: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 17. Juli 2008

Nur durch Kurt Tucholsky kenne ich Heidelberg

Und zwar durch dieses Gedicht für achtstimmigen Männerchor.

Wenn die Igel in der Abendstunde
still nach ihren Mäusen gehn,
hing auch ich verzückt an deinem Munde,
und es war um mich geschehn,
Anna Luise!

Dein Papa ist kühn und Geometer,
er hat zwei Kanarienvögelein;
auf den Sonnabend aber geht er
gern zum Pilsner in'n Gesangverein
Anna-Luise!

Sagt' ich: "Wirst die meine du in Bälde?",
blicktest Du voll süßer Träumerei
auf das grüne Vandervelde,
und du dachtest dir dein Teil dabei,
Anna-Luise!



Und du gabst dich mir im Unterholze
einmal hin und einmal her,
und du fragtest mich mit deutschem Stolze,
ob ich auch im Krieg gewesen wär...
Anna-Luise!

Ach, ich habe dich ja so belogen!
Hab gesagt, mir wär ein Kreuz von Eisen wert,
als Gefreiter wär ich ausgezogen,
und als Hauptmann wär ich heimgekehrt
Anna-Luise!

Als wir standen bei der Eberesche,
wo der Kronprinz einst gepflanzet hat,
raschelte ganz leise deine Wäsche,
und du strichst dir deine Röcke glatt,
Anna-Luise - !

Möchtest nie wo andershin du strichen!
Siehst du dort die ersten Sterne gehn?
Habe Dank für alle unvergesserlichen
Stunden und auf Wiedersehn!
Anna-Luise!

Denn der schönste Platz, der hier auf Erden mein,
das ist Heidelberg in Wien am Rhein,
Seemannslos.
Keine, die wie du die Flöte bliese...!
Lebe wohl! Leb wohl.
Anna-Luise!

Was willst Du in Heidelberg?, fragte Susi heute Nachmittag am See. Ohne Tucholsky wird es abfallen, und du wirst unter lauten Burschenschaftlern und japanischen Touristen sein, oder gar Amerikanern, und ich muss allein zum baden.

Da hat sie leider recht.

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Die Erforschung der Nacht

Ich habe in der Provinz eine Dachterase, ein hohes Fenster und praktisch Rundumsicht über den Dächern der Altstadt. Ich habe auch ein altes Fernrohr aus Messing, das überraschend gut funktioniert. Ebenso überraschend war die nacht heute sehr klar, und ich konnte die eisigen Staubwüsten des Mondes betrachten.



Unter mir, im Hof des Wohnheims, ist es auch staubig und genauso frei von jeder menschlichen Existenz. Was dort einmal gewesen sein sollte, wurde schon vor Stunden in Alkohol ersäuft, und das sinnfreie Grölen aus drei Kehlen der kommenden Elite lässt erahnen, was da demnächst der Sachbearbeiterebene deutscher Konzerne blüht, die nach dem Ruf der Uni einstellen. Ab und an ein Blitzlicht, vielleicht später noch zu sehen auf StudiVZ. Fensterschlagen deutet an, dass andere morgen arbeiten müssen. Oder den Photographen vom Spiegel da haben. Oder gar nach Heidelberg müssen, und diese Störung durch die losgelassene Elite des Landes nicht brauchen können. Beim Treppensteigen grökt nur noch einer. Zurück bleibe ich, das Fernrohr und der Mond. Und eine sehr angenehme Stille.

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