: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 16. Juli 2012

Basisqualifikation

Die einfachste Buchidee wäre damals "Unter Kronleuchtern" gewesen, so eine Art Leitfaden über das Leben, Überleben und Sterben in besserer Gesellschaft, und ein wichtiges Kapitel hätte sich mit dem Bilanzieren beschäftigt. Es ist nämlich ganz erstaunlich, wie durchaus vermögende Menschen in Deutschland in der Lage sind, sich arm zu rechnen. Man kann mit ihnen durch mieseste Blockviertel fahren, und sie werden einem sagen: Naja, aber die Menschen hier fahren viermal im Jahr in Urlaub und wollen keinen Ärger mit Hausbesitz und so schlecht ist das auch nicht, gleich an der Autobahn, wenn sie nach München pendeln - ganz normale Leute, wie ich auch, nur wohne ich halt am anderen Ende der Stadt, komme nicht so oft weg und deshalb geht das alles eben ins Haus, was das kostet! - so eine Mietwohnung, die hat wirklich was.

Ich habe noch keinen getroffen, der nicht in der Lage wäre, Millionen gegen Altbauten aufzurechnen und zu neutralisieren, Vermögenswerte zu Risikoschutz zu deklarieren, und Gründe zu finden, warum die Gegenwart von der Zukunft weggefressen wird, weshalb das Seiende auch bald verschwinden wird. Man hat nicht viel, man hat nur vieles, wasvon Unkundigen falsch eingeschätzt wird. Die reichen Leute wohnen immer die Strasse runter. Und angesichts der lachhaften 250k-Abgabenfrage des DIW habe ich das jetzt eben bei der FAZ erklärt: Wie man all das Vermögen zum Verschwinden bringt.

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15 Jahre voraus

Dass man 40 wird, sagte einmal ein Freund, merkt man daran, dass man jeden Tag Medikamente braucht. Damals war es bei mir noch nicht so weit, und es ist auch heute noch nicht so schlimm gekommen. Nur heute ist es schlecht. In der Nacht ordentlich verlegen, Stechen im Armgelenk und Verspannung im Nacken, eine immer noch latent vorhandeme Grippe und ein kleiner Schub Heuschnupfen - macht 3 Tabletten und eine Salbe. Wie ein alter Mann. Dazu noch drei bis vier Windstärken aus dem Westen und nicht gerade Hitze - so wird sich das also in der Regel anfühlen, wenn ich 15, 20 Jahre älter und schwächer bin. Zur Komplettierung der Zeitreise nehme ich auch noch ein Rad, das 24 Jahre auf dem Buckel hat. So wird es dann sein, im Sommer 2027.







Das Elend beginnt schon an der Haustür: Irgendein *** hat in der Nacht dem Weinstock einen Ast abgebrochen und die Trauben auf dem Boden zertreten. Ich habe wirklich nichts gegen junge Menschen, aber wer das tut, dem möchte ich im Dunkeln begegnen. Von hinten, mit einem frisch geschnitteten Eichenstock. Ein jeder mache die Erfahrung mit Holz, die er verdiene. Ob es so einem Stück Abschaum auch gefällt, würde man ihm den Finger brechen? Ich weiss es nicht. Es käme auf den Versuch an. 2027 wird das vermutlich eher die Regel als die Ausnahme sein. Für manche ist es vielleicht nur ein Baum, aber wer hier lebt, der liebt seinen Weinstock. Der Weinstock überlebt Generationen, und es würde mich auch nicht stören, wenn er aussterbende Clans von Weinstockschändern überleben würde. Was sich alte Männer eben so sagen. Die Zeiten, da ich Videoüberwachung im öffentlichen Raum vollkommen falsch fand, sind heute schon lange vorbei.







Man freut sich im Alter ja auch schon an den kleinen Dingen. Eine Easyjet-Phase hatte ich nie, Europa reicht mir völlig, und nachdem das hier auch Ferienregion ist, sobald man die Stadt hinter sich gelassen hat, geniesse ich das eben wie Urlaub. Das waren in den letzten Generationen schon die sonntäglichen Ausflugsziele, das hat keinem geschadet. Es ist keine Kunst, das Neue in der Fremde zu finden. Hier muss man eben genauer hinschauen. Und ich glaube nicht, dass ich 2027 noch werde eine Easyjet-Phase bekommen können: Die Zeiten, da man mit dem Eintritt ins Rentenalter die Fernreisen entdeckte, werden vorbei sein. Einerseits, weil dann das Rentenalter noch weit weg ist. Andererseits, weil man sich wird entscheiden müssen, zwischen grosser Mobilität und anderen luxuriösen Freuden. Und dann werde ich sicher nicht mein Geld in einer Turbine verbrennen. Ich habe ja genug Räder und hoffentlich genug Kraft.







Sicher, die Kiste ist nicht neu, aber sie fährt, und das gar nicht so schlecht. Sicher, der Wind bläst heftig, aber das hier ist nicht die Tour de France. Mit etwas Glück habe ich dann auch noch Zeit, und wenn ich am Tag 80 Kilometer schaffe - das sollte eigentlich kein Problem sein - dann ist das ein ganz schöner Radius. Zur Not komme ich so auch an den Tegernsee, nach Innsbruck, nach Sterzing (gut, das wird über den Brenner nicht ganz leicht, vielleicht nehme ich da einen Postbus, falls es dann noch solche sozialen Einrichtungen gibt) und von dort aus, von Pension zu Pension, bis nach - nun, das wird man dann sehen. Ich glaube nicht, dass es die Reisefreizügigkeit ohne Überwachung, wie wir sie heute noch erfahren können, dann noch gibt - man denke nur an das Elend, wenn man in Italien ins Internet will. Nichts werden sie einen wissen lassen, aber alles erfahren: Der Transponder in jedem Gefährt wird kommen, in jedem Handy, in jeder Uhr, in jedem elektronisch gesteuerten Rad - wer dann vollmechanisch unterwegs ist, muss sich dann weniger Sorgen machen.







Nur bin ich dann schon an der Schwelle eines Alters, in dem man, um es mit einer italienischen Weisheit zu sagen, nur noch Angst hat, lange zu leben. Ich sehe das heute auch als Vorsorge an, was ich mir an körperlichen Eigenschaften im steifen Gegenwind erhalte, allen Zipperlein zum Trotz, wird dann besser sein als eine Krankheit, deren Reparatur sich nicht bezahlen lässt. Das ist gar nicht so schlimm, der Mensch, denke ich mir, hat ein Recht, zum richtigen Zeitpunkt zu sterben, und was hilft es mir, wenn es nach hinten hinaus teuer verlängert wird: Jetzt müsste man das noch haben, oder eben 30 oder 15 Jahre vorher. All die teuren Damenkleider, sie enden schon heute nicht an der Jugend, sondern an mit schlimmen Methoden dürr gehaltenen Frauen, denen das Leben nur noch wenig verspricht. Bei den Männern entzerrt sich das ein wenig, aber es wird letztlich nicht anders sein. Generation der Erben, pah, wenn ich das schon höre, allein die Generation der Frühüberschriebenen, die kann etwas davon haben. Wer erbt, braucht es doch heute schon gar nicht mehr, und das wird dann auch nicht anders sein. Das Leben ist dann weitgehend vorbei.







Aber wenigstens, all das Unkomfortabe, Ziehende und Schmerzende mit eingerechnet und vorangedacht: Es geht schon noch was, das Rad kämpft und fliegt mit Rückenwind nach Hause, den Himmel und die Landschaft wird einem keiner nehmen, und wir haben hier so viel überlebt - wir werden auch das überstehen, egal was kommt. Nett wäre es, wenn die Kriminellen des Libor bis in 15 Jahren noch im Gefängnis wären, wo sie gut aufgeräumt sind. Dann wäre das alles gleich etwas schöner und gerechter. Ich finde, man kann Kronzeugen wirklich netter behandeln, man muss sie ja nicht in Öl kochen, lebenslang reicht wie bei anderer organisierter Kriminalität auch. Das gehört zum Altern dazu, das Rufen nach mehr Gesetzen, aber vielleicht ist es ja auch richtig so, wie vieles andere.

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