Real Life 5.6.2008: Eine Frage des Respekts

Vom Himmel fällt Wasser, als wäre es die amerikanische Notenbank, die einen Geldregen auf die Kriminellen an der Wallstreet niedergehen lässt. Der erste 1000er ist keine zwei Kilometer entfernt, aber du siehst ihn nicht, die Wolken schaffen es nicht mal knapp über Seehöhe, und schon auf der ersten Anhöhe über dem See schüttet es schon seit Stunden. Das Wetter ist schlecht; würde man im Hotel wohnen, hätte man sich längst in den sonnigen Norden verabschiedet. Aber da ist ein gutes Buch - die Liebestaten des Vicomte de Nantel von Crebillon d. J., in Form eines Privatdrucks des Kala Verlag Krohn KG, erschienen 1964, nummeriert 604, mit Bütten und Halbleder einer der letzten Höhepunkte der libertinen Privateditionen zur Subskription, bevor Porno mit den 68ern normal, holländisch und vulgär wurde. Da ist eine gute Tasse Tee, ein bayerischer Hefezopf mit Weinberln, dazu italienische Pfirsichmarmelade und hin und wieder der entzückende Anblick von in Plastik gehüllten Menschen, die draussen mit hohen Verlusten versuchen, dem Wetter etwas abzugewinnen. "Crebillon in den Bergen" wäre ein schöner Titel für einen leichten Sommerroman. Irgendwo wird mal wieder gerated, in München zittert die Staatskanzlei vor neuen Löchern bei der Landesbank, und Akten gehen auf Reisen in die Keller von Sekretärinnen, man weiss nie, was kommt, also gilt es, den Augenblick zu geniessen -



der justament durch Geklingel gestört wird. Du gehst zur Tür, draussen ist eine ältere Dame, die sich als Frau Dr. T. vorstellt und dir mitteilt, welche Wohnung, genauer Sommerwohnung in diesem Komplex die ihre ist. Hier geht es noch zu wie früher, man lässt niemanden draussen stehen, also bittest du sie herein und zeigst ihr die Wohnung, von der sie dank der Tratscherei im Ort ohnehin schon alles wissen dürfte, angefangen vom Muster der Teppiche bis zu dem Teil deiner Lebensgeschichte, den du für zumutbar hältst. Frau Dr. T. jedoch ist vorsichtig, sehr, sehr vorsichtig, lehnt auch Tee und Kuchen ab, und setzt dann behutsam an.

Es sei nämlich so, dass sie jetzt ein paar Wochen hier sind, und sie hofft, es würde dich nicht allzusehr stören, ihre Kinder kämen auch ab und an vorbei, und dann könnte es, nun ja, die Tochter hat einen Hund, also, der könnte bellen. Das täte ihr sehr leid.

Das ist jetzt schon die dritte Hausbewohnerin, die bei dir in Frage von bellenden Hunden vorspricht. Die anderen beiden fraglichen Exemplare, Dackel Moritz und der ältliche Hund der Familie, die meistens ohnehin in Ibiza ist, waren alles andere als laut. Also erzählst du von Hermes, dem aufgerichtet 2,10 Meter grossen Golden-Retriever-Bernhardiner-Mischling, den du bestens kennst und den du trotz seiner Neigung, lautstark Harleys zu jagen, für absolut tolerabel und zumutbar hältst, Hunde seine gar kein Problem und Sabinchen, die Hunde verhaut, kommt eh nicht mit, also alles kein Problem.

Wir werden auch sonst versuchen, Lärm zu vermeiden, betont Frau Dr. T., und langsam wirst du etwas unsicher, ob das nicht eine Anspielung auf eigenes Verhalten ist - vielleicht Nachts geduscht? Crebillons Vorschläge lautstark praktisch umgesetzt? Der Auspuff hat ein Loch? Dir fällt absolut nichts ein, kaum klingt das Klappern der Thinkpad-Tastatur durch das Schlafzimmer, und Bütten blättert sich sehr leise. Du, das ist sicher, warst es nicht. Und um der Situation die Gezwungenheit zu nehmen, berichtest du leutseelig von daheim und dem Krach, den die Elitessen bei ihren Grillversuchen im Hof machen, und dass du überhaupt keinen Anlass siehst, in dieser nun wirklich ruhigen, dezenten Anlage irgendetwas zu bemängeln. Im Gegenteil, du hoffst, dass die Umbauarbeiten nicht zu laut waren.

Und - also - was hat ihnen eigentlich der Vorbesitzer gesagt, fragt Frau Dr. T. verlgen, und langsam wunderst du dich, ob es da nicht noch irgendeinen Knaller hinter der Fassade gibt, ein privater Folterkeller vielleicht oder sonst einen Haken, der keine Erwähnung fand beim zügig durchgeführten Notverkauf im März.

Nichts, alles in Ordnung, und du lässt die ganze Geschichte des abrupten Besitzerwechsels Revue passieren, soweit der Verkäufer dabei mit seinen Spekulationen im Nebel des grauen Kapitalmarkts, die ihn am Ende zum Verkauf brachten, nicht zu schlecht wegkommt.

Ahhh, sagt Frau Dr. T., plötzlich gar nicht mehr so dezent und zurückhaltend, aha! Sie sind also nicht mit ihm verwandt oder befreundet? Und er hat ihnen nichts erzählt?

Nun aber erzählt sie. Seit dem Tod seiner Tante habe die Hausgemeinschaft unter diesem Mann gelitten, ein Scheusal sei das gewesen, wegen jedem Bellen hätte er die Polizei geholt, wenn er mal da war, Prozesse hätte er geführt wegen kleinster Vorteile, eine Delle in einem Ferrari hätte zu übelsten Verdächtigungen geführt, wo er war, sei Krieg gewesen, man habe sich gefürchtet und sei Wandern gegangen, wenn er kam, sein Sohn wäre genauso gewesen, und nach dem, was im Hause gemunkelt wurde, hätte er die Wohnung an einen Geschäftspartner der gleichen Sorte weiterverkauft, der mit ähnlichen Praktiken die Sonne über dem schönen Leben am See auch so verdunkeln würde.

Äh - nein, sagst du, die Quelle des Respekts erkennend und gleichzeitig negierend, die in den letzten Wochen diese Sturzbäche von Respekt und vorsichtigen Fragen über dich hat hereinstürzen lassen. Du redest noch etwas über erfolgreiches Konfliktmanagement im heimischen Stadtpalast, Konditoreien und den Umstand, dass du hier keinesfalls als knallharten Haifischtransporteur, sondern eher als Schriftsteller gesehen werden möchtest, und fängst dir damit auch gleich das Angebot ein, dich in Tegernsee bei der Gestaltung einiger literarischer Veranstaltungen einzubringen, sie kennt da nämlich Frau Prof. Dr. F., die macht das und ist sicher begeistert, wenn die junge deutsche Literatur hier auch etwas repräsentiert ist, neben Heimatdichtern und Dorfchronisten. Ob du denn auch sowas mit dieser Imail machst?

Mit dem Verprechen, das allseits verhasste Namensschild (mit Wappen) des Vorbesitzers an der Tür zu entfernen, um das es übrigens auch einen Rechtsstreit gab, verabschiedest du Frau Dr. T. und hoffst, dass der vergangene Krieg keinen auf die Idee bringt, Ungleiches nun mit Gleichem zu verbinden. Die Tage des Respekts jedenfalls sind jetzt vorbei.

Donnerstag, 5. Juni 2008, 15:41, von donalphons | |comment

 
Da dachte man bei der Lektüre der ersten Absätze, in feinen Kreisen herrsche noch Anstand (ich meine das respektvolle Verhalten der Nachbarn, nicht die Umtriebe des Vormieters). Aber nein - alle Illusionen zerstört.

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Vorbesitzer, gemietet wird hier eher selten. Die Frage ist, ob das nicht auch ohne die vorhergehenden Debakel so gewesen ist. Nach aktuellem Kenntnisstand war wohl der Verkäufer sowas wie die Wurzel des Übels - was mich nicht sonderlich überrascht, wenn man ihn als Person mit denen vergleicht, die hier sonst wohnen (Selbstständiger und gleichzeitig Firmeneigner im Logistikbereich vs. Akademiker, Künstler, upper middleclass, eine Erbenfamilie)

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Ich weiß nicht,
ob Respekt das richtige Wort ist in diesem Zusammenhang. Vielleicht nur, wenn man es in dem Sinne verwendet, wie es irgendwelche "ey, Alder hassu kein Respekt?"-Lümmel verstehen.

Aber auf nachbarschaftlichen Respekt, der mehr oder weniger nur auf der Furcht gründet, ich könnte genauso ein A****loch und Prozesshansel sein wie der Vormieter oder Vorbesitzer, könnte ich jedenfalls auch gerne verzichten.

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Also ehrlicherweise gefällt mir der Gedanke so schlecht nicht, einen üblen Ruf zu haben und so in den Genuss nachbarschaftlichen Verhaltens zu kommen, welches ich sonst nur unter Aufbietung aller kulinarischen oder konversatorischen Kräfte genießen könnte.

Ey Alter, geh weida und gug nisch....

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Mir gefällt der Gedanke, dass man Leute nur durch ar...iges Verhalten dazu bringen kann, einen rücksichtsvoll zu behandeln, dagegen gar nicht. Vor allem, weil all diese Nachbarn vermutlich felsenfest davon überzeugt sind, dass sie in punkto Charakter und Höflichkeit der Unterschicht weit überlegen sind.

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Schwierig. Gerade hier hängt Respekt vermutlich mit einer ganzen Menge von gemeinschaftlich zelebrierten Codices ab, und ich bin froh, die von früher Jugend an zu kennen, sonst wäre das hier kein Spass. Das fängt mit der Begrünung an, geht über die Einrichtung und endet wohl bei der richtigen Einkommensklasse. Alles sollte hoch, aber nicht zu hoch sein. Das ist der Preis, den man zahlt, dass Neureiche, Internetunternehmer und zwielichtige Pleitiers hier keine Chance hätten, auch nur die Hausbesitzerzustimmung zu bekommen. Es ist hier in jedem Fall besser, Journalist für Auslandsmedien und Literat zu sein, denn allzu viel den Tratsch der Munich Area breitzutreten. Ob ich überhaupt will, ist nochmal eine andere Frage, aber ich denke, es ist nicht wirklich schwer, 50% ist sowieso Abstammung, Benehmen und solides Elternhaus.

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Ich finde das irgendwie doch ziemlich beängstigend. Da kann man einen Karton drüber stülpen und Big Brother drauf schreiben.

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Im Vergleich zu den anonymen feigen Arschkrampen und Ausspähern, die den Niggemeier anflennen, doch was über mich zu schreiben, weil ich gemeine Sachen schreibe, finde ich das hier immer noch ausserordentlich entspannend und frei von widerlichen Gestalten, Mauschlern und anderen Typen, die für 10 Euro TKP zu haben sind. Ich habe keine Angst vor der Realität, ich kann damit schon umgehen. Im Vergleich zum Abschaum der Netze ist die Realität so gut wie frei von jeder Kontrolle. Hier kann ich die Läden schliessen und die Tür zumachen, fertig. Das hier ist amüsant, mehr nicht.

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jetzt könnten nur noch die literarischen veranstaltungen der frau professor dr. f. ein bisschen lästig werden. oha. integration hat ihren preis.

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Ach, ich lasse das ganz langsam angehen. Das hier ist ja gezielt als langfristige Option gekauft und eingerichtet worden, ich werde mich also benehmen und bin obendrein der Auffassung, dass die schon was vertragen. Vielleicht sollte man berücksichtigen, dass auch Professoren an der Grenze zur Emeritierung in den 68ern studiert haben und gar nicht mehr so arg reaktionär sein müssen. Nicht mal hier.

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jo. und so schlimm wie berliner bloglesungen kann's eh nicht werden!

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Die progressives Professoren verbringen ihren Ruhestand am Tegernsee? Kann ich mir nicht so recht vorstellen.

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Was ist denn das fuer ein Altersheim wo man ein Wappen an die Tuer propfen darf? Das geht ja gar nicht - da ist so ein Rechtsstreit ganz angemessen.

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Die Zeiten, wo die hiesigen Akademiker noch Morell hiessen und Hitlers Leibarzt waren, sind biologisch bedingt inzwischen glücklicherweise vorbei, und das Käuferklientel hat sich ganz schön gewandelt. Die Region bietet sich jedem an, der in der Nähe etwas kaufen will, ohne italienische oder österreichische Scherereien.

Wie schon mal erwähnt - das ist eine Siedlung, in der Wappen eher gehen als dritklassige Berliner Werber, manches ist möglich, anderes nicht.

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Gegen Wappen im Altersheim ist erstmal grundsaetzlich natuerlich nichts einzuwenden - allerdings gehoeren sie eher in die Bettpfannen und Urinflaschen - das schliesst auch unangenehme Verwechslungen aus.

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Ein Weltbild, so weit wie der Abstand zwischen Hintern und Br - aber lassen wir das.

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... Du bist halt einfach noch zu neu im Altersheim, ich kenne das noch aus dem Zivildienst da hat es euch immer etwas gedauert bis sich neue Insassen Bewohner aklimatisiert haben. Das wird aber.

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Mir fallen da spontan auch ein paar alte Geschichten aus dem Knast ein...

Oder der Entlaufene aus der Klapse, der nachts durchs Göttinger Klinikum gegeistert ist...

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Ich denke, Franz, Du hast absolut keine Ahnung von dem, was "Alter" im Moment jenseits vom Altersheim bedeuten kann. Jedenfalls mehr als schimmliges Fleisch von billigen Tellern und runtergeschlunzten Yello-Möbeln runterknabbern. Da ist eine Phase zwischen Pensionierung und Tod, die viele anders anzufüllen wissen, als man in den schlechteren Regionen beim schlechteren Frass so denken mag. Man sieht hier mehr Ferraris als Rollatoren.

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.... wenn man mit Mitte vierzig ins Altersheim uebersiedelt - darf man sich gerne noch fuer Ferraris interessieren, (btw. was ist eigentlich der Ferrari unter den Rollatoren - bin da ein wenig raus aus dem Thema).

Ich persoenlich interessiere mich nicht fuer Autos ... ausser denen die letzte Woche beim spielen am Strand mit meinen Kindern verloren gegangen sind ... nie bin ich weiter vom Altersheim entfernt als wenn ich mit den Kleinen im Sand sitze und spiele - nie!

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Du kannst nicht auf dem Land leben, ohne in dem Land zu leben. Während du noch an den Rosen schnupperst und ihren Dornen ausweichst, bricht der Wegerich den Stein.

Er tut dies leise und unauffällig aber bestimmt.

Du wirst Fremder bleiben im Land des Wegerichs, aber du störst ihn nicht. Er hat eine Aufgabe.

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Das hier sieht zwar aus wie "Land", aber es ist kein Land. Land ist gegenüber bei den Kühen. Das hier ist eine Ansammlung von Leuten, die einen Landeplatz an den Alpen suchen und bezahlen, die ansonsten aber irgendwo anders sind, sei es ein Zuhause haben oder überall rumgondeln. Das hier sind Leute, die tun, weil sie können. Zitat gerade eben "bei der Besitzerversammlung kommen viele mit Anwalt". Das ist nicht Land. Das ist extraterritoriales Gelände.

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Ein Ort für patiellsessile Nomaden?

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Na ja, die deutschen Kaiser zum Bleistift waren ja auch Nomaden, die von Pfalz zu Pfalz zogen. Vielleicht nomadisieren ja bestimmte Kreise vom Tegernsee nach Baden-Baden und in die Steigenberger-Hotels gewisser Großstädte?

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