: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 7. Juli 2008

Benzin und Reise

Es gibt viele gute Gründe, die aktuellen Benzinpreise als unerfreulich zu erachten, angefangen bei der Unterstützung krimineller Machenschaften der beteiligten Wirtschaftszweige bishin zu den sozialen Ungerechtigkeiten, die daraus folgen. Andererseits finde ich es absolut nicht schlimm, wenn die Zeiten der Raserei auf der Autobahn zu Ende geht, Schlüsselindustrien gezwungen sind, ihre Geschäftsmodelle zu überarbeiten und andere transatlantische Regionen endlich mal einen Eindruck davon bekommen, wo sie mit ihren Verbrechern und Mördern an der Staatsspitze und deren Verschwendung hinkommen. Die Globalisierung stottert, Produktion kommt zurück zu Standortfaktoren, und man überlegt es sich gründlich, ob man das Licht brennen lässt. Kleine Läden mit grossen Fenstern haben ein paar kleine Vorteile gegenüber neonbestrahlten Shopping Malls. Sejtn a Schon, wo koa Nutzn dabei is, sagte meine Grossmutter immer, und sie hatte damit natürlich wie immer recht.



Dass sich die Zeiten ändern, erlebe ich gerade bei zwei mich ansprechenden Themenkomplexen. Der eine betrifft die Preisentwicklung von Immobilien in den Alpen. Mal abgesehen davon, dass ich für meine Wohnung nicht das bezahkt habe, was üblich ist: In den letzten Monaten ist das Angebot ausgetrocknet, bei gleichzeitig anziehender Nachfrage. Es macht den Anschein, als würde angesichts der kombinierten Kredit- und Energiekrise niemand Lust haben, seine Wohnung in inflationsgefährdetes Bargeld umzutauschen. Gleichzeitig wird nach Sicherheit gesucht, die ferne Gegenden wie Mallorca, die spanische Küste und andere südliche Regionen nicht mehr bieten. Sei es, dass man die Klimaerwärmung zu spüren bekommt wie der befreundeten Familie P., die in Tunesien war und es nur im Wasser oder unter der Klimaanlage ausgehalten hat. Oder wie Familie K. entdeckt, dass die Fluggesellschaften längst nicht mehr so viele Überkapazitäten in Richtung der Ferienwohnung am Mittelmeer anbieten, und der Spass inzwischen auch mit Billigflug richtig teuer wird.



Die Menschen tun das, was sie in Krisen immer tun: Sie fliehen zurück in Bereiche, die sie kennen;von denen sie wissen, dass sie ihnen und dem staatlichen System dahinter vertrauen können, wo das Wasser nicht rationiert wird und man nicht mit Aussicht auf eine Algenpest im Meer fast krepiert, wenn die Klimaanlage wegen Überlastung der Stomnetze ausgefallen ist. Bei uns ist das Deutschland, oder genauer, die besseren Regionen. Zumal es schneller und einfacher zu erreichen ist. Sollte Benzin noch teurer werden, bliebe bei kürzeren Strecken immer noch die Bahn als Alternative. Bei Anlegern aus Ländern wie Italien oder Russland steht wegen ähnlicher Überlegungen amüsanterweise die gleiche Region hoch im Kurs, zumal es sich in Oberbayern leichter kaufen lässt, als in der Schweiz oder in Österreich.



Wenn es hier also anzieht, geht es andernorts steil nach unten. Seit ungefähr zwei Jahren überlege ich den Kauf eines alten Autos, und in der engen Wahl ist ein britischer MG B oder Sprite. Seit zwei Jahren gucke ich wöchentlich, wie sich im Heimatland dieser Wägen die Preise entwickeln. Solche Autos sind für viele ein überflüssiger Luxus gewesen, den sie sich leisten konnten. Früher las man so gut wie nie etwas über den relativ niedrigen Verbrauch, der diese Fahrzeuge auszeichnete, oder das Problem der anziehenden Kreditzinsen. Heute sind die Anzeigen häufig ein Spiegel einer Gesellschaft, der schlicht und einfach das Geld und der Sprit ausgeht, um mal eben grössere Roadstertouren zu machen. Eine Gesellschaft, in der kleine Roadster schon fast unverkäuflich sind und in 12 Moanten ein Drittel des üblichen Preises verloren haben. Das Problem betrifft uns in Deutschland etwas abgemildert auch: Früher gehörte es fast schon zum guten Ton, am Wochenende von München aus an den Gardasee zu rasen. Das ist selten geworden.



Natürlich sagen Marktforscher, dass der Urlaub das Letzte ist, woran die Deutschen sparen. Das mag stimmen, aber es wird nicht billiger. Es gibt wenige Länder, in denen die teuerungsrate so niedrig wie in Deutschland ist. Und viele klassische Urlaubsländer, die einen enorm hohen Energieverbrauch durch Tourismus haben, dessen Kosten auf die Besucher umgelegt werden. Die Toursimusindustrie verschweigt, dass es kein Grundrecht auf 4 Wochen Ibiza mehr gibt, aber der Markt wird es so einrichten, dass diese Botschaft mit dem Geldbeutel verstanden wird. Das Konzept Ferienbomber, beheizter Pool und klimatisierte Räume in kaputtbetonierter Landschaft hat seinen Zenit überschritten, und die hohen Transportkosten werden die Konsumenten zwingen, sich zu entscheiden: Wirklich noch Ballermann, dann aber nur für eine Woche, und der Rest auf dem eigenen Balkon, so vorhanden? Oder doch lieber ein wenig länger wegfahren, aber dafür nicht mehr so weit?



Vielleicht sogar das tun, was ich für den richtigen Weg halte, und das nach ein paar tausend Jahren Reiseerfahrung für die vergleichsweise kurze Periode des Massenflugtourismus von 1980 bis 2008 vergessen wurde: Die Reise als Reise zu betrachten, und nicht als verlorenen Tag für An- und Abreise. Ich habe hier das Itinerar einer Verwandten, die im laubfrosch/hellgrünen Käfer Cabrio einer Reise nach Pompeji zu Beginn der 50er Jahre gemacht hat, drei Wochen lang, davon 5 Tage in jede Richtung. Es gibt kein einziges Bild, das nicht interessant ist, kein genervtes Gschau, keine Hektik. Es gibt zweimal wunderschönes Tirol, atemberaubende Berge, oberitalienische Städte, Adria und thyrrenisches Meer, Rom, Neapel, Pompeji, es ist von vorne bis hinten Urlaub, vom ersten Tag an. Autofahren war damals, als der normale Bundesbürger froh um ein Fahrrad war, Luxus und sehr teuer - niemand wäre auf die Idee gekommen, diesen Luxus nicht angemessen zu zelebrieren.



Dieses Vergnügen an der Reise muss wieder entdeckt werden. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere auch noch an die Aufkleber, die man in den 70er Jahren auf der Reise nach Italien an jedem Pass erwerben konnte: Grossglockner, Felberntauern, Reschenpass, Sellajoch. An die Prägeautomaten, an denen man sich Erinnerungsplaketten drucken konnte. Und an die Aufregung von Frau Mama, wenn ihr Gatte die Kurven am Pordoji zu sportlich nahm. Die Reise ist von diesem Erlebnis an abgestürzt zu dem, was Kulturwissenschaftler als "gesunkenes Kulturgut" ansehen, ein Wegwerfartikel des modernen Lebens, mit austauschbaren Namen und immer gleichen Hotels. Das betrifft alle Schichten gleichermassen, egal ober Ferienbunker oder die Nobelhotels dieser Welt, die überall im gleichen pseudoklassischen Neostalinismus mit Antikmix entworfen werden, mit austauschbaren Wellnessangeboten und Thai-Chi-Molekularfrass, das Junkffod der Reichen und Gelifteten.



Diese Beliebigkeit zwischen Adlon und Ballermann, die sich fortsetzt bis in die immer gleichen Gated Communities, in die unsere Gesellschaft und Städte zerfallen, ist nur möglich durch billigen Transport von Menschen, Waren und Dienstleistungen. Nur so schafft es Tropenholz auf Dächer über alpine Pools, nur so kann man chinesischen Billiggranit für die Auffahrt verlegen, nur so kann man es sich überall leisten, das Dortige zu ignorieren und in einem substanz- und inhaltslosen Überall zu verweilen, das Reise nur als geschobene Kulisse für die Unfähigkeit begreift, das Naheliegende, oder gar das Selbst zu erkennen, zu schätzen und für sich als Erholung zu begreifen. Man kann, pauschal, all inclusive, 24/7, anything goes, es ist ganz leicht und erschwinglich - gewesen. Und jetzt ist es vorbei und kommt nie wieder. Entfernung ist teuer. Und die Nähe ist weniger schlecht, als man gemeinhin glaubt.



Wobei ich gerne zugebe, dass es mir durchaus wenig ausmachen würde, wenn eine Vielzahl von Leuten es lieber eine Woche ordentlich in den Tourismusgummizellen global krachen liesse, statt mir vier Wochen meinen hier gezeigten Radelweg zum Tortenholen nach Tegernsee mit ihrer Anwesenheit zu verpesten. Es wird wohl beides geben, manche werden kleinräumiger denken, handeln und es dennoch schätzen. Ich halte den Menschen für in Grenzen lernfähig, und das heisst umgekehrt auch, dass Grenzen beim lernen helfen können - sei es, sie zu überwinden, wenn es wichtig ist, oder sie auszufüllen, wo man sich mit ihnen abfinden muss. Es ist weniger schwer, als man glaubt - solange man nicht jetzt auf die Idee kommt, die PS-Schleuder verkaufen und noch schnell am See ein Schnäppchen machen zu wollen.

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