Nackt in Mitte

Langsam nimmt das Kapital wieder Fahrt auf und fräst sich weiter in die Subkultur. Die Kastanienallee ist lang, noch gibt es weite Flecken Andersartigkeit, aber jetzt geht es an die unersetzliche Infrastruktur für biersüchtige Punks, rheumakranke Autonome und abhängige Kleindealer; 15-EuroQuickie-Mädels verlieren ihren Anlaufpunkt, und die Designerinnen der Kaputtheit die Strasse runter werden sich einen anderen Ort für dsie schnelle Pulle Nachts um drei suchen müssen.

Flashback. Februar dieses Jahres. Date bei meinem Verleger, Debatte um Blogs! und das Aussehen, um urbanen Lifestyle, wenn man das Gesumpfe wirklich als Leben definieren will. Er meint, man soll sich mal die Gestalten an diesem Nachtkauf Nudes anschauen, wenn man wissen will, was wirklich abgeht in der Stadt.

Seitdem bin ich öfters daran vorbeigelaufen. Wollte vielleicht mal drüber schreiben, über die Mädels, die einen anpumpen, weil sie da drin keinen Kredit mehr bekommen, über ihre Hunde und das Leben, das die in irgendwelchen Abbruchbuden führen und den Eltern irgendwo in der Provinz erzählen, dass alles gut geht und das Studium schon irgendwie passt, während sie auf der Suche nach einem Kreativjob und dünn sind, wie man für solche Jobs sein sollte, aber eben dünn aus Hunger,dieser nagenden, unvermeidlichen Bestie, aber es muss so sein denn das Geld brauchen sie für die Träume, die sie in gelben und rosa Pillen kaufen, und die exorbitante Handyrechnung, weil das Festnetz längst abgestellt wurde. Über das Grauen und die Hoffnung in ihren Augen, über dieses Gefühl, dass man sie einfach niederschlagen will und in das Auto zerren und sie heimbringen zu ihren verdammt blöden 68er Eltern, damit sie die ins Bett packen, zudecken und am nächsten Tag nochmal etwas erziehen, nicht zu einer karrieregeilen Pitchersau, aber zumindest so weit, dass es täglich eine warme Mahlzeit statt der scheisssynthetischen Pillen gibt, und darüber, dass das alles in den paar Sekunden passiert, wenn ich ihnen was gebe und dann trotzdem die halbe Nacht nicht schlafen kann, weil ich einfach noch nicht abgebrüht genug bin, um diesen Leuten beim draufgehen zuzuschauen, und das wird sich auch nie ändern, solange ich es sehe.



Aber wie es aussieht, sorgt das Kapital für mich und befreit mich von den Racheengeln. Die Vermieter haben dem Nudes gekündigt, es hat zu gemacht, die Leuchtschrift, von der es seinen Namen hat, ist erloschen. Vielleicht macht dort die nächste Coffeee-Shop-Kette einen Franchise-Laden auf. Oder ein Restaurant mit pseudokreativer Einrichtung, verspielt und mit Happy Hour für Mai Thais. Oder eine Agentur mit Trendscouts, die hier nach dem wahren Leben suchen und es dann auf Powerbooks bannen, um es den Konzernzentralen in London, Singapur oder Gütersloh zu schicken, wo Produkte für den Massengeschmack der Provinz entstehen.

Morgen Abend gibt es dort nochmal eine letzte Party, mit DJs, Mädchen, Hunden, Kleindealern und dem Mittepack, das sich das aus Kredibilitätsgründen antun wird, bevor sie am Montag wieder Projekte entwickeln und sich bei einer Bank bewerben, Abteilung Kreditwesen.

Donnerstag, 14. Oktober 2004, 16:47, von donalphons | |comment

 
Bärenstarke Sozialreportage
Richtig gut, Don! Mehr davon. Bei Gelegenheit poste ich bei mir mal vergleichbare Notizen aus der Provinz. Es hat ja schon seine besonderen Mucken mit den Dropouts: Die Punks mit zerrissenen Hosen und DocMartens mit roten Schnürsenkeln sind in Mitte Drogentote auf Urlaub (verzeiht mir diesen Zynismus, tatsächlich tun diese Menschen mir sehr Leid) und Aussteiger aus der Mittelschicht , die Leute im gleichen Outfit in Braunschweig tatsächliche Proletarier (oft Kinder aus Malocherfamilien, die mit 17 arbeitslos waren und mit Mitte 20 dauerhaft von Sozialhilfe leben), aber keine Drogis, oder aber Kunststudenten und ebenfalls keine Drogis, und in Göttingen sind Leute im nämlichen Outfit kiffende und saufende, aber ebenfalls keine harten Sachen konsumierende linksradikale Studenten, die unheimlich moralisch und extrem politisch korrekt sind. Das Outfit ist jedesmal das Gleiche, das was drinsteckt differiert gewaltig. Erkennbar unterschiedlich sind die Gesichtsausdrücke: In B schaut ein ausgebranntes Häuflein Elend aus den Punkklamotten, in BS unter Umständen auch, vielleicht aber auch ein entspanntes Grinsen, und in GÖ oftmals ein liebes Kindergesicht, das das wilde Auftreten Lügen straft.

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In den Provinzen, in denen ich bin, gibt es sowas nicht, sorry. Da gibt es nur Galerien, überteuerte Cafes, VC-gesellschaften und Elite-Universitäten.

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So ist das
Ich bedaure nicht, diese Provinzen nicht zu kennen.

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Hmm, hatte ich nicht Wedding gelesen?
Oder habe ich mich da jetzt verlesen?

Ach, neee:

lebt

: : Hideout irgendwo in Bayern
: : München Maxvorstadt
: : Berlin Wedding


Und da kannste sagen was Du willst, die Pankstrasse oder die Muellerstrasse sind ja nun nicht grade "posh" wie man hier so sagt.

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Das ist nicht Provinz, das ist dann Pseudo-Metropole. Provinz ist auf dem Land. Landkommunen zwischen Schützenverein und Freiwilliger Feuerwehr. Privat-Parties mit 3 Bands in der Scheune und abgedrehten Städtern, die den Stoff mitbringen.

Immerhin war die Zentrale von ATTAC auch auf einem Dorf in einer Landkommune und ewigen Streiterien mit dem örtlichen Bauamt wegen der Bauwagen.

Ein sehr dankbares Feld für Szialreportagen.

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Dass ich in Berlin mitten im Brennpunkt bin, ist klar - wo kämen denn sonst die ganzen Berlin-Hass-Geschichten her. Die anderen beiden Orte sind es nicht.

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»In den Provinzen, in denen ich bin, gibt es sowas nicht, sorry. Da gibt es nur Galerien, überteuerte Cafes, VC-gesellschaften und Elite-Universitäten«
dann musst du in münchen mal ein paar andere ecken besuchen und nicht nur in den penetranten schickeria kneipen abhängen. könnte aber sein, dass dir das dann auch nicht gefällt...

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Berlin aus Dons Perspektive ist meine Perspektive, auch wenn ich sie nicht in diese gesetzten Worte zu packen vermag. Ich bin nur noch glücklich, hier wegzukommen. Klar, ich bin Provinzler: Aachen, Köln, Bonn, lange Zeit Tübingen mit Arbeitsfokus Stuttgart, zwei Jahre zwischen St. Petersburg und TÜ/S, dann wieder Bonn und dann Berlin. Im Glauben, in eine aufstrebende Metropole zu kommen.

Aber dann: mein Charlottenburger Kiez stürzt täglich sichtbar weiter ab. Alkis und Menschen in Trainingsanzügen beherrschen die Straßen mit Hundekotteppich. Außer Aldi und Lidl wird hier bald kein Geschäft mehr geöffnet haben. Noch sind der Brotgarten und der Biometzger die Highlights des Einzelhandels, aber nur weil die Leute von weit her hier zum Einkauf kommen. Selbst Secondhandläden, die Vorboten des sozialen Abstiegs, gehen hier ein.

Was um Gottes Willen bindet mehr als 3 Millionen an diesen Ort mit eher zufälligem Haupstadtrang? Wo sind die Industrien, die um die Jahrhunderwende 19/20 für den immensen Zuzug sorgten?
... keine Zeit mehr ;-)

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Als ich in der DCT-Hochzeit in Nürnberg am Plärrer arbeitete (einer der größten Plätze dort, was allerdings gar nichts heißt), spöttelte ich mich mit einem Kollegen immer über die Stammkundschaft des Lidl nebenan, die "Lustigen Grafenwalder" (benannt nach der dort präferierten 29-Cent-Biermarke); wenn man nach einer durchgearbeiteten Nacht morgens um 7 um die Ecke kam, konnte es schon passieren, daß einer der "Residenten" einem, nonchalant an die Hausmauer gelehnt, fast vor die Füße reiherte.

Dreck und Verfall ist überall in der Republik, man muß nur die Augen offen haben. Gut, in Berlin ist er fast allgegenwärtig, aber was heißt das schon? Willste stattdessen in den Taunus oder die bayrische Provinz, wo die Leute mit der Mentalität sitzen, die hauptsächlich für den sich immer deutlicher abzeichnenden Niedergang des Gemeinwesens verantwortlich ist?

Da würde nun wieder ich an jeder Ecke reihern.

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Mitte_Pack is schön.

Liebe Grüsse in die Stadt, die ich nicht mag :-)

- Hamburgregierung.

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Schriftsteller und der Drang in die Niederungen
Ich habe oft das Gefuehl das Schriftsteller immer nach abgefuckten Ecken suchen, nur um interessant zu schreiben. Klar kann man nicht so einfach ueber Grossmutters Tee-Kraenzchen schreiben und es wird richtig fetzig. Und klar ist es wichtig die Augen aufzumachen was um einen rum passiert.
Aber landet man da nicht irgendwie doch beim "Rap-Poeten" oder fake-stories a la "Kaffee Burger"?

Oder anders gesagt:

Als Mensch der Buffets liebt erscheinst Du mir hier eher wie ein Voyeur denn als Teilhaber.
Wobei sich ja schon Van Gogh und konsorten gerne mit Nutten rumgetrieben und mit Absinth besoffen haben.
Trotzdem lesenswert.
Geh mal Mittwochs in den Tresor! Oder ins SO Montags. Mal sehn was dabei rauskommt, der exessive Pillenkonsum und die After-hour fressen aus der Beobachter-Perspektive. Das wuerde mich auch mal interessieren.
Im uebrigen bedauere ich heute noch das der "Eimer" dicht gemacht hat, zumal ich da ziemlich oft nachts um 4 abgestuerzt bin.

Tip 2:
Gesundbrunnen an einem Samstag morgen.
Da find eich die Punkigen Ladies in der Kastanienallee ja noch harmlos, verglichen mit den Buffallo-Pittbull-Fieskombinationen die alle nen Kinderwagen schieben.

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Kaffe-Burger Fake?
Klär' mich auf, was ist damit gemeint? Abgesehen davon sind Schriftwerke interessant, die aus unerfüllten Wünschen bestehen und aus dem Kampf sie zu erfüllen. Immer so gewesen. Von der Ilias (nicht zu verwexchseln mit Illies ;) über die Bibel bis zum Stoff aus dem die Helden sind. Unerfüllte Wünsche gibt es in Mitte zuhauf, und sei es der Wunsch nach einem warmen Bett. Beim Kaffekranz gibt es zwar auch unerfüllte Wünsche, aber keinen Kampf darum. Deshalb schreibt keine Sau über das Kaffee-Kränzchen an sich.

@Don: Auch von mir: Lesenswerter Stoff. *lobhudelei*

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Gemeint war
das hier

Und ich habe nicht gesagt er soll nicht drueber schreiben der don, sondern mir ueber seine Perspektive Gedanken gemacht.

Im uebrigen gibt es lustiges Liedgut der Sprechgesangs-Gruppe Deichkind namens Slangdaddy, und da hat mich das Kaffekraenzchen sehr amuesiert.

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Ne, das sind wir nicht!
Diese armen, elenden, verhungerten Mädchen sind keine Kinder von uns 68ern! Das ist ein Klischee und zwar eines, das aus einem Elternhaus stammt, das uns mit schreckgeweiteten Augen zugeschaut hat und uns jetzt ständig beschuldigt, daß alle Deformationen rechtsradikal bis drogenabhängig auf das Konto der 68er Eltern gehen würden. So viele Kinder ham wir nicht bekommen und so schlecht haben wir sie auch nicht erzogen. Interessant, daß keiner hier diese 68er Eltern gehabt zu haben scheint, inklusive Don.

Sonst schön geschrieben, ganz anders als sonst.

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Auch "schön" ist hier kein Kriterium. Btw, die DCT-Prinzessin wohnte gleich neben der ehemaligen Baumm AG, es war, wenn ich mich recht erinnere, auch ein Prinzessinnen-Final.

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Gemein!
Klar, ein elend langes Märchen, krottenfalsch, Du bist vor lauter Begeisterung über Deinen Schreibstil kaum zum Inhalt gekommen. Aber: es kann nicht im Ernst Gabriele von Lehsten gewesen sein, die dort als DCT Prinzessin auf dem Fahrrad herumgegurkt ist, die ist die Anständigkeit in Person, fast gar nicht von dieser Welt. Eine von unseren 68er Eltern-Töchtern? Ultranarchistisch und wahnsinnig schön?

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Die Prinzessin hiess nur so, um ihre wahre Identität zu vertuschen. Und sie war kein 68er-Kind, sondern kam aus einem sehr konservativen Eltwernhaus der bayerischen Provinz. Ein Luxusweibchen ohne Luxus, wenn man so will. Anspruchsvoll, ohne den Ansprzuchen gerecht zu werden. Prinzessin eben.

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Ausserdem war das keine Zeit, in der ich Lust auf hämetriefende Machwerke hatte, sondern lieber erzählen wollte, wie die Leute in dieser Zeit so leben. Und die Prinzessin war, wenn man so will, der Idealfall einer in der NE gescheiterten, immer noch hoffnungsvollen jungen Frau. Und die Leute haben es gerne gelesen.

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Da hast Du recht
Sie haben es alle sehr gerne gelesen und mich dann angerufen: hast Du das gelesen? Nach zwei Jahren habe ich es auch gelesen und habe dann DCT für meinen Untergrundkampf genutzt, was sicher jetzt zu dieser Pattsituation beigetragen hat, die mir alleine nicht geglückt wäre - ohne den Hintergrund von DCT (und den Nachfragen von Che und den Kommentaren von Medvech). Das vergißt man nie mehr.

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Begegnung
Hier begegnen sich jetzt großes Kino (d.h. eine schön geschriebene Geschichte, die einen realen Final nur zum Anlass, nicht zum Thema hatte) und reales Leben, und die echten Akteure sprechen im Dialog das Schlusswort. So soll es sein!

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Wie man´s nimmt - die Geschichte mit der Prinzessin ist letztlich nicht gut ausgegangen. Aber dazu schweigt der Dichter.

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Ansichtssache
Ich bezog das auf Beate und Dich, die Prinzessin war da nicht inbegriffen.

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Aber ich würde die Prinzessin immer berücksichtigen, Du Rücksichtsloser!

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Ich Rüpel !
*schäm*

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