: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 16. Juli 2008

Wo wir wohnen

Gestern hatte ich einen Termin bei jemandem, der mit einem Bauvolumen von 300 Wohnungen bestimmt, wie wir wohnen - wenn er genug Geld zusammenbekommt. Wir, die eher nicht armen, durchaus im Leben stehenden und mobilen jungen Menschen einer Generation, die keine Nationen mehr kennt, sondern Companies und Flexibilität am Arbeitsplatz, die innerhalb von einer Woche nach Berlin gehen und bei einer anderen Entscheidung der Firma auch gerne mal nach Zürich, und natürlich noch irgendwo anders eine, oder auch zwei richtige Home Zones haben. Es ist nicht meine Aufgabe, Projektplanern gesellschaftliche Illusionen auszureden. Aber als Beispiel für dieses diffuse "Wir" herhalten zu müssen, das in den Verkaufsprospekten all der Media Cities - oder gar "Media City´s", leider konnte ich den Prospektentwurf nicht unauffällig ablichten - auftaucht, die Springer, die an vielen Orten zuhause sind und deshalb auch erklären, wo bittschön in den kriselnden Regionen des Nordens die vielen Käufer für die 3000+xEuro/m² Townhouses herkommen sollen - das war dann doch etwas viel.

Man muss sich diese Szene in etwa so vorstellen: Ein Raum voller Anwälte, Vertriebler, Bauheinis und Erbsenzähler, alle sind ihr ganzes Leben praktisch nicht länger als zwei Wochen südlich des Chiemsees gewesen, meint das Paradebeispiel für die Zielgruppe in ihrer Mitte zu haben, nur weil der Haifischfahrer genau dieses Leben mit 3, 4 Wohnungen anderthalb Jahre mitgemacht und gehasst hat. Die wissen nicht, wovon sie reden. Ich kenne keinen, der berufsbedingt mehr als zwei Wohnungen im Bundesgebiet hat und es nicht zutiefst hasst.



Eine der angenehmsten Bekannten in Berlin war eine junge Französin aus Strassburg, die ein ähnliches Schicksal hatte: Ein - letztlich unsicherer - Job bei einer Stiftung in Berlin, die meisten Freunde in Strassburg oder in Lyon, wo sie studiert hatte. Die konservative Stiftung, mit der ich ab und an zu tun hatte, sagte etwas gegen einen rotgrünen Minister, unvermutet lief die staatliche Projektförderung für die Stiftung aus, und das hochbegabte, mit besten Referenzen ausgestattete Mädchen hatte zwei Monate Gnadenfrist, die Dinge in Berlin geregelt zu bekommen und zu gehen. Wohnung auflösen, Transporte organisieren, Zwischenlösungen finden. Am Ende machte sie in der leeren Wohnung eine Party für ihre Berliner - eigentlich allesamt nichtberliner - Bekannten, und wir sangen mit den Kaiser Chiefs:

"Time on your side that will never render
The most beautiful thing you can ever spend
But you work in a shirt with your nametag on it
Drifting apart like a plate tectonic

Oh my God, I can´t believe it
I´ve never been this far away from home"

Ich kann mir vorstellen, dass es Leute gibt, die das Gefühl der Entwurzelung mögen. Das sind diejenigen, die den Ernstfall nicht kennen, und es für eine Art Internet in der Realität halten. Ein grosser Teil des Erfolgs des Netzes beruht auf einer zumindest zeitweisen, sebstgewählten Entwurzelung aus der Realität, aber das ist virtuell, es hat keine Konsequenzen. In der Realität ist die Gleichzeitigkeit diverser Wohnungen, möchten sie auch Bose Soundsystem haben und bar jedes Ortsbezuges sein, das Nomadentum als cool redefinieren und von einer globalen Elite schwärmen, für die Distanzen keine Rolle spielt, ein Alptraum: irgendetwas schimmelt nach zwei Wochen immer in unseren Kühlschränken, aus unseren Abflüssen riecht es komisch, unsere Briefkästen sind voller Werbemüll, es kotzt uns beim Ankommen an und beim Abfahren, weil die Akkus noch im Ladegerät auf unserem Schreibtisch stecken, und dazwischen tippen wir uns die Finger auf dem iPhone wund, um das soziale Leben vor Ort jenseits der Company, in der wir nicht fucken dürfen, wieder anzukurbeln, wo man nicht zwingend auf uns gewartet hat - es gibt ja auch noch andere, die man immer treffen kann. Wenn es klappt, erzählen wir irgendwelche Dinge von anderen Orten, die nicht halb so toll ankommen, wie wir glauben.

Nachdem sich das Einkaufen für einen normalen Küchenbetrieb nicht lohnt, gehen wir essen. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Weil es schnell gehen muss, fliegen wir auch mal, und dann sind wir plötzlich mit den ansonsten unbekannten Schrecken des Nahverkehrs konfrontiert. Wir nehmen das Taxi. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Wir haben zwar alles, aber in der anderen Wohung. Wir kaufen es halt nochmal. Das ist teuer, aber es geht nicht anders. Wir schaffen es, Marie ins Bett zu kriegen. Das ist dann auch etwas teuer geworden, aber es geht nicht anders. Wir nennen sie versehentlich Viola, und beim zweiten Mal geht sie. Das ist das einzige, was nicht teuer ist, aber dafür es geht auch nicht.



Vor allem aber: Es ist eine Illusion zu glauben, dass solche Leute sofort in einer unbekannten Stadt sofort eine Wohnung kaufen. Gerade in Zeiten wie heute, da unsere kreativen Jobs in wenigen Tagen auch vorbei sein könnten. Schliesslich sind wir immer auf Achse und selten in der Zentrale, wer weiss, wer uns dort gerade als umsetzbare Synergie ausmacht. So reich, dass wir mal schnell einen Fehlkauf tätigen und und dann ein Jahr mit einem Verkauf rumschlagen, bei dem wir dennoch 1000 Euro/m² verlieren - das ist teuer, aber es geht nicht anders - sind wir nur in Ausnahmefällen.

Es ist ein modernes Konzept, diese spezifische multi location habitat, das eigentlich nur Pendeln in Überlänge und Überkosten ist, genauso modern wie die Snacks und Kerosinzuschläge der Billigfluglinien, der Transrapid, japanischer U-Bahn-Porno und das schlechte Englisch zwangsglobalisierter Vorzimmerdamen in Wanne-Eikel. Es wendet sich an Besserverdienende, die mehr als 150.000 Euro verdienen müssen, um damit halbwegs elegant über die Runden zu kommen. Es wurde erfunden, um die Anschlusstingelei an die 4 Auslandspraktika, die heute jeder hat, als schön und gut zu erfinden, und die hohen Kosten mit der Prahlerei der drei Wohnsitze glattzustellen. Letzte Woche in Berlin sagte unsere französische Bekannte, treffen wir uns doch übermorgen am Tegernsee, oder doch gleich in der Munich Area, wir können uns auch am Flughafen abholen. Wo wir nicht wohnen, aber zu oft sind. Nach Meinung derer, die darin Trendsetting sehen, ein Geschäftsmodell, und kein Elend.

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Empfehlung heute -

Hach.

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Oh. Sollte Vanity Fair

doch noch die Kurve von der belanglosen Promiverwurstung zum anspruchsvollen Magazin für nicht dumme Menschen kriegen?

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