Perser in der Provinz

Niemand liest hier die AD oder die Elle Decoration, die den handgeknüpften Teppich schon vor Jahren ausrangiert haben. Trotzdem sind Perserteppiche etwas aus der Mode gekommen. Gerade die jungen Leute, die in München gescheitert sind und jetzt zurückkommen, wollen lieber Parkett, oder Laminat. Weil es einfacher zum Reinigen ist, nicht wegen der Kinderarbeit. Und ausserden, für 4 Quadratmeter Perser bekommt man schon 15 Quadratmeter Parkett, so richtig schön helles, wie Ikeamöbel.

Ältere Leute hingegen, für die der Perser noch eine Selbstverständlichkeit ist, wie das schwarzglänzende Klavier, der Viertwagen für die Tochter und eine Sammlung schöner Stiche aus dem Rom des 18. Jahrhunderts über den Biedermeierkommoden, haben berits ihre Teppiche. Seit vielen Jahrzehnten. Nachdem sie damals nicht die billigen, sondern die vergleichsweise günstigen nahmen, die in etwa so teuer wie ein Kleinwagen kleiner Leute waren, brauchen sie bislang keinen Ersatz.

Die Katzen, die Kinder haben sie zu schätzen gerlernt; als unerschöpflicher, guter Kratzbaum oder als herrlich verruchten Ort, um Nachbars Nichte auf Sommerfrische flachzulegen, die inzwischen aber auch schon Kinder hat. Der Teppich besteht, und wenn die Tochter dann in ihre 110 Quadratmeter Altbau über der Isar zieht, dann wird das teure Fischgrätparkett mit diesen alten Teppichen zugedeckt, denn Luxus kauft man sich nicht, man überdeckt ihn mit den Spolien der eigenen Familiengeschichte. Wenn man zu dergestalt normalen, oder wie man in der Provinz sagt, anständigen Leuten gehört.

Natürlich verpflichtet das dazu, selbst ein Gefühl für diese Form des subtilen, mit Füssen getretenen Reichtums zu entwickeln. Wenn ich also in der Provinz bin, gehe ich oft am ersten Haus am Platz vorbei und begutachte das Angebot.



Diesmal steht dort ein Eheppar, vielleicht 10 Jahre älter als ich, mit einem dieser typischen Post-68-Torschlusspanik-Einzelkinder. Es sind, das erkenne ich sofort, auch anständige Leute. Sie betrachten das Angebot.

Ihr Sohn zeigt aufgeregt auf einen sehr feinen, kleinen Seidentäbriz im Schaufenster. Den will er haben. Und den Medaillonteppich da hinten an der Wand. Ein wirklich guter Sarough, denn hier gibt es nichts Schlechtes. Das Ehepaar sieht den Jungen an, und ich weiss, dass sie morgen mit dem wahrscheinlich schwarzen RS4 Kombi der Mutter vorfahren werden, und das kaufen, was der Knabe will. Das sind die Reste der antiautoritären Erziehung nach dem Marsch durch die Institutionen. Er hat Geschmack, das muss man ihm lassen. Er wird sicher auch mal ein anständiger Mensch.

Meine Eltern haben mich damals übrigens auch mitentscheiden lassen. Ich kann sagen, dass meine Wahl gut war.

Und bald, da bin ich mir sicher, wird AD wieder das Zeitalter der Teppiche ausrufen. Und die Laminatdeppen werden sich dann billige marrokanische Imitationen der Stücke kaufen, die anständige Leute schon immer hatten.

Sonntag, 6. Juni 2004, 16:17, von donalphons | |comment

 
Schön beobachtet. Die Wirtschaftswoche hat schon am 20.5. eine Marktanalyse des Orientteppichmarketes veröffentlicht. Zitat "Zudem entdecken junge Verbraucher, dass sich der klassische Orientteppich sehr wohl mit Designermöbeln verträgt. "

Wohl dem, der ein schönes Stück erben kann.

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Erben
.. und wer so etwas nicht erbt: Es soll Leute geben, die Iraner in ihrem Bekanntenkreis haben. Das vereinfacht die Sache ungemein. Ich gehöre dazu.

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Eugentlich ganz einfach: Wenn alle es nicht mehr haben wollen, ist die Zeit zum Einstig da.

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*shiver*
trotz allen Lobes: Ich find' die Dinger ratzig.
Ausserdem: Als ich mir vor nun knapp fünf Jahren den ersten (und bisher einzigen) Teppich gekauft habe (einen knallroten Berber - ja, ich finde die gut!) überkam mich dieses Gefühl, dass man hat wenn man sich dabei ertappt, eine der schlechten Gewohnheiten seiner Eltern nachzuahmen. Das muss nicht sein. Deshalb bleibt der Berber auch das einzige Stück, dass die Valverde-Fliesen in der Provinz überdeckt...

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Es ging mir nicht um eine Werbung für teppiche an sich, sondern um die Darstellung der langfristigen Beharrung des Teils der Gesellschaft, der Vermögen besitzt und weit abgeschieden von den Strömungen lebt, die unsereins mit der "realität" verwechseln.

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Diesem Teil der Gesellschaft fühlt sich ja auch die Witschaftswoche verpflichtet. Aber es gibt viele Realitäten in unserer Gesellschaft. Ich bin hier auf einem echten Dorf mit Schützenverein, Feuerwehr, Landwirten und ohne Parkplatzsuche. Das ist von den Strömungen und sozialen Verwerfungen der Grossstädte auch recht weit entfernt.

Viel interessanter ist doch die Frage, wie man einem weiteren auseinanderdriften der "Strömungen" entgegenwirkt. Aber solange sich die selbsternannte "Elite" selbst feiert wird die langfristige Beharrung auf Werte und Normen, die mit der sozialen Realität nichts mehr zu tun haben, noch lange dauern.

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Eliten
Das erinnert mich daran, dass mich mal jemand fragte, wo denn Londons Eliten wohnten. Als ich erwiderte: "Rund um den Canary Wharf Tower und in den Docklands", machte der eine wegwischende Handbewegung und sagte : "Yuppies! Ich fragte nach Eliten", und er meinte die Art von Leuten, die in Kensington-Villen wohnen, wenn sie nicht ein Schloss auf dem Lande haben. Nun gibt es diese Art von versnobbter Upper CLass in Deutschland in dieser Form nicht, aber die Relationen sind doch zumindest strukturell ähnlich. Wobei, ich weiß natürlich nicht, wie das in Dons Bekanntenkreis aussieht, ich bislang die ERfahrung gemacht habe, dass New Eco Highflyer entweder einen kultivierten Bad Taste haben oder einen ganz bürgerlichen, einige Exemplare, die ich kennenlernen konnte, entstammen auch der ganz konventionellen OE-Geldelite und sind dahin zurückgekehrt.

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Die NE´s sind oft die Zöglinge kleiner besserer Clans in kleinen Orten - ich kann das schlecht bestreiten. Man kann die NE sicher nicht als Rebellion, aber als versuch des Toppens der elterlichen Vorstellungen betrachten. Alex Falk ist da sicher das ideale Beispiel.

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Sehr erhellend
Danke dafür. Mir macht das schlaglichtartig klar, warum unser NE-Unternehmen anders war und wieso dessen Scheitern keinem der Beteiligten geschadet hat. Und wieso Falk aber wirklich der ganz ganz dumme war. Wie Du selbst sagtest: Lieber eine lebendige Ratte.....

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als ein totes Schaf.

Überhaupt, Schafe, bäh. Too much.

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