Wann es endet

Meine Zeit in der New Economy war nicht halb so witzig, wie ich darüber geschrieben habe. Eigentlich war sie absolut nicht witzig, jeder Spass, den man hatte, produzierte auf der anderen Seite viel Leid und Ärger, und ich bin froh, den ganzen Komplex ohne Tablettenproblem, Drogen, Schulden, psychische Defekte und den Verlust des persönlichen Umfelds durchgestanden zu haben. Man musste aufhören, sich als Sanitäter zu sehen. Wir waren diejenigen, die den Leichen nacht der Pest die Goldzähne rausgebrochen haben. Manchmal waren sie auch noch gar nicht tot. Das war dann mitunter weniger schön. Als ein Tag mal wieder besonders beschissen war - Februar 2001 - sagte einer zu mir, ich solle das alles nicht so tragisch nehmen, was ich hier lernen würde, würde mir später bei den neuen Krisen helfen, ihre Mechanismen zu verstehen. Krise ist, wenn die Sekretärin mit Heulkrämpfen als Beschäftigungstherapie eine Aufstellung der Büroklammern macht. Krise ist, etwas zu schreiben und damit, ohne es zu wissen, real eine Freundin zu feuern. Krise ist extrem uncool. Und ich bin froh, dass die Krise, mit der ich aktuell zu tun habe, nicht die grosse Weltwirtschaftskrise von 2008 ist.

Trotzdem stellt sich für mich, wie für alle anderen auch die Frage der Abkopplung von der Krise. Manche glauben, dass es nicht möglich ist, weil die globale Wirtschaft zu stark verwoben ist. Schaut man sich den Kurs des an sich soliden Versicherungskonzerns Allianz an, oder was heute der Swiss Re zugestossen ist, oder die Entlassungen bei BMW, könnte man meinen, dass es tatsächlich überall schlimm wird. Aber, so meine ich doch, nicht überall gleich schlimm. Denn so eine Krise ist wie ein Erdrutsch.



Eine Krise, die durch eine Blase ausgelöst wird, ist wie ein Berghang nach einem heftigen Unwetter über einem Fluss. Der Fluss unterspült den Hang, und damit beginnt für den Berg ein ungleicher Kampf gegen die Schwerkraft. Obendrein ist das Erdreich voller Wasser und damit sehr viel schwerer. Es gibt natürlich auch Haltekräfte - die Wurzeln der Bäume etwa, die in der Lage sind, die oberen Schichten zu halten. Von oben sieht so ein unterspülter Hang wie ein ganz normaler Wald aus, grün, saftig, lebendig - bis er zusammenstürzt.

Das ist schlecht für den Hang - in unserem Fall die USA. Nicht nur, dass er stürzt, sein Material wird auch noch auf Nimmerwiedersehen abgespült. Noch schlimmer aber ist es für diejenigen, die sich darunter befanden. China zum Beispiel. Denn der unterspülte Hang der Kredite war genau das Naturwunder, das alle asiatischen Firmen anzog. Alles, was davon abhängig ist und keine Alternativen hat, kann man getrost falten. Genauso, wie in der New Economy irgendwann bei den am fallenden Nemax gelisteten Firmen kein Geld mehr da war, um konkurrierende Startups aufzukaufen, gibt es jetzt kein Geld, keine Kredite mehr für Zeug aus Asien.

Und natürlich bricht so ein Hang auch nicht exakt an der unterspülten Stelle senkrecht ab. Er rutscht weg und nimmt vieles mit, was nicht über, sondern auch neben ihm iist. Aktuell: Die amerikanische Autoindustrie, die Sparkassen, das Bruttoinlandsprodukt und alle Länder und Wirtschaftsräume, die ähnlich gepfuscht haben. Nicht sofort, denn weil alles verwurzelt ist, kann sich vieles erst mal an der Abbruchkante halten. Aber die Wurzeln hängen in der Luft, und der nächste schwere Regenschauer kann darunter die nächste Lawine auslösen. Unten liegen schon Indymac und Bear Stearns, an der kante sehen wir aktuell schräg oder kippend: Lehman Brothers, Washington Mutual, Freddie Mac, Fannie Mae. Noch nicht klinisch tot, aber offensichtlich am Ende.

Die spannende Frage ist nun, wie es oberhalb der Bruchkante ausschaut. Kommt weiter oben noch mehr Last vom Berg runter, ist hier bislang nur die Hangflanke weggebrochen, die den Berg weiter oben gestützt hat? Wenn ja, schaut es schlecht für weiter oben stehende Bäume aus. Dann wird der Hang weiter bröckeln, und - nicht sofort, aber mit unangenehm grosser Wahrscheinlichkeit - runterkommen. Was die amerikanische Administration gerade tut, ist nichts anderes, als zu behaupten, der Berg sei innen sehr viel stabiler als der abgerutschte Hang, und das Konzept Berg sei ansonsten erdrutschsicher. Wir weiter oben könnten ruhig weiterwandern, alles in Butter.

Das ist natürlich Unsinn. Kein Mensch weiss, wie lange der Grund sandig ist, wann die Felsformationen kommen und ob sie halten. Allerdings liegt es auch in der Natur von Felsrutschen, dass sie irgendwann so viel Material abgetragen haben und in sich verkeilt sind, dass sie nicht weiter rutschen. Irgendwann kommt dann auch Vegetation, und das System fängt sich wieder. Stellt sich also für uns die Frage, wo wir uns auf diesem Hang zu postieren, um nicht mit abzurutschen. Das ist nicht einfach, denn aktuell geht das Unterspülen munter weiter, während die Amerikaner die Auffassung vertreten, man könnte das alles stoppen, indem man diejenigen Holzhändler einknastet, die mit den zerborstenen Baumstämmen Geschäfte machen.

Solange da unten in Idiot´s Valleyalso Verschwörungstheorien herrschen und an der Ursache der Unterspülung eines losen Hangs nur gearbeitet wird, in dem man sandige Kapitalspritzen in das reissende Wasser wirft, ist es dort am sichersten, wo der Hang möglichst flach und weit entfernt vom Fluss ist. Das garantiert nicht, dass es dort auch zu Abrutschen kommt, weil die fallenden Bäume andere nachziehen, und somit neue Ansatzpunkte für Zerstörung entstehen, aber Deutschland ist meines Erachtens so ein Bereich, in dem relativ wenig passieren kann und wird. Hohe Sparquote, relativ gute Kontrolle der Banken, stabiler Binnenmarkt. Und die Regionen, in denen dieses Land fest gefügt ist und ein stabiles Fundament hat, werden zwar den Regen der Inflation abbekommen, aber nicht viel mehr. Man sollte sich aber diesmal keine Illusionen machen: Die USA müssen jetzt abrutschen, damit der Rest des Berges stehen bleiben kann. Oder noch brutaler gesagt: Der Bergrutsch wird global ausgetragen, es ist an der Zeit dafür, und desto mehr die Schulden der USA sie selber treffen, desto besser ist es für den Rest.

Und ich hole jetzt wieder meine alte Zange für das Rausbrechen der Goldzähne. Manche sagen ja, dass der Erwerb von teuren Uhren in der Krise auch nichts bringt, weil man nicht davon abbeissen kann. Es gibt da jemanden in Kalifornien, der darüber nur lachen kann, wie ich auch. Einen Chronometer von Bucherer aus den 6oer Jahren für 74 Spielgeld-Dollar mit Versand wollte ich schon immer mal haben. Und wenn sich sie 100 mal aufgezogen haben werde, sitze ich immer noch in dem Land, das bei der Geschichte nicht gut, aber am besten gefahren ist. Mit gierigen Firmen, die dann alles tun werden, um im nächsten Boom den Abstand zur Dritten Welt inclusive USA (Uganda´S America) möglichst gross werden zu lassen.

Denn es ist so in der Krise: Entweder wir gehen alle drauf - oder die einen gehen drauf, und die anderen haben bessere Chancen. Kein Spass, nicht witzig, aber gelernt ist gelernt. Wer einmal in der Hölle war, kennt den Gestank.

Mittwoch, 16. Juli 2008, 18:36, von donalphons | |comment

 
Über den volkswirtschaftlichen Nutzen von Leerverkäufen kann man sich durchaus streiten - vor allem dann, wenn, wie z.B. kürzlich in England, der Verdacht entsteht, dass der Leerverkäufer gleichzeitig noch Horror-Gerüchte über das betreffende Institut gestreut hat. Dieses Instrument ist halt gut zum Zocken geeignet. Sehr riskant ist es übrigens auch. Aber das heißt natürlich nicht, dass nicht vorher mit anderen Instrumenten auch schon reichlich gezockt wurde.

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Ich glaube, die letzte Krise, wo es noch keine Leerverkäufe gab, war die niederländische Tulpenkrise. Und die Probleme durch Leerverkäufe sind doch erst möglich, wenn die gleichen Sickos einen Markt vollkommen überreizt haben. Man kann in Pflichtmitteilungen fast unbegrenzt lügen und Bilanzen verschönern, das regt keinen auf, weil alle gewinnen. Aber wehe, es geht abwärts, dann ist man ein böser Spekulant. ich mag diese Heuchelei nicht.

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Das ist aber für mich noch lange kein Grund, Leerverkäufe als nützliche Instrumente zu verteidigen. Der Kauf einer Aktie hat noch einen volkswirtschaftlichen Sinn - man stellt einem Unternehmen Geld zur Verfügung in der Hoffnung, an späteren Gewinnen zu partizipieren. Die gleiche Aktie leer zu verkaufen, dient dagegen nur der Spekulation (man hofft, von der Dummheit anderer Anleger zu profitieren, die den Wert des Unternehmens - oder vielmehr die künftige Kursentwicklung - überschätzen). Es ist sicherlich oft so, dass die Profite der Leerverkäufer erst durch vorherige Übertreibungen möglich wurden. Das ändert aber nichts daran, dass Leerverkäufe wiederum den anschließenden Absturz noch schlimmer machen können, als eigentlich fundamental gerechtfertigt wäre. Darin sehe ich keine schützenswerte Institution.

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Ich weiss nicht, aber in meinen Augen ist der Sinn der Aktie allein die Spekulation, mit einem ordentlichen Schuss Betrug beim IPO. Ich drehe da die Hand nicht um, und der Anteil der Aktionären an der Bevölkerung zeigt doch auch, dass die Leute das nicht mehr wollen.

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"Der Kauf einer Aktie hat noch einen volkswirtschaftlichen Sinn - man stellt einem Unternehmen Geld zur Verfügung in der Hoffnung, an späteren Gewinnen zu partizipieren. Die gleiche Aktie leer zu verkaufen, dient dagegen nur der Spekulation (man hofft, von der Dummheit anderer Anleger zu profitieren, die den Wert des Unternehmens - oder vielmehr die künftige Kursentwicklung - überschätzen)."
Das ist in vielerlei Hinsicht nicht korrekt. Z.B. erhält ja ein Unternehmen nur bei Ausgabe der Aktien Cash, ab dann erhalten die Anteileigner das Geld.

Ich verstehe auch nicht, wie es Spekulation (böse!) ist von der Dummheit anderer Anleger zu profitieren, die den Wert des Unternehmens oder vielmehr die künftige Kursentwicklung überschätzen, es aber anscheinend völlig ok sein soll von der Dummheit anderer Anleger zu profitieren, die den Wert des Unternehmens oder vielmehr die künftige Kursentwicklung unterschätzen. Das ist doch beides völlig identisch.

Short selling einzuschränken oder gar zu verbieten sorgt nur dafür, das ein Preis länger hoch bleiben kann als er sollte. Nach oben stellt es keine Begrenzung dar. K.A. was daran jetzt besonders gut sein soll. Wer will schon behaupten zu wissen, was "fundamental gerechtfertigt" ist? Und wieso sollte man dann nicht auch gleich eine Grenze nach oben ziehen, oder einfach gleich ein politisch gesteuertes bid/ask für alles stellen?

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tja, nm, gut erkannt. frage: wenn ein aktienverkauf nach diesem muster also langfristig weder dem unternehmen, noch den anteilseignern nützt, welchen sinn hat er dann?

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Sagen wir mal so: Wenn man sich die irrwitzigen Finanzinstrumente anschaut, mit denen der Markt aufgeblasen wurde, ist so ein klein wenig short selling fast schon liebenswert vintage.

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In der Theorie besteht zwischen Kaufen und leer Verkaufen aber ein großer Unterschied. Die Idee hinter Aktien ist ja, dass sie entweder regelmäßig Dividenden ausschütten oder aber (aufgrund von reinvestierten Gewinnen) ihre Kurse steigen, weil das dahinter stehende Unternehmen Gewinne erwirtschaftet. Die Gewinne, die Aktionäre machen, sollten also genau diesen Hintergrund haben. Und es könnte ja sein, dass jemand einfach Aktien verkauft, weil er das Geld braucht o. Ä. - und ein anderer die Aktien kauft, weil er Geld übrig hat. Das wäre noch keine Spekulation.

Wie gesagt, das ist Theorie. Ich behaupte ja nicht, dass es in der Realität so ist!

Wenn aber jemand mit Leerverkäufen Gewinne macht, sind das auf jeden Fall reine Spekulationsgewinne. Denn man profitiert ja auf keinen Fall von einer gestiegenen Produktivität des dahinter stehenden Unternehmens, wenn man erfolgreich darauf wettet, dass sein Kurs fällt. Dewegen - so zumindest die Theorie - kann jemand langfristig nur mit Wetten auf steigende, nicht aber auf fallende Kurse Gewinne machen.

Und welche Nutzen sollte es für irgendwen außer für den Spekulanten selbst haben, wenn er mit solchen Maßnahmen den Kurs einer Aktie herunterprügelt? Wenn sie überbewertet ist, kauft sie halt keiner, fertig. Das geht auch ohne Leerverkäufe.

Das Problem an der ganzen Sache sind (okay, das klingt jetzt spitzfindig) nicht die Aktien, sondern die Börse. Die soll ja eigentlich dazu da sein, dass durch Angebot und Nachfrage der korrekte Marktpreis von Aktien, Anleihen etc. ermittelt wird. Um zu erkennen, dass das nicht funktioniert, braucht man nur einen Blick auf das Dax-Chart der vergangenen zehn Jahre zu werfen. So viele verschiedene "faire Werte" kann es wohl kaum geben. Das, was da stattfindet, ist in der Tat wohl Spekuliererei.

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"wenn ein aktienverkauf nach diesem muster also langfristig weder dem unternehmen, noch den anteilseignern nützt, welchen sinn hat er dann?"
Bin mir nicht sicher ob ich die Frage richtig verstehe, aber jeder Aktienkauf/-verkauf nach Ausgabe ist dem Unternhemen vereinfacht betrachtet recht egal. Anteilseignern nützt short selling wie beschrieben. Entweder long liegt richtig und gewinnt, oder short liegt richtig und gewinnt.
Als Beispiel, wenn Du eine Aktie besitzt, mir die zum leerverkaufen leihst, und der Kurs steigt, dann verdienst Du einmal wie sonst auch am Kursanstieg, erhälst zusätzlich aber noch die Leihgebühr. Sinkt der Kurs, dann verlierst Du wie sonst auch, erhälst aber trotzdem die Leihgebühr, verlierst also weniger. Das wäre nur das simpelste Beispiel, wie ein Anteileigner durch short selling verdienen kann, ohne selber davon Gebrauch zu machen. Es gibt natürlich noch unzählige weitere.

"Die Idee hinter Aktien ist ja, dass sie entweder regelmäßig Dividenden ausschütten oder aber (aufgrund von reinvestierten Gewinnen) ihre Kurse steigen, weil das dahinter stehende Unternehmen Gewinne erwirtschaftet. Die Gewinne, die Aktionäre machen, sollten also genau diesen Hintergrund haben."
Und wenn der Kurs jetzt steigt, obwohl das dahinter stehende Unternehmen keine Gewinne erwirtschaftet und ausschüttet/reinvestiert? ;)
Ansonsten kann ich Dir nur zustimmen, langfristig (seeeeehr langfristig) geht's immer nach oben. Warum also short sein verbieten? Sollen die dann halt ordentlich Geld verlieren.
Das short seller den Kurs einer Aktie "runterprügeln" können halte ich für ein Gerücht, Beispiele bitte?
Es wird ja vor allem in Deutschland der Unterschied zwischen Preis und Wert gepflegt. Mag sein, dass es nicht jeden Tag einen neuen fairen Wert gibt, aber mit Sicherheit einen neuen fairen Preis. Mehr sollte man auch nicht erwarten. Wer glaubt Preis<Wert kauft, wer glaubt Preis>Wert verkauft. Das ist ja irgendwie auch Sinn der Sache...
Man könnte mit Sicherheit für den ein oder anderen Eingriff argumentieren (berühmt z.B. Tobin tax), aber gerade jetzt ein Verbot des short selling zu fordern, halte ich für eine rechte Unverschämtheit. Nix für ungut.

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realismus vs. idealismus
lieber nm, das mag alles schön und richtig sein, mich stört an der aktiendealerei nur, dass die damit erzielten gewinne nicht zwingend an die betriebswirtschaftliche gesundheit eines unternehmens gekoppelt ist. ich sehe das also aus dem erzkonservativen blickwinkel, dass sich unternehmen aus ihrer ureigensten kerngeschäftstätigkeit heraus refinanzieren sollten. wenn sie geld brauchen, sollen sie einen kredit aufnehmen und der bank (deren kreditvergabe ebenfalls reguliert gehört) dabei beweisen, dass ausreichend bonität vorhanden ist. aber besser wäre es, den unternehmensgewinn für investitionen zu nutzen.

das ist das erste. das zweite ist, dass die unternehmen mittlerweile auf dem im grunde komplett derivativen aktienmarkt dermaßen unter konkurrenzdruck stehen, dass sie sich nur noch bedingt mit ihrem eigentlichen geschäft auseinandersetzen. dafür gibt es etliche beispiele, man braucht nur in die aktuelle tagespresse schauen. dass sich siemens wieder erholt hat, liegt an deren kerngeschäften und an ihrer funktionierenden kundenbindung (erstaunlich genug, aber anscheinend können sie trotz der ganzen ablenkung vom kerngeschäft immer noch mit qualität punkten, und kunden sind ja jeweils konservativ, d.h. sie halten an bewährtem fest). am aktienhandel liegt es jedenfalls nicht. falls aus deiner sicht doch: bitte beispiele! beispiele dafür, dass irgendein unternehmen, was es auch sei, nur aus dem aktienhandel heraus das fortbestehen seines kerngeschäftes sichern konnte.

wenn ein unternehmen, das keine gewinne ausschüttet, dennoch einen steigenden aktienkurs hat, ist das betriebswirtschaftlich gesehen gröbster unfug. kristallkugeln mögen eine hübsche sache sein, sofern man sie als briefbeschwerer benutzt, aber im geschäftsleben haben sie nichts zu suchen. es ist doch so: entweder man hat zufriedene kunden oder nicht. und dem kunden ist es kreuzegal, wie gerade der aktienkurs steht. er möchte nicht mehr als ein gutes produkt zu einem fairen preis. und für die meisten börsennotierten firmen sind nach wie vor die kunden das hauptgeschäft und nicht der aktienhandel.

das übrige, also solche geschäfte, die nicht mit gütern handeln, sondern mit spekulationsmodellen, ist von der anlage her reines glücksspiel. dazu zählen nach meiner anschauung auch die sogenannten modernen finanzierungsinstrumente, die einem seit geraumer zeit von den banken angeboten werden. und glücksspiele haben die eigenschaft, dass ein paar wenige dabei gewinnen und viele dabei verlieren. früher gingen spielsüchtige zu pferdewetten. heute sitzen sie (zumeist entgegen ihrer eigenen neigung) in den finanzierungsabteilungen von unternehmen, die einen großen kapitaldienst zu verwalten haben. immobilienkonzerne zum beispiel. da ich aktuell eine derartige arbeitsstelle auszufüllen versuche, weiß ich, wie komplett hirnrissig diese jeweiligen finanzierungsinstrumente nicht nur langfristig, sondern sogar mittelfristig sein können. da heißt es rin in die lehman-kartoffeln und raus aus denen. und zwar schneller, als man piep sagen kann. vielleicht sichert es gerade meinen job, aber großen sinn fürs _unternehmen_ macht es nicht!

aktienhandel und weiterveräußerung von krediten gehören beide verboten. beides ist glücksspiel. und glücksspiel gilt aus gutem grunde in vielen gesellschaften als unsittlich und ist daher nur auf illegalem wege machbar. und bevor jetzt die üblichen einwände kommen, sage ich vorauseilend: lotto, glücksspirale, "aktion mensch" usw. gehören ebenfalls zu diesem ekelpaket - weg damit!

ich sagte ja: der streit ist letztlich zwischen realismus und idealismus. realismus gibt's aber schon im idealfall überaus reichlich. wieso sollten wir ihn also noch zusätzlich fördern? nur weil ein paar elendsprofiteure sich ihre muffe damit vergolden können? ppfft!

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Sorry wenn ich da nur verkürzt drauf eingehe. Evtl. später mehr.

"wenn sie geld brauchen, sollen sie einen kredit aufnehmen und der bank (deren kreditvergabe ebenfalls reguliert gehört) dabei beweisen, dass ausreichend bonität vorhanden ist."
Viele Unternehmen, gerade Neugründungen, sind in vielen Branchen auf Eigenkapital angewiesen. Unser Gastgeber kann Dir da einiges zu erzählen (auch wenn er es ungern zugibt bestimmt auch positives).

"am aktienhandel liegt es jedenfalls nicht."
Ja wie gesagt, so bald das Unternehmen die Aktien einmal ausgegeben hat, ist (ziemlich vereinfacht) egal was danach geschieht. Ich denke, Du musst deutlicher zwischen erstmaliger Emission von Aktien zu Finanzierungszwecken und dem darauffolgenden Handel jedweder Art mit diesen Aktien unterscheiden.

"wenn ein unternehmen, das keine gewinne ausschüttet, dennoch einen steigenden aktienkurs hat, ist das betriebswirtschaftlich gesehen gröbster unfug."
Nicht grundsätzlich, wie Du selber sagst, Gewinne reinvestieren ist u.U. besser als auszuschütten (alleine steuerlich). Ich bezog mich auf Unternehmen, die explizit keine (steigenden) Gewinne haben und deren Kurs trotzdem steigt (Du auch?): short the shit out of them.

"dazu zählen nach meiner anschauung auch die sogenannten modernen finanzierungsinstrumente, die einem seit geraumer zeit von den banken angeboten werden."
Muss ja keiner kaufen. Banken wollen Geld verdienen, dass sollte jedem klar sein, insbesondere wenn er in der unglückliche Lage ist, die Finanzen eines Unternehmens steuern zu müssen. Da sieht man wiederum auch riesige Unterschiede zwischen Mittelstand und börsennotierten Unternehmen, da erstere i.d.R. nicht mit anderer Leute Geld hantieren und daher gerne mal was besser aufpassen. Versuche dem nächstbesten sauerländischen Wälzlagerfabrikaten doch einfach mal einen ladder swap o.ä. zu verkaufen...

Aktienhandel verbieten - Wer kauft Aktien, wenn er vorab weiss, da er sie nie wieder loswird? Ich denke nicht, dass Du Dir über die Konsequenzen im klaren bist (ich auch nicht, aber bin mir sicher, dass sie gross und negativ sind)
Kreditverbriefung verbieten - Finde ich so pauschal auch nicht gut. Gibt unzählige Möglichkeiten, wie dies positiv für alle Beteiligten sein kann, nicht nur theoretisch. Das Problem ist ja in erster Linie nicht die Verbriefung/Veräusserung (jaja Hudson Advisor/Deutschland etc. gibt's auch), sondern der schlechte Kredit an sich.

Idealismus ist imho grundsäztlich kein guter Ratgeber.

Das alles führt aber auch viel zu weit und ist ja nicht ansatzweise mehr Thema.

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ja, ich hab' auch was dagegen, dem thema hier zu viel der aufmerksamkeit zu widmen, da hast du schon recht. daher auch nur eine "kurze" replik:

eigenkapital lässt sich auch anders als über IPO bewerkstelligen, und es ist sehr viel solider, wenn man mit seinem kram klein anfängt und dann aus einem erfolgreichen modell die gewinne reinvestiert. insofern ja, der kleine sauerländische mittelstandsbetrieb könnte da ein sehr gutes vorbild sein. (allerdings wird nach meiner erfahrung gerade dort ziemlich oft unsauber an der steuer vorbei gewirtschaftet, aber das ist ein thema der lokalpolitik - noch ein anderes thema!)

gewinne gehören anständig versteuert. ich muss als arbeitnehmerin meine einkünfte ja auch anständig versteuern. für ein unternehmen, dass sich in diesem punkt unsolidarisch verhält, würde ich auf dauer nicht gerne arbeiten wollen, und tue das bislang auch nicht.

"wer kauft aktien, wenn er vorab weiß, dass er sie nie wieder los wird?" ja eben! dass sehr viele es aus mangelndem wissen (und das hat eigentlich jeder aktienkäufer - wenn nicht, macht er insidergeschäfte) dennoch tun, ist zumindest mir komplett unverständlich.

idealismus mag kein guter ratgeber in wirtschaftlichen angelegenheiten sein, und so habe ich auch gar nicht argumentiert, sondern im gegenteil: ohne spekulation wirtschaften, das war die idee. aber wenn die aktuellen verhältnisse unbefriedigend sind, nehmen sich alle anders gearteteten denkansätze erst einmal wie idealismus aus. mir ist schon klar, dass ein verbot des aktienhandels absolut reinste utopie ist, jedenfalls today. das macht ihn aber derzeit nicht besser.

kreditverbriefung: nee. es liegt nicht nur an den faulen krediten. sondern aktuell ist es so, dass die banken mit den derivatgeschäften ihre miesen zinsgeschäfte zu kompensieren versuchen. das heißt, das derivatgeschäft hat sich verselbständigt, und eine der übelsten nebenwirkungen davon ist, dass niemand mehr überhaupt so recht weiß, wer bei wem in welcher höhe in der kreide steht. ich glaube, das ende vom lied wird sein, dass alles per dekret wieder auf den ursprünglichen kreditnehmer zurückgeführt werden muss. dann natürlich mit den dafür üblichen verlusten auf sämtlichen zwischenebenen. ich bin jedenfalls gespannt. und befürworte derweil den rückzug aus den derivatgeschäften. zumal sie bei uns zusätzlich auch noch eine art klumpenrisiko darstellen.

letztendlich: bei einem immobilienuntermehmen ist ausschlagebend die vermietung. wenn die nicht funktioniert, kann man einpacken oder verkaufen. derzeit kaufen wir hinzu, um langfristig die leerstandsquote zu verbessern, und dafür macht dann auch die finanzierung sinn. alles andere liefe komplett am kerngeschäft vorbei (wobei das auch verwandte dienstleistungen sein könnten, darüber wird augenblicklich nachgedacht, sie scheinen aber bislang eher defizitär.)

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