Republikflucht und Devisenvergehen.

Manche haben ja schon gemunkelt, ich würde aus Italien noch ein Rennrad mitbringen. Nun, beim Radhändler anderer Leute Vertrauen steht ein Bianchi als "Occasione". In den 70er Jahren war es das billigste Modell, aber seitdem hat es Karriere gemacht: Falls der Ladenbesitzer wirklich jemanden findet, der für diese ramponierte Mühle 300 Euro zahlt, hat sich das für alle Beteiligten ausser dem Idioten am Ende gelohnt.



Hier bin ich jedoch aus anderen Gründen: Nach 20 Jahren Wiedervereinigung kann ich nämlich sagen, dass die Angleichung der Lebensumstände in Ost und West gelungen ist! Letzte Woche wollte ich für mein Rad noch eine kleine Lenkertasche, die hübsch aussieht und aus Leder ist. Zu diesem Zweck suchte ich einen Radladen auf, und sah nur billiges Gelumpe aus Nylon. Eine Tasche, die von Ferne gefallen konnte, war an einem Rad. Dazu wurde mir Folgendes erklärt:

1. Es gibt sie nur zusammen mit dem Rad.
2. Man kann sie bestellen, vielleicht kommt sie dann nächstes Jahr, aber nur, wenn die Produktion nicht ausverkauft ist.
3. Es gibt auch keine Alternativen.
4. Laut Katalog kostet die Tasche knapp 100 Euro.
5. Kunstleder ist viel haltbarer als echtes Leder.

Das, mit Verlaub, hätte auch die DDR nicht besser machen können. Auf das Angebot, mich jetzt auf eine Warteliste zu setzen, verzichtete ich dann doch. Schliesslich hatte ich in Mantua Ähnliches und in grosser Auswahl gesehen. Es ist zwar immer noch teuer, aber:



Halb so teuer wie das deutsche Produkt aus China, aus echtem Leder und in Italien gefertigt. Eine gewisse Fassungslosigkeit ob der deutschen Dreistigkeit ist natürlich immer noch vorhanden, aber die Zufriedenheit bricht sich langsam Bahn. Die Kamera passt mitsamt Schläuchen und etwas Verpflegung genau hinein, es sieht nicht schlecht aus, und daheim kommt es an ein altes Rad, als krönender Abschluss. Solange ich damit an der Grenze nicht abgefangen auf Sächsisch und wegen Schmuggel belangt werde, oder wie deutsche Raqdhändler ihre leeren Märkte sonst vor Angeboten aus dem Ausland schützen.



Ansonsten sollte man sich wirklich überlegen, ob man nicht dem Beispiel von Mantua folgt und die Innenstadt radikal für den Autoverkehr sperrt. Die Stadt und das Leben darin, das alles ist so viel angenehmer, wenn Radler und Fussgänger gemütlich unter sich bleiben. Erstaunlicherweise gibt es in Mantua auch keine Raser, alle haben Zeit und wirklich hübsche, alte Räder mit viel Chrom. Vermutlich Erbstücke, für alles andere würde man sich hier dumm und dämlich bezahlen.

Auf meiner Lenkertasche steht übrigen "Dei" drauf. Damit alle wissen, wer da ankommt.

Donnerstag, 30. September 2010, 14:20, von donalphons | |comment

 
Wie sieht es in Mantua mit Elektrorädern aus?
In meiner kleinen ehemaligen Republik L. sind sie schon stark auf dem Vormarsch. Meistens von älteren Damen im Schneiderkostüm durch die Gassen bewegt !

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Eigentlich nicht, ich denke, Mantua ist einfach zu flach für Elektroräder. Es gibt sie, aber zumeist wird immer noch richtig geradelt.

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Da ich nicht immer "drüben" lobhudeln möchte (das wird langsam verdächtig), tue ich es lieber hier.
Was für ein Anfänger der Thilo ist, sieht man sehr schön an Ihrem neuen Beitrag. Dankenswerterweise haben Sie auch auf die neuerdings sehr hippen Böckenförde-Zitate verzichtet.

Das mit dem "Dei" verstehe ich jedoch nicht ganz. War die Pasta-Portion so groß, dass Sie jetzt so breit wie zwei Götter auf dem Radl strampeln müssen?

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Danke, danke, danke.

Das mit dem Dei war nur ein dummer und nicht ganz passender Einfall - aber vielleicht radelt ja mal eine Göttin neben mir, dann sind es schon 2.

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Eigentlich ganz hübsch, das Bianci mit dem Originalsattel ...

Der Preis ist natürlich fast ein Berlin-Mitte-Witz.

– Die asoziale Wahnidee, jeden Winkel einer Stadt selbstverständlich mit dem Privatauto befahren zu dürfen, hat sich in D scheinbar mehr oder weniger flächendeckend durchgesetzt.

Die letzten Diskussionen dazu gab es, glaube ich, vor 15 Jahren.

Die Behauptstadt verschmälert zur Zeit ihre letzten breiten Trottoirs,
zu Gunsten einer effektiveren 'Parkraumbewirtschaftung'.

Dieselben Leute hört man dann von Urbanität und Verdichtung schwafeln – eigentlich gehört denen täglich ein Chayenne-Außenspiegel in den Allerwertesten gerammt – als praktische Urbanitäts- und Verdichtungsübung ...

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Gute Idee! Ich glaube aber, dass es so oder so kommen wird. Einerseits lässt die Lust am Auto nach, andererseits steigen die Kosten. Da kann es ganz sinnvoll sein, sich mal ein paar Poller mehr einfallen zu lassen.

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Die Worte hör' ich gern, allein ...

In den Gegenden Europas, wo Urbanität dieser Art noch halbwegs funktioniert, trifft man oft auf eine Mischung aus jahrzehntelanger Armut und praktischer Schlauheit; wogegen wir es hierzulande doch eher mit jähem Reichtum und umfassender Dummheit zu tun haben.

Nicht zu vergessen die grundsätzliche Neigung, alle Spuren der eigenen Geschichte zu tilgen oder zu musealisieren; und sei es unter Asphaltmuren und Blechlawinen.

(Ist aber vielleicht auch eine Frage der Perspektive ...)

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An dieser Stelle bin ich fast geneigt, mal aus dem Nähkästchen des Radladenbetreibers hier vor Ort über die Lieferpolitik und Kundenbetreuung italienischer Familienbetriebe zu plaudern.

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Nur zu. Ich sage aber gleich: Das Schrecken hat Tradition. Früher gab es Colnagos in drei Farben: rot, weiss und bunter Zufall.

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Das "dei" bezieht sich nur auf die Tasche -- die war ursprünglich für den Hostientransport vorgesehen.

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