Lass uns Freunde bleiben

Es ist Oktober in Berlin, vom Himmel fallen kalte Tropfen und in den Hinterhofwohnungen von Mitte unternehmen Zweitemestlerinnen den ersten, tapsigen Selbstmordversuch. Du triffst dich mit alten Freunden, ihr habt ein gutes Thema und viele gute, alte Geschichten, und keiner von euch hat Lust auf irgendwas Szeniges oder gewollt Kultiges. Deshalb schlägst du ihnen das Lasst uns Freunde bleiben vor, das zwar in direkter Nähe zur Kastanienallee liegt, aber von deren berufsjugendlichen Welt Lichtjahre entfernt ist.

Du kommst etwas zu früh, gehst durch den Raum mit der Theke hoch ins zweite Zimmer, und nimmst einen richtigen Tisch. Es gibt zwar auch Sessel mit Couchtischen, aber heute steht eine Verschwörungen auf der Tagesordnung, du willst Köpfe zusammenstecken und Pläne schmieden. Das Ambiente mit einer unverputzten Wand und den gelblichen Farben passt zu den Plänen. Es ist nicht viel los, manche Leute lesen Zeitungen oder reden leise über die Krise in ihrem Leben. Du gehst an die Bar, und bist von den Preisen doch etwas überrascht, die heisse Zitrone kostet 1,30 Euro, mit Zucker oder Honig, und es ist wirklich Zitrone und nicht Zitronensaftkonzentrat. In einer kleinen Theke steht ungeschickt geformter, aber wie bei Muttern schmeckender Kuchen, die Baguettes sind bodenständig wie ein Pausenbrot. Es ist zwar Selbstbedienung angesagt, aber das dünne Mächen meint, dass sie dir alles an den Tisch bringt.



Während deine Freunde anrufen und sagen, dass sie etwas zu spät kommen, schaust du in die Gesichter der Anwesenden. Sie sehen alle nicht so aus, als ob es ihnen zu gut gehen würde, aber hier haben sie einen Moment der Ruhe in ihrem Daseinskampf, manchmal bekommen Lippen wieder Farbe, da hinten lacht jemand, und das Mädchen am Nachbartisch beginnt nach einer halben Stunde, doch erkennbar mit ihrem Gegenüber zu flirten; sie beugt sich über den Tisch, lässt Haarstähnen nach vorne fallen, und streicht sich über die Lippen. Vielleicht wird ihr Leben in diesem Augenblick wieder schön.

mehr bei Restaur.antville

Donnerstag, 21. Oktober 2004, 17:43, von donalphons | |comment

 
Und da haben wir es wieder ...
... den Punkt den ich an Berlin so liebe.
Der Don schreibt hier immer vom dicken Überlebenskampf, aber ich denke er stellt das einzigartige in Berlin nicht genug heraus, und das ist das relaxte Leben das man in Berlin haben kann. Denn anders als z.B. FFM dreht sich in Berlin die Welt eher um das Sonntagsfrühstück als um die Börse, und das hat einen recht angenehmen Lebensrhytmus zur Fokge, wenn man es denn so einrichten kann. Klar ist Berlin wirtschaflich eines der Armenhäuser Deutschlands, das ist nicht zu übersehen, aber für mich war meine Zeit dort eine Oase der Entspannung. Nun, in der größten Stadt Europas (?) ist all diese relaxtheit Verflogen. Ich habe hier noch niemanden gesehen der länger als 2 Stunden auf einem Fleck bleibt und sich die Zeit nimmt und sie komplett durchliest. Statt dessen eher (und das kenne ich noch zu gut aus FFM, aber da in abgeschwächter Form) ein Leben das sich um kaufen, verkaufen, verdienen, erleben, Kust mitnehmen (um dann zu kaufen), Mode, gestylt rumlaufen, im Trend liegen und so weiter dreht. Und das ist verdammt nochmal anstregend. Sogar im Pub muss man schauen das man schnell genug trinkt, es ist ja bald zu. Um so wertvoller werden da so Orte wie das "Soma" in der Mile End Road, die "leaned back" genug sind um mich an Berliner Sonntage zu erinnern. Und ja, ich schaue auch nach jobs in Berlin. Aber wie's da aussieht wisst Ihr ja alle.

Aber, ach ja, das hätte ich fast vergessen: Hier gibt es auch "Fags" zu kaufen, einzeln in der Bar, aber die kosten 30p, also 45 cent.

... link  

 
London
Also, ich fand die größte Stadt Europas nicht so schlecht. Eine andere Lebenseinstellung, ja, aber schlechter? Hektischer? Eher nein.
Ich glaube, weder in Berlin noch in FFM geht man mittags um 1 gepflegt ein, zwei Mittgsbierchen trinken (wobei so ein Bierchen eher schon ein "Pint" ist), um dann den Nachmittag langsam ausklingen zu lassen...
Und in Sachen Frühstück (zugegeben, man benötigt eine Zeit der Akklimatisierung) geht's in London eben halt richtig zur Sache. Stabil, damit man eine Grundlage hat. Und man kann es wirklich, ohne Langzeitschäden, überleben!

Betreff "Fags": das war eine gute Einnahmequelle, wenn man sie von hier mitbrachte. Die 20er Schachteln, nicht diese verhungerten 10er, die man drüben kriegt...

... link  

 
London-Berlin
Sprüche, die ich mit den beiden Städten verbinde.

Ein Londoner Geschäftsfreund zu mir: Du mußt dich selbst mehr unter Druck setzten.

Eine Berliner Verkäuferin: Das sind Schrippen!

Was ist mir lieber?

... link  

 
Lebensumstaende
Naja, die praegen die Erfahrung. Nicht unerwaehnt soll bleiben das man sich trotz Azubigehalts eine Wohnung in Berlin leisten kann, aber mit 20000 Pfund im Jahr grade mal ein WG-Zimmer in London geht. Aber es kann auch sein das ich einfach was falsch mache hier ;)

@pathologe:
Da ich eher in casual look rumlaufe und nicht so viel mit dieser "Work hard, play hard, fight hard, drink hard"-Mentalitaet am Hut habe die in der Londoner Schlips-Gesellschaften vorherrscht kann ich mir das nicht erlauben mit dem Mittags-pint.

@oswald:
Das mit den Schrippen, ja, kenn ich auch. Aber dazu auch noch viele andere Eindruecke. Und das die Berliner nicht grade die nettesten sind (grade in der Baeckerei) ist ja bekannt, stoert mich aber nicht weiter, da kann ich auch einfach zurueckblaffen.
Aber versuch mal in England n Bankkonto zu eroeffnen! Nett sind sie ja zu dir, hilf dir aber auch nicht weiter, stattdessen immer ein sehr sehr freundliches "I'm sorry, but I'm afraid we need ..."

... link  

 
Schlips? Wassndas?
Zugegeben, in der allerersten Woche bin ich verkleidet drüben gewesen.
Dann allerdings "casual". Und hat funktioniert.
Es ist auch nicht immer die Schlips-Fraktion, die in die Pubs zieht (reminds me on the "Heeltap and Bumpers"), gibt genug, die trotz des Schilds am Eingang in die "no soiled clothing or boots, please"-Pubs gehen.
Ich selbst hätte nur mit einem Leberschaden überlebt, hätte ich mir die Mittagsspaziergänge gegeben. Aber in unserem Gebäude waren genug, die man dann im "King's Head", "Fox" oder "White Hart" getroffen hätte.

Und das mit dem Bankkonto ist echt ein Problem.

... link  

 
@ pascalo: nennen wir das Kind doch beim Namen: Die durchschnittliche, nichtausländische Verkäuferin in Berlin hat die Freundlichkeit eines Wachhundes am antikapitalistischen Schutzwall - und wirkt auch so.

... link  

 
@ don: Full Ack

... link  

 
Nennen wir das Kind noch deutlicher beim Namen: die durchschnittliche, nichtausländische Verkäuferin in Berlin, die früher Diplom-Denunziantin und Unter-Blockwärtin in Marzahn war und nach der Wende aus unerfindlichen Gründen beim tuntenfarbenen Monopolkapitalisten gelandet ist, steht drei Viertel ihrer Zeit dumm im Weg herum und hält Kunden ihrer Filiale mit einem retrograd flatuleszierten "Kannchihnweitahelfn" davon ab, sich anzustellen, um dem Kunden dann nach abgepreßter Auskunft mittzuteilen: "Da müssn se sich bein Kollejen anstelln", und wenn man das Spiel schon kennt und sie einfach ignoriert, mit dem zusätzlichen Hinweis: "Sie sin da nämlich grade dem Kunden" - dem Kunden! Als ob man selbst keiner ist!! - "ganz schön auf die Pelle jerückt. Wir ham hier" - "Schießbefehl" hat man ihr Pawlowsch wegkonditioniert - "Diskretionsabstand!"

Der durchschnittliche, nichtausländische Berliner Verkäufer ist dann eine stammesrituell hinterhauptslochgefickte, in Peek und Cloppenburg eingesackte Bildungskatastrophe, die bei einem zwei Wochen zuvor erteilten, aber irgendwie nicht im System gespeicherten Auftrag erstmal "Scheiße" vor sich hin absondert und es dann als Zumutung empfindet, deswegen die Auftragskontrolle anzurufen. Telekom hat eine Auffanggesellschaft (bin ich aus Versehen in einer ihrer Filialen gelandet), die Lower-Classe-Berliner *ist* die Auffanggesellschaft!

... link  

 
Ich sag´s ja: Die Stadt entweder einplanieren bis auf die kunstgeschichtlich wertvollen bauten und einen Park auf dem Rest errichten (Hey! Ich wohne im Baudenkmal! Ich fände das wirklich ok!) oder so wie es ist, an einen betrunkenen russischen Investor verkaufen und abhauen, bervor er merkt, was er da gekauft hat. (Bidding starts at 1$, no reserve)

... link  

 
Du bist ja hardcore. Einplanieren wäre übrigens ziemlich teuer.
Ne, ich mag Berlin. Ist eine andere Welt. Ich habe da immer gute Laune. "In Berlin the ancients survive."

... link  

 
Ein schöner Berlin-Bashing Electroclash-Song, so mit Schnurrbart und Koteletten und unrasierten Achseln, so Hipster-Zeug , leicht schwul, aber noch ambivalent, wie Friebe, nur mehr to the floor, mehr Mia, Gitarren, und bisschen Sex, da mehr so Meisel als Richardson, etwas mehr Anzug auch, viel Hi-Hats, die echte wilde New Wave heraufbeschwörend, diese Zeit des wilden Westberlin, DFA Remix, das wäre auch nicht weniger originell. Es gibt dazu keinen Widerstand, der ins Licht führen könnte.
"Down in the bunker.."

... link  


... comment