichst ergonomischen Stuhl vor Schäden durch Rumsitzen geschützt wird. Bis vor drei Generationen war der Bürostuhl die Ausnahme und der eisige Wald normal, und so schnell schaltet die Evolution unsere Spezies nicht auf Wellness-Workout-Ausgleichssport um.
Was für den Körper gilt, gilt auch für den Geist: Die Angst, wenn der Rodel zu schnell für die Kurve wird und hinten ausbricht, wenn die Kufen sich in das Eis knirschen und man hofft, sie scharf genug geschliffen zu haben, ist eine ganz andere Angst als, sagen wir mal, einen Betrag falsch zu buchen oder eine Deadline nicht zu packen. Es ist eine existenzielle Angst, die den ganzen Körper und das Gehirn fordert, man lernt etwas über Schwerkraft und Geschwindigkeit, das ist keine Übung, und wenn man es schafft und sich wieder in die Horizontale legt, und es wird schneller und schneller, wenn dann wieder in den Kurven die Eisbrocken fliegen, ist es...
notwendig. Ab und zu einfach notwendig, um sich zu erinnern, dass man Fleisch und Blut ist, Angst und Schmerzen, dumm und mutig, und nicht nur so ein Depp aus´m Internet, Computersklaven und Festplattenwichser, für den das grösste Drama ein Schnitt im Finger ist, weil er dann nicht mehr tippen kann, oder gar eine Risikobegrenzungsüberlegung, sondern - so lange wie irgend möglich - ein Geschoss voller Leben und Gier.
Die Reformhausbesitzerstochter schaut übrigens toll aus.
donalphons, 13:49h
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Empfehlung heute - Ich will endlich
wieder bei Anke kommentieren können und sagen, wie wunderbar ich solche Einträge finde. Ichwillichwillichwill. Ich mein, schliesslich ist bald dieser, äh, Nikolaus, glaube ich, heisst das.
donalphons, 11:54h
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